Urteil des LSG Bayern vom 20.09.2007

LSG Bayern: wohnsitz in der schweiz, befreiung von der versicherungspflicht, treu und glauben, aufenthalt im ausland, behandlung im ausland, krankenversicherung, unternehmen, europäisches recht

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.09.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 9 KR 89/01
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 246/05
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31. Mai 2005 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin in der Zeit vom 12.04.1996 bis 31.05.2002 bei der Beklagten versichert war.
Die 1942 geborene Klägerin ist seit 12.04.1996 Eigentümerin des land- und forstwirtschaftlichen Unternehmens A. mit
knapp 70 ha Wald. Sie lebt in Z. und hat in der streitgegenständlichen Zeit dort ihren Hauptwohnsitz gehabt und als
Lehrerin gearbeitet. Sie war bei der S. Gesundheitsorganisation in der Schweiz krankenversichert. Nach ihren
Angaben besteht in der Schweiz eine gesetzliche Verpflichtung zum Krankenversicherungsschutz mit der Möglichkeit,
freiwillige Zusatzleistungen zu versichern. Von dieser Möglichkeit habe sie Gebrauch gemacht.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 28.11.2000 festgestellt, die Klägerin sei ab 12.04.1996 als landwirtschaftliche
Unternehmerin, deren Unternehmen die Mindestgröße im Sinne des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte
erreicht, bei ihr kranken- und pflegeversichert. Sie forderte für die Zeit vom 12.04.1996 bis 31.10.2000 Beiträge zur
Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 7.586,85 DM nach und ab 01.11.2000 Beiträge von insgesamt 146,94
DM monatlich. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie ausführte, es sei zwar richtig,
dass sie seit 12.04.1996 Eigentümerin des Besitzes A. sei, sie lebe aber ständig im Ausland und sei auch dort
krankenversichert. Eine doppelte Krankenversicherung sei nicht zumutbar. Eine Pflichtversicherung, die keine
Behandlung im Ausland ermögliche, sei außerdem ein Anachronismus. Der Widerspruch wurde mit
Widerspruchsbescheid vom 28.02.2001 zurückgewiesen. Die Klägerin sei gemäß § 2 Abs.1 Nr.1 KVLG 1989 Kraft
Gesetzes in der Krankenversicherung der Landwirte als Unternehmerin versichert, weil das Unternehmen die
Mindestgröße im Sinne des § 1 Abs.5 ALG erreiche. Die Mitgliedschaft entfalle nach § 3 Abs.1 KVLG 1989 nur dann,
wenn nach anderen gesetzlichen Vorschriften für den Fall der Krankheit eine vorrangige Versicherungspflicht gegeben
sei. Hierzu habe das Bundessozialgericht bereits mit Urteil vom 09.02.1984 (12 RK 11/82) entschieden, dass
ausländische Rechtsvorschriften keine gesetzlichen Vorschriften im Sinne des § 3 Abs.1 Satz 1 KVLG 72 bzw. 89
seien. Deshalb führe die Krankenversicherung in der Schweiz, die zwar im Wesentlichen die gleichen Leistungen wie
die LKK erbringe, nicht zum Wegfall der Versicherungspflicht. Im Abkommen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Schweiz über soziale Sicherheit sei keine Regelung zur vorliegenden Falllage getroffen. Es finde
Artikel 5 des Abkommens Anwendung, dessen Abs.1 bestimme, dass, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit im
Gebiet einer Vertragspartei ausgeübt werde, gelten für die Pflichtversicherung die Rechtsvorschriften dieser
Vertragspartei. In der Bundesrepublik bestehe keine ausschließende Vorrangversicherung. Die Klägerin sei
landwirtschaftliche Unternehmerin, weil sie auch während ihres Auslandaufenthaltes ihr landwirtschaftliches
Unternehmen auf ihre Rechnung weiterführen lasse und das Risiko für ihren landwirtschaftlichen Betrieb behalten
habe. Das BSG habe auch mit Urteil vom 17.08.2000 - B 10 KR 2/99 R Breith 01, 31 bei einem Kläger, der sein
landwirtschaftliches Unternehmen mit insbesondere forstwirtschaftlichen Flächen im Inland bewirtschafte und seinen
Wohnsitz in den USA hat, Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer festgestellt. Die rückwirkende
Beitragserhebung ab 12.04.1996 verstoße nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Nach ständige
Rechtsprechung könne grundsätzlich jede Beitragsforderung zu Recht geltend gemacht werden, die noch nicht
verjährt sei. Die vom Unternehmer selbst zu tragenden Beiträge könnten deshalb nachgefordert werden und seien von
der Klägerin zu zahlen.
Gegen diesen Bescheid richtete sich die am 06.04.2001 beim Sozialgericht eingegangene Klage, zu deren
Begründung die Klägerin vortrug, die Beklagte übersehe bei ihrer Entscheidung den Sinn und Zweck einer
gesetzlichen Krankenversicherung und kehre diesen im Ergebnis in sein genaues Gegenteil um. Der Forstbesitz in A.
sei nicht ihre Existenzgrundlage. Sie sei keine Unternehmerin und habe keine Aufträge im Wald erteilt, sondern habe
den gesamten Wald an einen eigenständigen Forstunternehmer übertragen, der in eigener Regie die Waldarbeiten
durchführt und auf eigene Rechnung das Holz verkauft habe. Der Forstunternehmer sei selbst bei der LKK versichert.
