Urteil des LG Stuttgart vom 08.07.2003

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LG Stuttgart Beschluß vom 8.7.2003, 15 O 496/2002
Die Beauftragung mit der Durchführung von BSE-Schnelltests ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag.
Leitsätze
Wenn das Land aufgrund Kapazitätserschöpfung der eigenen Labors private Institute mit der Durchführung von BSE-Schnelltests beauftragt, dann
handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Vertragsbeziehung zwischen ihnen, nicht um eine privatrechtliche.
Tenor
1. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird für unzulässig erklärt, soweit das klagende Land die Feststellung der Haftung der Beklagten
für die Schäden begehrt, die dem Kläger oder den Landkreisen .... und ....-Kreis infolge der vorübergehenden Nichtauswertbarkeit der
Testergebnisse der von der Beklagten im Zeitraum vom 24. Dezember 2001 bis zum 8. Februar 2002 durchgeführten in Anlage K 1 a) und b) im
Einzelnen aufgelisteten „BSE-Schnelltests“ unmittelbar selbst entstanden sind oder noch entstehen werden (Eigenschäden).
2. Insoweit wird das Verfahren gemäß § 145 Abs. 1 ZPO abgetrennt und an das Verwaltungsgericht Stuttgart als örtlich und sachlich zuständiges
Gericht des Verwaltungsrechtsweges nach § 17 a Abs. 2 GVG verwiesen.
Gründe
1 Das klagende Land macht im Wege einer Leistungs- und Feststellungsklage Schadensersatzansprüche wegen nicht zuverlässig nachprüfbarer
BSE-Schnelltests gegen die Beklagte geltend.
2 I. Aufgrund § 1 der Verordnung zur fleischhygienischen Untersuchung von geschlachteten Rindern auf BSE vom 1. Dezember 2000 sind alle
Rinder über 24 Monaten auf BSE zu untersuchen. Nach § 1 Abs. 1 des Fleischhygienegesetzes handelt es sich dabei um eine amtliche
Untersuchung, für deren Durchführung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Ausführung des Fleischhygienegesetzes die untere Staatliche
Verwaltungsbehörde zuständig ist.
3 Ende des Jahres 2000 wurden infolge von Kapazitätserschöpfung bei den staatlichen Labors auch private Institute mit der Vornahme von BSE-
Schnelltests beauftragt. Diese erhielten dafür eine Erlaubnis vom Land und hatten dabei bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, die in dem
Bescheid an die Beklagte vom 21. Dezember 2001 des Regierungspräsidiums .... (Anl. K 2) näher konkretisiert sind. So ist u.a. in Nr. 3.3 des
Bescheides festgelegt, dass zur Durchführung des Tests ein von der Bundesforschungsanstalt für Viruserkrankungen zugelassenes Testverfahren
verlangt wird und dass die Verpflichtung besteht, die Tests nur nach den in Nr. 1 des Bescheids genannten Verfahrensanweisungen
durchzuführen.
4 Grundlage für die Verpflichtung der Beklagten zur entsprechenden Vornahme der Tests war ein zwischen den Parteien abgeschlossener Vertrag.
5 Am 11. und 12. Februar 2002 wurden bei der Beklagten Kontrollen durchgeführt, bei denen die Validität der Testergebnisse überprüft werden
sollte. Hierzu wurden die Bilddateien gesichtet und es stellte sich heraus, dass diese „blass“ waren.
6 Daraufhin beschlagnahmte das Land das Fleisch, das durch die Beklagte getestet worden war. Später stellte sich heraus, dass es
ordnungsgemäß untersucht worden war.
7 Das Land begehrt nun zum einen die Freistellung von Schadensersatzansprüchen Dritter aus Amtspflichtverletzung, die von den betroffenen
Schlachtbetrieben bereits angekündigt worden sind und zum anderen als Ersatz des ihm unmittelbar selbst entstandenen Eigenschadens die
Kosten, die ihm durch die Rückverfolgung des bereits an die Schlachthöfe ausgelieferten Fleisches entstanden sind.
