Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.10.2008

LSG Berlin und Brandenburg: versorgung, prothese, firma, energie, ausstattung, entlastung, heilbehandlung, hersteller, gefühl, chirurgie

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 09.10.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 48 V 24/04
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 11 V 34/08
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2006 aufgehoben. Die
Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem Hilfsmittel
bereits durch die Bewilligung einer Unterschenkelprothese mit einem Dynamik Fußteil erfüllt hat oder ob er Anspruch
auf Versorgung mit einem Talux Fußteil hat.
Mit Bescheid vom 30. April 1992 stellte der Beklagte den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei dem
1924 geborenen Kläger mit 70 v. H. unter Anerkennung nachstehender Schädigungsfolgen fest:
• Verlust des linken Unterschenkels im körpernahen Drittel, • Verschmächtigung der Oberschenkelmuskulatur links, •
Verlust des rechten Vorfußes im Bereich der Basis der Mittelfußknochen, • Bewegungseinschränkung in den
Sprunggelenken rechts sowie • Schwielenbildung im Bereich des Fußstumpfes rechts.
Aufgrund eines Verschlimmerungsantrags veranlasste der Beklagte ein internistisches Gutachten durch Dr. D vom 23.
Januar 2002 und ein chirurgisches Gutachten des Dr. B vom 30. Januar 2002. Dr. D führte aus, der Kläger habe
angegeben, die beschwerdefreie Gehstrecke sei durch Luftnot und Durchblutungsstörungen der Beine auf 50 100 m
beschränkt. Internistisch sei eine Verschlechterung der Herzleistung feststellbar, wobei eine ausgeprägte
Kreislauffehlregulation mit fast täglichen Schwindelanfällen vorliege. Der Nachteilsausgleich "B" sei sicher
begründbar. Dr. B führte aus, der Gang mit Unterschenkelprothese links und orthopädischem Maßschuh rechts sowie
einer Gehstütze sei bei der Untersuchung nur gering raumgreifend, zwischenzeitlich auch nicht ausreichend sicher
gewesen. Wegen der negativen‚ Auswirkungen der schmerzhaften Bewegungseinschränkungen des Halte- und
Bewegungsapparates auf die Herzleistungsminderung, woraus eine zusätzliche Belastung des insuffizienten Herz
Kreislaufsystems resultiere, werde empfohlen, die Nachteilsausgleiche "aG" und "B" anzuerkennen. Einem
beigezogenen Bericht der Rehabilitationsklinik D über den Kuraufenthalt vom 10. Oktober bis 07. November 2000 war
zu entnehmen, dass der Kläger mit der Unterschenkelprothese links und orthopädischen Maßschuhen versorgt sei
und damit gut zurecht komme. Aufgrund internistischer Leiden bestand damals eine eingeschränkte Gehstrecke von
ein bis zwei Kilometern.
Mit Abhilfebescheid vom 17. Oktober 2002 erkannte der Beklagte die Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger
Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel), "1. Kl." (1. Wagenklasse mit Fahrausweis für die Benutzung
der 2. Klasse bei Eisenbahnfahrten mit der Deutschen Bundesbahn), "aG" (außergewöhnlich gehbehindert) und "T"
(Telebusberechtigung) an.
Im August 2001 beantragte der Kläger den Ersatz des im September 2000 gelieferten Kunstbeines (KB) 09/00 und für
dieses die Ausstattung mit einem Talux Fußteil anstelle des Dynamik Fußteils. Der Beklagte ermittelte dadurch
verursachte Mehrkosten in Höhe von 3 141,38 EUR.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2002 bewilligte der Beklagte die Neuanfertigung einer Unterschenkelprothese, die Kosten
des Talux Fußteils könnten nicht übernommen werden, der Kläger habe die Möglichkeit, die Mehrkosten selbst zu
tragen.
