Urteil des LSG Bayern vom 18.04.2007

LSG Bayern: wiederkehrende leistung, rechtsmittelbelehrung, fax, umdeutung, berufungssumme, absicht, entlastung, beitragsberechnung, rechtsmittelfrist, verwaltungsakt

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 2 P 76/05
Bayerisches Landessozialgericht L 2 P 28/06
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 22. Mai 2006 wird als unzulässig
verworfen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Recht- und Verfassungsmäßigkeit der Erhebung eines Beitragszuschusses von 0,25 v.H. ab 1. Januar
2005 für kinderlose Versicherte nach Vollendung des 23. Lebensjahres gemäß § 55 Abs. 3 des Elften Buchs des
Sozialgesetzbuchs (SGB XI).
Der 1960 geborene Kläger ist als landwirtschaftlicher Unternehmer seit 1. Januar 1995 bei der Beklagten
pflegeversichert. Mit Widerspruch vom 3. Januar 2005 wandte er sich gegen die Einführung und Anwendung eines
erhöhten Beitragszuschlags ab 1. Januar 2005 in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Dieser stoße auf verfassungs-
und europarechtliche Bedenken. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2005
zurück. Das Gesetz zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung
(Kinder-Berücksichtigungsgesetz - KiBG) sehe vor, dass ab 1. Januar 2005 für Kinderlose in der sozialen
Pflegeversicherung ein Beitragszuschlag von 0,25 v.H. zu erheben ist (§ 55 Abs. 3 SGB XI). Entsprechend dieser
Bestimmung habe die Beklagte ab 1. Januar 2005 einen um 2,03 Eur erhöhten Pflegeversicherungsbeitrag erhoben.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Regensburg mit Gerichtsbescheid vom 22. Mai 2006 ab. Der
Kläger habe das 23. Lebensjahr vor dem 1. Januar 2005 vollendet und eine Elterneigenschaft nicht nachgewiesen. Die
Beklagte habe deshalb zu Recht nach § 55 Abs. 3 SGB XI den Beitragszuschlag erhoben. Verfassungsrechtliche
Bedenken gegen diese Regelung bestünden nicht. Mit dieser Regelung habe der Gesetzgeber auf eine Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) reagiert. Der Gesetzgeber sei dabei befugt gewesen, dem Auftrag des
BVerfG durch eine Erhöhung des Beitragssatzes mittels eines Beitragszuschlages für Mitglieder ohne Kinder statt
durch eine Beitragsermäßigung für Mitglieder mit Kindern Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber verfüge dabei über
einen großen Spielraum. Die Rechtsmittelbelehrung verwies auf die Möglichkeit der Berufung.
Zur Begründung der Berufung wiederholte der Kläger grundsätzliche Bedenken und Einwände gegen die Erhebung
eines Beitragszuschlages für kinderlose Versicherte. Es sei zudem keine ausreichende Sach- und Rechtsprüfung
vorgenommen worden, obwohl das Sozialgericht über seine krankheits- und unfallbedingte Verhinderung informiert
gewesen sei. Er beantragte das Ruhen bzw. die Aussetzung des Verfahrens bis zur höchstrichterlichen Entscheidung
in einem anhängigen Musterklageverfahren vor dem Sozialgericht Duisburg. Er sei ernsthaft erkrankt und behindert.
Der ihn diskriminierende und selektiv mehrbelastende Beitragszuschlag sei verfassungs- und rechtswidrig.
Krankheitsbedingt könne jedoch derzeit eine weitere Begründung nicht erfolgen.
Die Beklagte beantragte, die Berufung zurückzuweisen, und stimmte einem Ruhen des Verfahrens nicht zu.
In der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2007, bei dem der Kläger nicht anwesend war, wies der Senat darauf
hin, dass die Berufung gegen den Gerichtsbescheid entgegen der dortigen Rechtsmittelbelehrung nicht zulässig ist.
Der Kläger verwies mit Fax vom 15. April 2007 auf seine Erkrankung, Behinderung und Einschränkungen. Zunächst
seien die ärztlich angeordneten Behandlungen durchzuführen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 22. Mai 2006 aufzuheben und die Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 1. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2005 zu
verurteilen, ab 1. Januar 2005 den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung ohne einen Beitragszuschlag von 0,25 v.H.
zu erheben.
Hilfsweise beantragt er, den Rechtsstreit auszusetzen und dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 22. Mai 2006 zu verwerfen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten, die
Gerichtsakte des Sozialgerichts Regensburg sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung
auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).
