Urteil des LSG Bayern vom 14.09.2004

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.09.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 2 KR 31/02
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 248/03
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18. September 2003 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, Kosten in Höhe von insgesamt 20.000,00 EUR zu erstatten, die dem
Kläger für eine Operation in Finnland entstanden sind.
Der 1952 geborene Kläger ist bei der Beklagten pflichtversichert. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.L.
bestätigte am 15.03.2001, beim Kläger sei 1976 bzw. 1977 wegen ausgeprägten Schwitzens im Gesicht und oberen
Thoraxbereich eine Sympathikusdurchtrennung durchgeführt worden. Hierdurch sei eine erhebliche Verschlimmerung
der Hyperhidrosis eingetreten, aus psychiatrischer Sicht sei wegen des erheblichen Leidensdrucks - der Kläger wird
auch wegen Depression behandelt - eine operative Wiederherstellung der Ausgangssituation indiziert. Der Kläger teilte
hierzu der Beklagten mit, er habe durch Dr.S. von der Uniklinik E. erfahren, dass es vielleicht weltweit einen Arzt
gebe, der ihm helfen könnte. Es handele sich um Dr.T. T. aus Finnland. Dr.T. habe ihm versichert, die Operation
gelinge wahrscheinlich. Dr. T. bestätigte der Beklagten, er sei der einzige Arzt in der Welt, der die
Nervenrekonstruktion wegen solcher Situationen mit etwas Erfolg gemacht habe. Die Methode könnte dem Kläger
möglicherweise etwas Linderung geben. Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der
Krankenversicherung (MDK) in Bayern (Internist Dr.P.) stellte am 03.05.2001 fest, eine halbwegs befriedigende
Begutachtung sei nicht ohne weitere ärztliche Befundberichte möglich. Am 16.05.2001 fand die Operation in Finnland
statt. Davon erfuhr der MDK erstmals am 03.08.2001. Der Kläger legte darüber einen Report der "P. Clinic" Finnland
vom 17.08.2001 vor. Er habe nach der Operation sofort Erleichterung beim Schwitzen empfunden. Nach drei Monaten
müsse festgestellt werden, der Erfolg der Operation sei außerordentlich gut gewesen.
Der MDK kam im Gutachten nach Aktenlage vom 11.09.2001 zusammengefasst zu dem Ergebnis, der geplante
Eingriff sei medizinisch nicht indiziert, die Erfolgsaussicht übereinstimmend von allen chirurgischen und neurolgischen
Gesprächspartnern als sehr gering bis fehlend eingeschätzt. Es sei nicht geklärt worden, ob solche Eingriffe auch im
Geschäftsgebiet der gesetzlichen Krankenkassen durchgeführt würden. Technisch dürfte dies auf jeden Fall in
thoraxchirurgischen Kliniken möglich sein. Wenn es nicht gemacht werde, dann deshalb, weil ein befriedigender
Nachweis der Wirksamkeit solcher Eingriffe nicht vorliege. Der Kasse könne die Übernahme der Aufwendungen für
den Eingriff nicht empfohlen werden.
Die Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 08.10.2001 eine Kostenübernahme für die stationäre Behandlung in
Finnland ab- gelehnt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2002 zurückgewiesen.
Hiergegen richtete sich die Klage zum Sozialgericht Regensburg, zu deren Begründung die Bevollmächtigten des
Klägers vortragen, die Operation sei erfolgreich gewesen. Wegen des erheblichen Leidensdrucks sei dem Kläger ein
weiteres Zuwarten nicht möglich gewesen , zumal die Beklagte ihre abweisende Haltung bereits ausreichend deutlich
gemacht habe. Es wurde zusätzlich ein nervenärztliches Attest des Dr.L. vom 21.10.2002 vorgelegt, worin
bescheinigt wird, für den Kläger sei die in Finnland durchgeführte Sympathikusoperation medizinisch notwendig
gewesen und habe nur dort von dem behandelnden Spezialisten durchgeführt werden können. Eine Behandlung in
Deutschland sei nicht möglich gewesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.09.2003 gab der Kläger an, er habe den Operationstermin Anfang März
2001 ausgemacht. Er habe nach der Antragstellung, aber noch vor der Operation, mit dem MDK telefoniert, wobei ihm
dessen ablehnende Meinung mitgeteilt worden sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. September 2003 abgewiesen. Rechtsgrundlage für die begehrte
Kostenerstattung sei § 18 Abs.1 Satz 1 SGB V. Soweit der Kläger die Erstattung der ihm entstandenen Kosten für
den Eingriff am 16.05.2001 begehre, scheitere sein Begehren schon daran, dass diese Kosten bereits vor der
Entscheidung der Beklagten über die begehrte Kostenübernahme entstanden waren. Der Kläger hätte die
Entscheidung der Beklagten abwarten müssen. Die Beklagte sei nicht verspätet in die Prüfung eingetreten, da vom
Kläger in seinem Antragsschreiben vom 22.03.2001 die Vorlage weiterer Unterlagen angekündigt worden war, solche
aber erst am 30.04.2001 bei der Beklagten eingingen, die die Unterlagen umgehend an den MDK weitergeleitet habe.
