Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 15.12.2004

LSG Berlin und Brandenburg: ärztliche verordnung, behandlung im ausland, eintritt des versicherungsfalles, heilmittel, bewegungstherapie, schwimmen, ärztliche behandlung, krankenkasse, ungarn

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 15.12.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 81 KR 2876/01
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 KR 47/02
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Februar 2002 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu
erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten, die ihm im Zusammenhang mit einer Behandlung nach der sog. Petö-
Methode in Budapest entstanden sind.
Der 1985 geborene Kläger, der bei der Beklagten familienversichert ist, leidet aufgrund einer frühkindlichen
Hirnschädigung an einer spastischen Tetraparese, welche die Koordination der Bewegungsabläufe einschränkt.
Wegen dieser Erkrankung wurde er in den ersten Lebensjahren u.a. nach der Bobath- sowie der Vojta-Methode
intensiv krankengymnastisch behandelt und erhielt zusätzlich ergotherapeutische Leistungen zur Verbesserung der
Feinmotorik und des Körperschemas. In den Jahren 1994 bis 1999 nahm er an dem unter ärztlicher Leitung stehenden
Petö András Institut für konduktive Förderung der Bewegungsversehrten in Budapest (Petö-Institut) an jeweils
mehrwöchigen Blockseminaren teil, in denen er sich in deutschsprachigen Kleingruppen der sog. konduktiven
Förderung nach Petö unterzog. Bei dieser Methode, an deren Kosten zuzüglich Fahrt- und Unterbringungskosten sich
die Beklagte seinerzeit jeweils beteiligte, handelt es sich um ein komplexes pädagogisches System, durch das
Menschen mit einer Schädigung des Zentralnervensystems lernen sollen, ihre Dysfunktionen zu überwinden oder zu
mindern. Die Anleitung erfolgt durch sog. Konduktoren, die im Rahmen der ganzheitlichen Betreuung des Kindes
Aufgaben eines Physiotherapeuten, Logopäden, Motopäden, Sonderpädagogen, Erziehers, Pflegers und Lehrers
eigenverantwortlich wahrnehmen. Die Methode wird durch das Petö-Institut bzw. in Zusammenarbeit mit ihm jedenfalls
seit Mitte der neunziger Jahre zumindest in Form von sog. Sommercamps u.a. auch in Deutschland angeboten. Auf
Initiative der Ersatzkassen wurde das Behandlungskonzept, das auch schon zuvor zum Gegenstand verschiedener
Pilotprojekte gemacht worden war, zwischen 1996 und 2001 in einem Modellvorhaben erprobt und begutachtet. Über
den seit 2002 beim Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamen Bundesausschuss)
anhängigen Antrag auf Anerkennung der Petö-Methode als therapeutisch wirksames Heilmittel wurde noch nicht
entschieden.
Nach Durchführung einer weiteren Förderperiode im April 2000 in Budapest, die von der Beklagten wiederum
bezuschusst worden war, wandte sich der Kläger am 7. September 2000 erneut an die Beklagte und beantragte, sich
an den auf ca. 30.000,- DM geschätzten Kosten für eine nunmehr auf ein halbes Jahr angelegte Therapie nach Petö in
Budapest zu beteiligen. Zur Begründung wies er darauf hin, dass die Therapie am 19. September 2000 beginnen und
sich wie in der Vergangenheit aus Schwimmen im Thermalwasser, regelmäßigen Massagen, therapeutischem
Schwimmunterricht sowie Krankengymnastik zusammensetzen werde. Da es für ihn am Petö-Institut selbst keine
geeignete Gruppe mehr gebe, werde die Therapie allerdings von an dem Institut tätigen Konduktoren außerhalb der
Einrichtung unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden. Zur weiteren Begründung überreichte er eine Bescheinigung
der Fachärztin für Kinderkrankheiten Dr. Rvom 5. September 2000, in der es u.a. heißt: Es würde für die Familie eine
Unterstützung bedeuten, könnten die Kosten, die ansonsten für die regelmäßig erforderliche krankengymnastische
Behandlung in Berlin anfallen würden, für die Behandlung in Budapest zur Verfügung gestellt werden. Die dortige
Therapie diene der Verbesserung der Laufmöglichkeiten des Klägers und sei der hiesigen Therapie gleichzusetzen.
