Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 04.08.2005

LSG Berlin-Brandenburg: geistige behinderung, sonderschule, eltern, schulpflicht, sozialhilfe, schulbehörde, schulbesuch, anleitung, erlass, anhörung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
23. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 23 B 1035/05 SO ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 SGB 12, § 53 SGB 12,
§ 54 Abs 1 S 1 Nr 1 Halbs 2 SGB
12, § 12 BSHG§47V vom
27.12.2003
Sozialhilfe - behindertes Kind - Besuch einer Regelschule -
Eingliederungshilfe - Integrationshelfer
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 04. August 2005
wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten
des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Einzelfallhilfe zum Besuch der
Grundschule T im Schuljahr 2005/2006.
Der 1996 geborene Antragsteller leidet unter einem Down-Syndrom, das als geistige
Behinderung anerkannt ist.
Der Antragsteller wurde ursprünglich mit Bescheid des Staatlichen Schulamts W vom 18.
Juni 2003 der Förderschule für geistig Behinderte zugewiesen. Sein hiergegen
eingelegter Widerspruch war zunächst erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 06. August
2003). Mit Bescheid vom 19. August 2003 hob das Staatliche Schulamt W den
Zuweisungsbescheid vom 18. Juni 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom
6. August 2003 auf und sprach die Aufnahme des Antragstellers in der Grundschule T
aus. Seit dem Schuljahr 2003/2004 wird der Antragsteller in dieser Grundschule im
gemeinsamen Unterricht nach den Unterrichtsvorgaben der Förderschule für geistig
Behinderte beschult.
In den vorangehenden Schuljahren unterstützte der Beigeladene als
Schulaufsichtsbehörde den Schulbesuch des Antragstellers, indem er
- in der ersten Hälfte des Schuljahres 2003/2004 eine sonderpädagogische Fachkraft im
zeitlichen Umfang von 5 Stunden je Woche,
- in der zweiten Hälfte dieses Schuljahres diesen Einsatz auf 7 Stunden je Woche erhöhte
und daneben eine Helferin zur Betreuung des Antragstellers im zeitlichen Umfang von
10 Stunden je Woche
- und im Schuljahr 2004/2005 eine sonderpädagogische Fachkraft im Umfang von 6
Stunden je Woche einsetzte.
Die Eltern finanzierten ergänzend eine Einzelfallhelferin. Die Erstattung der Kosten für die
Einzelfallhilfe ist Gegenstand der beim Sozialgericht Potsdam anhängigen Klagen S 20
SO 47/05 und S 20 SO 48/05.
Mit Schreiben vom 06. Juli 2005 beantragte der Antragsteller den Erlass einer
einstweiligen Anordnung zur Einzelfallhilfe im Schuljahr 2005/2006.
Der Antragsteller hat beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, vom
Beginn des Schuljahres 2005/2006 (Montag, den 08. August 2005) dem Antragsteller
Einzelfallhilfe im Umfang von 20 Wochenstunden zu gewähren.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Anhörung der Klassenlehrerin des
Antragstellers und hat die Schulleiterin zum Sachverhalt angehört. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift
vom 02. August 2005 (Bl. 31ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 04. August 2005 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege
der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller im Schuljahr 2005/2006 vom
08. August 2005 an, längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen
Hauptsacheentscheidung, Einzelfallhilfe zu seiner Beschulung durch die Grundschule T
im zeitlichen Umfang von 20 Stunden je Schulwoche zu erbringen. Zur Begründung hat
das Gericht ausgeführt, nach dem Ergebnis der gerichtlichen Beweisaufnahme und unter
Würdigung der von der Schulleiterin im Erörterungstermin gegebenen Schilderungen sei
von einem Rechtsanspruch des Antragstellers auf Eingliederungshilfe in dem tenorierten
Umfang auszugehen.
Gegen den am 08. August 2005 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 12.
