Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 15.11.2004

LSG Berlin-Brandenburg: verfassung, berufsausbildung, unterhalt, jugend, hinterbliebenenrente, schule, eltern, tagung, universität, entlastung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 12 RA 123/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 48 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c
SGB 6 vom 21.07.2004, § 48
Abs 4 Nr 2 Buchst a SGB 6 vom
19.02.2002, § 3 Abs 1 SozDiG, §
32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst d EStG
2002, EGBes 1031/2000
Waisenrentenanspruch - Europäischer Freiwilligendienst
Leitsatz
Während eines "Europäischen Freiwilligendienstes" besteht kein Anspruch auf Waisenrente
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15.
November 2004 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin die Zahlung einer Hinterbliebenenrente
für die Zeit von August 2003 bis August 2004 beanspruchen kann.
Die Beklagte gewährte der 1983 geborenen Klägerin nach dem Tod ihres bei der
Beklagten versicherten, 2001 verstorbenen Vaters mit Bescheid vom 17. April 2002
Halbwaisenrente für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Juli 2003 in Höhe von
237,81 € monatlich; die Befristung beruhte auf der Annahme, dass die Klägerin bis zum
Juli 2003 die Schule (Gymnasium) besuchen werde.
Nach einem Hinweis der Beklagten vom 9. Juli 2003, dass sie die Zahlung der
Waisenrente mit Ende Juli 2003 vorerst aufgrund der Beendigung der Schulausbildung
eingestellt habe, übersandte die Klägerin eine Bescheinigung der S „B“ des D R K,
wonach sie vom 1. September 2003 bis voraussichtlich zum 31. August 2004 „im
Rahmen des EU-Aktionsprogramms JUGEND-Aktion 2 einen Europäischen
Freiwilligendienst“ ableisten werde. Entsendeorganisation sei die D „B“ in B,
Aufnahmeorganisation das B R K in L.
Nachdem die Beklagte daraufhin mit Brief vom 1. August 2003 mitgeteilt hatte, dass
während der Teilnahme am „Europäischen Freiwilligendienst für junge Menschen“ kein
Anspruch auf Waisenrente bestehe, erwiderte die Klägerin, dass sie umgehend
„Leistungsklage sowie begleitend einen Antrag auf Halbwaisenrente stellen (werde)“,
falls die Beklagte nicht bis zum 25. August 2003 mitteile, ob sie ihrer Leistungspflicht
nachkommen werde. Sie bitte um eine baldige rechtsbehelfsfähige Entscheidung.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2003 die Gewährung
einer Waisenrente über den 31. Juli 2003 hinaus ab, da die Klägerin kein freiwilliges
soziales oder ökologisches Jahr ableiste.
2003 schloss die Klägerin mit der S „B“ des D R K eine Vereinbarung über die Ableistung
eines Europäischen Freiwilligendienstes, wonach sich die Klägerin bereit erklärte, in der
Zeit vom 1. September 2003 bis 31. August 2004 einen anerkannten Europäischen
Freiwilligendienst abzuleisten, für dessen Durchführung die Bestimmungen für das EU-
Aktionsprogramm in seiner jeweiligen Fassung gelten würden.
Den am 30. September 2003 bei ihr eingegangenen Widerspruch der Klägerin gegen die
Entscheidung vom 4. September 2003, zu dessen Begründung die Klägerin ausführte,
dass ihre Tätigkeit für den Europäischen Freiwilligendienst für junge Menschen dem
freiwilligen sozialen Jahr gleichzustellen sei, wies die Beklagte, der die S„B“ des DR K
fernmündlich mitgeteilt hatte, „dass doch jeder (wisse), dass es sich beim Europäischen
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fernmündlich mitgeteilt hatte, „dass doch jeder (wisse), dass es sich beim Europäischen
Freiwilligendienst nicht um ein freiwilliges soziales Jahr handele“, mit – der Klägerin in E
bekanntgegebenem – Widerspruchsbescheid vom 11. März 2004 zurück.
Die Klägerin hat am 9. Juni 2004 Klage erhoben.