Mit ihren Bescheiden vom 14. September und 10. Oktober 2000, die eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthielten,
lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab: Eine Kostenbeteiligung an in Ungarn
durchgeführten Behandlungen komme nach In-Kraft-Treten des Abkommens zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Ungarn vom 2. Mai 1998 (DUSVA) am 1. Mai 2000 nicht mehr in Betracht. Denn das
Abkommen sehe im Bedarfsfalle allein eine durch den ungarischen Krankenversicherungsträger zu erbringende
Leistungsaushilfe vor. Sie beschränke sich auf die Gewährung von Sachleistungen, die später direkt mit dem
ungarischen Krankenversicherungsträger abgerechnet werden müssten.
In der Zeit vom 19. September 2000 bis zum 12. März 2001 hielt sich der Kläger in Begleitung seiner Mutter zum
Zwecke der therapeutischen Behandlung in Budapest auf. Nach seiner Rückkehr nach Berlin übersandte er der
Beklagten u.a. eine Reservierungsbestätigung des Corinthia Aquuincum Hotels Budapest vom 6. September 2000
sowie Rechnungen dieses Hotels über seinen dortigen Aufenthalt vom 10. März 2001 über umgerechnet 19.346,23
DM (= 9.891,57 EUR ), eine in Budapest ausgestellte ärztliche Verordnung des ungarischen Arztes Dr. Kvom 26.
September 2000 über 30 Massageeinheiten nebst Rechnung des Leistungserbringers vom 13. Februar 2001 über
577,60 DM (= 295,32 EUR ), einen Abschlussbericht der Konduktorin mit Schwimmausbildung M vom 10. Januar
2001 nebst Rechnung vom selben Tage für 45 Stunden therapeutisches Schwimmen über 1.350,- DM (= 690,24 EUR
) sowie einen Abschlussbericht über konduktive Förderung der Dipl.-Konduktorin M vom März 2001 nebst Rechnung
vom 10. März 2001 für 276 Stunden Bewegungstherapie nach Petö über 5.000,- DM (= 2.556,46 EUR ) und bat erneut
um Kostenbeteiligung. Wie schon zuvor lehnte die Beklagte auch diesen Antrag unter Hinweis auf die Bestimmungen
des DUSVA mit ihrem Bescheid vom 10. April 2001 ab und wies sodann den vom Kläger im Anschluss erhobenen
Widerspruch mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 11. September 2001 mit der Begründung zurück: Allein denkbare
Anspruchsgrundlage auf Erstattung der in Budapest entstandenen Kosten für die konduktive Förderung nach Petö sei
§ 18 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Soweit danach der Anspruch davon abhänge, dass die in
Rede stehende Behandlung in den einschlägigen Fachkreisen allgemein anerkannt sein müsse, sei dies hier nicht der
Fall. Im Übrigen scheitere der Anspruch aber auch daran, dass die konduktive Förderung in Deutschland nicht
verordnungsfähig sei, weil die Leistungserbringer (Konduktoren) nicht im Rahmen einer ärztlichen Verordnung, sondern
eigenverantwortlich tätig würden. Da die Kosten der konduktiven Förderung nach Petö nicht erstattet werden könnten,
habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Erstattung der mit dieser Behandlung verbundenen Nebenkosten.
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, ihm die Kosten für die Bewegungstherapie nach Petö in der Zeit
vom 19. September 2000 bis zum 12. März 2001 in Höhe von 2.556,46 EUR sowie die daneben entstandenen Kosten
für therapeutisches Schwimmen in Höhe von 690,24 EUR, 30 Massagen in Höhe von 295,32 EUR sowie Unterkunft
und Halbpension in Höhe von 10.225,84 EUR, d.h. insgesamt 13.767,86 EUR, zu erstatten. Zur Begründung hat er im
Wesentlichen ausgeführt: Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich bei der konduktiven Förderung
nach Petö um eine sich auch in Deutschland immer stärker durchsetzende Methode, die in seinem Fall von
qualifizierten Leistungserbringern unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt worden sei und beachtliche Erfolge gebracht
habe. Diese Erfolge hätten in Deutschland mit herkömmlichen Methoden nicht erreicht werden können.
