Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26.01.2011

LSG Bwb: anerkennung, bevölkerung, einwirkung, wissenschaft, ärztliches gutachten, berufskrankheit, belastung, reparatur, montage, geeignetheit

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 26.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stuttgart S 1 U 137/08
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 2 U 4115/09
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. August 2009 abgeändert und der
Bescheid der Beklagten vom 7. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2007
aufgehoben.
Die Hyposmie des Klägers wird als Wie - Berufskrankheit festgestellt.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage im Hinblick auf die
Feststellung der chronischen Rhinitis des Klägers als Listen-Berufskrankheit bzw. als Wie - Berufskrankheit als
unzulässig abzuweisen war.
Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf die Anerkennung einer chronisch-atrophischen Rhinitis und einer
Hyposmie als Berufskrankheit (BK) oder als - Wie Berufskrankheit (Wie - BK) streitig.
Der am 1950 geborene Kläger arbeitet seit 1970 bei der Firma S. AG im Transformatorenwerk K. als Montierer für
flüssigkeitsgekühlte Trafos. Er war und ist dabei im Bereich Montage und Reparatur von Transformatoren eingesetzt.
Ende 1996, als die Fertigung von flüssigkeitsgekühlten Transformatoren nach Portugal verlagert wurde, wurde der
Kläger im Trockentrafobau bei der Umspannungswicklung eingesetzt. Bei der Montage und der Reparatur von
flüssigkeitsgekühlten Transformatoren hatte der Kläger Kontakt mit Clophen T 64 N; hierbei handelt es sich um ein
Gemisch aus chloriertem Diphenyl und Trichlorbenzol. Mit diesem zur Kühlung der Netztransformatoren eingesetzten
Gemisch hatte der Kläger Umgang von 1970 bis Ende 1983 bzw. bis Ende 1996. Beim Umgang mit diesen
Flüssigkeiten bestand auch Hautkontakt; Absauganlagen existierten nicht. Beim Befüllen der Trafos mittels eines
Vakuumofens war der Kläger auch den durch die Erwärmung der Trafos am Montageplatz entstehenden
Ausdünstungen der Kühlflüssigkeit - im Schnitt etwa 4 Stunden pro Arbeitstag - ausgesetzt. Aktenkundig hatte der
Kläger von 1970 bis 1976 auch Umgang mit Transformatorenölen. Die Sicherheitsdatenblätter der verwendeten
Transformatorenöle liegen vor. Den halogenisierten Kohlenwasserstoff Methylenchlorid verwendete der Kläger von
1970 bis 1990 zum Reinigen und Entfetten von Werkstücken von Hand und für die Dichtheitsprüfung der Kessel.
Diesbezüglich liegen die entsprechenden Sicherheitsdatenblätter vor. Mit Waschbenzin hatte der Kläger Umgang bis
1996; hierbei handelt es sich um ein Kohlenwasserstoffgemisch. Es bestand mit diesem Stoff Hautkontakt;
Lösemitteldämpfe wurden nicht abgesaugt. Seit 1996 in der Produktion der Trockentransformatoren hatte der Kläger in
geringerem Umfang Umgang mit Waschbenzin; auch hierbei bestand jedoch teilweise Hautkontakt. Von 1970 bis 1996
hatte der Kläger desweiteren durchschnittlich eine halbe Stunde pro Arbeitsschicht Umgang mit dem Eindring-
Farbstoff MLC-Penetrat FB-93 TU. Hierbei handelt es sich um einen Farbstoff auf der Basis aliphatischer und
aromatischer Kohlenwasserstoffe. Umgang mit Epoxydharzen bestand von 1996 bis Ende 2002, wobei der "Verguss"
unter Luftabsaugung erfolgte. Bei Löt- und Schweißarbeiten, die der Kläger durchschnittlich 2 Stunden pro Woche -
nach anderen Angaben von ihm 3 Stunden pro Woche - durchführte, war er den dabei entstehenden,
schleimhautreizend wirkenden Stoffen, insbesondere Salzsäure und Aldehyde sowie atemwegsreizenden
Crackprodukten des Clophens, der Öle und Lösungsmittel ausgesetzt. Nachdem ursprünglich aufgrund von Angaben
der S. AG davon ausgegangen worden war, dass 1,2,4,5-Tetrachlorbenzol zur Reinigung der zu verbindenden
Anschlussteile sowie zum Reinigen von Lecks im Kessel der Trafos eingesetzt worden war, ergaben
Nachermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten (Bericht vom 19. März 2004), dass davon auszugehen ist,
dass aufgrund der Trafo- und Fertigungsvorschriften, in denen die Verwendung dieses Stoffes nicht beschrieben
wurde, dieser Gefahrstoff allenfalls vor 1971, also vor der Einführung von Methylenchlorid zum Einsatz gekommen ist
bzw. gar nicht zur Anwendung gekommen ist. Zusammengefasst war die "Expositionssituation" des Klägers dadurch
gekennzeichnet, dass er in unterschiedlicher Frequenz und Intensität von 1970 bis 1996 gegenüber diversen
Halogenkohlenwasserstoff-Gemischen (Clophen, Waschbenzinen, Eindring-Farbstoff) ausgesetzt war und darüber
hinaus von 1970 bis 1990 Expositionen gegenüber Methylenchlorid und - ab 1997 - in geringerer Konzentration
gegenüber Ethanol bestanden hatten. Weiterhin war der Kläger der Einwirkung von Epoxydharzdämpfen, Lötdämpfen
und Schweißrauchen ausgesetzt; exakte Angaben über die Konzentration dieser Gefahrstoffe in der Luft am
Arbeitsplatz des Klägers fehlen. Nicht ausgesetzt bzw. allenfalls bis 1971 ausgesetzt war der Kläger dem Gefahrstoff
1,2,4,5-Tetrachlorbenzol und Trichlorethylen. Eine Exposition gegenüber PCB ist nicht belegt, wobei der Zeitraum der
PCB-Verwendung im Zusammenhang mit Transformatorenölen vor der Beschäftigungszeit des Klägers in der
Transformatorenfertigung in den sechziger Jahren liegt.