Diese Form der Bewirtschaftung sei wirtschaftlich gleichzustellen mit einer Verpachtung des Waldes und führe zu
einer Befreiung von der Versicherungspflicht. Ihre Schweizer Krankenversicherung decke jeden Krankheitsfall in der
ganzen Welt, soweit sie bei Aufenthalten in Deutschland ärztliche Hilfe in Anspruch genommen habe, habe die
schweizer Krankenversicherung bezahlt. Im Laufe des Sozialgerichtsverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom
11.08.2003 festgestellt, dass die Mitgliedschaft der Klägerin als landwirtschaftliche Unternehmerin mit Ablauf des
31.05.2002 beendet war. Für die Zeit vom 01.10.2000 bis 31.05.2002 werden Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung in Höhe von 1.534,52 EUR gefordert.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.05.2005 abgewiesen. Nach § 2 Abs.1 Nr.1 des
Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) sei die Klägerin als Unternehmerin der Land- und
Forstwirtschaft versicherungspflichtig. Das landwirtschaftliche Unternehmen erreiche unstreitig die Mindestgröße im
Sinne des § 1 Abs.5 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Das forstwirtschaftliche
Unternehmen werde von der Klägerin auch über den 31.07.1999 hinaus betrieben. Es sei nicht einer Verpachtung
gleichzusetzen, dass die Klägerin seit 01.08.1999 keine eigenen Arbeitnehmer mehr beschäftige und für
Dienstleitungen, die im Wald zu erbringen sind, einen selbständigen Forstunternehmer beauftragt habe. Die Klägerin
bleibe als Eigentümerin Nutzungsberechtigte. Unerheblich sei auch, dass die Klägerin in der Schweiz auf Grund ihrer
dortigen Tätigkeit versicherungspflichtig ist. Das bis 31.05.2002 geltende Abkommen über soziale Sicherung
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz regele, dass die Rechtsvorschriften der Vertragspartei
gelten, in denen die Tätigkeit ausgeübt wird.
Gegen dieses Urteil richtet sich die am 29.08.2005 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung, zu deren
Begründung die Klägerin vorträgt, es verstoße gegen das Grundgesetz und gegen europäisches Recht, wenn ihr eine
Pflichtversicherung aufgebürdet und gleichzeitig mitgeteilt werde, dass sie wegen des Wohnsitzes im Ausland keinen
Anspruch auf Erstattung von Krankheitskosten habe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 31.05.2005 und den zugrundeliegenden Bescheid der
Beklagten vom 28 11.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2001 aufzuheben, hilfsweise die
Klägerin im streitigen Zeitraum von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das von der Klägerin zitierte Urteil nicht für einschlägig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten
beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf,
ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet
Die Beklagte und das Sozialgericht haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin in der Krankenversicherung der
Landwirte versicherungspflichtig war und verpflichtet ist, Beiträge zu bezahlen. Die Versicherungspflicht ergibt sich
aus § 2 Abs.1 Nr.1 KVLG 1989, wonach Unternehmer der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Wein- und
Gartenbaus sowie der Teichwirtschaft und Fischzucht (landwirtschaftliche Unternehmer), deren Unternehmen,
unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, auf Bodenbewirtschaftung beruht und die Mindestgröße erreicht,
versicherungspflichtig sind. Die Klägerin war in der streitgegenständlichen Zeit Unternehmerin der Forstwirtschaft.
Dass ihr Unternehmen die Mindestgröße erreicht, steht fest und ist unbestritten. Es handelt sich um ein
forstwirtschaftliches Unternehmen, das die Klägerin in Deutschland im Geltungsbereich des SGB selbständig als
Unternehmerin betreibt (§ 2 Abs.3 Satz 1 KVLG 1989). Unternehmer der Forstwirtschaft ist, wer sich
forstwirtschaftlich betätigt. Für die Unternehmereigenschaft spielt keine Rolle, ob die Klägerin eigene Arbeitnehmer
beschäftigt oder selbständige Dienstleister beauftragt. Damit hat die Klägerin, anders als bei einer Verpachtung, die
unternehmerische Entscheidungsmöglichkeit nicht aus der Hand gegeben.
Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 17.08.2000 (a.a.O.) hierzu festgestellt, dass die gemeinsamen
Vorschriften für die Sozialversicherung im SGB IV die Anwendung des § 2 Abs.1 Nr.1 KVLG 1989 auf einen Fall wie
den der Klägerin rechtswirksam vorschreiben. Es führt aus, dass unbeschadet des in § 30 Abs.1 SGB 1 verankerten
Wohnsitzprinzips hier gemäß § 37 Satz 1 SGB I die in § 3 SGB IV aufgestellte Bestimmung des persönlichen und
räumliche Geltungsbereiches anzuwenden ist:
"Die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung gelten,
1. soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im
Geltungsbereich diese Gesetzes beschäftigt oder selbständig tätig sind,
2. soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit nicht voraussetzen, für alle Personen, die ihren
Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich diese Gesetzes haben."
