Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 07.09.2016

altersrente, besoldung, angestellter, post

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 7.9.2016, L 2 R 525/16
Leitsätze
Die Durchführung einer früheren Nachversicherung kann nicht zum Gegenstand des Verfahrens um die Höhe
der darauf beruhenden Rente gemacht werden. Selbst wenn die Nachversicherungsbeiträge von der Beklagten
zu niedrig angesetzt worden wären, so könnte die vom Kläger geforderte höhere Rente nicht auf Grund einer
fiktiven Höherbewertung, sondern erst nach der tatsächlichen Zahlung weiterer Nachversicherungsbeiträge
rentensteigernd berücksichtigt werden
(Anschluss an BSG, Urteil v. 31.01.2008 - B 13 R 27/07 R -).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19.
Januar 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu
erstatten.
Tatbestand
1 Streitig ist die Höhe der Altersrente, die der Kläger nicht auf der Grundlage der tatsächlich entrichteten
Nachversicherungsbeiträge, sondern nach fiktiv höheren Nachversicherungsbeiträgen berechnet haben
möchte.
2 Der am 1948 geborene Kläger war vom 16.4.1963 bis 1.10.1967 als Postschaffner bei der Deutschen
Bundespost tätig. Vom 2.10.1967 bis 16.7.1968 leistete er seinen Wehrdienst und war vom 17.7.1968 bis
30.9.1975 als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr verpflichtet. Vom 1.10.1975 bis 14.6.1976 befand er sich
in Fachschulausbildung. Vom 1.9.1976 bis 31.7.1999, seinem unversorgten Ausscheiden, war er im
Beamtenverhältnis als Polizeibeamter (zuletzt Hauptkommissar, Besoldungsgruppe A 12) beschäftigt.
Anschließend war er versicherungsfrei selbständig tätig. Für die Beschäftigungszeiten wurde der Kläger bei
der Beklagten durch die Deutsche Post, das Bundesverwaltungsamt und das Landesamt für Besoldung und
Versorgung Baden-Württemberg auf der Grundlage der gemeldeten beitragspflichtigen Brutto-Einnahmen
1999 bzw. 2001 nachversichert (vgl. Gesamtkontospiegel Bl. 5 VA). Aktenvorgänge der Beklagten hierzu
sind nicht mehr vorhanden, der Kläger hat die ihm vorliegenden Nachversicherungsbescheinigungen und
weitere Unterlagen vorgelegt (Bl. 20 bis 32, 43 ff VA). Am 14.11.2013 bestätigte der Kläger der Beklagten,
dass der Versicherungsverlauf vollständig und richtig ist.
3 Auf seinen Antrag vom 3.12.2013 gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 14.1.2014
Altersrente für langjährig Versicherte ab 1.12.2013 in Höhe von 1.272,34 EUR monatlich.
4 Den dagegen eingelegten Widerspruch gegen die Rentenhöhe begründete der Kläger damit, dass zu Unrecht
bei den nachzuversichernden Arbeitsentgelten ausgeschiedener Beamter lediglich die niedrigeren,
tatsächlich erhaltenen und gemeldeten Bezüge anstatt der weit höheren Bruttobezüge vergleichbarer
versicherungspflichtiger Angestellter nachversichert worden seien. Die Beklagte hätte im Rahmen der
Nachversicherung die gemeldeten tatsächlichen Rentenbezüge gegebenenfalls im Wege eines Zusatzfaktors
in Bezüge eines vergleichbaren Angestellten umrechnen und bei der Nachversicherung heranziehen müssen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8.4.2014 zurück. Der
Nachversicherungsschuldner sei ebenso wie der Arbeitgeber eines abhängigen Pflichtversicherten ohne
vorherige Einschaltung des Versicherungsträgers für die korrekte Ermittlung der Nachversicherungsbeiträge
selbst verantwortlich. Darüber hinaus sei für die Frage, welche Bezüge als nachzuversicherndes
Arbeitsentgelt zu berücksichtigen seien, auf die Regelungen für die beitragspflichtigen abhängig
beschäftigten Pflichtversicherten zurückzugreifen. Nach § 181 Abs. 2 Satz 1 SGB VI seien die
beitragspflichtigen Einnahmen, also die tatsächlich erhaltenen Bezüge, die Beitragsbemessungsgrundlage für
die Nachversicherung. Die im Rentenbescheid aufgrund der von den Arbeitgebern übermittelten Entgelte
berechnete Rentenhöhe sei richtig und vollständig.
5 Dagegen hat der Kläger am 25.4.2014 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und sein Begehren mit
gleicher Begründung weiterverfolgt. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Beamtenrechts wolle der
Gesetzgeber entsprechend seiner Fürsorgepflicht nach § 8, 181 ff. SGB VI auch für ausgeschiedene Beamte
eine rentenrechtliche Besitzstandswahrung erreichen und die erworbenen Pensionsansprüche mit denen
vergleichbarer sozialpflichtig versicherter Angestelltenrenten gleichstellen, was jedoch nicht annähernd
stattfinde.
6 Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
7 Mit Urteil vom 19.1.2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der
Bescheid vom 14.1.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.4.2014 rechtmäßig sei.
Beitragsbemessungsgrundlage seien nach § 181 Abs. 2 S. 1 SGB VI die beitragspflichtigen Einnahmen aus
der Beschäftigung im Nachversicherungszeitraum bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze. Zu Recht
gehe die Beklagte davon aus, dass hierbei die tatsächlich erhaltenen Bezüge nachzuversichern seien, nicht
jedoch die höheren Bruttobeträge, die einem vergleichbaren Angestellten zugestanden hätten. Eine solche
fiktive Gleichstellung lasse sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Von einer planwidrigen
Regelungslücke sei angesichts der differenzierten Regelungen ebenfalls nicht auszugehen. Die Regelung des
§§ 181 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB VI verstoße auch nicht gegen Verfassungsrecht. Ein Verstoß gegen den
allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor, denn die rentenrechtliche Regelung
des §§ 181 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB VI stelle grundsätzlich ohne Differenzierung nach der Person auf die
tatsächlich erhaltenen Beträge ab. Die vom Kläger empfundene Benachteiligung beruhe auf den
grundlegend verschiedenen Versorgungssystemen für Beamte und Nichtbeamte, die keine vergleichbare
Personengruppe seien. Aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG)
könne ebenfalls eine Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht hergeleitet werden. Nachdem eine
Nachversicherung im Versorgungssystemen der Beklagten nur bei Ausscheiden aus dem Beamtentum in
Betracht komme, sei der Kern des Beamtenrechts damit nicht tangiert. Dem Gesetzgeber komme bei der
gesetzlichen Ausgestaltung des Versorgungssystems ein weiter Gestaltungsspielraum zu, dessen Grenzen
nicht überschritten seien.
8 Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 26.1.2016 zugestellte
Urteil hat dieser am 11.2.2016 schriftlich Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt
und seine Rechtsauffassung vertieft. Sinn und Zweck des Gesetzes sei für ausgeschiedene Beamte eine
rentenrechtliche Besitzstandswahrung erreichen zu wollen und die erworbenen Pensionsansprüche
während der Beamtenzeit den Altersrenten vergleichbarer sozialversicherungspflichtiger Angestellter
zumindest gleichzustellen und ausgeschiedene Beamte nicht noch durch eine Rentenkürzung zu
benachteiligen.
9 Der Kläger beantragt,
10 das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. Januar 2016 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom
14. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2014 abzuändern und die Beklagte zu
verurteilen, dem Kläger eine höhere Altersrente entsprechend den Bruttobezügen vergleichbarer
versicherungspflichtiger Angestellter anstelle der tatsächlichen Bezüge zu gewähren,
11 hilfsweise die Revision zuzulassen.
12 Die Beklagte beantragt,
13 die Berufung zurückzuweisen.
14 Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
15 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die
beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
17 Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen
Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das
SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Altersrente für
langjährig Versicherte.
18 Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 14.1.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
8.4.2014, mit dem die Beklagte dem Kläger Altersrente für langjährig Versicherte ab 1.12.2013 i.H.v.
1.272,34 EUR monatlich gewährt hat. Dagegen wendet sich der Kläger mit dem Begehren auf Gewährung
einer höheren Rente mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage.
19 Der angefochtene Bescheid erweist sich jedoch als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten.
20 Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten
persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden (§
63 Abs. 6 SGB VI). Der Rentenartfaktor für die vom Kläger bezogene Altersrente beträgt 1,0 (§ 67 Nr. 1 SGB
VI); der nach § 68 SGB VI zu errechnende aktuelle Rentenwert betrug zum Rentenbeginn am 1.12.2013
(vom 1.7.2013 bis 30.6.2014) 28,14 EUR (www.bundesregierung.de). Beides hat die Beklagte zutreffend
berücksichtigt. Ebenso hat die Beklagte die persönlichen Entgeltpunkte des Klägers auf der Grundlage der im
Versicherungskonto gespeicherten Zeiten und Entgelte, die der Kläger mit der Erklärung vom 14.11.2013 als
richtig und vollständig beurteilt hat, zutreffend ermittelt. Die gespeicherten Zeiten beruhen, mit Ausnahme
der Wehrdienstzeit und der Fachschulausbildung, allein auf Pflichtbeiträgen durch Nachversicherung. Die
Daten sind mit den von den Dienstherren, der Deutschen Post, dem Bundesverwaltungsamt und dem
Landesamt für Besoldung und Versorgung mitgeteilten Zeiten und den in dieser Zeit gezahlten
Bruttoentgelten identisch. Die nunmehr mit Wirkung vom 1.1.2016 in § 181 Abs. 2a SGB VI bei Soldaten
auf Zeit als Beitragsbemessungsgrenze vorgesehene Erhöhung der beitragspflichtigen Einnahmen um 20
v.H. war zum Zeitpunkt der Zahlung der Beiträge 1999 bzw. 2001 noch nicht geltend (§ 181 SGB VI in der
Fassung vom 15.12.1995, gültig bis 31.12.2001). Die Rente des Klägers hat die Beklagte daher anhand
dieser Faktoren rechtlich zutreffend in Höhe von 1.272,34 EUR ermittelt.