Im Widerspruchsverfahren machte er geltend, das Dynamik Fußteil sei nicht mehr ausreichend. Er müsse ständig
öffentliche Verkehrsmittel benutzen, oft treppauf/treppab, so dass die bessere Federung des Talux Fußteiles eine
gewichtige Rolle spiele. Ausweislich der Rechnung der Firma Z vom 29. August 2002 wurde der Ersatz der
Unterschenkelprothese 09/00 nicht mit dem begehrten Talux Fuß, sondern mit einem Dynamik Fußteil geliefert. Die
Auslieferung des KB erfolgte in 08/02.
Am 16. Mai 2003 beantragte der Kläger den Ersatz der zweiten im Juni 2001 gelieferten Unterschenkelprothese. Auf
die Einladung zur Untersuchung monierte der Kläger zunächst, dass sein Widerspruch gegen die Ablehnung des Talux
Fußteiles mit Bescheid vom 17. Juli 2002 noch nicht bearbeitet sei.
Bei der Untersuchung am 21. Juli 2003 stellte der Beklagte fest, dass die in 06/01 gelieferte Prothese nicht mehr
passgerecht sei und ersetzt werden müsse. Das KB 08/02 sei nach Angabe des Klägers pass- und funktionsgerecht.
Unter dem 26. September 2003 entschied der Beklagte, dass ein Bestellschein für ein KB in gleicher Ausfertigung wie
das KB 08/02 gefertigt werden solle. Auf Wunsch des Klägers wurde im Rahmen der Anpassungsarbeiten zum Ersatz
des KB 06/01 das Talux Fußteil probeweise auf Kosten der Firma Z bis 09. November 2003 eingebaut. Der Beklagte
hielt an seiner Auffassung fest, dass die Versorgung mit einem Dynamik Fußteil ausreichend sei, und lehnte die
Übernahme der Mehrkosten weiter ab. Mit Rechnung vom 24. Februar 2004 stellte die Firma Z dem Beklagten die
Kosten für den Ersatz der Unterschenkelprothese 06/01 in Höhe von 2 589,05 EUR in Rechnung, wobei das bewilligte
Dynamik Fußteil und nicht das vom Kläger gewünschte und diesem 11/03 gelieferte Talux Fußteil berechnet wurde.
Mit Vereinbarung vom 19. November 2003 hatte dieser sich gegenüber der Firma Z bereiterklärt, den Mehraufwand für
das tatsächlich gelieferte Talux Fußteil in Höhe von 2 500,00 EUR brutto zu übernehmen, soweit der Beklagte nicht
leiste.
Dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Juli 2002 blieb mit zurückweisendem Widerspruchsbescheid vom 16.
Februar 2004 der Erfolg versagt.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage vom 04. März 2004 hat der Kläger geltend gemacht,
aufgrund ständiger Überlastungsschmerzen des linken Unterschenkelstumpfes auf das Tragen der hochwertigeren
Prothese angewiesen zu sein. Im Gegensatz zu einem Dynamik Fußteil verfüge das Talux Fußteil über eine
Karbonfeder, die ein energiearmes Abrollen ermögliche. Das Dynamik Fußteil sei lediglich durch Schaumstoff
gefedert. Der Talux Fuß sei hingegen ein aktiver Fuß, der ihn beim Laufen unterstütze, indem er Energie aufnehme
und diese beim Abrollen wieder abgebe. Auch angesichts seiner Herzkrankheit bedeute dies einen immensen Vorteil.
Im Übrigen profitiere er bei der Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs. Das Talux Fußteil könne die vertikal
wirkende Energie aufnehmen, der Dynamik Fuß nicht. Die vorgeschlagene Stoßdämpfung sei vom Gewicht her nicht
zuzumuten.