Mit seinem Gerichtsbescheid vom 25. Februar 2002 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt: Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die Bewegungstherapie nach Petö sei allein § 18
Abs. 1 SGB V, weil sich der Kläger mit dem Ziel der Therapie ins Ausland begeben habe. Die Voraussetzungen dieser
Vorschrift lägen indes nicht vor, weil dem Kläger die Therapie nicht vertragsärztlich verordnet worden sei, es zudem
an einem Nachweis dafür fehle, dass die in Anspruch genommene Leistungserbringerin über eine ausreichende
Qualifikation verfüge bzw. ihre Tätigkeit ärztlich überwacht worden sei, und die Krankheit des Klägers überdies mit
den in Deutschland zur Verfügung stehenden Mitteln ausreichend hätte behandelt werden können. Diese Gründe
stünden auch dem Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Massagen und die Schwimmtherapie entgegen. Die
Hotelkosten könnten nicht erstattet werden, weil ein Anspruch nach § 18 Abs. 2 SGB V insoweit nur dann bestehen
könne, wenn die Behandlungskosten erstattet werden müssten, was hier jedoch nicht der Fall sei.
Gegen diesen ihm am 14. März 2002 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 9. April 2002 bei Gericht
eingegangene Berufung, mit der der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt. Zur Begründung überreicht er eine
ärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Kinderheilkunde Hvom 22. Juli 2002, ausweislich derer die konduktive
Förderung nach Petö für ihn seinerzeit die geeignete Therapie gewesen sei, die er mangels ausreichender Angebote in
Deutschland nicht hätte durchführen können. Darüber hinaus führt der Kläger ergänzend zu seinem bisherigen
Vorbringen aus: Wie das Bundessozialgericht (BSG) in seinen Urteilen vom 3. September 2003 - B 1 KR 34/01 R und
B 1 KR 19/02 R - (abgedruckt in SozR 4-2500 § 18 Nr. 1 und FEVS 55, 433) mittlerweile geklärt habe, sei die
konduktive Förderung nach Petö als Heilmittel im Sinne des § 32 SGB V einzustufen. Dass der Gemeinsame
Bundesausschuss ihren therapeutischen Nutzen noch nicht anerkannt und noch keine Empfehlungen für die
Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V abgegeben
habe, stehe dem von ihm geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch nicht entgegen. Denn die Therapie stelle gar
kein neues Heilmittel dar, weil sie in Deutschland bereits seit den achtziger Jahren angewendet werde und es sich im
Übrigen auch nur um eine Kombination aus verschiedenen bereits anerkannten Heilmitteln handele. Davon abgesehen
sei das Verfahren vor dem Bundesausschuss aber auch verspätet in Gang gesetzt worden, so dass er sich auf einen
Systemmangel berufen könne. In seinem Fall sei die Therapie nicht nur notwendig, sondern auch unaufschiebbar
gewesen, weil sie Erfolge im Wesentlichen nur bei Menschen im Wachstum zeitigen könne und er kurz nach Beginn
der Maßnahme bereits 15 Jahre alt geworden sei. Die Therapie habe seinen Zustand nachhaltig gebessert und sei ihm
von Dr. R in nicht zu beanstandender Weise seinerzeit auch verordnet worden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Februar 2002 sowie die Bescheide der Beklagten vom 14.
September 2000, 10. Oktober 2000 und 10. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.
September 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die Bewegungstherapie nach Petö in
der Zeit vom 19. September 2000 bis zum 12. März 2001 sowie die daneben entstandenen Kosten für das
therapeutische Schwimmen, 30 Massagen sowie die Unterkunft und Halbpension in Höhe von insgesamt 13.767,86
EUR zu erstatten, hilfsweise beruft sich der Kläger zum Beweis dafür, dass die Petö-Therapie bereits Anfang der
achtziger Jahre in Deutschland angewendet wurde, auf das Zeugnis des Neurologen Prof. K.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze
der Beteiligten, sowie die den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angegriffene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden.
Die Bescheide der Beklagten vom 14. September 2000, 10. Oktober 2000 und 10. April 2001, die sämtlich
Gegenstand des durch den Widerspruchsbescheid vom 11. September 2001 abgeschlossenen
Widerspruchsverfahrens gewesen sind, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der
Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm für die Bewegungstherapie nach Petö in der Zeit vom 19.