Nachdem im Mai 2000 Dr. E. vom werksärztlichen Dienst des Transformatorenwerks Kirchheim der S. AG eine
Anzeige über eine Berufskrankheit (Polyneuropathie) erstattet und die Beklagte Ermittlungen ihres
Präventionsdienstes (Bericht nach einem Besuch vom 14. Januar 2002 und Bericht vom 19. März 2004) veranlasst
hatte, fügte die Beklagte das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei der AOK K. bei und veranlasste ein Hals-
Nasen-Ohren-ärztliches Gutachten bei Prof. Dr. Dr. M. vom Universitätsklinikum M ... In seinem Gutachten vom 6.
April 2005, welches unter Mitarbeit von Dr. B. und Dr. H. erstellt wurde, führte er aus, der Kläger leide an einer
chronischen Rhinitis sowie einer Verminderung des Riechvermögens (Hyposmie). Die Dauer dieser Beschwerden
werde vom Kläger mit ca. 30 Jahren angegeben. Über diesen Zeitraum sei es dann auch zu rezidivierendem Auftreten
von Rhagaden (kleinen Hauteinrissen) im Bereich der Nasenspitze gekommen. Hinweise auf eine allergische Genese
oder auf eine chronische Sinusitis bestünden nicht. Ebenso fehlten Hinweise auf ein vorausgegangenes Trauma oder
neurologische oder internistische Erkrankungen, die eine Beeinträchtigung des Riechsinns verursachen könnten. Als
Ursache für die Rhinitis und das eingeschränkte Riechvermögen sei die berufliche Belastung mit schleimhaut-
toxischen Substanzen wahrscheinlich.
Auf Veranlassung der Beklagten erstattete sodann Priv.-Doz. Dr. M. vom Institut für Arbeits-, Sozial- und
Umweltmedizin M. das arbeitsmedizinische Gutachten vom 1. September 2005. Er führte aus, die Diagnose einer
arbeitsplatzbezogenen bronchialen Obstruktion sei nicht gesichert. Aktuell fände sich keine Erhöhung der
Atemwegswiderstände bei der Lungenfunktionsprüfung. Die Anerkennung einer obstruktiven Atemwegserkrankung als
BK könne nicht empfohlen werden. Die Belastung mit schleimhautreizenden Substanzen sei insgesamt sehr hoch
gewesen. Dafür sprächen auch die biologischen Wirkungen. Eine länger andauernde Arbeit unter solchen Bedingungen
sei grundsätzlich geeignet, eine chronische toxische Rhinitis und eine toxische Riechstörung zu verursachen. Die
Rhinitis des Klägers sei mit einer beruflichen Verursachung vereinbar. Außerberufliche Ursachen hätten nicht
festgestellt werden können. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer beruflichen Verursachung. Eine langjährige und
hohe Belastung gegenüber schleimhautreizenden Substanzen sei im allgemeinen auch geeignet, eine toxische
Riechstörung zu verursachen. Dies gelte auch für Schweißrauche und Lösungsmittelgemische. Auch diesbezüglich
seien bei der Begutachtung keine außerberuflichen Ursachen gefunden worden. Ein Zusammenhang zwischen der
Belastung mit schleimhautreizenden Substanzen am Arbeitsplatz und der Rhinitis bzw. der Hyposmie sei
wahrscheinlich. Es werde empfohlen, die Erkrankung entsprechend § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB
VII) anzuerkennen.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2005 äußerte die Staatliche Gewerbeärztin Dr. H., eine BK nach § 9 Abs. 1 SGB VII
werde nicht zur Anerkennung vorgeschlagen. Eine entsprechende Berufskrankheitenziffer könne dafür nicht benannt
werden, denn der Versicherte habe mit Gemischen gearbeitet, die nicht in der Berufskrankheitenliste aufgeführt seien.
