Urteil des LSG Bayern vom 08.12.2010

LSG Bayern: berufskrankheit, berufliche tätigkeit, skoliose, spondylolisthesis, osteochondrose, spondylolyse, befund, entstehung, wahrscheinlichkeit, kausalität

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 20 U 883/98
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 81/05
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung
(BKV).
Der 1941 geborene Kläger hat von 1956 bis 1959 eine Ausbildung zum Speditionskaufmann absolviert. Im Anschluss
war er von 1959 bis 1999 als Lkw-Fahrer und Möbelträger tätig; 1977 übernahm er den entsprechenden Betrieb seines
Vaters ( A. KG Möbelspedition B-Stadt).
Mit Schreiben vom 19. Februar 1996 teilte er der Beklagten mit, dass er seit ca. fünf Jahren große Beschwerden an
der Wirbelsäule und am linken Knie habe, da er nach wie vor den Lkw fahre und die Möbel selbst mittrage. Die
Anzeige des Unternehmers über eine Berufskrankheit ging am 1. April 1996 bei der Beklagten ein. Die Beklagte leitete
Verwaltungsverfahren zu den Berufskrankheiten Nrn. 2108 bis 2110 und 2102 ein.
Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) vom 18. Dezember 1995 belegte eine Fehlstellung und
Pseudospondylolisthesis in Höhe von L5/S1, eine Protrusion von L3 bis S 1 mit Einengung sowie eine starke Arthrose
der kleinen Wirbelgelenke in Höhe von L4/5.
Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) vertrat in einer Stellungnahme vom 24. Januar 1997 die Ansicht,
dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV gegeben
seien, nicht jedoch im Sinne der Berufskrankheiten nach den Nrn. 2109 und 2110 der Anlage zur BKV.
Der als Gutachter gewählte Facharzt für Chirurgie Dr. G. vertrat in dem Gutachten vom 29. August 1997 die Ansicht,
der Halswirbelsäulen-(HWS-)Befund lasse annehmen, dass eine endogene Komponente die wesentliche Ursache für
den bestehenden Bandscheibenschaden darstelle. An der HWS fänden sich erhebliche Degenerationszeichen im
Sinne der Spondylochondrose und der degenerativen Bandscheibenveränderungen, ohne dass dort eine
berufsbedingte Belastung anzunehmen wäre. Leichtere Verschleißerscheinungen fänden sich auch an der unteren
Brustwirbelsäule (BWS). Von entscheidender Bedeutung für die Entstehung des Bandscheibenschadens sei ein
Instabilitätsbefund an den zwei untersten Lendenwirbelsäulen-(LWS-)segmenten durch eine Spondylolyse und damit
verbundene Spondylolisthesis (Wirbelgleiten). Daraus resultiere eine erhebliche Instabilität in diesen Segmenten, die
den vorzeitigen Aufbrauchschaden der Bandscheiben maßgeblich verursacht habe. Betroffen seien davon die Etage
L5/S1 sowie das darüberliegenden Segment. Ferner spiele eine mäßige Fehlhaltung der LWS mit einer
rechtskonvexen Skoliose eine Rolle. Insgesamt betroffen seien vor allem die beiden untersten Segmente. Der
Gewerbearzt stimmte dieser Einschätzung zu.
Mit Bescheid vom 13. Januar 1998 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab, weil eine Berufskrankheit nach
den Nrn. 2102, 2108, 2109 und 2110 der Anlage zur BKV nicht vorläge. Hinsichtlich der Berufskrankheit nach Nr. 2108
lägen nach den Feststellungen des TAD zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen vor, es fehle jedoch gemäß
dem Gutachten des Dr. G. an den medizinischen Voraussetzungen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 1998 zurück.
Mit der Klage zum Sozialgericht München (Az.: S 20 U 883/98) hat sich der Kläger gegen die Ablehnung der
Entschädigungsleistungen gewandt. Mit Beschluss vom 13. Januar 2003 hat das Sozialgericht die Streitigkeit um die
Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage zur BKV abgetrennt (Az.: S 20 U 47/03).
Das Sozialgericht hat aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und den Chirurgen und
Unfallchirurgen Dr. L. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt (Gutachten vom 24. August 1999).
Nachgewiesen seien flache Vorwölbungen der Bandscheiben in den drei untersten Segmenten der LWS; ein
manifester Bandscheibenvorfall bestehe nicht. Neben den Bandscheibenveränderungen bestünden auch Arthrosen der
kleinen Wirbelgelenke, die, zumindest im Segment L5/S1, ihre Ursache in einer angeborenen Normvariante hätten,
und Arthrosen der Iliosakralgelenke. Darüber hinaus bestünden konkurrierende Erkrankungen, insbesondere eine
angeborene Normvariante im Sinne einer Defektbildung, die einen vorzeitigen Verschleiß begründe. Auch könne der
Nachweis eines "altersvorauseilenden Schadens" nicht geführt werden. Nachweisbar seien schließlich auch
Verschleißveränderungen im Bereich der HWS. Eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 sei deshalb nicht anzunehmen.