Die S „B“ des D R K hat dem Sozialgericht mitgeteilt, dass die Klägerin einen
Europäischen Freiwilligendienst leiste, der ein ähnlicher Dienst wie das freiwillige soziale
Jahr sei, allerdings „über die EU und nicht über das BM/FSFJ gefördert (werde)“.
Durch Urteil vom 15. November 2004 hat das Sozialgericht die Beklagte „unter
Aufhebung des Bescheides vom 4. September 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. März 2004 verurteilt, der Klägerin für August 2003 bis
August 2004 Halbwaisenrente zu gewähren“; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Klägerin in der fraglichen
Zeit weder eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert noch ein freiwilliges
ökologisches Jahr geleistet habe. Bei dem Europäischen Freiwilligendienst handele es
sich auch nicht um ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung
eines freiwilligen sozialen Jahres, wie sich eindeutig aus der Antwort der S „B“ des D R K
vom 5. Juli 2004 ergebe. Jedoch sei die Kammer der Ansicht, dass die Ähnlichkeit
zwischen dem Europäischen Freiwilligendienst einerseits und dem freiwilligen sozialen
Jahr andererseits so ausgeprägt sei, dass es gerechtfertigt erscheine, im Lichte einer
verfassungskonformen Auslegung des § 48 Abs. 4 Nr. 2a des Sechsten Buchs des
Sozialgesetzbuches (SGB VI) davon auszugehen, dass auch der Europäische
Freiwilligendienst zu einer Verlängerung der Bezugsdauer von Halbwaisenrente führe.
Vor dem Hindergrund des Beschlusses Nr. 1686/98/EG des Europäischen Parlamentes
vom 20. Juli 1998 sei die Kammer davon überzeugt, dass § 48 Abs. 4 Nr. 2a SGB VI eine
planwidrige Lücke enthalte, soweit er den Europäischen Freiwilligendienst nicht erwähne.
Diese könne im Wege der verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift dahin
geschlossen werden, dass auch dieser Dienst unter den Anwendungsbereich der
Vorschrift subsumiert werde. Für die Zeiträume ab September 2004 sei nicht ersichtlich,
dass die Klägerin weiter die Voraussetzungen für die Gewährung einer Halbwaisenrente
erfülle; sofern sich das Begehren der Klägerin auch auf diese Zeiträume erstrecken
sollte (wovon die Kammer ausgegangen sei), sei die Klage abzuweisen.
Gegen das ihr am 23. November 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 20.
Dezember 2004 eingelegte Berufung der Beklagten, die zur Begründung ausführt, dass
eine vom Gesetzgeber nicht gewollte gesetzliche Lücke nicht anzunehmen sei. Durch
das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 sei der Europäische
Freiwilligendienst für das Einkommensteuerrecht und das Kindergeldrecht dem
freiwilligen sozialen und dem freiwilligen ökologischen Jahr ausdrücklich gleichgestellt
worden. Danach könne nicht von einer planwidrigen Gesetzeslücke ausgegangen
werden, so dass eine entsprechende Anwendung des § 48 Abs. 4 Nr. 2a SGB VI auf eine
Waise, die einen Europäischen Freiwilligendienst leiste, ausscheide. Auch bei der
Neufassung des § 48 Abs. 4 SGB VI durch das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen
Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung sei der Kreis der
Anspruchsberechtigten nicht auf Teilnehmer am Europäischen Freiwilligendienst
erweitert worden. Im Übrigen bestünden zwischen diesem Dienst und dem freiwilligen
sozialen und dem freiwilligen ökologischen Jahr Unterschiede; insbesondere seien die
Helfer im freiwilligen sozialen oder freiwilligen ökologischen Jahr im Gegensatz zu den
Teilnehmern eines Europäischen Freiwilligendienstes versicherungspflichtig in der
Rentenversicherung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2004 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unbegründet. Durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22.
Dezember 1999 sei der Europäische Freiwilligendienst dem freiwilligen sozialen Jahr
gleichgestellt worden. Dass dabei die Waisenrente nicht ausdrücklich genannt worden
sei, stelle eben jene „nicht gewollte Lücke“ dar, die das Sozialgericht festgestellt habe.
