Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.03.2006

LSG Berlin und Brandenburg: haushalt, rehabilitation, wochenende, entlastung, werkstatt, hauptsache, kausalzusammenhang, arbeitsfähigkeit, reisekosten, abklärung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 24.03.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 97 R 5875/05 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 22 B 300/06 R ER
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Januar 2006 (S 97 R
5875/05 ER) wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das
Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin bewilligte dem Antragsteller mit Bescheid vom 27. Oktober 2005 eine Leistung zur Teilhabe am
Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Diese Maßnahme wurde für voraussichtlich 3 Monate in den
"B Werkstätten für Behinderte GmbH" (BWB) bewilligt und vom Antragsteller am 01. Dezember 2005 angetreten.
Mit Bescheid vom 05. Dezember 2005 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für die Dauer der bewilligten
Maßnahme Übergangsgeld.
Am 03. Dezember 2005 beantragte der Antragsteller die Bewilligung einer Haushaltshilfe. Diese brauche er dringend,
denn seit dem er sieben Stunden täglich bei BWB arbeite, komme er mit seinem Haushalt nicht zurecht und am
Wochenende brauche er Zeit für die Regeneration und Wiederbelebung seiner körperlichen und seelischen Kräfte.
Die Antragsgegnerin erteilte den Ablehnungsbescheid vom 13. Dezember 2005, den sie damit begründete, dass nach
§ 54 des neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Haushaltshilfe nur erbracht werden könne, wenn
1. der Leistungsempfänger wegen der Durchführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder einer
Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben außerhalb des eigenen Haushaltes untergebracht ist und ihm die Weiterführung
des Haushalts nicht möglich ist,
2. eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann und
3. im Haushalt ein Kind lebt, dass bei Beginn der Haushaltshilfe
a) das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder
b) das behindert und auf Hilfe angewiesen ist.
Unter dem 18. Dezember 2005 legte der Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid Widerspruch ein. Haushaltshilfe
gehöre zum Leistungsumfang des Rentenversicherungsträgers während der beruflichen Rehabilitation. Tatsache sei,
dass ihm die Teilhabe am Arbeitsleben nur dann gesichert werden könne, wenn er Gelegenheit erhalte, sich
ausreichend zu erholen. Da ihn aber am Wochenende die Gefühlsschwankungen sehr plagten, sei die
Inanspruchnahme einer Haushaltshilfe als Teil der zur beruflichen Rehabilitation gehörenden Leistung geboten. Zu
Unrecht gehe der Bescheid vom 13. Dezember 2005 davon aus, dass er eine Haushaltshilfe "bei Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation" begehre. Vielmehr gehe es bei ihm um berufliche Rehabilitation.
Mit Bescheid vom 28. Dezember 2005 nahm die Antragsgegnerin daraufhin den Bescheid vom 13. Dezember 2005
zurück und erteile den Bescheid vom 28. Dezember 2005, in dem sie die Leistungsvoraussetzungen für
Haushaltshilfe nunmehr auch in Bezug auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Übrigen unverändert darlegte.
Bereits am 27. Dezember 2005 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen
Anordnung dahingehend beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, umgehend die Kosten für eine
Haushaltshilfe zu übernehmen.
Eile sei geboten, da er selbst nun in einer Werkstatt arbeite und somit seinen Haushalt nicht mehr allein erledigen
könne. Die Entscheidung in der Hauptsache könne nicht abgewartet werden. Zur weiteren Begründung hat er sich
unter anderem auf sein Widerspruchsschreiben an die Antragsgegnerin vom 18. Dezember 2005 bezogen. Ab dem 01.
Dezember 2005 arbeite er bei der BWB 33,5 Stunden wöchentlich, was für ihn gewöhnungsbedürftig sei. Durch die
Anwendung von §§ 13, 16 SGB VI i.V.m. § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX bestehe ein Anspruch auf eine Haushaltshilfe um
die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. § 54 SGB IX falle insoweit nicht mehr ins Gewicht, sei vielmehr für
Haushaltshilfen während einer Kurmaßnahme gedacht. Bei zwei Auslegungsmöglichkeiten einer Vorschrift sei
diejenige zu bevorzugen, die die Werte der Verfassung besser und deutlicher wiedergebe.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.
Es sei nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abzuwehrende Nachteile
entstehen würden, die ausnahmsweise im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes die Vorwegnahme der
Entscheidung in der Hauptsache rechtfertigen würden. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Anspruch auf die begehrte
Leistung dem Grunde nach bestünde.
Dazu hat der Antragsteller erwidert, die Antragsgegnerin habe übersehen, dass Rechtsgrundlage für seinen Anspruch
§ 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX sei, wonach ihm "sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben" zustünden.
Eine dieser Leistungen, die das Gesetz dafür anbiete, sei die Haushaltshilfe.
