Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 08.07.2015

treu und glauben, pflege, onkel, wohnung

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 8.7.2015, L 2 AS 4686/13
Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf bei Alleinerziehung - alleinige Sorge für Pflege
und Erziehung - Unterstützung durch einen neuen Partner - nachhaltige
Entlastung
Leitsätze
Kein Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende, wenn die Erziehungsanteile des
anderen Elternteils den Elternteil, der den Mehrbedarf geltend macht, nachhaltig
entlastet haben.
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 5. September
2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten für die Zeit vom 13.04.2010 bis 31.05.2010 um höhere
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Klägerin Ziff. 2 unter Berücksichtigung eines
Mehrbedarfs für Alleinerziehende sowie für den Kläger Ziff. 3 dem Grunde nach
(Sozialgeld und Kosten der Unterkunft - KdU).
2 Der Kläger Ziff. 1 bezog seit langem allein und nach ihrem Zuzug im Mai 2009 mit
seiner am geborenen und aus M. stammenden Ehefrau, der Klägerin Ziff. 2,
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zunächst von
der ARGE-Jobcenter Stadt P.. Zum 1.12.2009 zogen die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2
nach B. in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten (vormals Arbeitsgemeinschaft
zur Beschäftigungsförderung im O.) in das im Eigentum der Schwester des Klägers
Ziff. 1, J., stehende Haus in der um. Diese ist durch die Erbausschlagung des
Klägers Ziff. 1 Alleineigentümerin des Hauses geworden (Bl. 82 LSG-Akte bei L 2
AS 4527/13). Bis zum 12.04.2010 bewohnten sie dort die 58 qm große 2-Zimmer-
Wohnung zur Miete. Die Kaltmiete belief sich auf 294 EUR zuzüglich einer
Betriebskostenpauschale von 222 EUR (Gesamtkosten: 516 EUR; Bl. 6, 13, 27
VA).
3 Am 12.11.2009 beantragte der Kläger Ziff. 1 für sich und die Klägerin Ziff. 2
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei dem Beklagten.
4 Mit Bescheid vom 07.12.2009 bewilligte der Beklagte den Klägern Ziff. 1 und Ziff. 2
für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 1.149,78 EUR (je 323,00 EUR
Regelbedarf und 251,89 EUR anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU)
unter Berücksichtigung eines Abzugs der Warmwasserpauschalen von je 6,11
EUR; Bl. 55 VA).
5 Am 2.3.2010 teilte die Klägerin Ziff. 2 dem Beklagten mit, dass ihr Sohn, der aus
erster Ehe mit einem Marokkaner stammende, am 18.7.2000 geborene und in M.
lebende Kläger Ziff. 3 demnächst auch nach Deutschland kommen werde.
6 Mit Änderungsbescheid vom 06.04.2010 berücksichtigte der Beklagte zunächst
entsprechend den Angaben der Kläger sowohl die im Bewilligungsabschnitt
fälligen Müllgebühren als auch ab 1.5.2010 Erwerbseinkommen der Klägerin Ziff. 2
aus der am 15.03.2010 aufgenommenen geringfügigen Beschäftigung in Höhe
von 400,00 EUR monatlich. Der monatliche Gesamtbetrag für den restlichen
Bewilligungsabschnitt (Monat Mai 2010) reduzierte sich auf 909,78 EUR. Dagegen
legte der Kläger Ziff. 1 Widerspruch ein und trug vor, der Monatslohn belaufe sich
nur auf 303,36 EUR. Zusätzlich bemängelte er die Müllgebühren (Bl. 110 VA).
7 Am 13.4.2010 zog der Kläger Ziff. 3 zu den Klägern Ziff. 1 und Ziff. 2. Den Zuzug
hatten die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 gemeinsam organisiert. In der
Verpflichtungserklärung vom 18.3.2010 hatte sich zuvor der in Salzgitter lebende
Onkel des Klägers Ziff. 3, O., verpflichtet, für die Dauer des Aufenthalts nach § 68
Aufenthaltsgesetz (AufenthG) die Kosten für dessen Lebensunterhalt zu tragen.
Hiervon erlangte der Beklagte durch das Schreiben der Ausländerbehörde des
Landratsamts O. vom 20.04.2010 Kenntnis (Bl. 81 VA).
8 Der Änderung trug der Beklagte mit dem Änderungsbescheid vom 27.4.2010
Rechnung und berücksichtigte den Kläger Ziff. 3 jedoch lediglich als Mitglied der
Haushaltsgemeinschaft. Der Bescheid enthielt den Hinweis: “...sind folgende
Änderungen eingetreten: Der Sohn von Frau H. G., ist zum 13.4.2010 in Ihren
gemeinsamen Haushalt gezogen. Da durch seinen Onkel eine
Verpflichtungserklärung zwecks Sicherung des Lebensunterhaltes unterschrieben
wurde, kann G.keine Alg II-Leistungen erhalten. Er wurde deshalb in die
Haushaltsgemeinschaft aufgenommen, da er für seinen Anteil an den Kosten der
Unterkunft selbst aufkommen muss bzw. der Onkel." Die dadurch für die Monate
April und Mai 2010 hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung
entstandene Überzahlung für die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 wurde entsprechend bei
der geänderten Leistungsbewilligung ab 13.4.2010 berücksichtigt (Reduzierung
der Leistungsbewilligung z.B. für den Monat Mai 2010 auf 741,85 EUR; Bl. 89 VA).
9 Mit je an die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 gerichteten Aufhebungs- und
Erstattungsbescheiden vom 27.4.2010 hob der Beklagte infolge dessen
entsprechend die bewilligten Leistungen für die Zeit vom 13.04.2010 bis
31.05.2010 teilweise auf (Bl. 95, 99 VA).
10 Gegen die 3 Bescheide vom 27.4.2010 legte der Kläger Ziff. 1 am 03.05.2010
jeweils - zum Teil als Vertreter seiner Ehefrau - Widerspruch ein. Zur Begründung
führte er aus, dass für den Kläger Ziff. 3 keine Leistungen beantragt worden seien.