Es werde empfohlen, die Erkrankung entsprechend § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) mit
Schreiben vom 15. Februar 2006 mit, neue, gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne des § 9
Abs. 2 SGB VII, dass eine bestimmte Personengruppe aufgrund der besonderen Einwirkungen bei der beruflichen
Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung an Störungen des Geruchssinnes oder einer Rhinitis
erkranke, seien hier nicht bekannt. Die Rhinitiden aufgrund des Kontaktes zu chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden
Substanzen seien bislang nicht Gegenstand der Berufskrankheitenliste; es lägen auch keine neuen Erkenntnisse vor,
die eine Anerkennung nach § 9 Abs. 2 SGB VII ermöglichten. Insbesondere fehle es an epidemiologischen
Erkenntnissen, die die sog. "Gruppentypik" im Sinne dieser Vorschrift belegten. Im Hinblick auf Geruchsstörungen
fänden sich in der arbeitsmedizinischen Fachliteratur Hinweise darauf, dass bestimmte Berufsnoxen derartige
Erkrankungen verursachen könnten. In diesen Publikationen würden vorwiegend Kasuistiken vorgestellt, die in der
Regel nicht den Nachweis erbringen könnten, dass eine bestimmte Personengruppe aufgrund der besonderen
Einwirkungen der beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung einem
Erkrankungsrisiko ausgesetzt sei.
Mit Bescheid vom 7. März 2007 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Riechstörung als BK nach § 9 Abs. 1 und
als Wie - BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII ab. Der Kläger leide an einem herabgesetzten Geruchsvermögen, wobei es
sich hierbei um keine Erkrankung der Berufskrankheitenliste handele. Es lägen keine neuen Erkenntnisse der
medizinischen Wissenschaft vor, dass eine bestimmte Personengruppe durch ihre beruflich Tätigkeit in erheblich
höherem Maß als die übrige Bevölkerung an Geruchsstörungen erkranke. Den hiergegen am 15. März 2007
eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2007 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 2. Januar 2008 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und sich zur
Begründung auf das Sachverständigengutachten von Priv.-Doz. Dr. M.gestützt. Die Beklagte ist der Klage
entgegengetreten. Die Voraussetzung einer höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen beziehe sich auf das
allgemeine Auftreten der Krankheit, nicht dagegen auf die Verursachung der Krankheit durch die gefährdende
Tätigkeit. Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger
auftrete als bei der übrigen Bevölkerung erfordere den Nachweis einer Fülle gleichartiger
Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um mit
Sicherheit daraus schließen zu können, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liege.
Von einer "Gruppentypik" als Monteur im Transformatorenbau könne bislang nicht ausgegangen werden.
In dem Klageverfahren beim SG Aktenzeichen: S 1 U 7792/06 hat das SG von Amts wegen das
Sachverständigengutachten von Prof. Dr. K. eingeholt, das zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht wird. Er hat
ausgeführt, dass die Rhinitis und Hyposmie berufsbedingt seien und hat die Anerkennung dieser Erkrankung als Wie -
BK empfohlen.
Auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG sodann das Sachverständigengutachten
von Priv.-Doz. Dr. M. vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin M. eingeholt. In seinem nach Aktenlage
am 23. September 2008 erstatteten Gutachten hat er ausgeführt, die Diagnosen einer Hyposmie und einer
chronischen Rhinitis seien gesichert. Beide Krankheitsbilder seien typische Folgen einer hohen Belastung gegenüber
schleimhautreizenden Substanzen beim Menschen, insbesondere auch nach einer beruflichen Belastung. Es läge
eine Vielzahl von Publikationen vor, bei denen es insgesamt auch eine hinreichende Anzahl epidemiologischer
Studien zu beruflich exponierten Personen gäbe und nicht nur Kasuistiken. Der zeitliche Zusammenhang zwischen
Exposition und Erkrankung sei beim Kläger gegeben. Außerberufliche Krankheitsursachen seien nicht gefunden
worden. Diese Tatsache erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer beruflichen Verursachung. Listenstoffe aus der Gruppe
der BKen 1300 seien nicht entscheidend für die Krankheitsentstehung. Vielmehr habe eine Mischexposition
vorgelegen, insbesondere mit Salzsäuredämpfen. Die Gruppe von Monteuren, die unter den Bedingungen wie der
Kläger gearbeitet hätte, sei im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung unzweifelhaft in einem erheblich höheren Ausmaß
schleimhautreizenden Substanzen ausgesetzt gewesen. Epidemiologische Untersuchungen, die die Effekte einer
Exposition vergleichbar der des Klägers auf die oberen Atemwege beschreibe, seien nicht bekannt. Generell sei aber
davon auszugehen, dass die meisten, wenn nicht sogar fast alle schleimhautreizenden Substanzen bei einem
Menschen Riechstörungen und Rhinitiden verursachten, wenn die Einwirkung ausreichend hoch sei. Der Kläger sei
folgenden schleimhautreizenden Stoffen ausgesetzt gewesen: Brandrauchen, die beim Löten entstünden; Clophen, ein
polychloriertes Biphenyl, aus dem beim Erhitzen Salzsäuredämpfe freigesetzt würden, wobei der Kläger über sehr
starke Reizungen von Nase, Augen, Rachen und Haut sowie Atemnot nach dem Einatmen der entstandenen Rauche
und Dämpfe berichtet habe, was den Schluss zulasse, dass die Salzsäurekonzentrationen regelmäßig sehr hoch
gewesen sein müssen; Schweißrauchen, zu denen generell zu konstatieren sei, dass sie in hohen Konzentrationen
schleimhautreizend wirkten und schließlich verschiedenen organischen Lösungsmitteln bzw.