August 2005 Beschwerde eingelegt. Er bestreitet die Angemessenheit der Schulbildung
des Antragstellers in der Grundschule T. Eine Zuweisung durch das Staatliche Schulamt
liege nicht vor. Die Aufnahme des Antragstellers an der Grundschule T sei lediglich
aufgrund Intervention der Eltern erklärt worden. Dies sei keine Zuweisung im
schulrechtlichen Sinne. Eine schulische Integration des Antragstellers habe von
vornherein nur aufgrund der Inanspruchnahme von Einzelfallhelfern erfolgen können. Bei
dem behaupteten Hilfebedarf handele es sich überwiegend um einen Bedarf im
Zusammenhang mit der Realisierung des Beschulungsauftrages und nicht um
pflegerische Hilfen oder Hilfen bei lebenspraktischen Aufgaben, für die im Einzelfall
Eingliederungshilfe zu gewähren wäre. Dies werde u. a. auch deutlich aus der Erhöhung
der Stundenanzahl der Einzelfallhilfe während der Zeit, in der die Sozialpädagogin auf
Klassenfahrt war. Eine Hilfe im Umfang von 20 Stunden pro Woche sei nicht erforderlich,
da im vorherigen Schuljahr die Integration bei einem zusätzlichen Betreuungsumfang
von 10 Stunden pro Woche, neben den Stunden der sonderpädagogischen Förderung,
möglich war. Die Aussagen der Schule stünden im Widerspruch zu dem
Entwicklungsbericht der Sonderpädagogin, aus dem hervorgehe, dass der Antragsteller
nur noch gelegentliche Unterstützung oder Anleitung brauche. Die Notwendigkeit einer
Rund-um-die-Uhr-Betreuung gehe aus diesem Bericht nicht hervor. Es sei auch nicht
nachvollziehbar, warum nicht die Lehrerin einen Teil der angeblich erforderlichen
Hilfestellungen für den Antragsteller erbringen könne. Für die Erbringung der
Hilfeleistung sei ferner keine ausgebildete pädagogische oder sonderpädagogische
Fachkraft erforderlich. Von Antragsgegnern in anderen Verfahren finanzierte Hilfskräfte
im Rahmen der Eingliederungshilfe als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung
würden auf der Basis eines Stundensatzes von 6,00 € übernommen. Im Übrigen sei dem
Antragsteller zuzumuten, die Einzelfallhilfe vorübergehend aus den ihm gewährten
Leistungen der Pflegekasse – der Antragsteller erhalte Pflegegeld der Pflegestufe II - zu
finanzieren.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Beschluss vom 04. August 2005 des Sozialgerichts Potsdam aufzuheben und den
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 07. Juli 2005 zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Dass er in der zweiten Hälfte des
vergangenen Schuljahres nur 10 Stunden an zusätzlicher Betreuung erhalten habe,
ändere nichts daran, dass er den geltend gemachten Bedarf habe. Ein
kostengünstigeres Angebot eines Einzelfallhelfers sei ihm weder vom Antragsgegner
angeboten worden noch sonst bekannt. Im Übrigen sei ein Wechsel in der Person der
Einzelfallhelferin für ihn unzumutbar, da gerade bei Kindern mit einer geistigen
Behinderung die Kontinuität der Betreuungspersonen besonders wichtig sei.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er hält die angefochtene Entscheidung für
zutreffend. Bei dem Bescheid des staatlichen Schulamtes vom 18. Juni 2003 handele es
sich um eine Zuweisungsentscheidung, an die der Sozialhilfeträger gebunden sei. Bei
der Einzelfallhilfe handele sich um Hilfestellungen zur praktischen Bewältigung der im
Zusammenhang mit dem Besuch einer Schule stehenden Schwierigkeiten und nicht um
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Zusammenhang mit dem Besuch einer Schule stehenden Schwierigkeiten und nicht um
weitergehende pädagogische Maßnahmen. Nach den Feststellungen im
Erörterungstermin vor dem Sozialgericht Potsdam am 02. August 2005 sei davon
auszugehen, dass sich an dem Hilfebedarf des Antragstellers weder qualitativ noch an
dessen Umfang Entscheidendes geändert habe.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidung
wird auf die Gerichtsakte, auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und des
Beigeladenen sowie auf die beigezogenen Akten des Sozialgerichts Potsdam zu den
Geschäftszeichen S 20 SO 30/05 ER, S 20 SO 47/05 und S 20 SO 48/05 Bezug
genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht Potsdam hat den
Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem
Antragsteller im Schuljahr 2005/2006 vorläufig Einzelfallhilfe zu seiner Beschulung durch
die Grundschule T im zeitlichen Umfang von 20 Stunden je Schulwoche zu gewähren.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen
zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der
geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b
Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Senats einen Anspruch auf Übernahme der
Kosten eines Integrationshelfers im Rahmen der Eingliederungshilfe glaubhaft gemacht.