§ 3 SGB IV stellt damit in Fragen der Versicherungspflicht (hier gemäß § 2 KVLG 1989) klar, dass der Wohnsitz oder
ständige Aufenthalt im Ausland u.a. dann nicht den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Entscheidung gibt, ob
deutsches Sozialversicherungsrecht anwendbar ist, wenn eine selbständige Tätigkeit zur Beurteilung steht. Die
Klägerin übt ihre selbständige Tätigkeit als Forstwirtschaftliche Unternehmerin im Geltungsbereich des SGB IV aus.
Für die Abgrenzung des persönlichen und räumlichen Geltungsbereichs der Versicherung bezieht sich § 3 Nr1 SGB IV
auf die gesetzlichen Definitionen, die zur Beschäftigung und selbständigen Tätigkeit in den §§ 7 bis 13 SGB IV
getroffen sind. Eine eigene Bestimmung des Tätigkeitsortes trifft das Gesetz in § 11 SGB IV indessen nicht, sondern
ordnet die entsprechende Geltung der Vorschriften über den Beschäftigungsort an, soweit sich nicht aus § 11 Abs.2
SGB IV Abweichendes ergibt. Eine forstwirtschaftliche Tätigkeit kann im Schwerpunkt nur dort tatsächlich ausgeübt
werden, wo die bewirtschafteten Nutzflächen liegen. Damit übt die Klägerin ihre Tätigkeit als forstwirtschaftliche
Unternehmerin auf ihren in Deutschland gelegenen forstwirtschaftlichen Flächen dort und nicht an ihrem Wohnsitz in
der Schweiz aus. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass die Klägerin zur Ausübung ihrer tatsächlichen
Tätigkeit nicht ihren Wohnsitz in der Schweiz verlassen und sich dazu nicht vor Ort nach Deutschland begeben muss.
Der maßgebliche Begriff der selbständigen unternehmerischen Tätigkeit hat das Betreiben des forstwirtschaftlichen
Unternehmens im Ergebnis im Blick und kann damit nicht von dem Betrieb im materiellen Sinn vor Ort gelöst werden.
Damit liegt der Schwerpunkt der forstwirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin dort, wo die konkreten
Bewirtschaftungsmaßnamen erfolgen, nämlich auf den Grundstücken in Deutschland. Der Versicherungspflicht der
Klägerin stand im streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht über- oder zwischenstaatliches Recht entgegen. Das
Freizügigkeitsabkommen zwischen der europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der
schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits ist erst am 01.07.2002 in Kraft getreten, so dass erst ab diesem
Tag die EWG-Verordnung 1408/71 auch im Hinblick auf die Schweiz Anwendung findet. Nach dem Grundsatz des
Artikel 14 c Buchstabe a dieser Verordnung ist vorrangig die Pflichtversicherung als Arbeitnehmer in der Schweiz.
Dieser neuen Rechtslage folgend, hat die Beklagte die Pflichtmitgliedschaft zum 31.05.2002 beendet.
Das Bundessozialgericht hat im oben zitierten Urteil auch entschieden, dass gegen die Beitragspflicht ohne
Möglichkeit, Leistungen in Anspruch zu nehmen, keine unüberwindlichen verfassdungsrechtlichen Bedenken
bestehen. Auch wenn die Klägerin wegen ihrer Pflichtversicherung in der Schweiz des Schutzes der deutschen
Krankenversicherung nicht bedarf, bleibt sie als forstwirtschaftliche Unternehmerin in Deutschland Teil der hiesigen
Wirtschafts- und Solidargemeinschaft. Es liegt daher, wie das Bundessozialgericht ausführt, auch im staatliche
Interesse an einer gerechten Wettbewerbsordnung, wenn die Heranziehung zur Solidargemeinschaft der gesetzlichen
Krankenversicherung alle landwirtschaftlichen Unternehmen gleichermaßen trifft.
Die Klägerin ist auch nicht durch einen anderen gesetzlichen Tatbestand von der Versicherungspflicht und den
belastenden Beiträgen befreit. Sie erfüllt keine der in den § 3a, 4 KVLG 1989 vorgesehenen
Tatbestandsvoraussetzungen. Damit war die Klägerin im streitgegenständliche Zeitraum zur Zahlung von Beiträgen
gemäß § 47 KVLG verpflichtet. Damit ist auch der Bescheid vom 11.08.2003, den die Klägerin wohl nur insoweit
angreift, als Beiträge verlangt werden und nicht, als er die Mitgliedschaft beendet, rechtmäßig. Die Kostenfolge ergibt
sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.
Gründe die Revision gemäß § 160 SGG zuzulassen, sind schon wegen der geänderten Gesetzeslage nicht gegeben,
der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.