Lösungsmittelgemischen, welche - in Abhängigkeit von den Eigenschaften der jeweiligen Substanzen - mehr oder
minder stark schleimhautreizend wirkten. Bei synoptischer Betrachtung handele es sich um eine Mischexposition,
wobei die Einwirkung von Salzsäuredämpfen im Vordergrund stünde. Für diese Substanz sei nach dem Stand der
medizinischen Wissenschaft gesichert, dass sie beim Menschen nach beruflicher Exposition Riechstörungen und
Rhinitiden verursache. Aus medizinsicher Sicht seien diese wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht neu, sondern seit
vielen Jahren gesichert. Nach den plausiblen anamnestischen Angaben habe die Riechstörung in den 70er Jahren
begonnen und sich seit etwa 1985 etwas gebessert. Die Rhinitis dürfte zeitlich parallel zur Riechstörung verlaufen
sein. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätze er für den gesamten Zeitraum ab Beginn der Erkrankung auf
10 v. H.
Die Beklagte hat noch eine Auskunft der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Abteilung Versicherung und
Leistungen, vom 12. Januar 2009 vorgelegt, wonach keine neuen, gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen
Erkenntnisse vorlägen, dass bei der beruflichen Tätigkeit, insbesondere der Monteure und der Schweißer, in erheblich
höherem Grad als in der übrigen Bevölkerung die Erkrankungen Rhinitis und Hyposmie aufträten. Gleichwohl werde in
der medizinischen Fachliteratur die Verursachung von Riechstörungen durch Arbeitsstoffe bejaht. Der ärztliche
Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales habe sich mit dieser
Thematik noch nicht beschäftigt. Insofern seien die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie - BK nach § 9
Abs. 2 SGB VII nicht gegeben.
Mit Urteil vom 26. August 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt, für die Anerkennung der chronischen Rhinitis und der Verminderung des Riechvermögens als BK nach § 9
Abs. 1 SGB VII gäbe es keine Rechtsgrundlage. Auch die Anerkennung als Wie - BK komme nicht in Betracht. Neue,
gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass bei der beruflichen Tätigkeit insbesondere von
Monteuren und Schweißern in erheblich höherem Grad als in der übrigen Bevölkerung Erkrankungen in Form von
Rhinitis und Hyposmie aufträten, lägen nicht vor. Dabei setzten wissenschaftliche Erkenntnisse voraus, dass sich
eine überwiegende Meinung unter den auf diesem Fachgebiet tätigen Wissenschaftlern gebildet habe; wenn einzelne
Wissenschaftler eine bestimmte Auffassung verträten, reiche dies nicht aus. Eine individuelle Härtefallregelung oder
eine Regelung, die Krankheiten, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen
oder zumindest wahrscheinlich sei, wie eine BK zu entschädigen, sei nicht Zweck des § 9 Abs. 2 SGB VII.
Gegen das den Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 2. September 2009 zugestellte Urteil
hat er am 8. September 2009 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Die Berufung ist nicht begründet worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. August 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. März 2007 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2007 aufzuheben und die Rhinitis und die Hyposmie jeweils
als eine Berufskrankheit bzw. als eine Wie - Berufskrankheit festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat in dem den Kläger betreffenden Berufungsverfahren Aktenzeichen: L 2 U 176/09 von Amts wegen das
arbeitsmedizinische Gutachten von Prof. Dr. Dr. Ke. vom 11. April 2010 eingeholt, dass auch zum Gegenstand dieses
Berufungsverfahrens gemacht wird. Er hat ausgeführt, es sei von einer chronischen Rhinitis und einer Hyposmie als
berufskrankheitenrelevante Gesundheitsstörungen auszugehen. In Bezug auf diese Gesundheitsstörungen könne
jedoch weder eine besondere Einwirkung noch eine besondere Gruppentypik identifiziert werden. Der Nachweis eines
berufsgruppenspezifisch erhöhten Erkrankungsrisikos sei nicht geführt. Im Weiteren gibt der Sachverständige den
Inhalt des Schreibens des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 15. Februar 2006 wieder.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene
Verwaltungsakte der Beklagten (2 Bände), die Akte des SG (S 1 U 137/08), die beigezogene Akte des SG (S 1 U
7792/06), die Berufungsakte des Senats (L 2 U 4115/09) und die beigezogene Akte des Senats (L 2 U 176/09) Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 SGG).
Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form-
und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist zum Teil auch begründet. Die Hyposmie (vermindertes Riechvermögen) beim Kläger ist nach § 551
Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) wie eine BK anzuerkennen. Dagegen kann die Hyposmie nicht als eine
Erkrankung nach der BK-Liste festgestellt werden. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der
chronischen Rhinitis als eine Erkrankung nach der BK-Liste bzw. wie eine BK.
Bezüglich der Anerkennung der chronischen Rhinitis als eine BK nach der Berufskrankheitenverordnung (BKV) bzw.
als Wie - BK ist die Berufung deshalb unbegründet, weil die Klage dazu schon unzulässig gewesen ist. Die hierauf
gerichtete Feststellungsklage ist unzulässig gewesen, da es insoweit an einer Verwaltungsentscheidung der
Beklagten fehlt. Zwar war im Verwaltungsverfahren vor Erlass des Bescheids vom 7. März 2007 sowohl die
Gesundheitsstörung Hyposmie als auch die Gesundheitsstörung chronische Rhinitis Gegenstand des Verfahrens.
Dennoch hat die Beklagte im Bescheid vom 7. März 2007 ausdrücklich nur über die Anerkennung der Hyposmie
entschieden; auch im Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2007 ist Gegenstand der Entscheidung
ausschließlich die Hyposmie; die chronische Rhinitis findet im Widerspruchsbescheid keinerlei Erwähnung. Solange
jedoch die Beklagte nicht über den erhobenen Feststellungsanspruch zur chronischen Rhinitis entschieden hat, kann
der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde, wofür nichts spricht, kein berechtigtes Interesse an
einer gerichtlichen Feststellung haben (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R -).
Die Berufung ist auch insoweit unbegründet, als der Kläger die Anerkennung der Hyposmie als eine BK nach einer
Listen-Nr. der BKV begehrt.
Das klägerische Begehren richtet sich auch nach der Eingliederung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in
das Sozialgesetzbuch zum 1. Januar 1997 noch nach den Vorschriften der RVO. Das ergibt sich aus der
Übergangsregelung § 212 SGB VII, wonach auf Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1997 eingetreten sind, das
alte Recht anzuwenden ist, da die Riechstörung schon seit Anfang der 70’er Jahre besteht.
Nach § 551 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall ferner eine BK. BK‘en sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung
durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§
539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der
Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft
durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich
höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur
dann BK‘en sind, wenn sie durch die Arbeit in bestimmten Unternehmen verursacht worden sind.
Das SG und die Beklagte haben zu Recht entschieden, dass die Beeinträchtigung des Geruchssinns des Klägers
nicht als eine Erkrankung der BK-Liste festgestellt werden kann, auch wenn der Kläger der Auffassung ist, dass
diesbezüglich eine Listen-BK aus der Gruppe 1300 in Betracht zu ziehen ist. Nach dem Sachverständigengutachten
von Priv.-Doz. Dr. M.- was insoweit bestätigt wird durch das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Dr. Mann - ist
davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit als Monteur im Bereich Montage und Reparatur von
Transformatoren bei der S. AG in K. einer Mischexposition der Stoffe Brandrauche, Clophen mit der Freisetzung von
Salzsäuredämpfen, Schweißrauchen und Lösungsmitteln ausgesetzt gewesen war. Eine Feststellung einer
Listenerkrankung insbesondere im Bereich der Gruppe 1300 der Anlage 1 zur BKVO scheitert daran, dass keiner
dieser einwirkenden Stoffe als wesentliche Ursache für die Beeinträchtigung des Geruchssinns auf wissenschaftlich
gesicherter Basis isoliert werden kann. Kann demnach einer der einwirkenden Stoffe für sich gesehen nicht als
wesentliche Ursache für die Einschränkung des Geruchssinns mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, kann auch
die Anerkennung einer Listenerkrankung nicht in Betracht gezogen werden. Über die Hyposmie gibt es keine eigene
Berufskrankheiten-Ziffer; eine Rechtsgrundlage hierfür ist somit nicht gegeben.
Die Berufung ist jedoch insoweit begründet, als der Kläger die Anerkennung der Hyposmie als Wie - BK gem. § 551
Abs. 2 RVO begehrt. Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit,
auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung verzeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht
vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1
erfüllt sind. Es muss auch im Zusammenhang mit einer Feststellung einer BK nach § 551 Abs. 2 RVO feststehen,
dass bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung solchen
Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sind,
Krankheiten dieser Art zu verursachen. Voraussetzungen sind demnach:
1. Es muss eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung
bestimmten Einwirkungen ausgesetzt sein.
2. Diese Einwirkungen müssen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft geeignet sein, Krankheiten
solcher Art zu verursachen.
3. Diese medizinischen Erkenntnisse müssen bei der letzten Ergänzung der Anlage 1 zur BKVO noch nicht in
ausreichendem Maße vorgelegen haben oder ungeprüft geblieben sein.
4. Der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Arbeit muss im konkreten Fall hinreichend
wahrscheinlich sein (vgl. BSG in SozR 2200 § 551 RVO Nr. 18).
Nach der Rechtsprechung des BSG bezieht sich die Voraussetzung einer höheren Gefährdung bestimmter
Personengruppen auf das allgemeine Auftreten der Krankheit, nicht dagegen auf die Verursachung der Krankheit
durch die gefährdende Tätigkeit. Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten
Tätigkeit häufiger auftrete als bei der übrigen Bevölkerung, erfordere den Nachweis einer Fülle gleichartiger
Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um mit
Sicherheit daraus schließen zu können, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt
(vgl. BSGE 59 Seite 259/298 m.w.N.). Ist im Ausnahmefall die gruppenspezifische Risikoerhöhung nicht mit der im
allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung derartiger Krankheitsbilder zum Nachweis einer
größeren Anzahl gleichartiger Gesundheitsstörungen zu belegen, da etwa aufgrund der Seltenheit der Erkrankung
medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können,
kann zur Feststellung der generellen Geeignetheit der Einwirkung spezieller Noxen zur Verursachung der betreffenden
Krankheit auch auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten sowie auf frühere Anerkennungen
entsprechender Krankheiten wie BKen nach § 551 Abs. 2 RVO und damit zusammenhängende medizinisch-
wissenschaftliche Erkenntnisse zugegriffen werden (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R -). Die
gruppenspezifische Risikoerhöhung muss sich in dem Fall letztlich aus Erkenntnissen der medizinischen
Wissenschaft ergeben. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass
bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche
Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den
jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu der selben
wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich
ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen
einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG aaO).
Die Feststellung einer Wie - BK setzt voraus, dass eine bestimmte Personengruppe durch die Art der versicherten
Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist. Die
Personengruppe darf nicht vorab nach gesetzesfremden Merkmalen bestimmt werden, sondern ergibt sich durch die
nachgenannten Prüfungen. Zuerst ist die Art der Einwirkungen zu ermitteln, die im Blick auf die vom Versicherten
geltend gemachte Krankheit abstrakt-generell als Ursachen in Betracht kommen können. Dann ist zu klären, ob diese
abstrakt-generell einer bestimmten Art einer vom Versicherten verrichteten versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind.
Aus dieser Verbindung von krankheitsbezogenen Einwirkungen und versicherter Tätigkeit ergibt sich die abstrakt-
generelle Personengruppe, die sich von der Allgemeinbevölkerung unterscheidet, (vgl. BSG, Urteil vom 20. Juli 2010 -
B 2 U 19/09 R -). An die bestimmte Personengruppe sind keine besonderen Anforderungen hinsichtlich ihrer Größe
oder sonstiger charakterisierender Merkmale zu stellen (z. B. nicht gemeinsamer Beruf; vgl. BSG aaO).
Die im Falle des Klägers maßgebliche "bestimmte Personengruppe" sind die im Bereich Montage und Reparatur von
Transformatoren Versicherten. Der Kläger war durch seine Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige
Bevölkerung gegenüber Brandrauchen, die beim Löten entstanden sind und gegenüber Clophen exponiert, welches
beim Löten von Kupferleitungen verbrennt, wobei beim Erhitzen von Clophen Salzsäuredämpfe freigesetzt werden.
Weiterhin war er bei seiner Tätigkeit gegenüber Schweißrauchen exponiert und schließlich auch verschiedenen
organischen Lösungsmitteln bzw. Lösungsmittelgemischen ausgesetzt. Er ist also einer ganzen Reihe die
Nasenschleimhaut reizenden Substanzen bei seiner Tätigkeit in der Montage/Reparatur von Transformatoren
gegenüber exponiert gewesen.
Die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, müssen abstrakt-generell
nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein. Denn
für die Beurteilung des generellen Ursachenzusammenhangs gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSGE
96, 196 = SozR 4 - 2700 § 8 Nr. 17). Vor der rechtlichen Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursachenart selbst
muss auch hier die naturwissenschaftlich/naturphilosophische Kausalitätsprüfung erfolgen. Dabei ist zu klären, ob
nach wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen belegt ist, dass bestimmt Einwirkungen generell bestimmte
Krankheiten der vom Versicherten geltend gemachten Art verursachen. Das ist anzunehmen, wenn die Mehrheit der
medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen
und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangen. Zwar gibt es bezüglich einer
sich aus mehreren schleimhautreizenden Stoffen zusammengesetzten Mischexposition, der der Kläger über lange
Jahre hinweg ausgesetzt war, keine epidemiologischen Untersuchungen mit Kohorten- oder Fall-Kontroll-Studien. Zur
Überzeugung des Senats steht jedoch fest, dass jeder der einzelnen, die Schleimhaut reizenden Stoffe, denen der
Kläger über lange Jahre seiner beruflichen Betätigung ausgesetzt war, generell geeignet ist, Riechstörungen zu
verursachen; hierzu existieren auch entsprechende wissenschaftliche Studien, die der Sachverständige Priv.-Doz. Dr.
