Urteil des LSG Bayern vom 30.04.2008

LSG Bayern: nebeneinkommen, arbeitsentgelt, nebenbeschäftigung, leistungsbezug, lebensstandard, arbeitslosigkeit, gesetzestext, entlastung, leistungsanspruch, hinderungsgrund

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.04.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 13 AL 30/07
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 360/07
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.10.2007 aufgehoben und die
Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
30.01.2007 abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Höhe des Gründungszuschusses. Die 1959 geborene Klägerin, die ab 01.08.2006 arbeitslos
war, erhielt von der Beklagten lt. Bewilligungsbescheid vom 03.08.2006 Arbeitslosengeld für 360 Kalendertage ab
01.08.2006 bis 30.07.2007 in Höhe von 1.208,10 EUR. Ab 20.09.2006 wurde ihr Einkommen als Lehrerin (Deutsch für
Ausländer) angerechnet, das sie im September in Höhe von 360,00 EUR, im Oktober in Höhe von 660,00 EUR und im
November in Höhe von 516,00 EUR erzielte. Zuletzt stellte die Beklagte mit Neufeststellungsbescheid vom
05.01.2007 den Zahlbetrag für Dezember 2006 unter Anrechnung des Nebeneinkommens in Höhe von 600,00 EUR
unter Berücksichtigung des Freibetrags von 165,00 EUR auf 773,10 EUR fest. Am 05.12.2006 beantragte die Klägerin
einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als Übersetzerin/ Lehrerin ab 01.01.2007.
Diesen bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 10.01.2007 für die Zeit vom 01.01.2007 bis 01.10.2007 in Höhe von
1.073,10 EUR. Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, auf der Grundlage des beanspruchbaren
Arbeitslosengeldbetrags von 1.208,10 EUR stehe ihr ein höherer Anspruch zu. Die Beklagte wies den Widerspruch am
30.01.2007 mit der Begründung zurück, die Höhe des Gründungszuschusses orientiere sich lt. Gesetzeswortlaut am
zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld (§ 58 Abs 1 SGB III). Beim Bezug von Nebeneinkommen sei der geminderte
Arbeitslosengeldsatz maßgebend. Mit ihrer am 07.02.2007 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, ihres
Erachtens mindere die Anrechnung nach § 141 SGB III nicht den grundsätzlich beanspruchbaren
Arbeitslosengeldzahlungsbetrag. Andernfalls werde sie gegenüber nicht nebenerwerbstätigen Arbeitslosen
benachteiligt. Demgegenüber vertrat die Beklagte die Ansicht, der eindeutige Gesetzeswortlaut fordere die
Berücksichtigung der tatsächlichen Höhe des Arbeitslosengeldbezugs, abgesehen von gelegentlichen kurzzeitigen
Beschäftigungen. Weil auf den Lebensstandard abzustellen sei, könne das Nebeneinkommen nicht unberücksichtigt
bleiben. Eigeninitiative des Arbeitslosen sei schließlich rechtlich geboten. Diese Auslegung des § 58 SGB III
entspreche der zu § 57 Abs 5 SGB III aF ergangenen Rechtsprechung. Das Sozialgericht Würzburg hat die Beklagte
mit Urteil vom 23.10.2007 verurteilt, den Gründungszuschuss in Höhe von 1.508,10 EUR zu leisten. Die
Anwendbarkeit der bisherigen Rechtsprechung zu § 57 SGB III aF auf § 58 SGB III sei fraglich, da jetzt als
Fördervoraussetzung lediglich das Stammrecht genüge und bei ABM-Teilnehmern auf ein fiktives Arbeitsentgelt
abgestellt werden müsse. Dies zeige, dass es nicht auf das "zuletzt bezogene" Arbeitslosengeld ankommen könne.