Im Übrigen würde sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von unter 20 v. ergeben.
Demgegenüber ist der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragte Orthopäde Prof. Dr. E. (LMU B-Stadt) in
dem Gutachten vom 1. August 2000 unter Einbezug eines radiologischen Zusatzgutachtens zu dem Ergebnis gelangt,
dass die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach den Nrn. 2108 und 2110 gegeben seien, nicht
jedoch nach Nr. 2109. Es bestünden eine Osteochondrose, Spondylarthrose mit osteophytären
Randzackenausbildungen HWK 3 bis 6, Bandscheibenprotrusionen L 4/5, L 5/S1 (nachgewiesen durch MRT vom
Dezember 1995), eine Spondylolyse LWK 5 und Spondylolisthesis L 5/S1, eine Osteochondrose, Spondylarthrose L4
bis S 1 und rechts konvexe Lumbalskoliose sowie eine medial betonte Gonarthrose links bei Genu varum. Die MdE
betrage 60 v. Die bestehende rechtskonvexe Skoliose sei sicher nicht komplett berufsbedingt, vielmehr sei es durch
die 41-jährige schwere körperliche Arbeit zur deutlichen Zunahme der Wirbelsäulenseitverbiegung gekommen.
Hinsichtlich der HWS handele es sich radiologisch um degenerative Veränderungen, so dass eine Berufskrankheit
nach Nr. 2109 ausscheide.
Die Beklagte hat hierzu eine fachchirurgische Stellungnahme der Dr. K./M. vom 22. Januar 2001 vorgelegt, die u.a.
auf die mehrsegmentalen Veränderungen an der HWS hingewiesen haben. Es entspreche der herrschenden
Lehrmeinung, dass ein Schadensbild an der HWS, das in gleicher Weise wie an der LWS ausgeprägt sei, als
gewichtiger Grund gegen einen beruflichen Ursachenzusammenhang anzusehen sei. Der HWS-Befund werde von
Prof. Dr. E. nicht diskutiert.
Prof. Dr. E. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. Mai 2002 ausgeführt, dass die beruflichen Belastungen
gegeben gewesen seien. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei es durch die berufliche Tätigkeit zu
einem deutlich frühzeitigem Auftreten einer Bandscheibendegeneration in Höhe L 4/5 sowie L5/S1 und den Spondyl-
arthrosen L 4 bis S 1 sowie zur Spondylolisthesis L5/S1 gekommen. Hinsichtlich der MdE sei auch eine Höhe von 50
v. vertretbar.
In der mündlichen Verhandlung vom 13. Januar 2003 hat der Kläger angegeben, dass er aufgrund seiner
Kniebeschwerden ärztlicherseits gezwungen gewesen sei, seine Tätigkeit als Möbeltransporteur aufzugeben.
Mit Urteil vom 13. Januar 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Eine Berufskrankheit nach § 551 Abs. 1
der Reichsversicherungsordnung (RVO) läge nicht vor. Dies gelte auch für die Berufskrankheit nach Nr. 2108 der
Anlage zur BKV. Nach eigenen Angaben hätten die erheblichen Kniebeschwerden und nicht die
bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS zur Aufgabe der belastenden Tätigkeit geführt. Auch der zeitliche
Zusammenhang der Berufsaufgabe mit der im Jahre 1999 zusammenfallenden Implantation einer
Oberflächenersatzprothese (LCS) spreche hierfür. Ferner spreche das Gutachten des Dr. L. gegen das Vorliegen
dieser Berufskrankheit. Demgegenüber widerspreche das Gutachten des Prof. Dr. E. den Ausführungen des Klägers
und diskutiere die Frage der Berufsaufgabe nur sehr pauschal. Hinsichtlich der Berufskrankheit nach Nr. 2110 hat das
Sozialgericht ferner auf die Feststellungen des TAD verwiesen.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sich zur Begründung auf das Gutachten des Prof. Dr. E. gestützt. Er
sei auch wegen der Erkrankung der LWS zur Aufgabe der belastenden Tätigkeiten gezwungen gewesen.
Die Beklagte hat durch den TAD weitere Ermittlungen angestrebt. Eine Berechnung nach dem C-Stadt-Dortmunder-
Dosismodell (MDD) war jedoch aufgrund der Datenlage und der zunächst fehlenden Mitwirkung des Klägers nicht
möglich.
Der vom Senat beauftragte Orthopäde Dr. D. hat in seinem Gutachten vom 13. Juli 2006 die Ansicht vertreten, dass
eine Berufskrankheit nach Nr. 2108, insbesondere aufgrund der Stellungnahme des TAD nicht jedoch nach den Nrn.
