Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14.09.2004

LSG Bwb: gleichheit im unrecht, behandlung im ausland, künstliche befruchtung, gleichbehandlung im unrecht, vergleichbare leistung, ivf, leistungserbringer, sachleistung, krankenkasse, vergütung

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 14.09.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Mannheim S 4 KR 2446/03
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 11 KR 2090/04
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme eines dritten Behandlungsversuches der künstlichen Befruchtung
(sog. IVF-Behandlung) in Österreich streitig.
Bei der 1968 geborenen, bei der Beklagten pflichtversicherten Klägerin besteht seit 1999 wegen primärer Sterilität
tubarer Genese ein unerfüllter Kinderwunsch, weswegen ihr vom Universitätsklinikum H. (Frauenklinik -
Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen -) die zügige Übernahme in ein IVF-Programm (nach
Eheschließung) empfohlen wurde.
Die Klägerin beantragte deswegen bei der Beklagten am 19. Dezember 2002 die Kostenübernahme der IVF-
Behandlung in Österreich bei Prof. Dr. Z., dessen Schwangerschaftsraten bei 80% lägen, während die Erfolgsquote
der hiesigen Universitätsklinik nur 20 bis 25% betrage. Sie wolle auch aufgrund des Risikofaktors Alter nicht noch
weitere Zeit verlieren.
Mit Bescheid vom 29. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, die IVF-
Behandlung sei eine in Deutschland anerkannte Vertragsleistung, die von den Vertragsbehandlern (z.B.
Universitätsklinik H.) direkt abgerechnet würden. Deswegen sei eine Kostenübernahme einer gezielten Behandlung im
Ausland nicht möglich. Bis 30. Juni 2002 seien zwar Leistungen des Prof. Dr. Z. über eine Ausnahmeregelung
bezuschusst worden. Diese Praxis wäre jedoch mit dem 1. Juli 2002 eingestellt worden, da seit diesem Zeitpunkt die
Behandlung eine Kassenleistung darstelle. Auch sei Prof. Dr. Z. in Österreich ein reiner Privatarzt, der mit den
Krankenkassen keinen Vertrag habe. Die IVF-Behandlung selbst sei in Österreich keine Kassenleistung.
Zur Begründung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend, aufgrund schärferer
Embryonenschutzgesetzes sei in Deutschland die IVF-Behandlung weniger erfolgreich als in Österreich. Deswegen
würden auch andere Krankenkassen die Behandlung bei Prof. Dr. Z. nach dem 1. Juli 2002 übernehmen. Dieser
behandle nur Paare, bei denen er eine realistische Erfolgschance sehe, was zusätzlich auch wieder der
Kostenersparnis diene.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2003 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, ein
Sachleistungsanspruch in Österreich bestehe nur dann, wenn Leistungen unaufschiebbar benötigt würden oder der
zuständige Leistungsträger der Behandlung vorher zustimme. Sofern ambulante Leistungen im Ausland erbracht
würden, sei mitentscheidend, ob der Leistungserbringer im Ausland in dem jeweiligen nationalen System des
Aufenthaltsstaates sachleistungsberechtigt sei. Das schließe die ärztliche Versorgung durch Nichtvertragsbehandler
im Ausland grundsätzlich aus. Bei Prof. Dr. Z. (Institut für Reproduktionsmedizin) aus B. handle es sich nicht um
einen Vertragsbehandler bzw. eine Vertragseinrichtung des österreichischen Krankenversicherungsträgers; vielmehr
könnte er nur privat in Anspruch genommen werden. Im übrigen könnten Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung
auch im Geschäftsgebiet der Kasse erbracht werden.
Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, sie habe
zunächst versucht, die Hilfe einer anerkannten deutschen Klinik in Anspruch zu nehmen, deren Bemühungen um
Herbeiführung einer Schwangerschaft aber zwecklos gewesen wären. Unter dem Gesichtspunkt der freien Entfaltung
ihrer Persönlichkeit müsse daher zugelassen werden, dass sie sich anderswo Hilfe hole. Die Beklagte habe auch - wie
an zwei Beispielen ersichtlich - die Behandlung bei Prof. Dr. Z. nach Inlandssätzen erstattet. Die AOK Bayern habe
einen Vertrag mit Prof. Dr. Z. wegen der Vergütung der Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit
Wirkung ab 1. Juli 1996 geschlossen.
Die Beklagte ist der Klage mit der Begründung entgegengetreten, dass offensichtliches Ziel der Klägerin sei, eine
Behandlung im Ausland zu erhalten, die in der Bundesrepublik nach dem Embryonenschutzgesetz verboten wäre.
Hiervon betroffen seien u.a. Maßnahmen, die mit einer Selektion von Embryonen einhergehen, wie z.B. die von Prof.
Dr. Z. praktizierte Blastozytenkultur. Auch Prof. Dr. Z. führe seine höhere Erfolgsquote nur auf die unterschiedlichen
Möglichkeiten wegen der verschiedenen Embryonenschutzgesetze zurück. Es könne aber nicht Aufgabe der
gesetzlichen Krankenversicherung sein, den Bürgern der Bundesrepublik die Umgehung der hier geltenden Gesetze
zu finanzieren und sozusagen aktiv an einem Rechtsverstoß mitzuwirken.
Mit Urteil vom 18. Mai 2004, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 27. Mai 2004, wies das SG die Klage
mit der Begründung ab, Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung nach § 27a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB
V) dürften nach § 121a Abs. 1 SGB V nur durch Vertragsärzte, ermächtigte Ärzte, ermächtigte ärztlich geleitete
Einrichtungen oder zugelassene Krankenhäuser, denen die zuständige Behörde eine Genehmigung zur Durchführung
dieser Maßnahme erteilt habe, erbracht werden. Das sei bei der gewünschten Behandlung in Österreich nicht der Fall,
für die keine Genehmigung erteilt werden könne. Insbesondere erzwinge nicht die mögliche größere Erfolgsaussicht
der künstlichen Befruchtung durch die in Österreich praktizierte Methode die Erteilung einer Genehmigung. Denn diese
dürfe ausdrücklich nur bei in einem bestimmten Genehmigungsverfahren zugelassenen Ärzten oder Einrichtungen
durchgeführt werden. Die Genehmigungsvoraussetzung sei deshalb normiert worden, um sicher zu stellen, dass der
Arzt oder die Einrichtung die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen erfülle, die medizinisch
notwendig seien und dabei durch Auswahl und Überwachung der Mitarbeiter sicherstellen könne, dass keine mit dem
Embryonenschutzgesetz unvereinbaren Maßnahmen durchgeführt würden. Dies sei bei der Behandlungsmethode von
Prof. Dr. Z. aber der Fall, da die Embryonenselektion nach den insoweit strengeren gesetzlichen Vorgaben in der
Bundesrepublik Deutschland nicht zulässig sei. Im Falle einer Genehmigung zur Behandlung würden daher diese
Schutzbestimmungen umgangen werden. Auch der Umstand, dass die Beklagte in einzelnen Fällen die Behandlung
durch Prof. Dr. Z. übernommen habe, begründe kein Rechtsanspruch auf entsprechende Gleichbehandlung, da kein
Anspruch auf Gleichheit im Unrecht bestehe.
Hiergegen richtet sich die am 1. Juni 2004 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, angesichts der
Vielzahl von Einzelfällen, in der eine Praxis der Beklagten praeter legem entstanden sei, könne der Grundsatz nicht
gelten, dass es eine Gleichheit im Unrecht nicht gebe. Vielmehr habe sich ein Vertrauensschutz für Versicherte der
Beklagten herausgebildet. Auch habe die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu einer größeren
Freizügigkeit der Leistungserbringung geführt. Prof. Dr. Z. erfülle die erforderlichen Qualifikationsvoraussetzungen für
eine solche Behandlung. Sie wolle im Frühjahr 2005 einen neuen Versuch starten, dessen Kosten bei ca. 2.500,- bis
3.000,- EUR mit den Medikamenten lägen. Insgesamt habe sie bereits zwei erfolglose Versuche durchgeführt, von
denen sie bereits einen privat gezahlt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Mai 2004 sowie den Bescheid vom 29. Januar 2003 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer
künstlichen Befruchtungsmaßnahme durch Prof. Dr. Z./B. - hilfsweise einem anderen Leistungserbringer in Österreich
- zu übernehmen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass aus einer fehlerhaften Leistungsgewährung im Einzelfall kein Anspruch auf Beibehaltung
rechtswidrigen Verwaltungshandelns abzuleiten sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin
ist zulässig. Sie ist insbesondere auch statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da die Klägerin die
hälftige Kostenübernahme einer künstlichen Befruchtungsmaßnahme begehrt, für die insgesamt Kosten in Höhe von
2.500,- bis 3.500,- EUR entstehen.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist indessen unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin
keinen Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme hat. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29. Januar
2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2003 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage hierfür ist der mit Wirkung vom 01.01.2004 angefügte § 13 Abs. 4 SGB V. Das ergibt sich daraus,
dass, solange eine Behandlung nicht durchgeführt ist, regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung abgestellt werden muss (vgl. u.a. BSG SozR 4-2500 § 28 Nr. 1).