Der Beklagte führte am 11. August 2004 einen Hausbesuch beim Kläger durch. Die noch vorhandene Prothese 08/02
mit Dynamik Fußteil konnte zu diesem Zeitpunkt wegen nicht mehr passgerechter Schaftverhältnisse nicht mehr
getragen werden. Im Protokoll ist ausgeführt, mit dem KB 11/03, ausgestattet mit einem Talux Fußteil, demonstriere
er einen sicheren mittelschrittigen Gang. Er beschreibe einen subjektiv weicheren Fersenauftritt, was nachvollziehbar
sei, und das Gefühl einer Entlastung des rechten Beines. Die Gehstrecke sei wegen der Durchblutungsstörungen auf
60 80 m begrenzt, dann müsse er wegen einsetzender Schmerzen zwei bis drei Minuten pausieren. Damit sei er als
eingeschränkter Außenbereichsgeher einzustufen. Die Einschränkung der Laufleistung könne durch die verschiedenen
Fußteile nicht behoben werden. Das subjektive Gefühl, eine Entlastung des rechten Beines zu verspüren, könne
weder medizinisch noch fachtechnisch widerlegt oder bestätigt werden. Beim Laufen der 60 80 m bestünden trotz des
beschriebenen härteren Fersenauftritts mit dem Dynamik-Fußteils keine daraus abzuleitenden Einschränkungen, so
dass die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Talux-Fuß damit nicht zu begründen sei. Soweit eine
Stoßentlastung der Wir-belsäule erforderlich werde, könne diese durch einen Stoßdämpfer wirtschaftlicher
bewerkstelligt werden.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Dr. B vom 06. Juni 2005, des Dr. W vom 09. Juni 2005 und des Prof. Dr. S
vom 27. Juli 2005 eingeholt.
Mit Bescheid vom 01. September 2005 hat der Beklagte den Ersatz des KB 08/02 bewilligt, die Kosten für die
Versorgung mit einem Talux Fußteil habe der Kläger selbst zu tragen. Die Kosten für die Versorgung mit einem Talux-
Fußteil in Höhe von 1.829, 78 EUR überwies der Kläger am 15. September 2005 an die Firma Z. Der Bescheid enthielt
die Rechtsmittelbelehrung, er sei nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits
geworden.
Das Sozialgericht hat ein orthopädisches Fachgutachten vom 16. Mai 2006 durch Prof. Dr. S eingeholt, der den
Orthopädiemechanikermeister L beigezogen hat. Er führte aus, bei der Gehprüfung habe festgestellt werden können,
dass der Kläger mit der von ihm jetzt getragenen Unterschenkelprothese mit Weichwand-Innentrichter, subcondylärer
Spange und Karbonphaser-Gießschaft mit Flexfuß ein linksseitig harmonisches Gangbild aufweise. Das linke Bein
werde in der Gangphase länger belastet. Der Abrollvorgang erscheine links besser als rechts. Ursache für dieses
Gangbild sei die verminderte Belastbarkeit des rechten Beines aufgrund der arteriellen Verschlusskrankheit und
aufgrund der Verlustsituation des Vorfußes. Der Kläger sei somit nicht mit dem Personenkreis vergleichbar, der
alleine einen Verlust eines Beines im Unterschenkel erlitten habe. Das amputierte Bein müsse Gesundheitsstörungen
der Gegenseite zusätzlich kompensieren und unterliege anderen Belastungskriterien als dies bei einer isolierten
Verlustsituation der Fall wäre. Die Baucharakteristika des Talux Fußes bestünden in einer so genannten aktiven
Ferse, einer aktiven Tibiaprogression, einem vollen Vorfußhebel und einer proportionalen Energierückgabe. Damit sei
der Fuß in der Lage, einen so genannten multiachsialen Bewegungsradius zu ermöglichen. Er verbessere die
Vorwärtsdynamik und erhöhe die Kniestabilität. Mit dieser Situation sei das genannte Kompensationsvermögen für
das rechte Bein in hohem Maße gegeben. Die Standardversorgung mit einem dynamischen Fuß ermögli-che diese
notwendige Kompensation nicht und würde das bereits begrenzte Gehvermögen zusätzlich verschlechtern.