2109 und 2110, der Anlage zur BKV vorliege. Er hat ein chronisches HWS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen
und Fehlhaltung (klinisch bestünden eine intermittierende Cervicobrachialgie rechts, intermittierende Parästhesien der
Finger, röntgenologisch nachgewiesen ausgeprägte degenerative Veränderungen), ein chronisches LWS-Syndrom bei
degenerativen Veränderungen und eine Fehlhaltung und Spondylolisthesis Grad I bei L5/S1 (klinisch ein vorwiegend
lokal ausgeprägtes Schmerzsyndrom mit Bewegungseinschränkung. Röntgenologisch seien eine skoliotische
Fehlhaltung mit beginnendem Drehgleiten, eine Spondylolyse L5, eine Spondylolisthesis L5/S1 Grad I nach Meyerding
sowie ausgeprägte Arthrosen und Osteochondrosen nachgewiesen) festgestellt. Die bandscheibenbedingte
Erkrankung der LWS sei trotz Vorhandensein konkurrierender Faktoren wie eine anlagenbedingte Listhese L5/S1 und
eine skoliotische Fehlhaltung berufsbedingt. Nach den Konsensempfehlungen seien eine Spondylolisthesis Meyerding
Grad I und eine Skoliose leichterer Ausprägung (Cobb-Winkel bis 20 Grad) nicht mehr als konkurrierende Faktoren
gegen eine vermehrte berufliche Schädigung anzusehen. Weiteres Indiz für das Bestehen einer Berufskrankheit sei
die bestehende Osteochondrose, bevorzugt in den unteren LWS-Segmenten; die Spondylose bestehe jedoch eher in
den oberen LWS-Segmenten, unter Einbeziehung der untersten BWS-Etagen. Die MdE sei auf 20 v. einzuschätzen.
Der Senat hat ein Gutachten des Prof. Dr. D. (Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der G. Universität C-
Stadt) zum Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen eingeholt. Dieser ist unter Einbezug der ergänzenden
Angaben der Beteiligten und des Ergebnisses des Erörterungstermins vom 7. November 2007 in einem Gutachten
vom 17. Dezember 2007 zu dem Ergebnis gelangt, dass mit Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass lediglich
die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Berufskrankheit nach der Nr. 2108 vorliegen.
Der Senat hat den Rechtsstreit hinsichtlich der Berufskrankheiten nach den Nrn. 2108, 2109 und 2110 mit Beschluss
vom 5. März 2008 getrennt. Mit Urteil vom 2. April 2008 hat er die Berufung des Klägers zurückgewiesen, soweit
diese die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV betroffen hat (Az.: L 2 U 113/08).
In der Sitzung vom 2. April 2008 hat er den Rechtsstreit vertagt. Die Beklagte hat sich bereit erklärt, unter Mitwirkung
des Klägers Ermittlungen nach dem MDD durch den TAD durchzuführen. Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2008 hat sie
mitgeteilt, dass nach den Ermittlungen der Beklagten der Richtwert der Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD
überschritten worden sei. Allerdings fehle es am Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung. Prof. Dr. D. hat
in einer ergänzenden Stellungnahme vom 23. September 2003 die Berechnungen als zutreffend bewertet.
Der ebenfalls vom Senat beauftragte Orthopäde Dr. K. ist in seinem Gutachten vom 3. Dezember 2008 zu dem
Ergebnis gelangt, dass die medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV
nicht vorliegen. Es läge kein konformes Schadensbild vor, weil die degenerativen Veränderungen an der HWS deutlich
die an der lumbalen Wirbelsäule übertreffen, die lumbalen Bandscheibenveränderungen wie Spondyloselänge und
Zwischenwirbelraumsinterung die Altersnorm nicht übersteigen und konkurrierende Erkrankungsbilder (tief sitzende
Skoliose, Beckenkippung, Spondylolisthesis) nicht ausgeschlossen werden konnten. Alle genannten Erkrankungen
hätten einen großen Einfluss bei der Entstehung der segmentalen, lumbalen Veränderungen genommen, der sicher
den gleichen Umfang, wenn nicht mehr erreicht habe als die Arbeitsbelastung. Nach dem Konsensuspapier sei eine
Skoliose mit 20 Grad keine konkurrierende Erkrankung. Eine solche Aussage verlange jedoch eine kritische Wertung.
Nach seiner Einschätzung habe das endogene Element Skoliose bei der Entstehung der Veränderungen mit
eingewirkt und sei bedingt als konkurrierendes Erkrankungsbild anzusehen. Kritisch hinterfragt werden müsse auch
die Aussage des Konsensuspapiers, dass eine Spondylolisthesis Stadium Meyerding I als konkurrierende Erkrankung
ausscheide. Auch hier sei es aber schwierig, den einzelnen Belastungsfaktoren ihre Bedeutung und ihren Einfluss bei
der Entstehung der Veränderungen zuzuweisen. Die Arthrosis interspinosa Baastrup (Sklerosereaktion an der
Unterseite der Dornfortsätze) bedeute keine konkurrierende Erkrankung. Schließlich bedeute eine Ott-Forestier keine
bandscheibenbedingte Erkrankung und entfalle dadurch als Konkurrenz.