Das Sozialgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 19. Januar 2006 zurückgewiesen und entschieden, dass
außergerichtliche Kosten nicht erstatten würden:
Die Voraussetzungen nach § 44 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 54 Abs. 1 SGB IX, wonach Haushaltshilfe geleistet würde,
wenn dem Leistungsempfänger wegen der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder einer
Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben die Weiterführung des Haushalts nicht möglich sei, eine andere im Haushalt
lebende Person den Haushalt nicht weiterführen könne und im Haushalt ein Kind lebe, das bei Beginn der
Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet habe, seien nicht erfüllt. Insbesondere sei vom
Antragsteller weder dargetan, noch bestehen insoweit Anhaltspunkte, dass in seinem Haushalt ein Kind lebe.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers folge der Anspruch auf die Haushaltshilfe nicht aus § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB
IX, weil "sonstigen Hilfen im Sinne dieser Vorschrift in einem unmittelbar kausalen Zusammenhang mit der
Arbeitstätigkeit stehen müssten und hierzu die Gewährung von Haushaltshilfe nicht gehöre. Im Übrigen bestehe auch
kein Anordnungsgrund, denn der Antragsteller habe nicht glaubhaft dargetan, dass die Gewährung von Haushaltshilfe
zur Abwendung einer gegenwärtigen existenziellen Notlage erforderlich sei und es ihm nicht möglich sei, bis zu einer
Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren die Weiterführung seines Haushalts eigenverantwortlich zu
leisten oder gegebenenfalls zu organisieren.
Gegen den ihm am 24. Januar 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 21.
Februar 2006:
Das Sozialgericht habe der Aufklärungspflicht nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht genügt. Die Entscheidung
könne dementsprechend nicht auf Tatsachen beruhen, sondern auf sachfremden Erwägungen. Das Sozialgericht
setze sich über den gesetzgeberischen Willen hinweg und ersetze ihn durch eigene Vorstellungen. Ziel des SGB IX
sei die Überwindung der Behinderung, um zum Beispiel die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen zu können.
Arbeitsfähigkeit und Erholungsmöglichkeit stünden in einem Kausalzusammenhang zueinander. Haushaltshilfe diene
dazu, eine bessere Erholungsmöglichkeit durch Entlastung zu gewähren. Das BWB habe ihm unter dem 23. Januar
2006 bestätigt, dass für ihn insoweit eine Entlastung erforderlich sei. Auch der Betriebsarzt habe den dringenden Rat
erteilt, am Wochenende so gut wie nichts zu tun, um sich ausreichend zu erholen.
Die Antragsgegnerin hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Sie hat mitgeteilt, dass der Antragsteller sich
seit dem 28. Februar 2006 in der psychiatrischen Klinik in R befinde. Zuvor habe er vom 01. Dezember 2005 bis 28.
Februar 2006 das Eingangsverfahren in der BWB absolviert.
II.
Die zulässige Beschwerde – der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat – ist nicht begründet. Der Senat weist sie aus
den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht insoweit von einer weiteren Begründung
ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Soweit der Antragsteller die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes durch das Sozialgericht rügt, verkennt er die
gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Haushaltshilfe, die vom Sozialgericht und im Bescheid der
Antragsgegnerin vom 28. Dezember 2005 zutreffend wiedergegeben sind. Die in § 54 Abs. 1 SGB IX unter den Ziffer
1-3 genannten Voraussetzungen müssen kumulativ – also alle drei genannten Voraussetzungen zusammen –
vorliegen. Da der Antragsteller nicht einmal vorträgt, dass in seinem Haushalt ein Kind unter zwölf Jahren zu betreuen
wäre, kommt bereits deshalb der geltend gemachte Anspruch nicht in Betracht. Es besteht daher kein Bedarf für eine
weitere Aufklärung des Sachverhalts nach § 106 SGG, die im Anordnungsverfahren nach § 86 b Abs. 2 SGG wegen
des dortigen Verweises insbesondere auf § 920 ZPO ohnehin eingeschränkt ist, weil dem Antragsteller dort die
Glaubhaftmachung von Anspruch und Anordnungsgrund auferlegt werden.
§ 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX hilft aus den vom Sozialgericht genannten Gründen nicht weiter, wobei hinzukommt, dass
Abs. 4 Satz 2 dieser Vorschrift besagt, dass bei Abklärung der beruflichen Eignung oder Durchführung einer
Arbeitserprobung Reisekosten nach § 53 SGB IX "sowie Haushaltshilfe und Kinderbetreuungskosten nach § 54 SGB
IX übernommen" werden. Aus dieser Regelung folgt zum einen, dass § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX keine eigenständige
Regelung zur Haushaltshilfe enthält und zum anderen, dass für die Gewährung einer Haushaltshilfe nach Abs. 4
dieser Vorschrift wiederum die Voraussetzungen nach § 54 SGB IX erfüllt sein müssen.
Die Beschwerde konnte keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).