Mit Urteil vom 14. November 2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, dem
Kläger die aufgewandten Kosten für die Ausstattung zweier KB mit Talux Fußteilen zu erstatten bzw. ihn von den
Eigenaufwendungen freizustellen. Hervorzuheben sei, dass der Schutzbereich der medizinischen Versorgung mit
Hilfsmitteln nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sehr weit sei. Gemäß § 10 Abs. 1 BVG werde
Heilbehandlung Beschädigten für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine
anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden seien, gewährt, um die Gesundheitsstörungen oder die durch sie
bewirkte Beeinträchtigung der Berufs- oder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des
Leidens zu verhüten, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu
verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder um den Beschädigten
entsprechend den in § 4 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/9. Buch (SGB IX) genannten Zielen eine möglichst umfassende
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Anders als in anderen Leistungsgesetzen sei es Sinn und
Zweck der Heilbehandlung nach dem BVG, auch der Verschlimmerung körperlicher Leiden vorzubeugen, die nicht als
Schädigungsfolgen anerkannt seien. Daher habe die Kammer auch im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung
berücksichtigen dürfen, dass sich die Funktionalität des Talux Fußteiles günstig auf den gesamten Bewegungs- und
Stützapparat des Klägers auswirke, so wie dies der gerichtliche Sachverständige in seinem Gutachten dargelegt und
erörtert habe. Nicht entscheidend sei, dass Prof. Dr. S keine vergleichenden Untersuchungen mit einem Dymanik
Fußteil durchgeführt habe. Zum einen habe ein solches zum Zeitpunkt der Begutachtung in gebrauchstauglicher Form
nicht mehr vorgelegen, zum anderen handele es sich bei Prof. Dr. S und dem Orthopädiemechanikermeister L um
ausgewiesene Fachleute, die die Vor- und Nachteile einer entsprechenden Versorgung abwägen könnten.
Gegen das ihm am 13. Dezember 2005 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit der Berufung vom 14.
Dezember 2006. Der Kläger sei als eingeschränkter Außenbereichsgeher der Mobilitätsklasse II zuzuordnen und
könne die Vorteile des Talux Fußes nicht nutzen. Die Bewilligung der Merkzeichen "aG", "B" und "T" schließe die
Bewilligung eines Talux Fußes aus, da dies die Eigenschaft als unbeschränkter Außenbereichsgeher voraussetze.
Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06. Juni 2002 (Az.: B 3 KR 68/01 R) sei Voraussetzung, dass
durch eine hochwertigere Prothese deutliche Gebrauchsvorteile entstünden. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Im
Übrigen mache der Kläger höchst unterschiedliche Angaben zu seiner Gehfähigkeit, so dass diese Angaben nicht
verwertbar seien (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 15. Juni 2007 der Fachärztin für Chirurgie H). In der
Berufungsinstanz müsse geklärt werden, ob der Kläger nun Anspruch auf die zuerkannten Merkzeichen habe oder auf
den erhebliche Mobilitätsreserven voraussetzenden Talux Fuß.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, der Beklagte lasse die notwendige Einzelfallprüfung vermissen. Die Einordnung in Mobilitätsklassen
oder grade liefere nur Anhaltspunkte für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Prothese. Sie ersetze nicht die
Prüfung des konkreten Falles.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. S eingeholt (Stellungnahme vom 17. Dezember 2007), in
der dieser ausgeführt hat, es mache einen wesentlichen Unterschied, ob ein Betroffener allein linksseitig
unterschenkelamputiert sei oder ob dieser, wie der Kläger, eine massive Belastungsminderung des rechten Beines
durch Vorfußamputation und schwere Durchblutungsstörungen aufweise. Der Kläger sei nach seiner Auffassung auch
nur der Mobilitätsklasse I (Innenbereichsgeher) zuzuordnen.