Der gemäß § 109 SGG gehörte Orthopäde Dr. (Oberarzt, ) ist in dem Gutachten vom 18. Februar 2010 zu dem
Ergebnis gelangt, dass ein der Berufskrankheit nach Nr. 2108 konformes medizinisches Erkrankungsbild der LWS
gegeben sei. Als Diagnosen lägen vor ein degeneratives lokales Lumbalsyndrom mit Osteochondrose, eine
Spondylose, eine Spondylolyse LWK 5 mit Spondylolisthese LWK 5 gegenüber SWK 1 nach ventral Meyerding Grad
I, eine degenerative rechtskonvexe Lumbalskoliose, multiple Bandscheibenprotrusionen, ein degeneratives HWS-
Syndrom sowie eine mediale Gonarthrose links. Allerdings seien die vorhandenen Gesundheitsstörungen an der LWS
Folge des komplexen Zusammenwirkens der drei ursächlichen Faktoren `berufliche Exposition´, `lumbale Skoliose´
und `Spondylolyse/Spondylolisthese´. Es sei weder ein deutliches Übergewicht "ausschließlich" der beruflichen noch
der konkurrierenden Faktoren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Die degenerativen
Veränderungen an der HWS seien mindestens ebenso schwer, tendenziell sogar stärker ausgeprägt als an der LWS.
Es habe der Zwang zur Aufgabe der zuletzt ausgeübten Tätigkeit bestanden. Die MdE sei im Hinblick auf die
dauerhaft vorhandenen Schmerzen und die funktionellen Beschwerden - ohne Vorhandensein von neurologischen
Symptomen - mit 20 v. einzuschätzen.
Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 12. März 2010 durch die beiden Gutachten be-stätigt gesehen. Der
Prozessbevollmächtigte des Klägers hat demgegenüber beantragt, das Erscheinen des Sachverständigen Dr. in der
mündlichen Verhandlung zur Erläuterung des Gutachtens anzuordnen.
Mit Beschluss vom 6. Juli 2010 hat der Senat den Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. K. wegen
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
In der Sitzung vom 28. Juli 2010 hat der Senat den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung vertagt und eine
Stellungnahme des Dr. D. nach Aktenlage und ambulanter Untersuchung vom 23. August 2010 eingeholt. Dem
Gutachten des Dr. sei insoweit zuzustimmen, dass insgesamt drei Faktoren als ursächlich für die
Gesundheitsschädigung der LWS angeführt werden müssen: die Skoliose, die Spondylolisthese und die berufliche
Exposition. Da weitere Faktoren zu einer Schädigung der LWS geführt haben, hat Dr. D. eine MdE von 10 v.H
empfohlen.
Die Beklagte hat zuletzt ausgeführt, dass allein Dr. K. sich mit den Konsensempfehlungen auseinandergesetzt habe.
Dr. D. habe dies auch in der ergänzenden Stellungnahme unterlassen.
Der Sachverstände Dr. hat in der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2010 sein Gutachten erläutert.
Insgesamt seien alle drei Ursachen (Skoliose, Wirbelgleiten, berufliche Verursachung) gleichwertig zu bewerten. Die
degenerativen Schäden an der Halswirbelsäule seien stärker ausgeprägt als an der Lendenwirbelsäule. Im Einzelnen
wird auf die Niederschrift der Sitzung verwiesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. Januar 2003 und den Bescheid vom 13. Januar 1998 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 9. Oktober 1998 aufzuheben, festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit
nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliegt, und die Beklagte zu verpflichten, ihm vom 24. November 1995 an eine
Verletztenrente in Höhe von mindestens 10 v. zu gewähren. Hilfsweise beantragt er, Herrn Dr. D. anzuhören zum
Ergebnis der heutigen Verhandlung sowie zur Bedeutung der Halswirbelsäulenschäden bei der Anerkennung der
Berufskrankheit Nr. 2108.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten, der Gerichtsakten des Sozial- und des Landessozialgerichts
und der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet, da die medizinischen Voraussetzungen
für das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht erfüllt sind.
Vorliegend richtet sich der Rechtsstreit nach den Regelungen der § 547 ff RVO und nicht nach denen des Siebten
Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII), da es gemäß § 241 Abs. 3 SGB VII bei vor dem 1. Januar 1997 eingetretenen
Versicherungsfällen bei der Anwendbarkeit der RVO verbleibt, wenn, wie hier, Leistungen, sofern ein Anspruch
begründet wäre, schon vor dem 1. Januar 1997 erstmals festzusetzen gewesen wären. Der Kläger begehrt dabei
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund eines Antrags auf Gewährung einer Verletztenrente
wegen einer Berufskrankheit vom 19. Februar 1996. Im Übrigen ergebe sich aber auch bei Anwendung der
Vorschriften der §§ 7 ff, 56 SGB VII im Ergebnis keine andere Beurteilung.