21 Mit seiner Argumentation, dass seinen versicherungsfreien Tätigkeiten nicht die tatsächlich gezahlten
Entgelte, sondern fiktiv für pflichtversicherte Angestellte in gleicher Position höhere Entgelte der
Berechnung der Rente zugrunde zu legen seien, kann der Kläger im vorliegenden Verfahren bereits kein
Gehör finden. Damit richtet er sich gegen die Durchführung der Nachversicherungen gegenüber seinen drei
Dienstherren, die nach dem Eintritt des Nachversicherungsfalls durch das unversorgte Ausscheiden aus dem
Beamtenverhältnis am 1.8.1999 auch erfolgt waren. Diese sind ausweislich der von Kläger vorgelegten
Unterlagen durch das Bundesverwaltungsamt im November 1999 (Schreiben vom 22.11.2013,
Nachversicherungsbescheinigung vom 30.11.1999 und Sammelkassenanweisung vom 30.11.1999), durch
die Deutsche Post 2001 (Nachversicherungsbescheinigung vom 30.5.2001) und durch das Landesamt für
Besoldung und Versorgung im November 1999 (Nachversicherungsbescheinigung vom 10.11.1999) auf der
Grundlage der damals gezahlten Entgelte erfolgt und haben zur entsprechenden Kontenspeicherung bei der
Beklagten geführt. Die Durchführung der damaligen Nachversicherung kann jedoch nicht zum Gegenstand
des vorliegenden Verfahrens um die Höhe der darauf beruhenden Rente gemacht werden. Selbst wenn die
Nachversicherungsbeiträge - wie der Kläger behauptet - von der Beklagten zu niedrig angesetzt worden
wären, so könnte die vom Kläger geforderte höhere Rente nicht auf Grund einer fiktiven Höherbewertung,
sondern erst nach der tatsächlichen Zahlung weiterer Nachversicherungsbeiträge rentensteigernd
berücksichtigt werden (vgl. BSG, Urteil v. 31.01.2008 - B 13 R 27/07 R -, juris Rn. 20 ff.; Bayerisches
Landessozialgericht, Urteil vom 26.10.2012 – L 1 R 402/09 –, Rn. 86, juris). Grund hierfür ist, dass
„nachzuentrichtende“ Beiträge als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge gelten (§ 185 Abs. 2 SGB VI, früher
§ 124 Abs. 4 Satz 1 AVG). Sind Beiträge „nachzuentrichten“, bedeutet dies, dass sie auch tatsächlich
nachentrichtet werden müssen. Vor der Zahlung der entsprechenden Versicherungsbeiträge durch die
Dienstherren können die Voraussetzungen für eine höhere Rente deshalb nicht erfüllt sein. Die Frage der
Höhe der Nachversicherungsbeiträge ist im „Durchführungsverhältnis“ zu klären. Ansonsten wäre § 281
Abs. 2 SGB VI, der auch auf die tatsächliche Zahlung der Beiträge abstellt, ohne Regelungsgehalt. Denn
diese Vorschrift kann nur so verstanden werden, dass sie die Vormerkung oder Anrechnung einer
nachzuversichern Zeit gerade verhindern will, solange noch keine Beiträge geflossen sind. Der Kläger ist
auch nicht rechtlos gestellt, er kann bei pflichtwidrig unterbliebener Nachversicherung den ehemaligen
Dienstherrn ggf. auf Entrichtung der (höheren) Nachversicherungsbeiträge in Anspruch nehmen (BSG aaO.
juris Rn. 28, 30 m.w.Nw.).
22 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich für die Rechtsauffassung des Klägers, dass hinsichtlich der
Beitragsbemessungsgrundlage gem. § 181 Abs. 2 Satz 1 SGB VI abweichend vom tatsächlich erhaltenen
Entgelt von einem fiktiv höheren Angestellteneinkommen auszugehen sei, kein rechtlich haltbarer Ansatz
findet. Arbeitsentgelt sind die bis zum Eintritt des Nachversicherungsfalles tatsächlich gewährten Entgelte
(vgl. BSG, Urteil vom 8.11.1989 – 1 RA 21/88 –, SozR 2200 § 1402 Nr 11, Rn. 14 und vom 2.8.1989 - 1 RA
43/88 -, juris). Auf die zutreffende Begründung des SG wird hierzu Bezug genommen. Auch hat der Senat
bereits entschieden, dass entscheidend allein die tatsächlich gezahlten Bezüge im Sinne des § 14 SGB IV aus
der versicherungsfreien Beschäftigung (§ 5 Abs. 1 Ziff. 1 SGB VI) sind und auch grundgesetzliche Aspekte
insbesondere bei einem freiwilligen Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis nicht entgegenstehen (LSG
Baden-Württemberg, Urteil vom 16.8.2000 - L 2 RJ 659/98 -, juris).
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
24 Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.