Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.03.2008

LSG Berlin-Brandenburg: hauptsache, entlastung, rechtsschutz, niedersachsen, link, sammlung, verfahrensmangel, quelle, rechtspflege, geldleistung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
20. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 20 AS 1702/10 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 172 Abs 3 Nr 1 SGG vom
26.03.2008, § 144 Abs 1 S 1 Nr
1 SGG vom 26.03.2008, § 144
Abs 2 SGG
(Sozialgerichtliches Verfahren - Ausschluss der Beschwerde in
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - Nichterreichen des
Wertes des Beschwerdegegenstandes in der Hauptsache - keine
Prüfung der Zulassungsgründe des § 144 Abs 2 SGG)
Leitsatz
Unstatthaftigkeit der Beschwerde gegen Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz, wenn in
der Hauptsache nicht Kraft Gesetzes die Berufung ohne weiteres zulässig wäre; keine Prüfung
der Zulassungsgründe des § 144 Abs 2 SGG
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 25. August 2010
wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde, mit der sich die Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Antrages auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches gegen einen Bescheid der
Antragsgegnerin wenden, mit dem diese die Übernahme einer
Betriebskostennachforderung in Höhe von 83,94 Euro abgelehnt und ein fiktives
Guthaben in Höhe von 223,67 Euro aus der Warmwasserabrechnung auf die Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Monat September 2010
leistungsmindernd angerechnet hatte, ist nicht statthaft.
Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG
- in der ab 01. April 2008 geltenden Fassung (eingefügt durch Artikel 1 Nr. 29 b Gesetz
zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.
März 2008, BGBl I Seite 444) sind Beschwerden in Verfahren des einstweiligen
Rechtschutzes u. a. dann nicht statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
in der Hauptsache bei einer eine Geldleistung betreffenden Klage - wie hier - 750,00 Euro
nicht übersteigt.
Bei der Prüfung der Statthaftigkeit der Beschwerde ist auf die Beschwer des
Beschwerdeführers durch den angefochtenen Beschluss abzustellen (so auch zur
entsprechenden Problematik der Anwendung des § 146 Abs. 4
Verwaltungsgerichtsordnung –VwGO - idF. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege
v. 11. Januar 1993 -- BGBl I S. 50 -- iVm. § 131 Abs. 2 VwGO: Oberverwaltungsgericht für
das Land Nordrhein-Westfalen 22. Senat, Beschluss vom 17.August 1993, - 22 B
1230/93 -, a. A. auf den tatsächlichen Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens
abstellend: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 15. Senat,
Beschluss vom 11. Juni 1996, - 15 B 1313/96 -). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des §
172 Abs. 3 Nr. 1 SGG, wonach in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darauf
abzustellen ist, ob in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre. Die Zulässigkeit der
Berufung einer Hauptsache richtet sich nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG und bemisst sich
nach der durch das erstinstanzliche Urteil eingetretenen Beschwer für den
Berufungsführer. Dass bei der Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde ebenfalls an die
durch den Beschluss eingetretene Beschwer anzuknüpfen ist, entspricht auch der
Intention des Gesetzgebers, die Beschwerdemöglichkeit bei wirtschaftlich nicht
relevanten Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Entlastung der
Landessozialgerichte auszuschließen (BT-Drs. 16/7716, Seite 13f. zu 2) c) bb); Seite 22
zu Nr. 29 b)). Die Rechtsschutzmöglichkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist
nicht gegenüber derjenigen in Hauptsacheverfahren zu privilegieren.
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Davon ausgehend ist die Beschwerde der Antragsteller hier nicht statthaft, weil die durch
den angefochtenen Beschluss für sie eingetretene Beschwer nicht 750 Euro übersteigt.
Die nach ihrem Wortlaut nicht völlig eindeutige Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist
nach ihrer Systematik dahingehend zu verstehen, dass die Beschwerde dann
ausgeschlossen - und damit unzulässig – ist, wenn die Berufung in der Hauptsache nicht
Kraft Gesetzes ohne Weiteres zulässig wäre, sondern erst noch der Zulassung bedürfte
(ebenso: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07. Oktober 2009 - L 5 AS
293/09 B ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2008, - L 8
SO 80/08 ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 1. September 2008 - L 5 AS 79/08 NZB;
Hessisches LSG, Beschluss vom 1. Juli 2008 - L 7 SO 59/08 AS ER; LSG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 2. Juli 2008 - L 7 B 192/08 AS ER; jeweils zitiert nach juris). Der
entgegenstehenden Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 21.
Oktober 2008 - L 6 AS 458/08 ER - Juris; sowohl auch Breitkreuz/Böttiger, SGG, § 172 Rn.
45) folgt der Senat nicht (vgl. ebenso mit ausführlicher Begründung: Hessisches
Landessozialgericht Beschluss vom 12. Januar 2009 - L 7 AS 421/08 B ER - Juris).
Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ist die zum 1. April 2008 in Kraft
getretene Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren zur Entlastung der Landessozialgerichte erfolgt. Dieser Zweck
sollte durch die Anhebung des Schwellenwertes auf 750,00 € und durch die
Einschränkung der Beschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erreicht
werden. Es entspräche daher dem Entlastungswillen des Gesetzgebers nicht, wenn eine
fiktive Prüfung möglicher Zulassungsgründe und eine hierauf gestützte Zulassung der
Beschwerde durch die Sozialgerichte oder eine Nichtzulassungsbeschwerde, über deren
Zulässigkeit dann die Landessozialgerichte zu befinden hätten, unter Geltung des neuen
Rechts anerkannt würde. Der erstrebte Entlastungseffekt wird nur dann erreicht, wenn
sich die Zulässigkeit der Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ohne
weiteres aus dem Beschwerdewert oder der Art und Dauer der im Streit stehenden
Leistungen ergibt (§ 144 Abs. 1 SGG). Hinzu kommt, dass die in § 144 Abs. 2 SGG
aufgeführten Zulassungsgründe erkennbar auf das Hauptsacheverfahren zugeschnitten
und auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht übertragbar sind. Eine
fiktive Prüfung ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil nicht klar ist, ob es ein
Hauptsacheverfahren geben und wie dieses ggf. entschieden werden wird. Die Prüfung
der Zulassungsgründe Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) und Verfahrensmangel (§ 144
Abs. 2 Nr. 3 SGG) sind bereits tatsächlich nicht möglich. Auch eine fiktive Prüfung der
grundsätzlichen Bedeutung der Hauptsache (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) ist wegen der
unterschiedlichen Funktion von Hauptsache- und Eilverfahren nicht sachgerecht, denn
die Entscheidungen sind weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht
deckungsgleich. Da es im einstweiligen Rechtsschutz maßgeblich darum geht,
„vorläufige“ Regelungen zu treffen, werden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung
gerade nicht abschließend beantwortet.
Schließlich wird in der Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht auf die
Zulassungsbedürftigkeit der Berufung oder die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde (§§ 144, 145 SGG) verwiesen, was auch
regelungssystematisch gegen deren Anwendbarkeit spricht.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1
SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
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