Dazu hat der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie H vom 22. Februar 2008
und eine fachtechnische Stellungnahme des Herrn K vom 20. Februar 2008 zu den Akten gereicht. Herr K führt aus,
der Hersteller des Talux Fußes habe diesen für Prothesenträger der Mobilitätsklasse III (uneingeschränkter
Außenbereichsgeher) konzipiert, da ohne die vom Träger eingebrachte erhebliche Energie die Vorteile dieser Prothese
nicht nutzbar seien. Prof. Dr. S habe sogar den Mobilitätsgrad II (eingeschränkter Außenbereichsgeher), den der
Beklagte dem Kläger bisher zuerkannt habe, verneint. In diesem Fall verpuffe der mögliche Nutzungsvorteil des Talux
Fußes. Die Prothese wirke wie ein steifer Prothesenfuß und sei daher im Vergleich zum Dynamik Fuß nicht besser
zum Ausgleich der Behinderung geeignet.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der
Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet; die angefochtenen Bescheide, mit denen die Versorgung mit
einem Talux Fuß für zwei Unterschenkelprothesen abgelehnt wurde, sind rechtmäßig. Das Urteil des Sozialgerichts
Berlin war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Streitgegenstand ist der Bescheid unbekannten Datums, mit dem die Ersetzung des KB 06/01 durch das KB 11/03
mit Dynamik Fußteil anstatt des begehrten Talux Fußteiles bewilligt wurde, in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2004 sowie der Bescheid vom 01. September 2005, mit dem der Ersatz
des KB 08/02 durch ein weiteres KB mit Dynamik Fußteil gewährt wurde.
Dagegen hat sich der zunächst angefochtene Bescheid vom 17. Juli 2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2004 erledigt. Denn der Kläger hat das damals mit Dynamik Fußteil
ausgestattete KB 08/02 entgegengenommen und bis zum Austausch (Bescheid vom 01. September 2005) im
Rahmen des Möglichen genutzt. Eine Ausstattung dieser Unterschenkelprothese mit einem Talux Fußteil ist daher
nicht mehr möglich. Erstattungsfähige Kosten sind nicht entstanden, da der Kläger diese Prothese nicht mit einem
Talux Fußteil hat ausstatten lassen. Somit ist die Erledigung des Regelungsgehalts des angefochtenen Bescheides
vom 17. Juli 2002 Ablehnung der Ausstattung des KB 08/02 mit einem Talux Fußteil eingetreten. Ein für eine solche
Fallgestaltung grundsätzlich zulässiger Fortsetzungsfeststellungsantrag wegen Wiederholungsgefahr ist nicht
rechtsschutzbedürftig, da der Kläger hier die Ablehnung der Ausstattung weiterer Unterschenkelersatzprothesen mit
einem Talux Fußteil zulässig angefochten hat.
Zwar liegt hinsichtlich des im Mai 2003 beantragten Ersatzes des KB 06/01, der durch das KB 11/03 erfolgt ist, wohl
kein förmlicher Bescheid an den Kläger vor. Die Bewilligung des KB 11/03 mit Dynamik Fußteil ergibt sich aber
eindeutig aus der aus den Verwaltungsakten ersichtlichen Verfügung vom 26. September 2003 zur Erstellung eines
entsprechenden Bestellscheines an die Firma Z (vgl. Bl. 19 R Verwaltungsakte). Auch ist der Beklagte selbst von
einem Widerspruch des Klägers gegen die erneute Ablehnung des Talux Fußteiles ausgegangen. Dies ergibt sich aus
der Prüfung einer Abhilfeentscheidung im Zusammenhang mit dem pro-beweisen Einbau des Talux Fußteiles, die sich
aus den Verwaltungsakten durch das Telefonat des Sachbearbeiters mit der Firma Z vom 07. November 2003 (vgl. Bl.