Wie der Beklagte ausdrücklich mitteile, sei es ausgeschlossen, dass für den Kläger
Ziff. 3 ein Antrag auf Alg II-Leistungen und auf Übernahme von Unterkunftskosten
gestellt werden könne. Eine Überzahlung sei trotz Aufnahme des nicht
leistungsberechtigten Klägers Ziff. 3 in die Haushaltsgemeinschaft nicht
entstanden. Wegen des durch den Zuzug des Sohnes erforderlich gewordenen
Umzugs in eine größere und teurere Wohnung im selben Haus ergebe sich
vielmehr ein Nachzahlungsbetrag. Dem vom Kläger vorgelegten neuen Mietvertrag
vom 05.04.2010 bzw. der Mietbescheinigung nach ist für die 88 qm große 3-
Zimmer-Wohnung eine Kaltmiete von 441 EUR, Kosten für die Zentralheizung von
88 EUR, Kosten für Warmwasser von 16 EUR, eine Betriebskostenpauschale von
169 EUR sowie eine weitere Pauschale von 60 EUR für Schönheitsreparaturen an
die Schwester des Klägers Ziff. 1 zu zahlen (gesamt 774 EUR). Außerdem wurde
auf die Auszahlungsmodalitäten des Lohnes hingewiesen.
11 Mit Schreiben vom 06.05.2010 ergänzte der Kläger Ziff. 1 seinen Vortrag und
machte nun auch einen Mehrbedarf für Alleinerziehende für die Klägerin Ziff. 2
geltend. Die Klägerin Ziff. 2 erziehe den Kläger Ziff. 3 allein. Der leibliche Vater lebe
in M.. Der Kläger Ziff. 1 sei als Stiefvater dem leiblichen Vater nicht gleichzusetzen.
Darüber hinaus sei die Erziehung des Klägers Ziff. 3 islamisch geprägt und werde
nur von der Klägerin Ziff. 2 vorgenommen (Bl. 138 VA).
12 Mit Bescheiden vom 12.08.2010 nahm der Beklagte die Aufhebungs- und
Erstattungsbescheide vom 27.04.2010 im Hinblick auf die Neuberechnung der
KdU nach Vorlage des geänderten Mietvertrags zurück (Bl. 177, 178 VA).
13 Mit Änderungsbescheid vom 13.08.2010 berechnete der Beklagte die Ansprüche
der Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 für die Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 unter
Berücksichtigung korrigierter Warmwasserpauschalen sowie der nachgewiesenen
Einkommensverhältnisse und -zuflüsse der Klägerin Ziff. 2 neu. Die bewilligten
Leistungen beliefen sich nunmehr in der Zeit vom 01.12.2009 bis 31.03.2010 auf
1.150,36 EUR monatlich, für die Zeit vom 01.04.2010 bis 12.04.2010 auf 460,14
EUR, für die Zeit vom 13.04.2010 bis 30.04.2010 auf 666,73 EUR und für Mai 2010
auf 953,39 EUR (Nachzahlbeträge gesamt 2,40 EUR; Bl. 181 VA). Mit Widerspruch
vom 20.8.2010 hielt der Kläger den Änderungsbescheid ebenfalls für falsch.
14 Durch einen Datenabgleich erhielt der Beklagte Kenntnis von der weiteren
geringfügigen Tätigkeit der Klägerin Ziff. 2 in der Zeit vom 01.05.2010 bis
30.06.2010 im Ristorante (Bl. 219 VA). Unter Berücksichtigung des weiteren
Einkommens in Höhe von 160 EUR verringerte sich die Leistungsgewährung im
Mai 2010 auf 825,39 EUR (Änderungsbescheid vom 22.09.2010, Bl. 231). Die
Überzahlung für den Monat Mai in Höhe von je 64 EUR rechnete der Beklagte
anteilig gegen die Leistungen der Kläger Ziff. 1 und 2 auf (Aufhebungs- und
Erstattungsbescheide vom 22.9.2010, Bl. 243, 246 VA). Auch die Bescheide vom
22.9.2010 hielt der Kläger für falsch und forderte die anteilige Berücksichtigung der
Schönheitsreparaturenpauschale und einen Mehrbedarfszuschlag für
Alleinerziehende für die Klägerin Ziff. 2. Sein Erziehungsanteil belaufe sich bei der
islamisch geprägten Erziehung des Stiefsohnes auf 5 bis 10% (Widersprüche vom
3.10.2010, Bl. 266 ff VA).
15 Mit dem weiteren Änderungsbescheid vom 12.01.2011 erkannte der Beklagte die
bislang nicht berücksichtigte Pauschale für Schönheitsreparaturen anteilig in Höhe
von 40,00 EUR monatlich als Kosten der Unterkunft ab dem 13.04.2010 an. Weiter
gewährte er dem Kläger Ziff. 1 Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit
seinen Kindern aus erster Ehe u.a. im April in Höhe von 40,00 EUR. Die bewilligten
Leistungen beliefen sich nunmehr auf 714,73 EUR vom 13.4. bis 30.4.2010 und
auf 865,39 EUR für Mai 2010 (Bl. 382 VA).
16 Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2011 wies der Beklagte den Widerspruch
gegen den Bescheid vom 27.05.2010 (richtig: 27.4.2010) in der Fassung des
Änderungsbescheids vom 12.1.2011 im Übrigen als unbegründet zurück. Mit
Änderungsbescheid vom 12.01.2011 seien die Pauschale wegen
Schönheitsreparaturen und die Kosten des Umgangsrechts anerkannt worden. Ein
Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende bestehe nicht. Eine Alleinerziehung
liege nicht vor, auch wenn der Kläger Ziff. 1 nicht der leibliche Vater des Kindes sei.
Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Kindergeldgewährung für den Kläger
Ziff. 3 nur wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Klägers Ziff. 1 möglich
gewesen sei.
17 Am 18.02.2011 haben der Kläger Ziff. 1 und die Klägerin Ziff. 2 Klage gegen den
Bescheid vom 27.4.2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12.1.2011
sowie den Widerspruchsbescheid vom 26.1.2011 - W 6/11 - „wegen Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Gewährung eines
Alleinerziehendenzuschlags für den Leistungszeitraum 13.4.2010 bis 31.5.2010)“
zunächst fristwahrend zum Sozialgericht Ulm erhoben (SG, Az.: S 6 AS 559/11).