Nach dieser Vorschrift sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten im Geltungsbereich
des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei
denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu
erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Der Anspruch nach §
13 Abs. 4 SGB V besteht nach Satz 3 höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als
Sachleistung im Inland zu tragen hätte.
Das ist vorliegend - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - § 27a i.V.m. § 121a SGB V, weswegen der Senat zur
Vermeidung unnötiger Wiederholungen hierauf nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt.
§ 13 Abs. 4 SGB V stellt nur eine Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dar (Rs. C
120/95 Decker NZS 1998, 283 und Rs. C 158/96 Kohll NZS 1998, 208), wonach das Erfordernis einer vorherigen
Genehmigung durch den (nationalen) Krankenversicherungsträger für die Erstattung einer in einem anderen EU-
Mitgliedsstaat erbrachten Gesundheitsleistung gegen die Warenverkehrs- (Art. 28 EGV-AV) bzw. die
Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, 50 EGV-AV) verstößt. Der Wegfall des Genehmigungserfordernisses hat zur Folge,
dass weder geprüft wird, ob eine vergleichbare Leistung im Inland möglich ist noch diese von einer vorherigen
Genehmigung der Krankenkasse abhängt (so der § 18 SGB V a.F.). Insgesamt wird dadurch lediglich der Zugang der
europäischen Leistungserbringer zum inländischen Gesundheitsmarkt eröffnet. Inwieweit und in welchem Umfang
dann die Behandlung im EU-Ausland zu erstatten ist, richtet sich weiterhin nach dem nationalen
Sachleistungssystem.
Denn § 13 IV SGB V führt keineswegs dazu, dass auch solche Behandlungen erstattet werden können, die nach den
hiesigen Rechtsvorschriften verboten sind (vgl. auch BSG SozR 3-2500 § 18 Nr. 2 zur Organtransplantation nach
bezahlter Organspende). Das ist auch darin begründet, dass nach § 13 Abs. 1 SGB V die Kostenerstattung
grundsätzlich anstelle der Sachleistung tritt, d.h. nur dann ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht, wenn die
begehrte Leistung als Sachleistung erbracht werden könnte.
Das ist bei der von der Klägerin begehrten IVF-Behandlungsmethode von Prof. Dr. Z. nicht der Fall, denn dieser führt
routinemäßig eine Embryonenselektion durch. D.h. aus der Gesamtheit aller über 3 bis 6 Tage kultivierten Embryonen
werden die am weitesten entwickelten und morphologisch am unauffälligsten Aussehenden selektiert und transferiert,
wobei das bevorzugte Stadium die nach einer Kulturdauer von 5 bis 6 Tagen entstandene expandierte Plastozyste ist.
Diese Art der Selektion ist in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz verboten, denn es dürfen sich nur
maximal 3 ausgewählte Vorkernstadien zu Embryonen entwickeln und müssen übertragen werden, egal wie gut oder
schlecht diese Entwicklung abgelaufen ist.
Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auch die Regelung des § 121a SGB V eingeführt, wonach eine künstliche
Befruchtung nur von besonders zugelassenen Leistungserbringern durchgeführt werden kann. Hierdurch soll gesichert
werden, dass künstliche Befruchtung nur von zugelassenen, d.h. in einem Zugangsverfahren besonders kontrollierten
Leistungserbringern, unter Beachtung der Schutzvorschriften des Embryonenschutzgesetzes durchgeführt wird.
Da folglich die Behandlungsmethode von Prof. Dr. Z. zu einer Umgehung des Embryonenschutzgesetzes führen
würde, ist eine solche Sachleistung nach § 27a i.V.m. § 121a SGB V ausgeschlossen, so dass auch ein Anspruch
auf Kostenübernahme einer solchen Behandlung nicht besteht.
Das SG hat weiter zutreffend festgestellt, dass, da die Kostenübernahme rechtswidrig wäre, auch unter dem
Gesichtspunkt einer Gleichbehandlung der Klägerin ein Kostenübernahmeanspruch nicht zusteht, da es keine
Gleichbehandlung im Unrecht gibt (vgl. BSG SozR 2200 § 1237 RVO Nr. 10).
Die Berufung war daher als unbegründet zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, da sich der Senat in Übereinstimmung mit der Entscheidung des
BSG vom 15.04.1997 (SozR 3-2500 § 18 Nr. 2) sieht.