September 2000 bis zum 12. März 2001 geltend gemachten Kosten sowie die Kosten für das therapeutische
Schwimmen, 30 Massagen sowie die Unterkunft und Halbpension in einem Hotel. Hierbei ist, weil es um die Kosten
von in der Vergangenheit liegenden Behandlungsmaßnahmen geht, für die Beurteilung des Anspruchs auf die Sach-
und Rechtslage im Zeitpunkt der Leistungserbringung abzustellen.
Ein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten ergibt sich zunächst nicht aus zwischenstaatlichem
Recht. Insoweit kann dahinstehen, ob dem Kläger, dessen Mutter die geforderten Rechnungsbeträge zumindest im
Außenverhältnis beglichen hat, überhaupt Kosten entstanden sind und ob sich die geltend gemachten Hotelkosten
tatsächlich auf 10.225,84 EUR oder - entsprechend den Rechnungsbeträgen - nur auf 9.891,57 EUR belaufen. Ferner
bedarf keiner Entscheidung, welcher Träger nach zwischenstaatlichem Recht für die Leistungserbringung zuständig ist
und welche Leistungen danach überhaupt erbracht werden dürfen. Denn nach Art. 15 Abs. 1 Buchstabe a und b
DUSVA kann eine Person im Falle des vorübergehenden Aufenthalts im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates
Ansprüche auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nur dann haben, wenn sie - bei Eintritt des
Versicherungsfalles während des vorübergehenden Aufenthaltes im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates - die
Leistungen wegen ihres Zustands sofort benötigt oder wenn - bei bereits eingetretenem Versicherungsfall - der
zuständige Träger der Verlegung des Aufenthalts vorher zugestimmt hat oder er - sofern die Person die vorherige
Zustimmung aus entschuldbaren Gründen nicht eingeholt hat oder nicht einholen konnte - der Verlegung des
Aufenthalts noch nachträglich zustimmt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn weder aus den
Stellungnahmen der Fachärztinnen für Kinderheilkunde Dr. R und Dr. H vom 5. September 2000 und 22. Juli 2002
noch aus den Abschlussberichten der Konduktorinnen M und M vom 10. Januar 2001 und März 2001 lässt sich
entnehmen, dass der Kläger die in Rede stehenden Maßnahmen nicht bis zu seiner beabsichtigten Rückkehr nach
Berlin ohne Gefahr für seine Gesundheit hätte aufschieben können. Zudem hat die Beklagte der Verlegung des
vorübergehenden Aufenthalts nach Ungarn weder zu irgendeinem Zeitpunkt zugestimmt noch darf sie die erforderliche
Zustimmung heute noch erteilen, weil der Kläger um eine solche im Vorfeld der Verlegung seines Aufenthaltes
problemlos hätte nachsuchen können.
Des Weiteren lässt sich ein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten auch nicht aus innerstaatlichem
Recht herleiten. Wie das Sozialgericht diesbezüglich zutreffend ausgeführt hat, ist - ungeachtet dessen, ob und in
welcher Höhe dem Kläger Kosten tatsächlich entstanden sind - hinsichtlich der Kosten für die Bewegungstherapie
nach Petö, die 30 Massagen sowie das therapeutische Schwimmen einerseits sowie der Kosten für die Unterkunft
und Halbpension andererseits zu unterscheiden.
Hinsichtlich der zuerst genannten Kosten ist allein denkbare Anspruchsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung §
18 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 maßgeblichen Fassung. Danach konnte die
Krankenkasse abweichend von der Regel des § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (Ruhen des Leistungsanspruchs bei
Auslandsaufenthalt) die Kosten der erforderlichen Behandlung im Ausland ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine
dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im
Ausland möglich war. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, wobei dahinstehen kann, ob die vom Kläger in
Anspruch genommenen Massagen sowie das therapeutische Schwimmen ebenso wie die von ihm in erster Linie
durchgeführte Bewegungstherapie als Maßnahmen der konduktiven Förderung nach Petö einzustufen sind. Denn
sollte dies nicht der Fall sein, käme eine Erstattung der für diese Therapien entstandenen Kosten schon deshalb nicht
in Betracht, weil sich der Kläger allein ihretwegen nicht nach Budapest hätte begeben müssen. Vielmehr hätte er
diese oder ihnen zumindest vergleichbare Maßnahmen ohne weiteres auch in Berlin auf vertragsärztliche Verordnung
von entsprechend ausgebildeten, berufspraktisch erfahrenen und nach § 124 SGB V zugelassenen
Leistungserbringern durchführen lassen können. Sollten diese Maßnahmen hingegen - ebenso wie die
Bewegungstherapie - der konduktiven Förderung nach Petö zuzuordnen sein, scheiterte der geltend gemachte
Anspruch jedenfalls daran, dass die Maßnahmen nicht zu den Behandlungsmethoden gehören, auf die sich die
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen erstreckt.