Erst mit Fax vom 31.08.2011 haben sie ihren Vortrag wegen Alleinerziehung
ergänzt und erstmals - nachdem der Beklagte zwischenzeitlich seit 1.5.2011 ihn in
die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen hatte (Bl. 456 VA) - dem Grunde nach
auch für den Kläger Ziff. 3 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem SGB II rückwirkend im Zeitraum vom 13.04.2010 bis 31.05.2010 geltend
gemacht. Der Kläger Ziff. 3 habe weder von dem Onkel noch von anderen
Drittpersonen Unterhaltszahlungen erhalten, sondern vom Kindergeld und dem
Einkommen seiner Mutter gelebt. Die Rechtsauffassung des Jobcenters sei falsch
gewesen. Das SG hat später - im Rahmen der mündlichen Verhandlung am
05.09.2013 - das Rubrum um den Kläger Ziff. 3 ergänzt.
18 Mit Beschluss vom 18.04.2012 hat das SG im Hinblick auf das bei dem
Bundessozialgericht (BSG) anhängige Verfahren B 4 AS 167/11 R den
Rechtsstreit zum Ruhen gebracht und nach Anrufung mit Schriftsatz vom
09.11.2012 das Verfahren unter dem Az. S 6 AS 3552/12 fortgeführt.
19 Die Kläger hielten das vom BSG positiv im Sinne eines Mehrbedarfs für
Alleinerziehende entschiedene Verfahren B 4 AS 167/11 R auf den vorliegenden
Fall für übertragbar und auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse bei der geringen
Unterstützungsleistung durch den Kläger Ziff. 1 einen Mehrbedarf für die Klägerin
Ziff. 2 für gerechtfertigt.
20 Der Beklagte hat den Fall auf die in einer Ehe lebenden Kläger nicht für
übertragbar gehalten und darauf hingewiesen, dass der Kläger Ziff. 1 am
23.12.2009 selbst ebenfalls eine Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG für
den Kläger Ziff. 3 abgegeben habe und im Fortzahlungsantrag für den Zeitraum ab
1.6.2011 darauf verwiesen habe, dass der Kläger Ziff. 3 zukünftig keine Drittmittel
mehr erhalten werde, was auf Unterstützung in der Vergangenheit schließen lasse.
21 Das SG hat die Klage mit Urteil vom 5.9.2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, dass für die Zeit vom 13.04.2010 bis 31.05.2010 Streitgegenstand zum
einen die höhere Gewährung der Leistungen als solche unter Berücksichtigung
eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende - der kein abtrennbarer Streitgegenstand
sei - sei. Zum Anderen stehe die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für den Kläger Ziff. 3 dem Grunde nach im Streit.
22 Die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 erfüllten in der streitigen Zeit die Voraussetzungen für
den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 1
Satz 1 Nr.1 bis 4 SGB II. Insbesondere die Klägerin Ziff. 2 sei auch nicht von
Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen und beide seien
hilfebedürftig gewesen. Der Beklagte habe das zu berücksichtigende Einkommen
der Klägerin Ziff. 2 ebenso zutreffend bestimmt wie die anzusetzenden Regelsätze.
Entsprechendes gelte für die Höhe der zu berücksichtigenden Kosten der
Unterkunft und Heizung, nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 12.1.2011 auch
die Schönheitsreparaturenpauschale in Ansatz gebracht habe.
23 Der monatliche Bedarf sei nicht um einen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach §
21 Abs. 3 SGB II (a.F.) - als Individualanspruch nur der Klägerin Ziff. 2 in Höhe von
monatlich 38,76 EUR (12 % von 323,00 EUR) - zu erhöhen. Das Gesetz nenne
keine Definition dafür, wann die Sorge für die Pflege und Erziehung „allein“ im
Sinne des § 21 Abs. 3 SGB II getragen werde. Es herrsche in der Rechtsprechung
jedoch Einigkeit, dass bezüglich der alleinigen Sorge ausschließlich auf die
tatsächlichen Umstände abzustellen sei und nicht auf rechtliche Verhältnisse wie
zum Beispiel ein geteiltes Sorgerecht (Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG-,
Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 167/11 R). Die Begriffe „Pflege“ und „Erziehung“
umschrieben die umfassende Verantwortung für die Lebens- und
Entwicklungsbedingungen des Kindes. Pflege konkretisiere die Sorge für das
körperliche Wohl, Erziehung die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung,
die Bildung und Ausbildung der minderjährigen Kinder. Es gehe um die gesamte
Sorge für das Kind, mithin die Ernährung, Bekleidung, Gestaltung des
Tagesablaufs und die emotionale Zuwendung (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B
4 AS 50/07 R). Entscheidend sei daher, ob der hilfebedürftige Elternteil von einer
anderen Person (beispielsweise seinem Partner) in einem Umfang unterstützt
werde, der es rechtfertige, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen. Diese
Entlastungen könnten auch finanzieller Art sein, müssten dann aber in einem
Umfang bestehen, dass die Zuerkennung eines Mehrbedarfs nicht gerechtfertigt
wäre.
24 Eine solche nachhaltige Entlastung der Klägerin Ziff. 2 durch den Kläger Ziff. 1 hat
das SG darin gesehen, dass sich beide gemeinsam um den Zuzug des Klägers
Ziff. 3 aus Marokko sowie um die hierdurch notwendig gewordene Beschaffung
einer größeren Wohnung gekümmert haben. Der Kläger Ziff. 1 habe zudem
finanzielle Verantwortung für den Kläger Ziff. 3 übernommen, indem er zu dessen
Gunsten eine Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG abgegeben habe.