Nach § 551 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit, d.h. eine Krankheit, welche die
Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnete und die der Kläger bei einer
der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeit erlitten hat. Dies setzt voraus, dass eine Krankheit
vorliegt, die in der zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls (§ 551 Abs. 3 RVO) geltenden BKV aufgeführt
ist (vgl. Verordnung zur Änderung der Berufskrankheitenverordnung vom 08.12.1976 (BGBl. I S. 3329, 3331), vom
22.03.1988 (BGBl. I 400), seit 1.12.1997 die BKVO vom 31.10.1997 - BGBl. I S. 2623). Vorliegend betrifft der
Rechtsstreit Nr. 2108 der Anlage 1 der BKV - bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch
langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung,
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, der Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Über die allgemeine berufliche Gefährdung hinaus muss als wahrscheinlich nachgewiesen sein, dass die berufliche
Tätigkeit wesentliche (Mit-)Ursache für die Gesundheitsstörungen war (BSG SozR 2200 § 551 Nrn. 1 und 18). Ist, wie
im vorliegenden Fall in Nr. 2108 der Anlage zur BKV, die geltend gemachte Erkrankung in der Berufskrankheitenliste
genannt, müssen auch deren weiteren Voraussetzungen erfüllt sein. Nach der im Recht der gesetzlichen
Unfallversicherung maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung sind dabei nur solche Ursachen
rechtserheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben
(vgl. BSG v. 30. Januar 2007, Az.: B 2 U 23/05 R; vom 2. April 2009, Az.: B 2 U 9/08 R).
Neben dem sachlichen Zusammenhang zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit setzt der
Versicherungsfall der Berufskrankheit ferner voraus, dass die Verrichtung eine Einwirkung auf den Körper durch die im
Tatbestand der Berufskrankheit genannten Belastungen wesentlich verursacht hat (sog. Einwirkungskausalität);
außerdem ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung
einerseits (sog. haftungsbegründende Kausalität) und zwischen schädigender Einwirkung und Erkrankung andererseits
(sog. haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei reicht jedenfalls für die Bejahung der haftungsausfüllenden
Kausalität eine hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. BSGE 45, 285, 286; 58, 76, 79). Hierunter ist eine
Wahrscheinlichkeit zu verstehen, nach der bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang
sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet
werden kann (BSGE 45, 285, 286).
Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt somit einerseits das Vorliegen der sog. arbeitstechnischen
Voraussetzungen im Sinne der haftungsbegründenden Kausalität, andererseits der medizinischen Voraussetzungen
im Sinne der haftungsausfüllenden Kausalität voraus, d.h. es muss das typische Krankheitsbild der Berufskrankheit
vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche
Tätigkeit zurückzuführen sein. Dabei reicht es aus, dass die berufliche Tätigkeit wesentlich mitursächlich für den
Gesundheitsschaden ist.
Die arbeitstechnischen Voraussetzungen sind für die Zeit bis 1999, als der Kläger beim Transport von Klavieren und
Flügeln tätig war, gegeben. Die ergibt sich aus dem vom Senat eingeholten Gutachten des Prof. Dr. D. sowie den
Stellungnahmen des TAD der Beklagten. Auch nach den Berechnungen der Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD
ergibt sich, dass die Belastungen auf die LWS über 38 Jahre entsprechend ausgeprägt waren. Prof. Dr. D. stimmte in
der Stellungnahme vom 23. September 2008 dieser Berechnung ausdrücklich zu. Damit ist auch eine Einwirkung auf
den Körper der versicherten Tätigkeit zuzurechnen.
Allerdings fehlt es nach Überzeugung des Senats am Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen.
Für die Beurteilung der Ursächlichkeit sind als Kriterien die belastenden Einwirkungen, das Krankheitsbild,
insbesondere ob ein altersuntypischer Befund und ein belastungskonformes Schadensbild vorliegen, eine zeitliche
Korrelation zwischen den Einwirkungen und dem Erkrankungsverlauf sowie das Vorliegen von konkurrierenden
Ursachen wie z.B. endogene Veranlagungen zugrunde zu legen (BSG vom 27. Juni 2006, Az.: B 2 U 13/05 R m.w.N.).
Die berufliche Exposition müsste, wie dargelegt, zumindest eine wesentliche Mitursache für die
Gesundheitsstörungen sein.
Weitgehend unstreitig ist, dass ein belastungskonformes Schadensbild gegeben ist. Zu der Frage, was unter einer
bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BKV zu verstehen sein soll, hat der Verordnungsgeber in
der Begründung zur Zweiten Änderungsverordnung (2. ÄndVO), durch welche die Berufskrankheit nach Nr. 2108 in die
Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (BR-Drucks 773/92 S 8), eingehende Ausführungen gemacht. Danach
sind unter bandscheibenbedingten Erkrankungen zu verstehen: Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im
Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall (Prolaps), degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten
(Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen an den vorderen seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose),
degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose) mit den durch derartige Befunde bedingten
Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule (zum Ganzen auch: BSG, Urteil vom 31. Mai 2005, Az.:
B 2 U 12/04 R). Beim Kläger liegt ein Bandscheibenschaden in Form eines degenerativen lokalen Lumbalsyndroms
bei Osteochondrose, Spondylose, Spondylolyse LWK 5 mit Spondylolisthese LWK 5 gegenüber SWK 1 nach ventral
Meyerding Grad I, degenerativer rechtskonvexer Lumbalskolios und multiplen Bandscheibenprotrusionen vor. Die
klinischen und radiologischen Kriterien für ein lokales Lumbalsyndrom sind erfüllt. Dr. erläuterte die Ausführungen
seines Gutachtens, dass sich im Bereich der LWS Chondrosen und Protrusionen finden - jedoch keine
Bandscheibenvorfälle; neurologische Ausfälle sind nicht zu verzeichnen. Da auch eine ausreichende berufliche
Belastung durch das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben und von der Beklagten anerkannt
ist, stellt sich noch die Frage, ob konkurrierende Ursachen wesentlich mitursächlich für den Gesundheitsschaden
sind.