Der Kläger hätte die erforderliche Genehmigung abwarten müssen. Dieses Genehmigungserfordernis verstoße auch
nicht gegen Europarecht, der EuGH habe wiederholt entschieden, dass bei einer Krankenhausversorgung in einem
EU-Ausland das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung gerechtfertigt ist. Die Behandlung sei außerdem nicht
erforderlich gewesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung. Die Bevollmächtigten des Klägers tragen zu deren Begründung vor, für
den Kläger könne nicht gelten, dass er die Prüfung durch die Beklagte vor der Operation hätte abwarten müssen. Dem
Kläger sei vom MDK eindeutig signalisiert worden, dass eine positive Entscheidung nicht zu erwarten sei. Das
Erstgericht hätte sich daher doch mit der Frage der medizinischen Erforderlichkeit der Behandlungsmaßnahme bzw.
mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Möglichkeit einer Inlandsbehandlung gegeben war oder nicht. Dem
Kläger könne auch nicht vorgehalten werden, dass er bereits am 22.03.2001 einen Termin vereinbart habe. Termine
könnten geändert werden. Außerdem sei der Leidensdruck beim Kläger immens gewesen.
Es sei auch nicht unstreitig, dass vor einem im Ausland durchgeführten Eingriff grundsätzlich eine ärztliche
Verordnung nötig sei. Das Attest des Neurologen Dr.L. vom 15.03.2001 müsse als ausreichend betrachtet werden.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.09.2003 und den
zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom 08.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
12.02.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 20.000,00 EUR für die gesamte Behandlung in
der P. Clinic in Finnland zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Widerspruchsbescheid und die nach ihrer Meinung überzeugenden Entscheidungsgründe des
Urteils des Sozialgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten
beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht
der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.
Der Kläger hat keinen Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte. Auf EG-Recht lässt sich das Klagebegehren
nicht stützen. Einschlägig sind insoweit die Regelungen der EWG-VO 1408/71. Nach Art.22 Abs.1 Buchst.c EWG-VO
1408/71 hat ein Versicherter, der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines
anderen Mitgliedstaates zu begeben, dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, Anspruch auf
Sachleistungen, die der Träger des Aufenthaltsorts nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Regelung des
zuständigen Trägers gewährt (sog. Leistungsaushilfe). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Regelungsgehalt
des Art.22 Abs.1 EWG-VO 1408/71 auf den Fall der Sachleistungsaushilfe in einem anderen Mitgliedsstaates zu den
Bedingungen dieses Staates beschränkt (EuGH vom 12.07.2001 - SozR 3-6030 Art.59 Nr.6, vom 13.05.2003 - C
385/99 oder BSG vom 09.10.2001, SozR 3-2500 § 18 Nr.8). Alleiniges Ziel der Regelung ist es danach, dem
Versicherten die erforderliche Auslandsbehandlung als Sachleistung, also kostenfrei, zur Verfügung zu stellen. Eine
Erstattung der Kosten für eine im Ausland ohne Genehmigung selbstbeschaffte Behandlung zu den Sätzen, die im
Versicherungsstaat gelten, wird dadurch nicht ausgeschlossen, sofern das nationale Recht eine derartige Erstattung
vorsieht.
Das nationale deutsche Recht lässt im vorliegenden Fall eine Kostenerstattung nicht zu. § 16 Abs.1 Nr.1 SGB V
bestimmt als Grundsatz, dass der Anspruch auf Leistungen bei Auslandsaufenthalt ruht. Lediglich dann, wenn eine
dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland
möglich ist, kann die Krankenkasse gemäß § 18 Abs.1 SGB V ausnahmsweise die Kosten der erforderlichen
Behandlung ganz oder teilweise übernehmen (BSG a.a.O.). Eine Kostenerstattung gemäß § 18 SGB V scheitert
bereits daran, dass der Kläger die Kostenübernahme nicht vorher beantragt hat. Hierzu hat das Bundessozialgericht
im Urteil vom 03.09.2003 (SozR 4-2500 § 18 Nr.1) entschieden, dass die Krankenkasse Kosten einer
Auslandsbehandlung nur übernehmen darf, wenn der Versicherte dies vorher beantragt und die Entscheidung der
Kasse abgewartet hat. Der Kläger hat die Entscheidung der Beklagten nicht abgewartet. Er hat vielmehr, wie das
Sozialgericht zutreffend ausführt, das Datum der Operation vor Antragstellung mit dem Behandler in Finnland
vereinbart. Dem Sozialgericht ist auch insoweit zu folgen, dass es dem Kläger zumutbar war, die Entscheidung der
Krankenkasse abzuwarten. Es lag kein Notfall vor. Die Beschwerden - inwieweit sie den Kranheitsbegriffen des SGB
V unterlagen, kann hier offen bleiben - des Klägers bestanden seit Jahren. Schließlich kann auch der Beklagten nicht
vorgeworfen werden, den Antrag verspätet bearbeitet zu haben. Die Beklagte hatte gemäß § 275 Abs.2 Nr.3 SGB V
durch den Medizinischen Dienst die Kostenübernahme einer Behandlung im Ausland prüfen zu lassen. Diese Prüfung
hat sie umgehend veranlasst, der MDK hat ebenso umgehend weitere Unterlagen angefordert, die vom Kläger erst
nach dem Eingriff vorgelegt worden sind.
Weil also der Kläger die Entscheidung der Beklagten nicht abgewartet hat, braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob
die Auslandsbehandlung erforderlich oder wissenschaftlich anerkannt war.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen des Klägers.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben.