Urteil des LSG Bayern vom 27.06.2006

LSG Bayern: anspruch auf bewilligung, die post, örtliche zuständigkeit, sozialhilfe, anschluss, aufenthalt, briefkasten, gemeindeverwaltung, heizung, wohnhaus

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 27.06.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 2 SO 56/05
Bayerisches Landessozialgericht L 11 SO 6/06
Bundessozialgericht B 9b SO 14/06 B
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 25.01.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte gemäß § 98 Abs 1 Satz 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch für
die Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe an die Klägerin für den Zeitraum ab dem 01.04.2005 örtlich zuständig
ist.
Die 1977 geborene Klägerin erhielt von dem Beklagten seit 01.01.2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Für den Zeitraum ab dem 01.01.2005 bewilligte der Beklagte der Klägerin
bis auf Weiteres Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 27 ff SGB XII in Höhe von monatlich 354,55 EUR; mit
Änderungsbescheid vom 03.03.2005 ab dem 01.01.2005 bis auf Weiteres monatlich 431,43 EUR.
Am 04.03.2005 erfuhr der Beklagte in einem Telefonat mit der Gemeindeverwaltung F. , dass das Haus der Klägerin in
R. nicht bewohnbar sei und die Klägerin vermutlich bei ihrem Lebensgefährten in P. , J.-Str., wohne. Bei einer
daraufhin erfolgten Ortseinsicht in R. , F. , stellte der Beklagte am 15.03.2005 fest, dass dieses Anwesen derzeit
unbewohnt sei. Der Eingangsbereich (Zaun und Tor) war von außen mit Sicherheitsschlössern abgesperrt. Der vor
dem Haus liegende ca. einen halben Meter hohe spurenfreie Schneeberg ließ erkennen, dass in den letzten Tagen
kein Zutritt zum Hausgrundstück bzw. zum Eingangsbereich erfolgt sei. Des Weiteren war der Briefkasten und die
Türglocke am Eingangstor nicht beschriftet. Bei einem Hausbesuch in der J.-Str., P. , am selben Tag wurde der Vater
des Lebensgefährten der Klägerin angetroffen, der sich dahin äußerte, dass die Klägerin derzeit nicht da sei und auch
nicht dauerhaft bei seinem Sohn wohne. Sie sei aber dessen Lebensgefährtin.
Weitere Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass die Klägerin das Haus im Jahre 2003 gekauft habe, seither aber die
Mülltonne nicht angemeldet habe, dass der Stromzähler zum 23.12.2004 ausgebaut worden sei und dass trotz
Kanalverlegung in R. , F. , im Jahre 2004 mit Anschluss und Benutzungszwang ein Anschluss des Anwesens R.
bislang nicht erfolgt sei. Der Briefzusteller gab auf Nachfrage gegenüber der Beklagten an, die Klägerin seit November
2004 nicht mehr gesehen zu haben.
Bei ihrer Anhörung gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wies die Klägerin den Vorwurf zurück, dass
sie in P. lebe. Im Übrigen mache sie darauf aufmerksam, dass ein Hausbesuch vorher anzumelden sei.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 29.03.2005 stellte der Beklagte daraufhin die laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt ab dem 31.03.2005 ein, weil er für diese Hilfeleistung nach § 98 Abs 1 SGB XII nicht mehr örtlich
zuständig sei. Den Widerspruch der Klägerin vom 11.04.2005 wies die Regierung von Niederbayern mit
Widerspruchsbescheid vom 08.05.2005 zurück.
Zwischenzeitlich ergab ein erneuter Hausbesuch am 18.04.2005, dass die Klägerin nicht angetroffen werden konnte
und die Gartentore mit Sicherheitsschlössern versperrt waren. Die selben Erkenntnisse erbrachte der Hausbesuch
vom 15.03.2005. Nachbarn erklärten sich dahin, die Klägerin sei nach dem Hausbrand im Jahre 2003 nach P.
verzogen. Der Stromlieferungsvertrag für das Anwesen R. , F. wurde von ihr zum 23.10.2004 gekündigt. Seinerzeit
wurde auch der Zähler ausgebaut. Seither befindet sich kein neuer Stromzähler in dem Anwesen. Die Post wurde
noch an dem am Gartenzaun angebrachten Briefkasten eingelegt, der unregelmäßig geleert wurde.
Mit ihrer Klage vom 31.05.2005 zum Sozialgericht Landshut (SG) begehrte die Klägerin von der Beklagten Leistungen
zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII über den 01.04.2005 hinaus.
Ihren zugleich gestellten Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes lehnte das SG mit Beschluss vom
22.07.2005 ab. Anlässlich einer Untersuchung bei dem Sachverständigen des Rentenversicherungsträgers Dr.S. am
22.11.2004 habe die Klägerin selbst angegeben, dass sie mit ihrem Partner in dessen neuem Haus lebe. Bei der
Untersuchung durch die gerichtliche Sachverständige Dr.B. im Mai 2005 habe diese im Anwesen R. , F. , festgestellt,
dass das Haus nahezu unbewohnbar sei. Zu der Tatsache, dass sich in diesem Haus noch nicht einmal ein Bett
befinde, habe die Klägerin seinerzeit angegeben, dass sie auf einem Stuhl nächtige. Die gegenteilige Darstellung des
Lebensgefährten der Klägerin im Schreiben vom 06.04.2005 hat das SG als nicht verwertbar angesehen, weil das
Schreiben nicht unterschrieben worden war. Mit Beschluss vom 30.11.2005 wies das Bayer. Landessozialgericht die
Beschwerde gegen die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes durch das SG zurück.
Mit Gerichtsbescheid vom 25.01.2005 wies das SG die Klage der Klägerin ab. Der Beklagte sei nicht der für die
Bewilligung der Sozialhilfe an die Klägerin im streitgegenständliche Zeitraum zuständige Leistungsträger.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihren Anspruch auf
Bewilligung von Leistungen der Sozialhilfe durch den Beklagten über den 01.04.2005 hinaus weiter verfolgt. Das SG
habe verkannt, dass es durchaus möglich sei, auch mit relativ einfachen Mitteln an einem Ort zu leben. Die
Behauptung, ihr habe weder Wasser, Strom noch Heizung zur Verfügung gestanden, sei unzutreffend. Es gebe einen
sog. Hausbrunnen. Als Heizung habe ein Holzküchenofen gedient, mit dem gleichzeitig beheizt und gekocht werde.
Dass ein Mitarbeiter der Beklagten festgestellt habe, dass der Ofen nicht funktioniere, sei zutreffend. Allerdings habe
der Ortstermin zu einem Zeitpunkt stattgefunden, als die Klägerin einen Hausputz durchgeführt habe. Hierdurch
bedingt, habe sie den Ofen gereinigt. Der Brand des Hauses im Jahre 2003 sei richtig. Küche und Wohnzimmer
könnten mit Einschränkungen genutzt werden. Dass die Nachbarn ihren Aufenthalt nicht bestätigt haben, liege allein
daran, dass sie sie einfach nicht gesehen hätten. Sie selbst sei psychisch angeschlagen und habe sich zeitweise in
den Räumen verbarrikadiert.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des SG Landshut sowie den Bescheid des Beklagten vom 29.03.2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr über den
01.04.2005 hinaus Leistungen der Sozialhilfe zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er tritt dem Berufungsvorbringen der Klägerin entgegen. Für das Grundstück R. , F. , bestehe ein satzungsmäßiger
Anschluss- und Benutzungszwang, der aber bisher noch nicht ausgeübt worden sei. Das Vorhandensein eines
Hausbrunnens werde nicht bestritten. Nach einer Auskunft des Gesundheitsamtes P. vom 03.05.2006 seien dort
zumindest seit 1999 keine Befunde mehr über die Wasserqualität mitgeteilt worden. Nicht nachvollziehbar seien die
Angaben zum angeblichen Hausputz. Aus dem Aktenvermerk des Mitarbeiters des Beklagten über den Ortstermin
vom 08.09.2006 gehe hervor, dass die Klägerin vor ihrem abgesperrten Haus angetroffen worden sei und ihre
Schlüssel habe erst suchen müssen. Im Haus selbst hätten "chaotische" Zustände geherrscht. Von einem gerade
durchgeführten oder gerade begonnenen Hausputz könne nicht die Rede sein. Die Klägerin habe sich auch dahin nicht
geäußert, als sie auf den nicht angeschlossenen Ofen hingewiesen worden sei. Bei weiteren Ortsterminen vom
14.11.2005 und vom 22.11.2005 sei die Tür zum Wohnhaus jeweils von außen mit einer Sperrholzplatte versperrt und
mit einem Vorhängeschloss gesichert gewesen. Auch die Gemeindeverwaltung von F. könne bestätigen, dass das
Anwesen R. nicht bewohnbar sei und von der Klägerin auch nicht bewohnt werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die
vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist
jedoch unbegründet, weil das SG zutreffend die Klage der Klägerin abgewiesen hat. Der hier angefochtene Bescheid
des Beklagten vom 29.03.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Niederbayern vom
11.04.2005 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Das Gericht konnte dabei in der Sache ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die
Beteiligten hierauf verzichtet haben (§ 124 Abs 2 SGG).
Das SG hat die Klage der Klägerin zu Recht abgewiesen, weil der Beklagte für die von der Klägerin begehrten
Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII nicht örtlich zuständig und damit nicht passivlegitimiert
ist.
Gemäß § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII ist für die Bewilligung von Sozialhilfe der Leistungsträger örtlich zuständig, in
dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Für einen tatsächlichen Aufenthalt iS dieser
Vorschrift ist es zwar nicht erforderlich, dass sich die um Hilfe nachfragende Person ständig, für längere Zeit oder
auch nur regelmäßig dort aufhält. Ein tatsächlicher Aufenthalt kann auch durch eine vorübergehende Anwesenheit
bereits erfüllt sein, wobei es gleichgültig ist, ob sich die um Hilfe nachfragende Person beim Einwohneramt gemeldet
oder ein Obdach begründet hat. Maßgeblich für die Auslegung des Begriffes des tatsächlichen Aufenthaltes ist jedoch
der Grundsatz, dass der sozialhilferechtliche Bedarf dort gedeckt werden soll, wo er entsteht. Bei einer nur
kurzfristigen Ortsabwesenheit hat das Bundesverwaltungsgericht deshalb in seiner bisherigen Rechtsprechung die
örtliche Zuständigkeit des bisherigen Sozialhilfeträgers fortbestehen lassen (vgl dazu BVerwG FEVS 51, 146; zu
alledem auch Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 1.Aufl 2005, § 98 Rdnr 6 mwN).
Die Voraussetzungen eines tatsächlichen Aufenthaltes sind hier nicht erfüllt. Die Ermittlungen des Beklagten haben
ergeben, dass sich die Klägerin in hier streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 01.04.2005 in ihrem im Jahre 2003
abgebrannten Wohnhaus nicht mehr iS des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII tatsächlich aufgehalten hat. Die Klägerin ist
den Feststellungen des Beklagten nicht substanziert entgegengetreten.
So steht unstreitig fest, dass sich die Klägerin sowohl gegenüber Dr.H. , Bezirkskrankenhaus M. , im September 2004
als auch gegenüber Dr.S. , Sachverständiger des Rentenversicherungsträgers, am 22.11.2005, dahingehend
geäußert, sie lebe nunmehr bei ihrem Lebensgefährten. Die Hausbesuche von Mitarbeitern des Beklagten führten
jeweils für sich allein genommen bereits zu der Erkenntnis, dass das Haus zum jeweiligen Zeitpunkt unbewohnbar
war. Angelegentlich solcher Ortstermine konnte die Klägerin auch nicht darlegen, dass sie sich dort - unabhängig von
den kurzzeitigen angekündigten Hausbesuchen - tatsächlich aufhalte. Ihre Behauptung, sie nächtige auf einem Stuhl
und bedürfe deswegen keines Bettes, ist schlichtweg unglaubhaft. Das streitgegenständliche Anwesen war in den
Wintermonaten von außen mit Sicherungsschlössern verriegelt, so dass sich letztlich auch die nunmehr im
Berufungsverfahren vorgebrachte Darlegung der Klägerin, sie habe sich im Haus verbarrikadiert, als reine
Schutzbehauptung darstellt. Ebenso unglaubwürdig ist ihre Einlassung, sie habe einen Holzofen benutzt. Der
aufsteigende Rauch aus dem Hausbrand wäre den Nachbarn aufgefallen, die dementgegen gegenüber dem Beklagten
mehrfach angaben, das Haus sei nicht bewohnt, sie hätten die Klägerin auch über Monate hinweg dort nicht mehr
gesehen. Vor dem Hintergrund dieser Einlassungen der Klägerin überzeugen die Feststellungen des Beklagten. Das
Anwesen hatte im gesamten streitgegenständlichen Streitraum weder einen Anschluss an die Wasserversorgung noch
an die Stromversorgung. Hieran hat sich nichts geändert. Der Anregung, durch Augenschein das Vorhandensein eines
Hausbrunnens festzustellen, folgte der Senat nicht, weil diese Frage nicht entscheidungserheblich ist. Die Klägerin
hat bei Verzicht auf mündliche Verhandlung auch keinen entsprechenden Beweisantrag mehr gestellt. Insbesondere
hat es die Klägerin versäumt, substantiert darzulegen, in welchen Zeiträumen und unter welchen Lebensumständen
sie sich dort aufgehalten haben will; wie sie etwa ihr Schmutzwasser entsorgt haben will. Sie hat sich vielmehr - wie
bereits im Verwaltungsverfahren - darauf beschränkt, etwaige Feststellungen des Beklagten anzuzweifeln.
Allein die unterstellte Tatsache, dass die Klägerin von Zeit zu Zeit das Anwesen R. , F. , besucht, um dort ihren
Briefkasten zu leeren oder einen angekündigten Hausbesuch des Beklagten entgegenzunehmen, macht den
Beklagten nicht iS des § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII örtlich zuständig. Denn im Rahmen dieser Aufenthalte entsteht
kein sozialhilferechtlicher Bedarf.
Darüber hinausgehend findet sich auch keine andere Vorschrift, aus der die Zuständigkeit des Beklagten für den
streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum hergeleitet werden könnte, so dass die Entscheidung der Beklagten im
hier angefochtenen Bescheid vom 29.03.2005, die Leistungen der Sozialhilfe gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Zukunft einzustellen, rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Die Berufung der Klägerin hat nach alledem insgesamt keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.