Die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der berufsbedingten Belastung und den
Gesundheitsbeeinträchtigungen an der LWS gestaltet sich beim Kläger schwierig. Insoweit differieren auch die
vorliegenden Gutachten. Während sowohl der vom Sozialgericht nach § 109 SGG beauftragte Prof. Dr. E. sowie der
vom Senat nach § 106 SGG beauftragte Dr. D. zu dem Ergebnis gelangt sind, dass eine Berufskrankheit nach Nr.
2108 der Anlage zur BKV vorliegt, verneinen dies Dr. G., Dr. L., Dr. K. und zuletzt auch Dr ... Dr. diskutiert eingehend
mögliche Konkurrenzursachen. Er kommt wie Dr. D. und Dr. K. zu dem Ergebnis, dass drei ursächliche Faktoren
vorhanden sind: neben der beruflichen Exposition eine lumbale Skoliose und eine Wirbelgleiten
(Spondylolyse/Spondylolisthese). Als Konkurrenzursachen scheiden sowohl Arthrosis interspinosa Baastrup als auch
eine Ott-Forestier-Erkrankung aus.
Als konkurrierende Ursachen sind deshalb nur zu diskutieren die Skoliose sowie die Spondylolisthesis (Wirbelgleiten).
Ferner sind Schäden an der HWS und BWS zu bewerten. Dies wurde von allen im sozialgerichtlichen Verfahren
beteiligten Gutachtern diskutiert und von dem Sachverständigen Dr. im Rahmen der Anhörung nochmals bekräftigt.
Bei der Skoliose ist dieser von einer tief sitzenden Lumbalskoliose ausgegangen; ob diese Skoliose jedoch
tatsächlich seit Kindheit/Jugend bestand, kann nicht sicher belegt werden. Auf der vorliegenden Röntgenaufnahme
aus dem Jahre 1998 lässt sich keine Skoliose erkennen, d.h. die Wirbelsäule ist gerade abgebildet. Aus der
Aufnahme aus dem Jahre 1995 kann allenfalls ein Verdacht auf eine Skoliose abgeleitet werden. Es spricht damit
mehr gegen das Vorliegen einer Skoliose oder gar einer tief sitzenden Skoliose als Sonderform der Skoliose. Selbst
bei Annahme einer Skoliose ist diese jedoch nur von leichter Ausprägung (Cobb-Winkel bis 20 Grad), so dass diese
nicht als konkurrierender Faktor gegen eine vermehrte berufliche Schädigung angesehen wird, wie dies z.B. Dr. D.
unter Bezugnahme auf die Konsensempfehlungen - Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten
Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule (Konsensempfehlung von Bolm-Audorff u.a., veröffentlicht in: Trauma und
Berufskrankheit 3 (2005), 211, 216 ff, 228 ff) darlegt, so dass sich der Senat der Ansicht anschließt, dass insofern
keine Konkurrenzursache gegeben ist.
Ähnlich verhält es sich bei dem Wirbelgleiten. Aus den vorliegenden Röntgenaufnahmen lässt sich nur ein Grad I nach
Meyerding belegen. Erstmals dokumentiert ist dies ab dem 34. Lebensjahr. Dr. D. und Dr. bestätigen
übereinstimmend, dass eine derartige Form der Spondylolisthesis nach den Konsensempfehlungen nicht als
Konkurrenzursache zu sehen ist. Vom Vorliegen einer Konkurrenzursache kann daher ebenfalls nicht ausgegangen
werden. Über eine durch die Spondylolisthese hervorgerufene Instabilität in den Segmenten LWK 4/5 und LWK 5/SWK
1 kann bei fehlenden Funktionsaufnahmen in Beugung und Streckung nur spekuliert werden.
Auch nach der Fachliteratur (z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 505)
ist eine Spondylisthesis mit Spondylolyse Typ Meyerding I nicht als konkurrierende Ursache zu einer Berufskrankheit
nach Nr. 2108 anzusehen. Eine strukturelle Lumbalskoliose mit Bandscheibenschaden L 4/5 oder L5/S1 kann auch
nach der Fachliteratur bei einem Grad 10 bis unter 25 nach Cobb nicht als konkurrierende Ursache in Betracht
kommen. Auch ein Morbus Forestier scheidet als Konkurrenzursache aus.