Die konduktive Förderung nach Petö unterfällt zwar grundsätzlich dem Versicherungsgegen- stand der gesetzlichen
Krankenversicherung. Denn obwohl für die Behandlung vorwiegend pädagogische Mittel eingesetzt werden und das
Berufsbild des Therapeuten (Konduktors) eher dem des Lehrers und Erziehers als dem eines klassischen Hilfsberufs
ähnelt, dient sie der Erreichung eines therapeutischen Ziels und hat medizinischen Charakter, weil sie an der
Krankheit selbst bzw. ihren Ursachen ansetzt und den Anspruch erhebt, durch einen aktiven Lernprozess die
motorischen Fähigkeiten von cerebralparetischen Kindern/Jugendlichen zu verbessern und dabei sogar physiologische
und anatomische Veränderungen im zentralen Nervensystem zu bewirken (vgl. BSG, Urteile vom 3. September 2003,
- B 1 KR 34/01 R sowie B 1 KR 19/02 R -, abgedruckt in SozR 4-2500 § 18 Nr. 1 und FEVS 55, 433, jeweils m.w.N.).
Sie ist jedoch unabhängig davon, ob der Kläger die in seinem Fall umstrittenen Maßnahmen auch in Deutschland,
z.B. im Rahmen von hier grundsätzlich angebotenen Sommercamps, hätte erlangen können, keine Kassenleistung,
weil ihr therapeutischer Nutzen bisher nicht auf dem vom Gesetz vorgeschriebenen Weg durch den Bundesausschuss
der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamen Bundesausschuss) festgestellt worden ist.
Da es sich bei den Fördermaßnahmen nach Petö nicht um ärztliche Behandlung, sondern um medizinische
Dienstleistungen handelt, die auf Verordnung eines Arztes durch besonders ausgebildete nichtärztliche Fachkräfte
(Konduktoren) erbracht werden, sind sie rechtlich als Heilmittel im Sinne des § 32 SGB V einzustufen. Neue Heilmittel
dürfen die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte nach § 138 SGB V indes nur verordnen, wenn
der Bundesausschuss zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2
Nr. 6 SGB V Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Hierbei dehnt §
138 SGB V den gemäß § 135 Abs. 1 SGB V für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden geltenden
Erlaubnisvorbehalt auf neue Heilmittel aus. Auch diese können von den Versicherten grundsätzlich nicht beansprucht
werden, solange die geforderte Entscheidung des Bundesausschusses nicht ergangen ist.
Wann ein Heilmittel im vorgenannten Sinne als "neu" anzusehen ist, erläutert das Gesetz allerdings nicht. Aus dem
Zweck der §§ 135 Abs. 1, 138 SGB V ergibt sich jedoch, dass diese Frage allein danach zu entscheiden ist, ob ein
Heilmittel schon bisher eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen gewesen ist. Denn der Bundesausschuss soll
darüber wachen, dass die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen nicht auf unwirksame oder
unwirtschaftliche Heilmittel ausgedehnt wird. Von daher kann es nicht darauf ankommen, wann das betreffende
Heilmittel entwickelt und erstmals zur Anwendung gekommen ist, weil anderenfalls der Umfang der Leistungspflicht
der gesetzlichen Krankenkassen ohne Qualitätsprüfung allein durch Zeitablauf erwirkt werden könnte (vgl. BSG SozR
3-2500 § 92 Nr. 7). Vor diesem Hintergrund erweist sich der vom Kläger in diesem Zusammenhang in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat gestellte Beweisantrag, den Neurologen Prof. K in N als Zeugen dazu zu hören, dass die
Petö-Therapie bereits Anfang der achtziger Jahre in Deutschland angewendet wurde, als unerheblich. Denn die vom
Kläger unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung kann zu seinen Gunsten als wahr unterstellt werden, ohne dass
dies an der rechtlichen Beurteilung etwas ändern würde. Die konduktive Förderung nach Petö ist nämlich - unabhängig
vom Beweisantrag des Klägers - gemessen an den oben dargelegten Grundsätzen als "neues" Heilmittel anzusehen,
das dem Erlaubnisvorbehalt des § 138 SGB V unterliegt. Denn diese Methode, bei der es sich mit Rücksicht auf ihre
pädagogische Ausrichtung entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht um eine bloße Kombination aus bereits
anerkannten Heilmitteln handelt, ist zur Zeit der hier streitigen Behandlung vom 19. September 2000 bis zum 12. März
2001 keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen. Sie ist vielmehr seinerzeit erst in dem von den
Ersatzkassen initiierten Modellvorhaben erprobt worden, das als kontrollierte prospektive Studie mit intraindividuellem
Zeitvergleich konzipiert gewesen ist und damit in klinischer Hinsicht wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die
Wirksamkeit und den therapeutischen Nutzen der Methode erst erbringen sollte (vgl. von Voss/Blank, Modellprojekt
Petö, ErsK 2002, 272). Ferner ist das nach Auswertung der Ergebnisse im Jahr 2002 eingeleitete Verfahren beim
Bundesausschuss bis heute nicht abgeschlossen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 18 Nr. 1 und FEVS 55, 433).