Gründe, den Rechtsstreit zu vertagen, lagen nicht vor, insbesondere ergeben sich diese auch nicht aus dem Fax vom
15. April 2007. Eine akute Erkrankung des Klägers, die es ihm nicht ermöglicht, an dem Termin persönlich zu
erscheinen, ist nicht durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen. Der Kläger verweist hierzu lediglich in allgemeiner
Form auf die Folgen von Betriebsunfällen aus den Jahren 2005 und 2006. Hieraus ergeben sich für den Senat auch
keine Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers (§ 71 SGG). Soweit sich aus den Ausführungen des Klägers ergibt,
er könne aus gesundheitlichen Gründen zu der Komplexität der Rechtsfrage gegenwärtig nicht in der notwendigen
Weise Stellung nehmen, ist dies vorliegend nicht von Belang, da die Berufung bereits unzulässig ist und verfassungs-
oder europarechtliche Fragen nicht zu erörtern sind.
Nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung nur dann keiner besonderen Zulassungsentscheidung, wenn
der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf
gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500 EUR übersteigt. Abzustellen ist dabei auf die tatsächliche Beschwer. Der
Streitwert aus dem Beitragsbescheid beträgt vorliegend monatlich 2,03 EUR, ausgehend von den
Beitragsunterschieden für 12 Monate somit 24,36 EUR. Die Berufungssumme würde somit erst in ca. 20 Jahren
erreicht werden.
Der Rechtsstreit betrifft vorliegend keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen im Sinne des § 144 Abs. 1 S. 2
SGG. Leistungen sind wiederkehrend oder laufend, wenn sie auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig
erbracht oder erhoben werden. Soweit hierunter auch Leistungen gerechnet werden, die die Körperschaften vom
Einzelnen fordern (BSG SozR 3-1500 § 144 Nr. 16), wie dies bei Beiträgen grundsätzlich der Fall ist, ist vorliegend
allein ein Beitragszuschlag streitig. Die Beschwer des Rechtsstreits ist auf diesen Teil abgrenzbar. Absicht des
Gesetzgebers war es, eine hinreichende Gewähr dafür zu schaffen, dass nur berufungswürdige Fälle an das
Landessozialgericht gelangen können (BT-Drucks. 12/1217 zu Art. 7 Nr. 6, S. 51). Erkennbar stellte der Gesetzgeber
auf die Beschwerdewerte ab. Zur Entlastung der Berufungsgerichte sollte künftig bei Streitsachen mit geringem Wert
nur dann der Zugang zur Berufungsinstanz eröffnet werden, wenn das Sozialgericht oder auf Beschwerde das
Landessozialgericht die Berufung ausdrücklich zugelassen hat (BT-Drucks., a.a.O., S. 52). Insofern ist vor diesem
Hintergrund im Einzelnen zu prüfen, ob tatsächlich eine wiederkehrende Leistung vorliegt (zur Verneinung einer
wiederkehrenden Leistung bei Säumniszuschlägen aus Beiträgen: BSG, a.a.O.). Der Kläger beanstandet nicht die
Beitragsberechnung bzw. die Berechnung des Zuschlags als solche, sondern bezweifelt allein die
Verfassungsmäßigkeit des Zuschlages. Es geht ihm nicht um die sehr geringfügige monatliche Beschwer, sondern
um die Klärung einer grundsätzlichen Frage. Hierfür sah der Gesetzgeber die Möglichkeit der Zulassung der Berufung
gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG vor. Die somit erforderliche Zulassung der Berufung ist im Urteil des Sozialgerichts
weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen erfolgt. Allein aus der Rechtsmittelbelehrung, die auf die
Möglichkeit der Berufung hinweist, lässt sich die Zulassung der Berufung nicht ableiten (z.B. BSG v. 09.12.2004, Az.:
B 1 KR 95/03 B unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung; BSGE 5, 92, 95; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., §
144 Rdnr. 40).
Zwar mag eine grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG anzunehmen sein,
doch kommt eine Umdeutung der unstatthaften Beschwerde in eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 145 SGG
nicht in Betracht (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 145 Rdnr. 2 a; BSG v. 27. April 2004, Az. B 7 AL 104/03 R m.w.N.;
Bayer. Landessozialgericht, Urteil v. 7. Juli 2006, Az.: L 8 AL 452/05 unter Hinweis auf die unterschiedliche
Zielrichtung der beiden Verfahren). Die Umdeutung einer unzulässigen Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde
ist auch dann unzulässig, wenn der Rechtsmittelführer nicht rechtskundig vertreten ist (BSG v. 20. Mai 2003, Az.: B 1
KR 25/01 R in Fortführung von BSG v. 19. November 1996, SozR 3-1500 § 158 Nr. 1). Insoweit kommt ausschließlich
§ 66 SGG zum Zuge, der verhindert, dass die einmonatliche Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.