Ferner habe sich der Kläger Ziff. 1 nach seinem eigenen Vortrag um den Einkauf
für die gesamte Familie sowie die Finanzen gekümmert, an der schulischen
Entwicklung des Klägers Ziff. 3 teilgenommen, indem er sich Schulnoten habe
zeigen lassen, mit ihm gemeinsam Mahlzeiten eingenommen, sei mit ihm ins Kino
gegangen und habe die Klägerin Ziff. 2 bei Elternsprechstunden in der Schule
sowie bei Arztbesuchen des Klägers Ziff. 3 begleitet. Der Umstand, dass der
Kläger Ziff. 1 diese Dinge möglicherweise nur deshalb gemacht habe, weil die
Klägerin Ziff. 2 die deutsche Sprache - nach dem klägerischen Vortrag - nur
unzulänglich beherrscht habe, rechtfertige keine andere Wertung, weil es allein auf
die tatsächlichen Umstände ankomme und nicht die Motive hierfür. Keine andere
Bewertung ergebe sich aus der islamischen Prägung der Erziehung des Klägers
Ziff. 3, da die Erziehung und Pflege auch bei anderen Ehepaaren in
unterschiedlichster Weise aufgeteilt sei. Hierdurch sei von einer erheblichen
Entlastung der Klägerin Ziff. 2 auszugehen, was sich auch durch das vielfache
Prozessieren mit Nachdruck zugunsten der Klägerin Ziff. 2 und des Klägers Ziff. 3
zeige. Auch die geltend gemachte gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers
Ziff. 1 - nur noch unter drei Stunden täglich leistungsfähig - stehe nicht entgegen,
da ihn dies nicht daran gehindert habe, die Klägerin Ziff. 2 in dem genannten
Umfang zu unterstützen, sodass die tatsächlichen Umstände seinen Vortrag
widerlegten.
25 In der nachträglichen Erhebung der Klage für den Kläger Ziff. 3 hat das SG eine
sachdienliche Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG gesehen, da die
Ansprüche mehrerer Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft für denselben Zeitraum
im Streit stünden und der Sachverhalt umfassend ermittelt sei.
26 Für die geänderte Klage müssten sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen
vorliegen. Die Klage des Klägers Ziff. 3 gegen den angegriffenen Bescheid sei
jedoch unzulässig, da mit dem angegriffenen Bescheid über Ansprüche des
Klägers Ziff. schon mangels Antrags nach § 37 SGB II nicht entschieden worden
sei. Die grundsätzlich mögliche Fingierung des Antrags im Wege des
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei nach den Grundsätzen von Treu und
Glauben vorliegend nicht geboten. Der Kläger Ziff. 1, der trotz langjährigen
Leistungsbezugs nach dem SGB II in der Verpflichtungserklärung nach § 68
AufenthG zugunsten des Klägers Ziff. 3 angegeben habe, dass seine
Einkommensverhältnisse gesichert seien und er für alle im Zusammenhang mit
dem dauerhaften Aufenthalt des Klägers Ziff. 3 im Bundesgebiet entstehenden
Kosten aufkommen werde, verhalte sich treuwidrig, wenn er nun Leistungen nach
dem SGB II für den Kläger Ziff. 3 ab dem ersten Tag seiner Einreise ins
Bundesgebiet rückwirkend einklage. Das treuwidrige Verhalten des Klägers Ziff. 1
müssten sich die Kläger Ziff. 2 und Ziff. 3 zurechnen lassen.
27 Gegen das dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen
Empfangsbekenntnis am 30.9.2013 zugestellte Urteil hat der neue
Prozessbevollmächtigte am 29.10.2013 schriftlich beim Landessozialgericht
Baden-Württemberg Berufung für die Kläger Ziff. 1 bis 3 eingelegt.
28 Der Kläger Ziff. 1 hat hinsichtlich der für den Kläger Ziff. 3 begehrten Leistungen
(Bl. 28 LSG) zur Sicherung des Lebensunterhalts vorgetragen, der Beklagte habe
falsch belehrt, indem er mitgeteilt habe, dass der Kläger Ziff. 3 durch die
Verpflichtungserklärung seines Onkels keine Alg II-Leistungen erhalten könne und
so die Antragstellung verhindert. Der Onkel habe tatsächlich keine
Unterhaltszahlungen erbracht. Nachdem der Beklagte seit 1.5.2011 nun dem
Kläger Ziff. 3 Leistungen nach dem SGB II gewähre, habe er seine ursprüngliche
falsche Rechtsauffassung korrigiert. Unverständlich sei, dass dies nicht auch für
den streitigen Zeitraum erfolge. Es bleibe dem Beklagten unbenommen, sich
anschließend bezüglich der Verpflichtungserklärung an den Onkel zu wenden. Der
Kläger Ziff. 3 habe vom Kindergeld und vom Einkommen seiner Mutter gelebt,
einmalig habe ihm seine Tante gebrauchte Kleidung zugesandt.
Dementsprechend sei auch die Formulierung im Fortzahlungsantrag zu verstehen.
Die Hilfe des Klägers Ziff. 3 wäre nur dann entfallen, wenn er die Leistungen auch
tatsächlich erhalten hätte bzw. Ansprüche realisierbar seien. Das SG habe sich zu
Unrecht auf die von ihm, dem Kläger Ziff. 1 abgegebene Verpflichtungserklärung
berufen, da diese mangels Leistungsfähigkeit unwirksam gewesen sei.
Ausschließlich aufgrund der anschließend vom Onkel abgegebenen
Verpflichtungserklärung habe der Kläger Ziff. 3 sein Visum erhalten, das im
Übrigen rechtswidrig davon abhängig gemacht worden sei. Auf Treu und Glauben
komme es nicht an, sondern nur auf den tatsächlichen Sachverhalt. Fakt sei, dass
beide Verpflichtungserklärenden nicht geleistet hätten und dem Beklagten die
Leistungsunfähigkeit des Klägers Ziff. 1 bekannt gewesen sei. Im Übrigen seien
Leistungen für den Kläger Ziff. 3 nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz mit
beantragt gewesen. Es sei offensichtlich rechtswidrig, wenn der Beklagte
schuldhaft eine Falschberatung vornehme, somit die Antragstellung verhindere
und sich dann im Nachhinein darauf berufen möchte, dass der Kläger Ziff. 3 keinen
Antrag gestellt habe.
29 Sofern dem Kläger Ziff. 3 keine Leistungen zugesprochen würden, hätten der
Kläger Ziff. 1 und die Klägerin Ziff. 2 nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil
vom 23.5.2013 - B4 AS 67/12 R) Anspruch auf die tatsächlichen KdU i.H.v. 774
EUR (Bl. 35 LSG).