Dieser Anspruch folgt aus §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB
XII - iVm. § 12 Eingliederungshilfeverordnung - EinglHVO -. Danach sind Leistungen der
Eingliederungshilfe auch Hilfen zu einer allgemeinen Schulbildung, vor allem im Rahmen
der allgemeinen Schulpflicht, und umfassen diese Hilfen auch Maßnahmen zugunsten
behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet
sind, den Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu
ermöglichen oder zu erleichtern. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Die vom Antragsteller beanspruchte Hilfe durch Übernahme der Kosten eines
Integrationshelfers für den Besuch der Grundschule T ist eine Maßnahme zu einer
angemessenen Schulbildung im Sinne von §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i. v. m. § 12
EinglHVO.
Ob der Besuch einer allgemeinen Schule die für ein behindertes Kind angemessene
Schulbildung vermittelt, hat nicht der Träger der Jugend- oder Sozialhilfe zu beurteilen.
Dies richtet sich vielmehr allein nach Schulrecht. Gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz
SGB XII bleiben nämlich die Bestimmungen des Schulrechts über die Ermöglichung der
Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt. In welchem Umfang
eine bestimmte, nach den Bestimmungen des Schulrechts vorgesehene Beschulung
den geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Behinderten entspricht, ist der Prüfung
der Schulbehörde vorbehalten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem Bescheid des Staatlichen Schulamtes
vom 19. August 2003, mit dem die Zuweisung des Antragstellers an die Sonderschule
widerrufen und seine Aufnahme an der allgemeinen Grundschule T ausgesprochen
worden ist, um eine Zuweisung im schulrechtlichen Sinne handelt. Denn es fehlt
jedenfalls an einer anderweitigen Zuweisung.
Solange aber – wie hier - die Schulaufsichtsbehörde nicht entschieden hat, dass der eine
Regelschule besuchende Schulpflichtige zum Besuch einer seiner Behinderung
entsprechenden Sonderschule verpflichtet ist, kann der Sozialhilfeträger das
schulpflichtige Kind nicht darauf verweisen, eine Sonderschule zu besuchen, um die
Gewährung von Eingliederungshilfe überflüssig zu machen (OVG NRW, Urteil vom 12. Juni
2002 - 16 A 5013/00 - juris MWRE 202011178). Dies gilt umso mehr, als nach dem
Brandenburger Schulgesetz - BbgSchulG - vorrangig von einer Beschulung von
Menschen mit Behinderungen im gemeinsamen Unterricht mit Schülerinnen und
Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf ausgegangen wird (§ 3 Abs. 4
BbgSchulG). Verzichtet die Schulbehörde auf die Zuweisung an eine Sonderschule und
hält die Beschulung an einer Regelschule mithin für möglich, ist dieser Einschätzung
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hält die Beschulung an einer Regelschule mithin für möglich, ist dieser Einschätzung
auch die Überlegung vorangegangen, dass ein solcher Schulbesuch nur mit Hilfe eines
Unterstützers möglich ist (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 54, Rn. 22 a. E.; VGH
Mannheim VBlBW 2003, 329, 330).
Der Antragsteller hat auch hinreichend glaubhaft gemacht, dass die begehrte Hilfe ihrer
Art nach zu seiner Eingliederung geeignet und erforderlich ist. Im Rahmen des
Eilrechtsschutzes dürfen die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den
Antragsteller des Eilverfahrens nicht überspannt werden (BVerfG 1 BvR 569/05 vom 12.