Der derzeitige wissenschaftliche Stand zu Fragen der Anerkennung als Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur
BKV wird durch die sog. Konsensempfehlungen wiedergegeben, auf die sich gemäß Gutachtensauftrag auch Dr.
stützte. Entgegen der Darlegung der Beklagten hat diese darüber hinaus nicht nur Dr. K. bei seinem Gutachten
berücksichtigt, sondern, wie eben dargelegt, auch Dr. D. - dieser auch bereits in seinem Gutachten vom 13. Juli 2006.
Demgegenüber ist Dr. K. den Konsensempfehlungen gerade nicht gefolgt; er hat zwar die Darlegung von Dr. D.
bestätigt, jedoch diese Aussage jeweils einer kritischen Wertung unterzogen mit dem Ergebnis, dass sowohl die
Skoliose als auch das Wirbelgleiten als konkurrierende Ursache zu berücksichtigen sei. Da das Gutachten jedoch
ausdrücklich von den Konsensempfehlungen abweicht, die den derzeit herrschenden Meinungsstand der
arbeitsmedizinischen Wissenschaft zu dem medizinischen Beurteilungskriterien bei bandscheibenbedingten
Berufskrankheiten der LWS darstellen, folgt der Senat der Argumentation dieses Sachverständigen nicht.
Entscheidend für Dr. sind, unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen, aber die degenerativen Veränderungen
an der HWS, die stärker als bei der LWS ausgeprägt sind. Es finden sich an der HWS multiple Chondrosen, vor allem
an den Segmenten C 3/4, C 4/5 und C 5/6. Die Chondrosen weisen einen Grad II bei C 5/6 bzw. im Übrigen von I - II
auf. Der Befund geht über den alterstypischen Befund hinaus. Demgegenüber gehen die Begleitspondylosen im
Bereich der LWK 1/2 und 2/3 nicht über das Altersmaß hinaus. Die bestehenden Protrusionen haben dort keine
neurologischen Begleiterscheinungen.
Diese degenerativen Veränderungen, die an der HWS deutlich die an der lumbalen Wirbelsäule übertreffen, deuten
aber auch nach Dr. K. auf das Vorliegen einer zumindest gleichwertigen endogenen Verursachung hin. Die
Veränderungen im Bereich der HWS übertreffen auch nach seiner Einschätzung deutlich die Altersnorm. Er
diagnostizierte ebenfalls eine Osteochondrose C 3/4 und C 4/5 bei Blockwirbelbildung C 5/6. Er weist ferner darauf
hin, dass die lumbalen Bandscheibenveränderungen wie Spondyloselänge und Zwischenwirbelraumsinterung die
Altersnorm nicht übersteigen.
Dr. D. argumentiert demgegenüber, dass bevorzugt in den unteren LWS-Segmenten eine Osteochondrose besteht.
Die Spondylose findet sich danach eher in den oberen LWS-Segmenten unter Einbeziehung der untersten BWS-
Etagen. Dies spricht nach Ansicht des Sachverständigen dafür, dass der Kläger Belastungen unterlag, die eine
Adaption auslösten und somit prinzipiell auch als potenziell schädigungsrelevant eingeordnet werden müssen.
Allerdings hat auch Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme, bei der er insbesondere auf das Gutachten des Dr.
eingegangen ist, ausdrücklich auf ausgeprägte Degenerationen der HWS hingewiesen und im Ergebnis seine MdE-
Bewertung von 20 v. auf 10 v. abgesenkt.
Prof. Dr. E. bestätigte ebenfalls das Vorliegen von HWS-Erkrankungen in Form einer Osteochondrose,
Spondylarthrose mit osteophytären Randzackenausbildungen HWK 3 bis 6. Er bejaht wie Dr. D. das Vorliegen einer
Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV und weist darauf hin, dass die bestehenden
Bandscheibenprotrusionen, aber auch die vorhandene Osteochondrose, Spondylarthrose von L 4 bis S 1 sowie die
vorhandene Pseudospondylolisthesis L 5 bis S 1 röntgenologisch nachgewiesene Überlastungszeichen sind.
Allerdings setzt er sich in diesem Zusammenhang nicht mit der Bedeutung der HWS-Schädigungen auseinander,
obwohl er im Rahmen der Beurteilung einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 ausführte, dass es sich im Bereich der
HWS um röntgenologisch nachgewiesene degenerative HWS-Veränderungen mit diskreter klinischer
Funktionseinschränkung handelt.
Auch Dr. L. verneint das Vorliegen der Berufskrankheit und bezieht sich vor allem auf Spaltbildungen im Wirbelkörper
L4, L5 und den Wirbelbögen L5 mit nachfolgender Verschiebung des Wirbelkörpers. Er beurteilt dies als eine
angeborene Normvariante im Sinne einer Defektbildung. Auch könne der Nachweis eines "altersvorauseilenden
Schadens" im Sinne einer Linksverschiebung nicht geführt werden. Die Verschleißveränderungen seien als
mäßiggradig einzustufen. Schließlich ist auch für Dr. L. von Bedeutung, dass im Bereich der HWS
Verschleißveränderungen nachgewiesen wurden. Nach seinen Feststellungen ist die Voraussetzung, dass der
exponierte Wirbelsäulenabschnitt deutlich stärker vom Verschleiß betroffen ist als die nicht exponierten Abschnitte,
nicht erfüllt.