30 Hinsichtlich des Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung (Bl. 38 LSG) hat der Kläger
Ziff. 1 den Vortrag wiederholt und vertieft. Gemäß Art. 6 Abs. 2 GG sei die Pflege
und Erziehung eines Kindes das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst
ihnen obliegende Pflicht. Ein Stiefvater, der in keiner Weise die Funktion eines
Elternteils übernehme, sei damit nicht gemeint. Er habe während des Bestehens
der Bedarfsgemeinschaft vom 13.4.2010 bis 14.11.2012 (Trennung der Eheleute)
keine erheblichen Betreuungsleistungen erbracht und sei nur unwesentlich an der
islamisch geprägten Erziehung und Pflege des Klägers Ziff. 3 mit maximal 3 - 5 %
beteiligt gewesen. Das SG habe für seine Argumentation nur völlig belanglose
Punkte aus dem Fragenkatalog herausgezogen. Entscheidend sei die Summe.
Der Gesetzgeber gehe hinsichtlich der alleinverantwortlichen Erziehung von einem
"weit überwiegendem Anteil" aus. Im Übrigen lasse auch sein Gesundheitszustand
einen beachtlichen Erziehungsanteil nicht zu.
31 Die Kläger beantragen,
32 das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 5. September 2013 sowie den
Änderungsbescheid vom 27. April 2010 in der Form der Änderungsbescheide
vom 13. August 2010, 22. September 2010 und 12. Januar 2011 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2011 abzuändern und den Beklagten zu
verurteilen, für die Zeit vom 13. April 2010 bis 31. Mai 2010 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II der Klägerin Ziff. 2 unter
Berücksichtigung eine Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung um 38,76 EUR erhöht
und dem Kläger Ziff. 3 dem Grunde nach (Sozialgeld in Höhe von 251,00 EUR,
Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 258,00 EUR monatlich) zu
gewähren.
33 Der Beklagte beantragt,
34 die Berufung zurückzuweisen.
35 Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
36 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (6 Bände)
sowie die Prozessakten beider Rechtszüge und die beigezogenen Akten in den
Rechtsstreitigkeiten des Senats L 2 AS 4446/13 NZB, L 2 AS 4447/13 NZB, L 2 AS
4448/13 NZB, L 2 AS 4468/13 NZB, L 2 AS 4469/13 NZB, L 2 AS 4527/13, L 2 AS
4682/13 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
37 Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg.
38 Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter
Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG)
eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage im
Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben im streitigen Zeitraum vom 13.4.
bis 31.5.2010 keinen Anspruch auf höhere bzw. - den Kläger Ziff. 3 betreffend -
überhaupt auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
39 Im Bewilligungszeitraum vom 1.12.2009 bis 31.5.2010 haben die Kläger die Klage
auf den Leistungszeitraum 13.4. bis 31.5.2010 beschränkt, nachdem die für die
hier zu beurteilenden Rechtsfragen - hinsichtlich Mehrbedarf für Alleinerziehende,
Leistungen für den Kläger Ziff. 3, höhere KdU für die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 -
maßgebliche Änderung durch den Zuzug des Klägers Ziff. 3 in die
Bedarfsgemeinschaft der Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 am 13.4.2010 eingetreten ist.
40 Streitgegenständlich ist vorliegend der diesem Umstand Rechnung tragende
Änderungsbescheid des Beklagten vom 27.04.2010 in der nach § 86 SGG zum
Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewordenen und die Leistungshöhe
beeinflussenden Fassung der Änderungsbescheide vom 13.08.2010 und
22.09.2010, der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 22.9.2010 sowie des
Änderungsbescheids vom 12.01.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26.01.2011. Dagegen gehen die Kläger mit der kombinierten Anfechtungs-
und Leistungsklage vor (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGG in Verbindung mit § 54 Abs. 4
SGG). Nicht Streitgegenstand sind - anders als vom SG angenommen - die
Bescheide vom 12.8.2010, mit denen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide
vom 27.4.2010 gegenüber dem Kläger Ziff. 1 und gegenüber der Klägerin Ziff. 2
wieder zurückgenommen worden sind, weil sie insoweit dem Widerspruch
abgeholfen haben und die Kläger nicht beschweren.
41 1. Leistungen für den Kläger Ziff. 3
42 Hinsichtlich der für den Kläger Ziff. 3 geltend gemachten Leistungen ist die
Berufung zulässig. Zwar ist mit der Erhebung der Klage durch die Kläger Ziff. 1 und
Ziff. 2 und dem geltend gemachten Begehren auf Gewährung eines Mehrbedarfs
für Alleinerziehende zunächst keine Klage für den Kläger Ziff. 3 erhoben worden.
Die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 haben jedoch mit dem Fax vom 31.8.2011 die Klage
nachträglich auf Sozialgeld und KdU für den Kläger Ziff. 3 erweitert. Dies stellt eine
Klageänderung nach § 99 SGG dar (vgl. Hk-SGG/Roller, 3. Aufl. § 99 Rn. 18). Das
SG hat die Klageänderung als sachdienlich erachtet, zudem hat sich der Beklagte
ohne der Änderung zu widersprechen in einem Schriftsatz und in der mündlichen
Verhandlung auf die für den Kläger Ziff. 3 geltend gemachten Ansprüche
eingelassen, so dass die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Klageänderung
(vgl. § 99 Abs. 1 und Abs. 2 SGG) gegeben sind. Die Zulassung der
Klageänderung ist für den Senat verbindlich (Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 11. Aufl. § 99 Rn. 15). Für den Kläger Ziff. 3 werden
auch Leistungen von mehr als 750 EUR (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG)
geltend gemacht, nämlich für einen Monat und 19 Tage Sozialgeld in Höhe von
251 EUR und anteilige KdU in Höhe von 258 EUR pro Monat, mithin 831,37 EUR.
43 Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht ist das SG davon ausgegangen,
dass bei der Klageänderung die allgemeinen Prozessvoraussetzungen erfüllt sein
müssen (Hk-SGG/Roller, 3. Aufl. § 99 Rn. 16; Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 11. Aufl. § 99 Rn. 13a mwNw.). Abzustellen ist auf
den Zeitpunkt der Klageänderung. Daher kann der erst infolge der Klageänderung
angefochtene Verwaltungsakt mittlerweile bestandskräftig geworden sein.
Entsprechendes gilt bei einem anfänglich nur teilweise angefochtenen
Verwaltungsakt (Roller aaO. Rn. 16). So verhält es sich vorliegend. Die durch die
Klageänderung am 31.8.2011 erhobene Klage des Klägers Ziff. 3 war zu diesem
Zeitpunkt unzulässig, weil bereits verfristet.
44 Entgegen der Ansicht des SG hat der Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid
vom 27.4.2010 gerade in erster Linie über den Individualanspruch des Klägers Ziff.
3 auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
entschieden. Er hat einen solchen nämlich abgelehnt. Der Bescheid vom
27.4.2010 erging gerade im Hinblick auf die durch den Zuzug des Klägers Ziff. 3
eingetretene Änderung und nach Prüfung der Leistungsansprüche der eventuell
auch erweiterten Bedarfsgemeinschaft, wie im Bescheid ausdrücklich zu Anfang
ausgeführt wird. Die Ablehnung der Leistung beruhte darauf, dass der Beklagte
davon ausging, der Bedarf des Klägers Ziff. 3 werde durch seinen Onkel im
Rahmen der Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG gedeckt oder sei zu
decken. Der Beklagte hat mit dem Bescheid vom 27.4.2010 entschieden, dass der
Kläger Ziff. 3 nicht in die Bedarfsgemeinschaft aufzunehmen war, sondern nur mit
den Klägern Ziff. 1 und Ziff. 2 eine Haushaltsgemeinschaft bildete, weil er von
Leistungen nach dem SGB II mangels Hilfebedürftigkeit ausgeschlossen sei. Dies
ist eine Ablehnung von Leistungen gegenüber dem Kläger Ziff. 3. Die daraus
resultierende Änderung der Leistungshöhe bezüglich der KdU für die Kläger Ziff. 1
und Ziff. 2 ist lediglich ein Ausfluss der Leistungsablehnung für den Kläger Ziff. 3,
weil die KdU nach dem Kopfteilsprinzip (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteil
vom 27.1.2009 - B 14/7b AS 8/07 R, juris Rn. 18) unabhängig von der
Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft auf die gemeinsamen Nutzer einer
Unterkunft aufzuteilen sind und sich durch die anderweitige - möglicherweise nur
vermeintliche - Bedarfsdeckung des Klägers Ziff. 3 der Bedarf hinsichtlich der KdU
für die Alg II-Bezieher in dieser Wohnung reduziert hat. Hieran ändert auch der
Umstand nichts, dass der Kläger Ziff. 1 in der Widerspruchsbegründung vom
3.5.2010 vorgetragen hat, für den Kläger Ziff. 3 keinen Antrag gestellt zu haben.
Denn entweder hat der Beklagte nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung über
Leistungsansprüche für den Kläger Ziff. 3 entschieden oder der Antrag ist nach §
41 Abs. 1 Nr. 1 SGB X mit der Klageerhebung nachgeholt worden. Nach dem
Meistbegünstigungsgrundsatz (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R –
und Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R -) ist, sofern eine ausdrückliche
Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, davon auszugehen,
dass der Antragsteller die nach der Lage des Falles ernsthaft in Betracht
kommenden Leistungen begehrt, unabhängig davon welchen Antragsvordruck er
hierfür benutzt oder welchen Ausdruck er gewählt hat (BSG, Urteil vom 2.4.2014 –
B 4 AS 29/13 R –, BSGE 115, 225-235, SozR 4-4200 § 37 Nr. 6, SozR 4-1300 §
28 Nr. 2, Rn. 16). Ausgehend davon war der Beklagte dazu gehalten, über
Leistungsansprüche des Klägers Ziff. 3 zu entscheiden. Hierauf hebt nun auch der
Kläger im Berufungsverfahren ab. Der Beklagte war nämlich zum einen durch die
Mitteilung der Klägerin Ziff. 2 über den bevorstehenden Zuzug informiert und hatte
durch die Ausländerbehörde am 20.4.2010 Kenntnis vom erfolgten Zuzug des
Klägers Ziff. 3 erfahren. Der Konstruktion eines vermeintlich fehlenden Antrags auf
Leistungen für den Kläger Ziff. 3 als Grundlage für eine Entscheidung des
Beklagten im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bedarf es daher
nicht, weil der Beklagte mit dem Bescheid vom 27.4.2010 bereits materiell-rechtlich
über den geltend gemachten Anspruch entschieden hat.
45 Hinsichtlich der Leistungsablehnung für den Kläger Ziff. 3 im Bescheid vom
27.4.2010 ist gegen diesen insoweit kein Widerspruch und folglich zunächst am
18.2.2011 auch keine Klage erhoben worden. Unbeachtlich ist, warum dies nicht
erfolgt ist, auch wenn dies nach der Widerspruchsbegründung darauf beruhte,
dass die Kläger auf Grund der Auskunft des Beklagten davon ausgegangen sein
wollen, dass für den Kläger Ziff. 3 kein Antrag auf Alg II gestellt werden könne. Im
Zeitpunkt der Klageänderung am 31.8.2011 war der Bescheid vom 27.4.2010 in
Bezug auf den Kläger Ziff. 3 jedenfalls bestandskräftig geworden. Der Kläger Ziff. 3
konnte daher eine zulässige Klage durch die Klageänderung nicht mehr erheben.
Die Berufung ist bezüglich der für ihn geltend gemachten Leistungen daher
unbegründet.
46 Im Übrigen werden die für den Kläger geltend gemachten KdU nicht geschuldet. Im
Zeitraum vom 13.4. bis 31.5.2010 ist nicht von höheren als von den Klägern Ziff. 1
und Ziff. 2 gezahlten und vom Beklagten übernommenen KdU in Höhe von 476
EUR bzw. mit anteiliger Schönheitsreparaturpauschale von 516 EUR auszugehen,
mithin für den Kläger Ziff. 3 kein weiterer Mietanteil geschuldet. Bei der Anwendung
des § 22 Abs. 1 Halbsatz eins SGB II sind als Mietzinsen die tatsächlichen
Aufwendungen des Hilfebedürftigen berücksichtigungsfähig, soweit sie auf der
Grundlage einer mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung beruhen und vom
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen tatsächlich gezahlt werden. Ausreichend ist also,
dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige einer ernsthaften Mietzinsforderung
ausgesetzt ist. Abzustellen ist auf die tatsächlichen Zahlungen (BSGE Urteil vom
22.9.2009 - B 4 AS 8/09 R -, juris Rn. 16 f). Nachdem die Schwester des Klägers
als Vermieterin den auf den Kläger Ziff. 3 entfallenden Anteil von 1/3 an den
Mietkosten, den die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 bis zur Übernahme der Kosten durch
den Beklagten ab 1.5.2011 nicht gezahlt haben, nie schriftlich eingefordert oder
sonst nachhaltig geltend gemacht hat, ist bei von über einen längeren Zeitraum
gestundeten Mietforderungen davon auszugehen, dass sie nicht ernstlich
geschuldet wurden, solange der Beklagte nicht zahlte.
47 Die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2 haben auch im nachfolgenden Zeitraum ausweislich
der Kontoauszüge vom 21.7.2010, 30.3.2011 und 1.4.2011 (Bl. 322, 4 106. 30,450
VA) nur den auf sie entfallenden Mietanteil in Höhe von 476 EUR bzw. mit
anteiliger Schönheitsreparaturpauschale von 516 EUR an die Vermieterin
überwiesen. Weitere Überweisungen an die Vermieterin wurden am selben Tag
dem Konto des Klägers Ziff. 1 wieder gutgeschrieben. Im Verfahren S 6 AS 11/13
hat J. schriftlich als Zeugin befragt mit Fax vom 11.7.2013 bestätigt, dass die
Mietzahlungen bis Juni 2011 durch Überweisung der Kläger erfolgt seien.
Anhaltspunkte dafür, dass die Schwester des Klägers die Außenstände durch den
Mietanteil des Klägers Ziff. 3 jemals ernsthaft eingefordert hat, ergeben sich aus
den 6 Band Verwaltungsakten sowie den übrigen beigezogenen Akten nicht. Im
Übrigen hat J. in der Mietbescheinigung am 23.4.2011 bestätigt, dass zwar
Mietschulden jedoch in Form der Mietkaution bestehen. Die entsprechende Rubrik
für Zeiträume wurde nicht ausgefüllt.
48 2. Leistungen für die Klägerin Ziff. 2
49 Hinsichtlich der Höhe der Leistungen für die Klägerin Ziff. 2 ist die Berufung
zulässig. Auch wenn der geltend gemachte Anspruch für die Klägerin Ziff. 2 im
streitigen Zeitraum von einem Monat und 19 Tagen für sich den Beschwerdewert
von 750 EUR nicht übersteigt, ist die Berufung dennoch statthaft, da zusammen
mit dem geltend gemachten Anspruch des Klägers Ziff. 3 die Beschwerdesumme
überschritten wird. Mehrere gemeinsam geltend gemachte Ansprüche sind nach §
202 SGG iVm § 5 ZPO zusammenzurechnen (Breitkreuz-Fichte, SGG § 144 Rn.
20).
50 Die Klägerin Ziff. 2 hat jedoch keinen Anspruch auf höhere Leistungen. Der
Beklagte hat den Anspruch der Klägerin Ziff. 2, die die Voraussetzungen für eine
Leistungsgewährung nach § 19 S. 1 SGB II in Verbindung mit § 7 Abs. 1 S. 1 SGB
II (Alter zwischen 15 und 65 Jahre, erwerbsfähig, hilfebedürftig, gewöhnlicher
Aufenthalt in der Bundesrepublik) erfüllt - im Zeitraum vom 13.4.2010 bis 31.5.2010
zutreffend berechnet. Auch hat der Beklagte das Erwerbseinkommen der Klägerin
durch Minijobs entsprechend seinem Zufluss - Eingang auf dem Konto - im
jeweiligen Monat zutreffend angerechnet (Änderungsbescheid vom 13.8.2010:
keine Anrechnung der 92,90 EUR im April 2010, da unter Freigrenze von 100
EUR; 297,29 EUR im Mai 2010). Einwände sind hiergegen auch nicht erhoben
worden. Auf die Ausführungen des SG hierzu wird ergänzend Bezug genommen.
51 Auch ein Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II steht der
Klägerin Ziff. 2 nicht zu. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass
Leistungen für einen Mehrbedarf Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts sind. Der Streit um einen Anspruch auf eine Leistung nach § 21
SGB II stellt keinen eigenständigen und von der Höhe der Regelleistung
abtrennbaren Streitgegenstand dar (vgl. BSG, Urteil vom 11.2.2015 - B 4 AS 26/14
R, juris Rn. 10). Es handelt sich dabei um einen Bestandteil des Alg II, der
unabhängig von der konkreten Höhe des Bedarfs gewährt wird, wenn bei einem
Leistungsberechtigten die besondere Bedarfssituation der Alleinerziehung vorliegt.
Das Gesetz geht insofern von besonderen Lebensumständen aus, bei denen
typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 11.2.2015 -
B 4 AS 26/14 R -, juris Rn. 11). Diese liegen jedoch nicht vor.
52 Nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II (in der im Bewilligungszeitraum geltenden Fassung)
ist für Personen, die mit einem oder mehreren Kindern zusammenleben und allein
für deren Pflege und Erziehung sorgen, gemäß § 21 Abs. 3 SGB II ein Mehrbedarf
in Höhe von 36 v.H. der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung
anzuerkennen, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder
drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammenleben (Nr. 1), oder in Höhe von 12
v.H. der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung für jedes Kind,
wenn sich dadurch ein höherer Vomhundertsatz als nach der Nr. 1 ergibt,
höchstens jedoch in Höhe von 60 v.H. der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden
Regelleistung (Nr. 2) anerkannt. Ein „Zusammenleben" erfordert nicht das
Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft mit dem minderjährigen Kind. Ausreichend ist
das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 27.1.2009 - B 14/7B
AS 8/07 R; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II 3. Aufl. § 21 Rn. 29; Krauß in
Hauck/Noftz, SGB, 05/11, § 21 SGB II Rn. 40). Demnach hat die Klägerin Ziff. 2 mit
dem neun Jahre alten Kläger Ziff. 3 in der streitigen Zeit zusammen gelebt, sodass
sich vorliegend ein Mehrbedarf von monatlich 38,76 EUR (12 % von 323,00 EUR)
errechnen würde. Die Klägerin Ziff. 2 hat jedoch nicht allein für dessen Pflege und
Erziehung gesorgt.
53 Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 3.3.2009 – B 4 AS 50/07 R -, juris
Rn. 19; Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R -, juris Rn. 15; Urteil vom 23.8.2012
– B 4 AS 167/11 R -; juris Rn. 14; Urteil vom 11.2.2015 - B 4 AS 26/14 R - juris Rn.
12) liegt Alleinerziehung i.S. der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung"
nach § 21 Abs. 3 SGB II vor, wenn der hilfebedürftige Elternteil während der
Betreuungszeit von dem anderen Elternteil, Partner oder einer anderen Person
nicht in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen
Entlastung auszugehen. Entscheidend ist, ob eine andere Person in erheblichem
Umfang bei der Pflege und Erziehung mitwirkt. Abzustellen ist dabei allein auf die
tatsächlichen Verhältnisse. Geprägt wird die Auslegung des Begriffs der "alleinigen
Sorge für deren Pflege und Erziehung" durch die besondere Bedarfssituation der
Alleinerziehenden, die dadurch geprägt ist, dass bei diesem Personenkreis - in
gleicher Weise wie bei den weiteren von § 21 SGB II erfassten Hilfebedürftigen
(werdende Mütter, erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte) - besondere
Lebensumstände vorliegen, bei denen typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu
bejahen ist. Solche besonderen Lebensumstände hat das BSG exemplarisch darin
gesehen, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder typischerweise
weniger Zeit hätten, preisbewusst einzukaufen sowie zugleich höhere
Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen
tragen müssten bzw. externen Rat in Betreuungs-, Gesundheits- und
Erziehungsfragen benötigten. Auch der Zweck des in § 21 Abs. 3 SGB II
geregelten Mehrbedarfs liege darin, den höheren Aufwand von Alleinerziehenden
für die Versorgung und Pflege bzw. Erziehung der Kinder etwa wegen geringerer
Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für die Kontaktpflege oder
Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter in pauschalierter Form
auszugleichen (BSG, Urteil vom 23.8.2012 – B 4 AS 167/11 R –, juris, Rn. 14
m.w.N.). Der Gesetzgeber habe den Anspruch auf einen Mehrbedarf für
Alleinerziehende bereits nach dem Wortlaut der Norm mit einer besonderen
Familienkonstellation ("allein für deren Pflege und Erziehung sorgen") verknüpft
und damit zugleich regelhaft die Annahme verbunden, dass das Schwergewicht
der Betreuung und Erziehung nur bei einem Elternteil liege (BSG, Urteil vom
11.2.2015 – B 4 AS 26/14 R –, juris Rn. 14)
54 Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt der Senat fest, dass die Klägerin Ziff. 2
durch den Kläger Ziff. 1 so nachhaltig in der Erziehung und Pflege des Klägers Ziff.
3 entlastet wurde, dass auf Grund der tatsächlichen Umstände die Zubilligung
eines Mehrbedarfs nicht gerechtfertigt wäre.
55 Die Klägerin Ziff. 2 war im streitigen Zeitraum mit dem Kläger Ziff. 1 verheiratet und
hat mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen gelebt. Leben Partner in einer
Bedarfsgemeinschaft, kann Alleinerziehung nur ausnahmsweise vorliegen (Krauß
in Hauck/Noftz, SGB, 05/11, § 21 SGB II Rn. 44). Wird vorgebracht, ein im
Haushalt lebender Partner beteilige sich nicht an Erziehung und Pflege der nicht
leiblichen Kinder, so ist dieses zwar auch heute noch denkbar, es bedarf dann
jedoch einer Verifizierung der Behauptung. Die Äußerlichkeiten sprechen in einem
solchen Fall zunächst einmal für eine Wahrscheinlichkeit der Beteiligung (S.
Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl. § 21 Rn. 32).
56 Zur Beurteilung der hier anstehenden Frage geht der Kläger Ziff. 1 mit seiner
Argumentation von einem falschen Blickwinkel aus, indem er isoliert seinen
Erziehungsanteil betrachtet. Entgegen der Ansicht des Klägers des Ziff. 1 kommt
es jedoch nicht auf die Summe der in einem Fragenkatalog abgefragten einzelnen
Handlungen hinsichtlich der Beteiligung an der Erziehung an. Ausgehend vom
Blickwinkel der Person, für die der Mehrbedarf geltend gemacht wird - hier die
Klägerin Ziff. 2 - ist vielmehr zu beurteilen, ob die Erziehungsanteile des Klägers
Ziff. 1
diese
nachhaltig entlastet haben, was vorliegend zu bejahen ist. Das SG hat
dies zutreffend und ausführlich in seinem Urteil dargestellt. Zur Vermeidung von
Wiederholungen nimmt der Senat zunächst hierauf Bezug.
57 Auch wenn die vom SG angeführte Verpflichtungserklärung des Klägers Ziff. 1
wegen mangelnder Leistungsfähigkeit zur Sicherstellung des Lebensunterhalts
während des Aufenthalts (vgl. § 5 AufenthG) nicht ausreichend war, so ist die
Abgabe der Erklärung dennoch nicht bedeutungslos. Durch sie hat der Kläger Ziff.
1 jedenfalls zum Ausdruck gebracht, dass er grundsätzlich bereit ist, für den Kläger
Ziff. 3 finanziell einzustehen.
58 Bei der gegebenen Konstellation lagen die einen Mehrbedarf rechtfertigenden
Gründe, nämlich weniger Zeit preisbewusst einzukaufen, höhere Aufwendungen
zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen bzw. für externen Rat
in Betreuungs-, Gesundheits- und Erziehungsfragen nicht vor. Gerade hierin hat
der nicht erwerbstätige und damit zur Verfügung stehende, mit den hiesigen
Verhältnissen vertraute, deutsche Ehemann die marokkanische, mit den hiesigen
Verhältnissen nicht vertraute und ungenügend deutsch sprechende und
berufstätige Klägerin Ziff. 2 bei der Erziehung des Klägers Ziff. 3 unterstützt.
59 3. Leistungen für den Kläger Ziff. 1
60 Der Kläger Ziff. 1 hat zwar ebenfalls Klage erhoben und Berufung eingelegt.
Höhere Leistungen seinen Individualanspruch betreffend sind jedoch nicht (mehr)
geltend gemacht worden.
61 Die Berufungen waren daher insgesamt zurückzuweisen.
62 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
63 Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen
nicht vor.