Beide Beteiligte haben erklärt, dass sie mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung einverstanden seien.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf
die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie die von der Beklagten vorgelegte
Einheitsakte (3 Bände), die Gegenstand der Beratung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem beide
Beteiligte erklärt haben, dass sie damit einverstanden sind (§ 124 Abs. 2 i.V.m. § 153
Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1 und 151 Abs. 1 SGG) Berufung der Beklagten, über die
anstelle des nicht mehr bestehenden Landessozialgerichts Berlin das in
Übereinstimmung mit § 28 Abs. 2 SGG durch den Staatsvertrag über die Errichtung
gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004
errichtete Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zu entscheiden hat, auf das das
Verfahren gemäß Artikel 28 des Staatsvertrages am 1. Juli 2005 in dem Stand, indem es
sich an diesem Tag befunden hat, übergegangen ist, ist begründet.
Die Klägerin kann von der – seit dem 1. Oktober 2005 unter dem Namen „Deutsche
Rentenversicherung Bund“ fortgeführten (§ 1 Satz 1 des als Artikel 82 des Gesetzes zur
Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung [RVOrgG] vom 9.
Dezember 2004 [BGBl. I S. 3242] verkündeten Gesetzes zur Errichtung der Deutschen
Rentenversicherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-
See) – Beklagten die Gewährung einer Halbwaisenrente für die Zeit von August 2003 bis
August 2004 nicht verlangen.
Sowohl nach der bis zum 31. Juli 2004 wie auch nach der ab dem 1. August 2004
geltenden Fassung des § 48 Abs. 4 SGB VI hat Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente
(nur), wer sich nach Vollendung des 18. Lebensjahres, aber vor Beginn des 28.
Lebensjahres in Schul- oder Berufsausbildung befindet oder ein freiwilliges soziales Jahr
im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres oder ein
freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen
ökologischen Jahres leistet oder wegen körperlicher, geistiger oder seelischer
Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten oder – nach der ab dem 1.
August 2004 geltenden Fassung – sich in einer Übergangszeit von höchstens vier
Kalendermonaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet. All diese
Voraussetzungen sind – wie auch das Sozialgericht zutreffend erkannt hat und auch die
Klägerin einräumt – hier nicht erfüllt.
Insbesondere hat die Klägerin kein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes über
die Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJG) geleistet. Zwar erscheint vor dem
Hintergrund, dass ein freiwilliges soziales Jahr auch im Ausland geleistet werden kann (§
3 Abs. 1 FSJG) denkbar, dass sie die von ihr ausgeübte Tätigkeit auch als freiwilliges
soziales Jahr hätte leisten können; geschehen ist dies allerdings nicht, wobei der Senat
im vorliegenden Verfahren nicht zu klären hat, worauf dies zurückzuführen ist.
Jedenfalls hat die Klägerin ihre Tätigkeit im Rahmen und in der Form des „Europäischen
Freiwilligendienstes“ erbracht. Grundlage dieses Dienstes ist der Beschluss Nr.
1031/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2000 zur
Einführung des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms „Jugend“ (ABl. Nr. L 117 vom 18
Mai 2000, S. 1), der – anders als das Gesetz zur Förderung des freiwilligen sozialen
Jahres – keine oder nur wenig detaillierte Bestimmungen insbesondere über die
Durchführung des Dienstes und begleitende pädagogische Bildungsmaßnahmen (vgl. §§
2 Abs. 3 und 3 Abs. 2 FSJG) oder Träger (vgl. § 5 FSJG) enthält. Regelungen über die
(Weiter-)Leistung einer Hinterbliebenenrente trifft dieser – ohnehin rechtlich
unverbindliche – Beschluss gleichfalls nicht, der lediglich vorsieht, „dass die jungen
Freiwilligen einer Krankenversicherung wie auch anderen einschlägigen Versicherungen
angeschlossen sind“ (Anhang, Aktion 2). Angesichts der unterschiedlichen Grundlagen
und – zumindest teilweisen – Ausgestaltung ist es ausgeschlossen, den Europäischen
Freiwilligendienst in ein freiwilliges soziales Jahr „umzudeuten“.