Mai 2005, Breithaupt 2005, S. 803 ff.). Nach den aktenkundigen Ausführungen der
Klassenleiterin des Antragstellers Frau R in einer zusammenfassenden Aufstellung vom
02. Mai 2005, die diese im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 02. August 2005
wiederholt hat, weist der Antragsteller neben den Beeinträchtigungen in seiner geistigen
Entwicklung auch Beeinträchtigungen in der Feinmotorik, der Wahrnehmung, der
Sprache und im Bereich des Sozialverhaltens auf. Seine verminderte
Wahrnehmungsfähigkeit (starke Brille), die außerdem noch durch Reize aus der
Umgebung häufig eingeschränkt wird, führe dazu, dass er Gefahrenquellen nicht immer
erkenne. Er werde deshalb von der Betreuerin morgens vom Auto abgeholt und
überquere mit ihr gemeinsam die Straße. Auch auf allen anderen Gängen durch das
Schulhaus und über das Schulgelände werde er begleitet und an eine langsame,
kontrollierte und den Regeln entsprechende Fortbewegung erinnert. Der Antragsteller
könne Handlungen, z. B. Toilettengänge, nicht allein erledigen, da er beim Anziehen
(Feinmotorik) und Händewaschen (Anleitung und Willensstärkung) Hilfe benötige,
unerlaubt in andere Räume gehe und nicht selbständig zurückkehre (kein Zeitgefühl).
Der Antragsteller weise Weglauf-Tendenzen im Zusammenhang mit aktuellen
Bedürfnissen (Durst, Wasserlassen) auf, denen er unvorhergesehen und unvermittelt
nachkomme. Ferner bedürfe er Hilfestellungen beim Auspacken seiner Arbeitsmittel,
beim Umgang mit Schreibgeräten und der Schere und bei der Nutzung anderer
individueller Lernmittel. Diese Hilfestellungen könne ihm die Lehrerin nicht kontinuierlich
bieten, da sie auch anderen Schülern Hilfestellungen leisten müsse. Ferner benötige er
zusätzliche Ruhepausen, in denen er sich mit einer Einzelfallhilfe in einen ruhigeren
Raum zurückziehen können müsse. Bei allen Verrichtungen im Tagesablauf (Umziehen
zum Sportunterricht, Tellertragen beim Mittagessen, Auswickeln des Pausenbrotes)
erforderten seine feinmotorischen Schwierigkeiten ständige Hilfestellungen und
Orientierungen. Daher sei für den Antragsteller während der gesamten Unterrichtszeit,
das sind 5 Stunden täglich, einschließlich der Pausen diese Betreuung erforderlich.
Diese Zusammenstellung der Klassenleiterin gibt ausweislich der Ausführungen der
Schulleiterin Frau P im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht die Auffassung der
Gesprächsteilnehmer an einem Fallgespräch betreffend den Antragsteller vom 24. Mai
2005 wieder, an dem neben den Eltern und der Klassenlehrerin auch die für den
Antragsteller eingesetzte Sonderpädagogin und dessen Einzelfallhelferin sowie eine
Protokollantin teilgenommen haben. Dem kann der Antragsgegner nicht mit dem
Hinweis entgegengetreten, dass der Antragsteller ausweislich des letzten
Entwicklungsberichts der Sonderpädagogin bereits erheblich selbständiger sei als von
der Zeugin bekundet.
Bei den geschilderten Hilfestellungen durch die Einzelfallhilfe handelt es sich erkennbar
um Hilfestellungen zur praktischen Bewältigung der im Zusammenhang mit dem Besuch
einer Schule stehenden Schwierigkeiten und nicht um sonderpädagogische Maßnahmen.
Dass diese Aufgaben während der Anwesenheit der vom Schulamt bereitgestellten
Sonderpädagogin von dieser übernommen werden, erhebt die lebenspraktischen
Hilfestellungen nicht in den Rang von sonderpädagogischen schulischen
Fördermaßnahmen.