30 R Verwaltungsakte) und der Fertigung eines Vermerkes vom 05. November 2003 ergibt. Auch die Vereinbarung
vom 19. November 2003 zwischen dem Kläger und der Firma Z über die Erstattung der Mehrkosten für den Fall der
Verweigerung der Kostenübernahme durch den Beklagten spricht von einem Einspruch. Auch diese Vereinbarung war
dem Beklagten bekannt. In diesem Zusammenhang ist das Sozialgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die im
Hinblick auf den Bescheid vom 17. Juli 2002 erneut erfolgte Ablehnung der Versorgung mit einem Talux Fuß
Gegenstand des bereits anhängigen Widerspruchsverfahrens gegen diesen Bescheid mit demselben Streitgegenstand
geworden ist (§ 86 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Auch fehlt es im Hinblick auf die Ablehnung der Ausstattung des
KB 11/03 mit einem Talux Fuß nicht an der Sachurteilsvoraussetzung eines Widerspruchsbescheides. Denn
angesichts der Identität der Streitgegenstände im Hinblick auf das KB 08/02 und das KB 11/03 geht der Senat davon
aus, dass der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2004 beide Widersprüche abge-handelt und
lediglich den Bescheid unbekannten Datums insoweit aus Gründen der Einfachheit und Klarheit nicht erwähnt hat.
Im Ergebnis hat der Kläger aber keinen Anspruch auf Erstattung oder Freistellung von den selbst aufgebrachten
Kosten für den Talux Fuß für das KB 11/03 (2 500,00 EUR gemäß Vereinbarung vom 19. November 2003) und das
KB 9/05 (Zahlung von 1 829,78 EUR am 15. September 2005 an die Firma Z).
Zwar werden die Leistungen nach §§ 10 24 a BVG nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BVG als Sachleistungen gewährt. Dies
gilt auch für die orthopädische Versorgung mit Hilfsmitteln, insbesondere die Ausstattung mit Körperersatzstücken. Im
Falle der Selbstbeschaffung sind die Kosten aber in angemessenem Umfang zu ersetzen, wenn unvermeidliche
Umstände die Inanspruchnahme der Verwaltungsbehörde verhindert haben (§ 18 Abs. 4 BVG). Zur Heilbehandlung im
Sinne des § 18 Abs. 4 BVG gehört nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 BVG auch die Versorgung mit Hilfsmitteln.
Unvermeidbare Umstände im Sinne der Vorschrift liegen vor, wenn die zuständige Behörde die Leistung zu Unrecht
abgelehnt hat (BSG SozR 3 3100 § 13 Nr. 2). Die Kostenerstattung setzt daher voraus, dass ein Anspruch auf die
Sachleistung bestanden hätte. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Orthopädieverordnung muss die Ausstattung mit Hilfsmitteln ausreichend und zweckmäßig
sein; sie darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BVG haben die Hilfsmittel dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und der technischen Entwicklung zu entsprechen. Wie
das BSG bereits im Urteil vom 06. Juni 2002 (Az.: B 3 KR 68/01 R) ausgeführt hat, ist der Einsatz der Beine zum
Gehen, Laufen und Stehen ein Grundbedürfnis, das nicht auf spezielle Lebensbereiche beschränkt ist.
Gebrauchsvorteile durch neue technische Entwicklungen sind daher vom Grundsatz her anspruchsbegründend.
Allerdings hat das BSG (a. a. O.) auch ausgeführt, dass der Gebrauchsvorteil eines neuen fortschrittlicheren
Hilfsmittels maßgebend von den körperlichen und geistigen Voraussetzungen des Prothesenträgers abhängig ist. Ist
der Betroffene nicht in der Lage, die Gebrauchsvorteile zu nutzen, fehlt es an der Erforderlichkeit des neuen
Hilfsmittels. Dieser Grundsatz gilt auch nach Fortentwicklung der Rechtsprechung zu den wesentlichen
Gebrauchsvorteilen in den Entscheidungen des BSG vom 16. September 2004 (vgl. Az.: B 3 KR 2/04 R, B 3 KR 6/04
R und B 3 KR 20/04 R). In diesen Entscheidungen hat das BSG klargestellt, dass Gebrauchsvorteile dann wesentlich
sind, wenn sie sich allgemein im Alltagsleben auswirken und sich nicht auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch
oder eine bessere Optik beschränken. Nicht erforderlich ist danach, dass die Gebrauchsvorteile einen vom Gesetz
herausgehobenen Lebensbereich betreffen (vgl. Urteil vom 16. September 2004, Az.: B 3 KR 2/04 R). Auch kann,
solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig erreicht ist, die Versorgung mit einem fortschrittlichen
Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend
(Urteil vom 16. September 2004, Az.: B 3 KR 6/04 R). So begründet auch die Verringerung der Sturzgefahr bei
intensiver Nutzung wesentliche Gebrauchsvorteile, z. B. wenn die Sturzgefahr durch weitere körperliche
Behinderungen ohnehin erhöht ist. Dem folgt auch der Senat. Dabei ist der erkennende Senat der Auffassung, dass
gerade auch bei einem älteren, multimorbiden Betroffenen eine reduzierte Sturzgefahr wesentliche Gebrauchsvorteile
begründen kann, auch wenn keine so intensive Nutzung der Prothese mehr erfolgen kann wie z. B. bei einem noch
berufstätigen Behinderten.