Dass das Anerkennungsverfahren durch die Krankenkassen oder den Bundesausschuss sachwidrig behandelt worden
sein könnte, lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht feststellen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass
der Antrag bei dem damals noch zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen verspätet gestellt
worden sein könnte. Denn unabhängig davon, ob das verspätete Stellen eines Antrags überhaupt einen
Systemmangel begründen könnte, ist der Antrag unmittelbar nach Abschluss des zwischen 1996 und 2001
durchgeführten Modellvorhabens anhängig gemacht worden. Zu diesem Zeitpunkt haben jedoch in wissenschaftlicher
Hinsicht erstmals gesicherte Erkenntnisse über die Methode vorgelegen.
Bedenken dagegen, die Regelung des § 138 SGB V auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden, bestehen nicht.
Die in Rede stehenden Fördermaßnahmen sind zwar in Ungarn durchgeführt worden. Die konduktive Förderung nach
Petö wird jedoch zumindest seit Mitte der neunziger Jahre auch in Deutschland zumindest in sog. Sommercamps
angeboten, so dass ein Tätigwerden des Bundesausschusses veranlasst ist. Hat er - wie hier - den therapeutischen
Nutzen des in Rede stehenden Heilmittels noch nicht anerkannt und noch keine Empfehlungen für die Sicherung der
Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben, sind die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung unabhängig vom tatsächlichen Ort der Leistungserbringung nicht erfüllt (vgl. BSG, wie zuvor).
Dass sich die Beklagte in den Jahren 1994 bis 1999 sowie zuletzt im ersten Halbjahr 2000 an den Kosten der vom
Kläger ebenfalls in Budapest durchgeführten Petö-Therapie beteiligt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die
frühere Kostenbeteiligung erweist sich nach den vorstehenden Ausführungen als rechtswidrig, so dass der Kläger
hieraus für den jetzt zur Beurteilung gestellten Leistungsfall keinerlei Rechte herleiten kann.