Auch der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII steht hier
dem geltend gemachten Eingliederungsanspruch nicht entgegen, selbst wenn es
Aufgabe der Schulbehörde beziehungsweise des Schulträgers sein sollte, das für die
sonderpädagogische Förderung von schulpflichtigen Kindern erforderliche fachlich
qualifizierte Personal sowie das für die damit zusammenhängenden Hilfestellungen im
Unterricht erforderliche zusätzliche Personal zu stellen beziehungsweise die Kosten
hierfür zu tragen (§ 68 Abs. 1 und 2, § 29 Abs. 2 BbgSchulG). Denn der Nachrang der
Sozialhilfe setzt voraus, dass ein solcher Anspruch rechtzeitig durchgesetzt werden kann
und die anderweitige Hilfe tatsächlich bereitsteht. Letzteres war vorliegend aber nicht
der Fall. Denn das Staatliche Schulamt W hatte ausdrücklich mit Bescheid vom 13.
Januar 2005 den Einsatz weiteren pädagogischen Personals für den Antragsteller, über
die bewilligte ergänzende Förderung durch eine sonderpädagogische Fachkraft hinaus,
abgelehnt. Es entspricht aber höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der betroffene
Bürger auf dem Gebiet des Sozialhilferechts und des Sozialrechts allgemein nicht
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Bürger auf dem Gebiet des Sozialhilferechts und des Sozialrechts allgemein nicht
gezwungen werden kann, den Streit über die Zuständigkeit zwischen den Behörden auf
sein Risiko und seine Kosten zu klären. Der Zuständigkeitsstreit ist vielmehr von den
beteiligten Behörden auszutragen. Bei der Beurteilung, ob der Hilfesuchende sich in
einem seinen Sozialhilfeanspruch ausschließenden Sinne selbst helfen könne - wozu je
nach den Umständen des Einzelfalles auch die Beschreitung des Rechtswegs gehören
kann -, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Hilfesuchende einen
Rechtsanspruch gegen einen Dritten hat, sondern darauf, ob er die benötigte Hilfe auch
tatsächlich erhalten oder den Anspruch gegen den Dritten rechtzeitig realisieren kann
(Bundesverwaltungsgericht, 5 C 38.92 - Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr. 16).
Nach alledem hat der Antragsteller einen zusätzlichen Betreuungsbedarf im zeitlichen
Umfang von 20 Stunden je Schulwoche im Schuljahr 2005/2006 nach der im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung ausreichend
glaubhaft gemacht.
Der Antragsgegner kann im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht mit dem
Einwand gehört werden, dass die Schulhelferin des Antragstellers von ihrer Ausbildung
her überqualifiziert und zu teuer sei. Denn die Höhe der Kosten für die dem Antragsteller
zugesprochene Einzelfallhilfe war nicht Gegenstand des einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens. Ob der Antragsteller auf die Inanspruchnahme einer
kostengünstigeren Betreuungsmöglichkeit verwiesen werden kann, ist daher nicht
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens und kann im Übrigen nicht ohne zeitraubende
weitere Ermittlungen und somit nicht im Rahmen eines vorläufigen
Eilrechtsschutzverfahrens geklärt werden.
Ein Anordnungsgrund besteht. Ein Aussetzen der seit längerer Zeit in Anspruch
genommenen Schulhilfe bis zum Ergehen einer vollziehbaren Entscheidung im
Hauptsacheverfahren hätte für den Antragsteller unzumutbare Folgen. Namentlich
würde der bislang bereits erreichte Eingliederungserfolg in Frage gestellt werden. Im
Hinblick darauf, dass die Eltern des Antragstellers eine zusätzliche Einzelfallhilfe in den
beiden vorangegangenen Schuljahren bereits vorfinanziert haben, ist ihnen das erneute
Vorstrecken der für die Einzelfallhilfe erforderlichen finanziellen Mittel nicht mehr
zuzumuten. Ein Anordnungsgrund wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der
Antragsteller Leistungen der Pflegekasse erhält. Das dem Antragsteller gewährte
Pflegegeld dient der Sicherstellung der häuslichen Pflege. Dem Antragsteller ist nicht
zuzumuten, dieses Geld für die Dauer des Hauptsacheverfahrens für eine
Eingliederungsmaßnahme einzusetzen; zumal es die Kosten der Einzelfallhilfe nur zu
einem geringen Teil abdecken könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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