Nach der Fachliteratur (z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 502) kann ein Befall der HWS oder BWS je
nach Fallkonstellation gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen. Maßgeblich für den ggf. erforderlichen
Vergleich des Degenerationszustandes der Wirbelsäulenabschnitte sind nur Chondrosen und Vorfälle, während
Spondylosen an den belastungsfernen Wirbelabschnitten die Indizwirkung einer altersuntypischen Degeneration an der
LWS nicht in Zweifel ziehen. Hinsichtlich der degenerativen Veränderungen an der HWS verweist die Fachliteratur
ebenfalls auf die Konsensempfehlungen. Danach sind Bandscheibenschäden an der HWS, welche gleich stark oder
stärker ausgeprägt sind als an der LWS, bei der Abwägung ein deutliches Indiz gegen eine beruflich bedingte LWS-
Erkrankung - auch wenn es sich nicht um ein Ausschlusskriterium handelt (Konsensempfehlungen, zu den
Konstellationen B5, B6, B8 und C4).
Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, dass bei Anwendung der Konsensempfehlungen keine wesentlichen
konkurrierenden Ursachenfaktoren gegeben sind und zumindest von Dr. überzeugend dargelegt wurde, dass eine
Begleitspondylose nicht vorliegt. Nach der Konstellation B 5 ist danach ein Zusammenhang der LWS-Erkrankung mit
der beruflichen Tätigkeit nicht wahrscheinlich, da die Bandscheibenschäden an der HWS des Klägers stärker
ausgeprägt sind als an der LWS. Dies gilt auch bei Annahme einer Begleitspondylose gemäß der Konstellation B 8. In
diesen Fallkonstellationen sprechen die stärkeren, endogenen HWS-Schäden gegen einen beruflich verursachten
LWS-Schaden. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Mischform ergeben sich aus den vorliegenden Gutachten nicht.
Eine weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung war nicht mehr geboten. Es liegt eine Vielzahl von Gutachten vor,
die zwar nicht alle deckungsgleich sind, jedoch die Komplexität des medizinischen Sachverhalts würdigen. Dabei
verkennt der Senat nicht, dass es sich um ein sehr schwierig zu bewertendes Krankheitsbild bei dem Kläger handelt.
Es ist aber Aufgabe des Senats, die medizinischen Gutachten zu bewerten und anhand der Hinweise und Indizien den
Kausalzusammenhang rechtlich zu beurteilen. Da auch nach Angaben des Klägers keine weiteren
Röntgenaufnahmen, vor allem aus der Kinder- oder Jugendzeit, vorgelegt werden können, ist der medizinische
Sachverhalt aufgeklärt.
Die Berufung war daher im Hauptantrag zurückzuweisen. Aber auch dem Hilfsantrag auf Anhörung des
Sachverständigen Dr. D. war nicht nachzukommen. Der Senat hatte den Sachverständigen Dr. geladen, damit dieser
sein Gutachten erläutert (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 411 Abs. 3 Zivilprozessordnung). Dabei handelte
es sich um den vom Kläger nach § 109 SGG benannten Gutachter. Zu diesem Gutachten hatte der Senat bereits eine
ergänzende Stellungnahme des Dr. D. vom 23. August 2010 eingeholt, der sogar eine erneute ambulante
Untersuchung des Klägers vorgenommen hat. Die Stellungnahme setzte sich fast ausschließlich mit dem Gutachten
des Dr. auseinander. Der D. bestätigte dabei zum einen "die ausgeprägte Degeneration der Halswirbelsäule", zum
anderen stimmte er der Darlegung des Dr. bei, dass insgesamt drei Faktoren (Skoliose, Spondylolisthese, berufliche
Exposition) ursächlich für die Gesundheitsschädigung der LWS waren. Durch die Erläuterung seines Gutachtens in
der mündlichen Verhandlung hat Dr. keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht, sondern lediglich seine systematische
Vorgehensweise und seine Bewertungen vor allem anhand der Konsensempfehlungen nochmals dargelegt. Insoweit
ist auch auf die abschließende Äußerung des Dr. D. in der Stellungnahme hinzuweisen, dass er aus jetziger Sicht
keine weiteren Ausführungen mehr machen kann. Darüber hinaus wird durch den Hilfsantrag nicht deutlich, zu
welchen konkreten, bislang nicht berücksichtigten Gesichtspunkten eine erneute Äußerung des Dr. D. erfolgen könnte
bzw. sollte, zumal dieser sich, wie dargelegt, zur Bedeutung der HWS-Schäden zuletzt auch in der vorliegenden
Stellungnahme geäußert hat. Einem Beweisantrag, der auf Anhörung zu dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung
gerichtet ist, fehlt bereits das konkrete Beweisthema, und dieser beschreibt nicht, was die Beweisaufnahme ergeben
soll (zum Ganzen: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 160 Rdnr. 18 a m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass auch die Berufung ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.