Der Umstand, dass der von der Klägerin geleistete „Europäische Freiwilligendienst“
einem freiwilligen sozialen Jahr im Sinne des Gesetzes über die Förderung eines
freiwilligen sozialen Jahres „ähnlich“ ist – und sie womöglich die von ihr ausgeübte
Tätigkeit auch als freiwilliges soziales Jahr hätte leisten können – führt nicht dazu, dass
dieser Dienst für den Anspruch auf Waisenrente einem freiwilligen sozialen Jahr i.S.d. §
48 Abs. 4 SGB VI gleichsteht oder mittels einer „lückenausfüllenden Auslegung“
gleichzustellen ist. Insbesondere ist nicht erkennbar – und vom Sozialgericht nicht
begründet worden –, weshalb die (vermeintliche) Lücke „planwidrig“ wäre. Gegen die
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begründet worden –, weshalb die (vermeintliche) Lücke „planwidrig“ wäre. Gegen die
Annahme einer „planwidrigen“ Lücke, die das Gericht ausfüllen dürfte, spricht die
ausdrückliche Beschränkung auf die freiwilligen Jahre „im Sinne des (jeweils
einschlägigen) Gesetzes“ (und in offensichtlicher Kenntnis, dass es daneben weitere
Freiwilligendienste gibt) sowie insbesondere die Entscheidung des Gesetzgebers, durch
das Gesetz zur Förderung der Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S.
2552; s. auch das Zweite Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001 [BGBl. I S.
2074]) u.a. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d des Einkommensteuergesetzes (EStG)
dahin neu zu fassen, dass nunmehr für die Gewährung von Kindergeld auch ein Kind
berücksichtigt wird, das einen Europäischen Freiwilligendienst leistet.
Es ist nicht ohne weiteres zu unterstellen – und spricht auch nichts dafür –, dass der
Gesetzgeber dabei die Regelungen über die Voraussetzungen für die Gewährung von
Waisenrenten „übersehen“ haben könnte, die gleichfalls Gegenstand rechtspolitischer
Erörterungen bzw. Forderungen waren (vgl. dazu die auf eine Tagung des Zentrums für
Europäische Rechtspolitik an der Universität Bremen im April 1999 zurückgehenden
Beiträge von R. Schuler, Der arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Status von
Teilnehmern am Europäischen Freiwilligendienst für Jugendliche, ZFSH/SGB 1999, 717
[721, 723]; H.-G. Wicke, Zur Situation des Europäischen Freiwilligendienstes in der
Bundesrepublik Deutschland, sowie R. Schuler, Der arbeits-, sozial- und steuerrechtliche
Status von Teilnehmern am Europäischen Freiwilligendienst für Jugendliche, beide in: K.
Sieveking [Hrsg.], Europäischer Freiwilligendienst für Jugendliche: Statusfragen und
rechtspolitische Probleme [2000], S. 77 bzw. 154 bzw. dies., On the Situation of
European Voluntary Service in the Federal Republic of Germany, und Concept of
European Voluntary Service and the Status of Young Volunteers in Terms of Labour,
Social and Tax Law, in: K. Sieveking (ed.), European Voluntary Service for Young People:
Questions of Status and Problems of Legal Policy [2001], pp. 126 and 208; K. Sieveking,
Der Europäische Freiwilligendienst – eine neue Statuspassage zwischen Schule,
Ausbildung und Beruf, RdJB 2000, 203 [212 f.]).
Vielmehr sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld ohnehin weiter als
die für die Gewährung von Waisenrenten. So wird Kindergeld auch für ein Kind gewährt,
das das 18., aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat und arbeitslos ist (§ 32
Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und eine
Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG); Anspruch auf Waisenrente besteht in diesen Fällen
nicht! Der Gesetzgeber ist auch nicht von Verfassung wegen verpflichtet, entsprechende
Regelungen im Rentenrecht einzuführen (vgl. bereits Bundessozialgericht [BSG], Urteil
vom 12. März 1981 – 11 RA 12/80).