Vorliegend besteht aber deshalb kein Anspruch auf die Versorgung mit dem Talux Fußteil, weil der Kläger aufgrund
seiner körperlichen Verfassung nicht in der Lage ist, die Gebrauchsvorteile zu nutzen, die das Talux Fußteil im
Vergleich zum Dynamik Fußteil bieten kann. Der Hersteller empfiehlt den Talux Fuß im Normalfall für Betroffene mit
dem Mobilitätsgrad III. Darunter werden uneingeschränkte Außenbereichsgeher verstanden, d. h., der Prothesenträger
kann sich bei mittlerer bis hoher Geschwindigkeit auch auf unebenem Boden und im freien Gelände fortbewegen. Die
grundsätzliche Eignung des Talux Fußes für diesen Nutzerkreis hat der technische Berater des Beklagten K in seiner
Stellungnahme vom 20. Februar 2008 damit begründet, dass der bauartbedingte Vorteil erst dann genutzt werden
könne, wenn die Energieaufnahme und wiedergabe der Vorfußfelder durch die vom Prothesenträger einzubringende
Energie aktiviert werde. Unterhalb des Mobilitätsgrades III "verschwänden" die Eigenschaften des Talux Fußteiles
mangels vom Träger eingebrachter Energie. Es bestehe dann ein Zustand wie bei einer vollständig steifen Prothese.
Da der Talux Fuß keine Eigendynamik entwickeln und der Kläger die notwendige Energie zum Erreichen des
Gebrauchsvorteils nicht einbringen könne, "verpuffe" die Wirkung des hochwertigen Fußpassteils zu einem fast
steifen Prothesenfuß. Angesichts der vorliegenden Leiden des Klägers bedarf es keiner Begründung, dass er die
notwendige Energie eines Betroffenen des Mobilitätsgrades III nicht einbringen kann, um die Gebrauchsvorteile zu
nutzen.
So hat Prof. Dr. S die Erforderlichkeit der Versorgung mit dem Talux Fußteil auch nicht mit seinem eigentlichen
Einsatzbereich begründet, zumal er sogar der Auffassung war, dass der Kläger nicht einmal mehr dem Mobilitätsgrad
II zuzuordnen ist, den der Beklagte dem Kläger noch zugestanden hat, sondern nur dem Mobilitätsgrad I
(Innenbereichsgeher). Dieser ist anzunehmen, wenn der Träger mit seiner Prothese auf ebenem Boden kurze Zeit
gehen kann und Gehdauer und strecke stark eingeschränkt sind. Hier ist der Senat der Auffassung, dass Prof. Dr. S
den Mobilitätsgrad I als für den Kläger zutreffend richtig beschrieben hat. Denn Prof. Dr. S konnte sich bei der
vorgenommenen Untersuchung ein Bild vom verbliebenen Restleistungsvermögen machen. Die Angaben des Klägers
begegnen im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt erheblichen Bedenken, wie der Beklagte in der versorgungsärztlichen
Stellungnahme vom 15. Juni 2007 zu Recht herausgearbeitet hat.