M.in seinem Gutachten vom 23. September 2008 angeführt hat. Diese Auffassung des Sachverständigen Priv.-Doz.
Dr. M., der sich der Senat anschließt, wird auch gestützt durch die inhaltlich gleichlautenden Ausführungen des
Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Mann in seinem Gutachten vom 6. April 2005 und den gleichlautenden Ausführungen
von Prof. Dr. Kochem in seinem Gutachten vom 17. September 2008. Auch wenn die Wirkungsmechanismen der
einzelnen die Schleimhaut reizenden Substanzen zumindest teilweise auch unterschiedlich sein mögen, verursachen
sie jedoch gleiche oder zumindest ähnliche Effekte an den oberen Atemwegen, sodass auch eine additive Wirkung
der einzelnen toxischen Stoffe, denen der Kläger ausgesetzt war, plausibel ist, wobei jedoch die Einwirkung der
Salzsäuredämpfe im Vordergrund steht. Für diese Substanz ist nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft
gesichert, dass sie beim Menschen Riechstörungen verursacht.
Der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. hat - mit entsprechenden Studien belegt - überzeugend die
schleimhautreizende Wirkung von Brandrauchen, die beim Löten entstehen, beschrieben, die generell geeignet sind,
Riechstörungen hervorzurufen. Entsprechend belegt hat er auch die schleimhautreizende Wirkung des Verbrennens
von Clophen, das beim Löten von Kupferleitungen gegeben ist, insbesondere im Hinblick auf die Freisetzung von
Salzsäuredämpfen; diese sind generell geeignet, Riechstörungen hervorzurufen. Weiterhin hat der Sachverständige
Priv.-Doz. Dr. M. überzeugend und mit entsprechenden wissenschaftlichen Zitaten belegt die generelle Geeignetheit
von Schweißrauchen für die Hervorrufung von Riechstörungen dargelegt. Dabei ist auch zu beachten, dass im
Hinblick auf die dafür zugrundezulegenden hohen Konzentrationen an Schweißrauchen im Bericht des Technischen
Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 10. Januar 2002 Grenzüberschreitungen der Messwerte für
Gesamtschweißrauche und auch für Chromate festgehalten sind. Chromate wiederum - auch hierfür hat der
Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. wissenschaftliche Zitate als Beleg angeführt - sind in sehr hohen Konzentrationen
generell geeignet, Störungen des Riechvermögens bis hin zu vollständigem Verlust des Riechvermögens (Anosmie)
zu verursachen. Auch wenn die Belastung des Klägers gegenüber Chromaten sicherlich deutlich geringer gewesen ist
als beispielsweise bei einem Galvaniseur ist auch dieser Stoff im Rahmen der Mischexposition und der schon
angeführten "additiven" Wirkung ein weiterer Umstand, der die generelle Geeignetheit der toxischen Stoffe zur
Herbeiführung einer Riechstörung erhärtet. Schließlich hat der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. noch die generelle
Geeignetheit der organischen Lösungsmitteln bzw. Lösungsmittelgemischen, denen der Kläger ausgesetzt war, zur
Herbeiführung einer Riechstörung durch ihre schleimhautreizende Wirkung nachvollziehbar und wiederum
entsprechend mit wissenschaftlichen Zitaten belegt beschrieben.
Der Senat ist der Auffassung, dass hier ein sog. "Seltenheits-Fall" vorliegt, bei dem zur Feststellung der generellen
Geeignetheit der Einwirkung spezieller Noxen zur Verursachung der betreffenden Krankheit auch auf Einzelfallstudien,
auf Erkenntnisse aus anderen Staaten sowie auf frühere Anerkennungen entsprechender Krankheiten als Wie - BK‘en
nach § 551 Abs. 2 RVO bzw. § 9 Abs. 2 SGB VII und damit zusammenhängende medizinisch-wissenschaftliche
Erkenntnisse zurückgegriffen werden kann. Aufgrund der vom Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. M. angeführten
Studien, deren Aussagen auch durch die im Verfahren gehörten Sachverständigen Prof. Dr. Dr. M. und Prof. Dr. K.
gestützt werden, ist der Senat davon überzeugt, dass die toxischen Stoffe, denen der Kläger bei seinen
Arbeitsbedingungen in teilweise hohen Konzentrationen über lange Jahre ausgesetzt war, generell geeignet sind, eine
Riechstörung zu verursachen.
Die Erkenntnisse, auf denen diese Einschätzung beruht, sind auch "neu" im Sinn des § 551 Abs. 2 RVO.
Grundsätzlich sind medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse nur dann "neu" im Sinne dieser Vorschrift bzw. im
Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den geltenden gemachten Anspruch
feststeht, dass sie bei der letzten Änderung der BKV noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist stets der Fall, wenn
die Erkenntnisse erst nach Erlass der letzten BKV bzw. etwaiger Änderungsverordnungen bekannt geworden sind.
Nicht berücksichtigt vom Verordnungsgeber und somit "neu" sind aber auch diejenigen medizinisch-
wissenschaftlichen Erkenntnisse, die trotz Vorhandensein bei Erlass der letzten BKV oder einer Änderungsverordnung
vom Verordnungsgeber entweder nicht zur Kenntnis oder nicht erkennbar geprüft worden sind. Als neu im diesem
Sinne gelten daher solche medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr, die nach erkennbarer Prüfung
vom Verordnungsgeber als noch unzureichend bewertet wurden und deswegen eine Aufnahme der betreffenden
Krankheit in die BK-Liste scheitert (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R -).
Die Studien, auf die der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. in seinem Gutachten hingewiesen hat, sind zwar vor der
letzten Änderung der BKV im Jahre 2009 veröffentlicht worden. Dennoch sind sie als "neu" im Sinne des § 551 Abs. 2
RVO bzw. § 9 Abs. 2 SGB VII zu bewerten. Der Senat stützt sich dabei auf die Aussage des Hauptverbandes der
gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 15. Februar 2006 bzw. auf die Aussage der Deutschen Gesetzlichen
Unfallversicherung - Abteilung Versicherung und Leistung - vom 12. Januar 2009, wonach der ärztliche
Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerim für Arbeit und Soziales die Fragestellung einer
Riechstörung infolge von toxischen Stoffexpositionen bisher nicht erkennbar geprüft habe.
Im konkreten Fall des Klägers ist es auch hinreichend wahrscheinlich, dass seine Hyposmie durch die beruflich
bedingte Einwirkung der toxischen Stoffe (Brandrauche, Clophen/Salzsäuredämpfe, Schweißrauche, Lösungsmittel)
verursacht worden ist. Der Kläger war den toxischen, schleimhautreizenden Stoffen von 1970 bis 1996 und zum Teil
darüber hinaus während seiner versicherten Tätigkeit bei der S. AG K. in zum Teil hohen Konzentrationen ausgesetzt.
Diesbezüglich stützt sich der Senat auf die Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten (Bericht vom 14.
Januar 2002) und des Technisches Aufsichtsdienstes der Beklagten (Bericht vom 19. März 2004) und die
Arbeitsanamnesen in den Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Dr. Ke., Prof. Dr. Dr. M. und insbesondere Priv.-
Doz. Dr. M. in seinem Gutachten vom 1. September 2005. Von diesen Arbeitsplatzverhältnissen bzw. diesen
Ausmaßen der Schadstoffexpositionen geht der Senat auch deshalb aus, weil sie während des gesamten
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden sind. Dabei ist im Hinblick auf
den Umfang der Schadstoffexposition hervorzuheben, dass der Kläger zwischen 1970 und 1996 bei der
Montage/Reparatur der "Flüssigtransformatoren" durchschnittlich wöchentlich 3 Stunden mit "Widerstandsschweißen
oder Hartlöten" beschäftigt gewesen ist. Bei dieser Tätigkeit ist der Kläger zur Überzeugung des Senats hohen
Konzentrationen von Salzsäuredämpfen ausgesetzt gewesen. Insofern schließt sich der Senat den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. M. in seinem Sachverständigengutachten vom 23. September
2008 an, der diese Annahme überzeugend damit begründet hat, dass der Kläger im Zusammenhang mit diesen
Arbeiten über sehr starke Reizungen von Nase, Augen, Rachen und Haut sowie Atemnot nach dem Einatmen der
entstandenen Rauche und Dämpfe berichtet hat. Gerade aber den Salzsäuredämpfen kommt - so der
Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M.- im Rahmen der "Mischexposition" für die Verursachung der Geruchsstörung eine
herausragende Bedeutung zu. Von der hinreichend wahrscheinlichen Verursachung der Geruchsstörung des Klägers
durch die beruflich bedingte Einwirkung der bei der versicherten Tätigkeit des Klägers gegebenen toxischen Stoffen ist
der Senat im Übrigen auch deshalb überzeugt, weil übereinstimmend die Sachverständigen Prof. Dr. Dr. M., Priv.-
Doz. Dr. M., Prof. Dr. K. und Prof. Dr. Dr. Ke. diesbezüglich keine außerberuflichen Krankheitsursachen eruieren
konnten und ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der berufsbedingten Schadstoffexposition und der vorliegenden
Hyposmie feststeht. Beide Umstände sind geeignet, die Wahrscheinlichkeit einer beruflichen Verursachung der
Hyposmie zu erhöhen.
Mithin ist die Hyposmie des Klägers als Wie - BK anzuerkennen. Die MdE ist - hierbei schließt sich der Senat den
Ausführungen des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. M.in seinen Gutachten vom 1. September 2005 und 23.
September 2008 an - auf allenfalls 10 v. H. zu schätzen. Priv.-Doz. Dr. M.ist bei dieser Bewertung von den beiden
Gesundheitsstörungen Hyposmie und chronische Rhinitis ausgegangen, wobei jedoch letztere nicht Gegenstand der
Anerkennung als Wie - BK ist. Eine Verletztenrente kommt somit nicht in Betracht, wurde vom Kläger aber auch nicht
beantragt.
Die Berufung hat somit teilweise Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.