Davon abgesehen steht dem geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Bewegungstherapie, die
Massagen sowie das therapeutische Schwimmen aber auch entgegen, dass der Kläger zu diesen
Therapiemaßnahmen bereits entschlossen gewesen ist, bevor er die Beklagte am 7. September 2000 erstmalig mit
seinem Begehren befasst hat. § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V enthält zwar keine ausdrückliche Regelung darüber, dass
ein Kostenerstattungsanspruch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es nicht um eine unaufschiebbare
Behandlung geht, nur dann bestehen kann, wenn die Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse ursächlich für
die Entstehung der Kosten gewesen ist. Insoweit kann jedoch auf die zu § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V entwickelten
Rechtsgrundsätze zurückgegriffen werden, weil § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V vergleichbar § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V
der Tatsache einer inländischen Versorgungslücke und damit ebenfalls einem Systemversagen der gesetzlichen
Krankenversicherung Rechnung tragen soll und es keinen Grund dafür gibt, den Versicherten bei einer
Auslandsbehandlung besser zu stellen als bei einer Behandlung im Inland (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 16. April
1997, - L 9 Kr 51/94 -, NZS 1997, 519). Hiernach muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden
Umstand der - rechtswidrigen - Ablehnung einer Leistung und dem in der Kostenlast liegenden Nachteil des
Versicherten ein Kausalzusammenhang bestehen, an dem es fehlt, wenn die Krankenkasse vor der Inanspruchnahme
der Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre, oder der
Versicherte ihre Entscheidung nicht abgewartet hat. Letzteres ist hier der Fall. Dem Kläger kann in diesem
Zusammenhang zwar nicht entgegengehalten werden, dass er die Therapiemaßnahmen vor Erlass des ersten
Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 14. September 2000 begonnen hat. Entgegenzuhalten ist ihm jedoch, dass
er unabhängig davon, welche Entscheidung die Beklagte treffen würde, zur Durchführung der in Rede stehenden
Therapien bereits vor der Antragstellung am 7. September 2000 entschlossen gewesen ist. Dies ergibt sich zum einen
aus seinem Antrag selbst, in dem er sowohl auf den Beginn der Maßnahmen am 19. September 2000 als auch die
beabsichtigten Maßnahmen im Einzelnen hingewiesen hat. Zum anderen folgt dies aber auch aus der
Reservierungsbestätigung des Corinthia Aquincum Hotels Budapest vom 6. September 2000, wonach der Kläger
seinen halbjährigen Therapieaufenthalt in Budapest bereits vor seiner Antragstellung am 7. September 2000 gebucht
hatte, was den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen ablehnender Entscheidung und Entstehung der Kosten
löst.
Des Weiteren steht dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch - zumindest, was die Kosten der
Bewegungstherapie und des therapeutischen Schwimmens angeht - aber auch entgegen, dass dem Kläger diese
Maßnahmen nicht im Vorfeld ärztlich verordnet worden sind. Auch insoweit ist auf die zu § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V
entwickelten Rechtsgrundsätze zurückzugreifen, wonach die in Anspruch genommenen Maßnahmen von einem Arzt
verantwortet werden müssen, der - jedenfalls soweit es um eine Inlandsbehandlung geht - Vertragsarzt sein muss
(vgl. Urteil des Senats, a.a.O.). Eine ärztliche Verordnung im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V liegt hier
jedoch - anders als möglicherweise für die 30 Massagen, die dem Kläger in Budapest durch den ungarischen Arzt Dr.
K verordnet worden sind - für die Bewegungstherapie und das therapeutische Schwimmen nicht vor. Sie ist
insbesondere nicht in der Bescheinigung der Fachärztin für Kinderkrankheiten Dr. R vom 5. September 2000 zu
sehen, weil in dieser Bescheinigung die in Budapest durchgeführten Therapien nur ganz pauschal angesprochen
worden sind.
Hinsichtlich der Kosten für die Unterkunft und Halbpension ist anders als für die zuvor behandelten Kosten allein
denkbare Anspruchsgrundlage § 18 Abs. 2 SGB V ebenfalls in der bis zum 31. Dezember 2003 maßgeblichen
Fassung. Soweit die Krankenkasse danach in den Fällen des § 18 Abs. 1 SGB V auch weitere Kosten für den
Versicherten und für eine erforderliche Begleitperson ganz oder teilweise übernehmen konnte, liegen die
Voraussetzungen dieser Vorschrift gleichermaßen nicht vor. Denn wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt,
hängt der Anspruch zwingend davon ab, dass der Versicherte mit Erfolg Leistungen nach § 18 Abs. 1 SGB V
beanspruchen kann. Dies ist nach den vorstehenden Ausführungen hier jedoch gerade nicht der Fall.
Da der vom Kläger verfolgte Anspruch nach den vorstehenden Darlegungen zur fehlenden Kausalität sowie zur
fehlenden ärztlichen Verordnung nicht allein daran scheitert, dass die kondiktive Förderung nach Petö als neues
Heilmittel nicht zu den Behandlungsmethoden gehört, auf die sich die Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenkassen erstreckt, kommt es auch vor diesem Hintergrund auf den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat gestellten Beweisantrag nicht an. Denn dieser Antrag betrifft allein den in § 138 SGB V geregelten
Erlaubnisvorbehalt und hat für die Ausführungen zur Kausalität und ärztlichen Verordnung, die die Entscheidung des
Senats selbständig tragen, keine Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und folgt dem Ausgang des Verfahrens
in der Sache selbst.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.