So begegnet es auch nach Auffassung des Senats keinen grundsätzlichen Bedenken, die Erforderlichkeit eines
Hilfsmittels auch außerhalb der vom Hersteller vorgeschlagenen Mobilitätsgrade zu begründen, da der Kläger zu
Recht eine Einzelfallbetrachtung fordert. Als Ergebnis dieser Einzelfallprüfung muss aber festgestellt werden können,
dass der Einsatz des Hilfsmittels zu wesentlichen Gebrauchsvorteilen im Sinne der geschilderten Rechtsprechung
des BSG führt. Das ist vorliegend nicht der Fall. So wie der Kläger den Talux Fuß benutzen kann, bietet er keine
Vorteile zum Dynamik Fuß, da er bei geringer Energieeinbringung wie eine steife Prothese wirkt. Zwar hat Prof. Dr. S
ein linksseitiges harmonisches Gangbild beschrieben, weil das mit dem Talux Fußteil versorgte amputierte Bein
länger belastet werden könne als das rechte, weil das rechte Bein eine durch die Durchblutungsstörungen verursachte
noch geringere Belastbarkeit aufweist als das amputierte linke Bein. Dies vermag aber nicht zu begründen, warum die
Gebrauchsvorteile des Talux Fußteils die des Dynamik Fußteils übertreffen sollen. Denn dass das amputierte linke
Bein wegen der verminderten Belastungsfähigkeit des rechten Beines Ausgleichsfunktionen übernehmen muss, ist
unabhängig davon, welche Prothese getragen wird. Prof. Dr. S hat aber an keiner Stelle dargelegt, warum der
Dynamik-Fuß diese Entlastung nicht bewirkt. Auch ist im Gutachten nicht dargelegt, dass eine mögliche Sturzgefahr
durch den Talux-Fuß besser gebannt werde.
Auch der Umstand, dass der Kläger nicht mit einem nur linksseitig Unterschenkelamputierten verglichen werden kann,
ist unbestritten. Dies allein kann die wesentlichen Gebrauchsvorteile des Talux Fußteiles jedoch nicht begründen.
Soweit Prof. Dr. S Gebrauchsvorteile mit der proportionalen Energierückgabe begründet hat, die einen multiachsialen
Bewegungsradius ermögliche, die Vorwärtsdynamik verbessere und die Kniestabilität erhöhe, hat dies den Senat nicht
überzeugt. Gerade wenn Prof. Dr. S in seiner ergänzenden Stellungnahme darauf hingewiesen hat, dass der Kläger
nur zur Mobilitätsstufe I zu zählen sei und damit nur wenig Energie einbringen könne , hätte es ausführlicher
Begründung bedurft, welche Gebrauchsvorteile der multimorbide Kläger von einem Hilfsmittel haben soll, das für einen
gänzlich anderen Personenkreis gedacht ist.
Damit steht für den Senat fest, dass wesentliche Gebrauchsvorteile im Sinne der zitierten BSG Rechtsprechung nicht
bestehen. Damit entfällt der Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit einem Talux Fußteil und in dieser Folge auch
ein Kostenerstattungsanspruch.
Der Senat sieht Veranlassung darauf hinzuweisen, dass hier nicht über die bestmögliche angepasste Versorgung zu
entscheiden ist, sondern über die Kostenerstattung für eine selbst beschaffte Leistung, für deren Erstattungsfähigkeit
der Kläger letztlich das Risiko zu tragen hat. Daher war Hinweisen des Beklagten, eine "K 2 Sensation" oder eine
"Sure Flex" Versorgung hätte möglicherweise erhebliche Vorteile zum Dynamik Fuß geboten, nicht weiter
nachzugehen. Hierüber wird der Beklagte ggf. bei einem weiteren Ersatz der Kunstbeine in der Zukunft zu entscheiden
haben.
Das Urteil des Sozialgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG
nicht erfüllt sind.