Diese unterschiedlichen Regelungen lassen sich auf die unterschiedlichen Funktionen
von Kindergeld und Waisenrente zurückführen. Während das Kindergeld neben der
Entlastung der Eltern bei der Gewährung des von ihnen zu leistenden Unterhalts auch
zur „Familienförderung“ beitragen soll, dient die Waisenrente nicht der Förderung der
Ausbildung junger Menschen oder anderer sozial wertvoller Beschäftigungen und
Tätigkeiten, sondern soll den Unterhalt (teilweise) ersetzen, den sonst der verstorbene
Versicherte geleistet hätte bzw. hätte leisten müssen. Einen rechtlich durchsetzbaren
Anspruch auf Unterhalt gegen ihren Vater für die Zeit ihres Freiwilligendienstes hätte die
volljährige Klägerin aber nicht gehabt (so zum freiwilligen sozialen Jahr OLG Zweibrücken,
Urteil vom 29. März 1994 – 5 UF 210/91 –, NJW-RR 1994, 1225), sofern angesichts
dessen, dass der Klägerin während ihres Freiwilligendienstes augenscheinlich freie
Unterkunft und Verpflegung gewährt wurde und sie auch ein Taschengeld erhielt,
überhaupt ein Unterhaltsbedarf bestanden haben sollte. Deshalb ist auch kein Unterhalt
durch Gewährung einer Waisenrente zu ersetzen.
Dass – über die eigentliche Funktion der Waisenrente hinausgehend und ungeachtet
dessen, dass in diesen Fällen ein Unterhaltsbedarf nicht bestehen dürfte – Waisenrente
auch an Waisen für die Zeit eines freiwilligen sozialen oder freiwilligen ökologischen Jahr
geleistet wird, ist eine nicht gebotene, aber von seiner Gestaltungsfreiheit gedeckte
Entscheidung des Gesetzgebers, der dadurch aber – auch von Verfassung wegen – nicht
verpflichtet ist, diese Vergünstigung auf andere Personen, die „freiwillig“ im eigentlichen
Wortsinn, d.h. aufgrund eines eigenen Entschlusses, einen „ähnlichen“, aber eben
„anderen“ Dienst leisten, zu erstrecken (so bereits zum Kindergeld vor der Änderung
durch das Gesetz zur Familienförderung Hessisches FG, Urteil vom 1. Oktober 1997 – 2
K 4079/96 –, EFG 1998, 374 sowie FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. August 2001 – 2 K
2933/00 –).
Bislang hat auch – soweit ersichtlich – mit Ausnahme des Vordergerichts kein (anderes)
Gericht entschieden, dass nach der geltenden Rechtslage Waisenrente auch für die Zeit
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Gericht entschieden, dass nach der geltenden Rechtslage Waisenrente auch für die Zeit
eines „Europäischen Freiwilligendienstes“ zu leisten wäre (ablehnend SG Duisburg, Urteil
vom 29. Juli 2004 – S 10 RA 5/03 – sowie SG Aachen, Urteil vom 9. Dezember 2005 – S 8
R 126/05 –). Diese Auffassung wird auch im Schrifttum nicht vertreten, sondern –
lediglich – als rechtspolitische Forderung erhoben, wobei überwiegend die Anerkennung
des Freiwilligendienstes als „Verlängerungstatbestand“ erwogen wird (vgl. die oben [S.
7] angeführten Nachweise).
Im Bereich der „gewährenden“ Verwaltung steht es weitgehend im Ermessen des
Gesetzgebers, inwieweit er freiwillige, wenngleich sozial wertvolle, vor allem aber auch
der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit dienende Beschäftigungen oder Tätigkeiten
durch die Gewährung von Sozialleistungen fördert.
Die Gewährung von Waisenrente für die Zeit nach August 2004 ist nicht Gegenstand des
Berufungsverfahrens, da die Klägerin gegen das ihre Klage insoweit abweisende Urteil
des Sozialgerichts keine Berufung eingelegt hat.
Die auf § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Klage keinen
Erfolg hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht
erfüllt. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist allein aufgrund der ansonsten
in Rechtsprechung und Schrifttum nicht geteilten Rechtsansicht des Vordergerichts,
dessen „Begründung“ nicht erkennen lässt, wie, wodurch und weshalb welche
Bestimmung „der Verfassung“ verletzt sein könnte, nicht gegeben.
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