Andernfalls würde dies zu Wertungswidersprüchen führen, da das Arbeitsentgelt, das durch eine ABM-Maßnahme
erzielt werde, bei der Berechnung keine Rolle spiele. Diese Auslegung hätte auch zur Konsequenz, dass
Existenzgründer, die ihre selbstständige Tätigkeit vorerst im Rahmen einer Nebenbeschäftigung weniger als 15
Stunden wöchentlich ausprobieren wollten, von dieser an sich zulässigen Option Abstand nehmen würden, wenn sie
einen verminderten Gründungszuschuss befürchten müssten. In diesen Fällen sei bei der Berechnung des
Gründungszuschusses auf den ungeminderten Arbeitslosengeldanspruch abzustellen. Gegen das am 08.11.2007
zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.11.2007 Berufung eingelegt und auf den eindeutigen Gesetzestext
hingewiesen. Die Förderung sei für den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung des Antragstellers bestimmt,
sodass das Abstellen auf den bisherigen Leistungsbezug auch sachgerecht sei. Die Beklagte beantragt, das Urteil
des Sozialgerichts Würzburg vom 23.10.2007 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom
10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2007 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite könne es einen eindeutigen Gesetzestext rechtstechnisch nicht geben.
Würde man die Auslegungsfähigkeit der Vorschrift verneinen, wäre sie vor dem Hintergrund des Art 3 Grundgesetz
verfassungswidrig. Als zuletzt bezogenes Arbeitslosengeld sei das Arbeitslosengeld anzusetzen, das vor Abzug
eventuellen Hinzuverdienstes zustehe. Nur so könne auch die vom Gesetzgeber gewollte aktive Arbeitsmarktpolitik
erreicht werden. Eine entsprechende Auslegung müsste mindestens für den Fall herangezogen werden, dass der
Existenzgründer aus dieser Nebentätigkeit, die dann zur Existenzgründung geführt habe, die Nebeneinkünfte erzielt
habe, die zum reduzierten Auszahlungsbetrag geführt hätten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der
Beklagtenakte, der Akte des Sozialgerichts Würzburg sowie der Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und erweist sich als begründet. Das Urteil des
Sozialgerichts Würzburg vom 23.10.2007 kann keinen Bestand haben. Zu Unrecht hat es den Bewilligungsbescheid
der Beklagten vom 10.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2007 abgeändert. Der Klägerin
steht lediglich ein Gründungszuschuss in Höhe von 1.073,10 EUR zu. Der Gründungszuschuss, der aufgrund des
Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitslose vom 20.07.2006 ab 01.08.2006 beansprucht werden
kann, wird für die Dauer von 9 Monaten in Höhe des Betrages geleistet, den der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld
zuletzt bezogen hat, zuzüglich von monatlich 300,00 EUR (§ 58 SGB III). Die Klägerin hat zuletzt vor Beginn ihrer
selbstständigen Tätigkeit am 01.01.2007 für den Monat Dezember 2006 773,10 EUR als Arbeitslosengeld erhalten.
Zuzüglich des Pauschalbetrags von 300,00 EUR zur sozialen Absicherung beläuft sich der Gründungszuschuss
sonach auf 1.073,10 EUR. Ohne Anrechnung von Nebeneinkommen beläuft sich der Zahlungsanspruch der Klägerin
lt. Bewilligungsbescheid vom 03.08.2006 auf 1.208,10 EUR. An diesen ungeminderten Zahlungsanspruch, das
Stammrecht, knüpft § 58 Abs 1 SGB III jedoch nicht an. Der Wortlaut stellt vielmehr auf den tatsächlichen Bezug im
letzten Bewilligungszeitraum ab und auch in den Materialien zu § 58 SGB III heißt es, geförderte Personen erhielten
einen Zuschuss zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe ihres zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes und einen
monatlichen Betrag in Höhe von 300,00 EUR zur sozialen Absicherung (BT-Drucks 16/1696 S.31 zu § 58). Das SGB
III unterscheidet bewusst zwischen Bezug und Anspruch auf Arbeitslosengeld, wie sich schon aus der Formulierung
des § 57 Abs 2 Nr 1a aF ergibt. Vor diesem Hintergrund kann die Auslegung nicht ohne Weiteres dahingehen, anstelle
des Bezugs von Arbeitslosengeld einen fiktiven Anspruch auf Arbeitslosengeld zum Maßstab zu nehmen. Richtig ist,
dass das zuletzt bezogene Arbeitslosengeld dann nicht Anknüpfungspunkt sein kann, wenn Teilnehmer an
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die nach § 57 Abs 2 Satz 2 Nr 1b SGB III förderfähig sind, Leistungen erhalten.
Weil der tatsächliche Bezug von Arbeitslosengeld keine Anspruchsvoraussetzung ist, kann es nötig sein, bei der
Errechnung der Förderhöhe nach § 58 Abs 1 SGB III auf das fiktive Arbeitslosengeld abzustellen. Die Verkürzung des
Gesetzestextes gegenüber § 57 Abs 5 Satz 1 aF SGB III "oder bei Arbeitslosigkeit hätte beziehen können" kann
daher als missglückt bezeichnet werden (Petzold in Hauck/Noftz SGB III, § 58 Rdziff 4). Für diesen Fall ist von einer
Regelungslücke auszugehen. Die Klägerin hat jedoch tatsächlich Arbeitslosengeld, wenn auch gemindert durch
Nebeneinkommen, bezogen. Die Maßgeblichkeit des tatsächlichen Bezugs hat das Bundessozialgericht selbst für
den Fall der Rechtswidrigkeit betont (BSG, 21.03.2007 - B 11a AL 11/06 R -). An dem Umstand des tatsächlichen
Bezugs von Leistungen iS des § 57 Abs 2 Nr 1 SGB III ändere sich nichts dadurch, dass zu einem späteren
Zeitpunkt die rechtliche Grundlage für die Zahlung durch eine entsprechende Aufhebungsentscheidung wieder
beseitigt werde. Entscheidend sei nämlich, dass nur eine am tatsächlichen Leistungsbezug orientierte
Betrachtungsweise die Verwirklichung der mit den Vorbezugszeiten verfolgten Zielsetzung des Gesetzgebers zu
gewährleisten vermöge. Insoweit stelle der tatsächliche Leistungsbezug ein in der Praxis für die Verwaltung leicht zu
handhabendes Merkmal dar, das einen Rückschluss auf die Erforderlichkeit von Leistungen zur Förderung der
Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit sowie auf die voraussichtliche Entlastung der Bundesagentur von der
Zahlung weiterer Entgeltersatzleistungen zulasse. Weil der Gründungszuschuss auch der Entlastung der
Bundesagentur von zukünftigen Leistungsansprüchen dient, ist der Begriff "Bezug" kein Hinderungsgrund, die
Fördervoraussetzungen erweiternd für den Fall auszulegen, dass der aktuelle Leistungsanspruch im Zeitpunkt der
Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit wegen Eintritts einer Sperrzeit geruht hat (BSG, Urteil vom 17.10.1990 in
SozR 3 4100 § 55a AFG Nr 2 S.13). Weil das Stammrecht während des Ruhens erhalten bleibt, könnte der
Arbeitslose nach der Unterbrechung des Leistungsbezugs weiterhin Arbeitslosengeld beanspruchen, falls die
Förderung nicht stattfände. Mit diesem Fall ist der der Klägerin hingegen nicht vergleichbar, da die Entwicklung der
Lehrtätigkeit der Klägerin ab September 2006 erwarten ließ, dass die Leistungsverpflichtung der Beklagten nur im
beschränkten Umfang weiter bestehen würde. Die wortgetreue Auslegung des § 58 Abs 1 SGB III wird also der
Entlastungsfunktion des Gründungszuschusses gerecht. Diese Auslegung trägt auch dem Sinn des
Gründungszuschusses Rechnung, den Lebensunterhalt zu sichern und die soziale Sicherung zu gewährleisten. Die
Sicherung des Lebensunterhalts zu Beginn der selbstständigen Tätigkeit stellt das größte Problem für Gründungen
aus Arbeitslosigkeit dar. Das wegfallende Arbeitslosengeld muss daher kompensiert werden, da die Erträge aus der
Selbstständigkeit dazu in der Regel noch nicht ausreichen (BT-Drucks 16/1696 S.30 zu § 57 Abs 1). An die Stelle des
Arbeitslosengelds tritt daher mit Beginn der Selbstständigkeit ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, das den
bisherigen Lebensstandard sichern soll. Mit der Leistung in Höhe von 1.073,10 EUR monatlich wird diesem Zweck
Rechnung getragen. Gerade weil der Gesetzgeber die Förderung auch für solche Arbeitslose vorgesehen hat, die ihre
nebenberufliche Selbstständigkeit in eine hauptberufliche umwandeln wollen (BT-Drucks 16/1696 S.30 zu § 57 Abs 1),
ist die mit dem Gründungszuschuss intendierte Kompensation des Arbeitslosengeldes auf den letzten Bezug
beschränkt. Um Unbilligkeiten zu vermeiden, ist es ausreichend, entsprechend den Weisungen der Beklagten
gelegentliche kurzzeitige Beschäftigungen bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen. Die hier vorgenommene
Auslegung führt nicht zu den von Dr.L. im Hinblick auf Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beklagten
Wertungswidersprüchen (SGb 2007, S.23). Zwar spielt das dort erzielte Arbeitsentgelt überhaupt keine Rolle für die
Berechnung des Gründungszuschusses. Dieses Arbeitsentgelt ist jedoch mit dem Nebeneinkommen der Klägerin
nicht vergleichbar, denn es wird auf dem 2. Arbeitsmarkt mit Unterstützung durch die Bundesagentur erzielt. Es
erscheint nicht sachwidrig, bei der Bemessung des Gründungszuschusses nicht an der Höhe des entfallenden
Lohnkostenzuschusses im Sinn des § 264 SGB III, sondern an den fiktiven Arbeitslosengeldanspruch anzuknüpfen,
der nach Beendigung der von vornherein befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zusteht. Es mag sein, dass
Existenzgründer, die ihre selbstständige Tätigkeit vorerst im Rahmen einer Nebenbeschäftigung weniger als 15
Stunden wöchentlich "ausprobieren" wollen, einen verminderten Gründungszuschuss befürchten müssen. Dem Ziel,
Existenzgründungen zu fördern, läuft dies zuwider. Es muss jedoch dem Gesetzgeber überlassen bleiben, zu
entscheiden, in welchem Umfang er Existenzgründung fördern will. Hätte er in besonderer Weise die Umwandlung
einer nebenberuflichen Selbstständigkeit in eine selbstständige Tätigkeit fördern wollen, hätte er dies im Gesetz zum
Ausdruck bringen müssen. Der Zweck des Gründungszuschusses, die Arbeitsverwaltung zu entlasten und den
Lebensunterhalt und die soziale Sicherung zu gewährleisten, wird jedenfalls mit der Berechnung des
Gründungszuschusses auf der Grundlage des zuletzt bezogenen Arbeitslosengeldes erreicht. Schließlich soll nicht
unerwähnt bleiben, dass die Klägerin zumindest im Hinblick auf den ihr zugestandenen Freibetrag in der
Anfangsphase der Selbstständigkeit über ein höheres Einkommen verfügte als ein Existenzgründer, der zuletzt den
ungeminderten Arbeitslosengeldanspruch geltend machen konnte, andererseits aber auch nicht bereits auf einen
Kundenstamm zurückgreifen konnte. Von einer "Bestrafung" der Nebenbeschäftigung, die zudem der gesetzlichen
Verpflichtung zu Eigenbemühungen entspricht, kann daher nicht die Rede sein.
Aus diesen Gründen war das Urteil des Sozialgerichts Würzburg aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.