II. Für die Geltendmachung dieser Eigenschäden ist der ordentliche Rechtsweg nach § 13 GVG jedoch nicht gegeben, sondern gemäß § 40
Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil das zwischen den Parteien im Streit stehende Rechtsverhältnis als öffentlich-rechtlich
zu qualifizieren ist und es sich somit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt.
Das Verfahren war deshalb insoweit nach Abtrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO an das sachlich und örtlich zuständige Verwaltungsgericht
Stuttgart gem. § 17 a Abs. 2 GVG zu verweisen.
1. Dem steht § 17 Abs. 2 GVG nicht entgegen, wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht
kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat.
Diese Regelung des § 17 Abs. 2 GVG ändert nichts daran, dass das angerufene Gericht bei einer Mehrheit von prozessualen Ansprüchen
(Klagehäufung) für einen oder mehrere von ihnen die Zulässigkeit des zu ihm beschrittenen Rechtsweges gegebenenfalls zu verneinen und
insoweit nach § 17 a GVG zu verfahren hat, wobei es auch eine Prozesstrennung gemäß § 145 Abs. 1 ZPO durchführen muss
(Baumbach/Albers, ZPO, 61.Auflage, § 17 GVG Rn. 6; BGH NJW 1998, 826 ff; je m.w.N.).
Zwar ist für das Freistellungsbegehren des klagenden Landes wegen der Ansprüche aus Amtspflichtverletzung nach Art. 34 Satz 3 GG der
ordentliche Rechtsweg eröffnet, doch handelt es sich bei dem ebenfalls geltend gemachten Anspruch auf Ersatz des unmittelbar dem Kläger
entstandenen Schadens um einen selbständigen Streitgegenstand, bei dem das Gericht verpflichtet ist, seine Zuständigkeit unabhängig von
den anderen prozessualen Ansprüchen zu prüfen.
2. Für das Ersatzverlangen bezüglich dieser unmittelbar beim klagenden Land entstandenen Schäden ist nach § 40 Abs. 1 VwGO nur der
Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil es sich bei dem der Auftragserteilung zugrunde liegenden Vertrag zwischen den Parteien um einen
öffentlich-rechtlichen handelt, so dass auch eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt.
Ob ein Vertrag öffentlich-rechtlich ist, bestimmt sich danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht
zuzuordnen ist, dabei kann der Gegenstand des Vertrages auch nach dem mit der Vereinbarung verfolgten Zweck bestimmt werden
(Redeker/von Oertzen, 13. Aufl., § 40 VwGO RdNr. 11).
Ein Vertrag ist dann dem öffentlichen Recht zuzuordnen, wenn sein Gegenstand sich auf von der gesetzlichen Ordnung öffentlich-rechtlich
geregelte Sachverhalte bezieht. Das setzt voraus, dass der Vertragsgegenstand jedenfalls bis zu einem gewissen Maße durch eine
öffentlich-rechtliche Vorschrift normiert ist (Eyermann/Rennert, 11. Aufl., § 40 VwGO RdNr. 68 f).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist hier von einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis auszugehen.
Gegenstand des Vertrages ist die Durchführung von BSE-Schnelltests, für die es gesetzliche Grundlagen in § 1 der Verordnung zur
fleischhygienerechtlichen Untersuchung von geschlachteten Rindern auf BSE gibt. Diese Fleischuntersuchungen sind nach § 1 Abs. 1
Fleischhygienegesetz eine amtliche Untersuchung. Bei dieser Tätigkeit handelt es sich um eine Aufgabe, die zum Kernbereich der
Eingriffsverwaltung gehört, wonach das Land seiner aus Art. 2 Abs. 2 GG resultierenden Schutzpflicht für die Gesundheit der Bevölkerung
nachkommt.
Nur weil in den staatlichen Labors die Kapazitäten erschöpft waren, wurden private Institute herangezogen, um diese zur Gefahrenabwehr
gehörenden Aufgaben zu bewältigen.
Ein Vertrag, der so eng mit öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zusammenhängt, ist unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhanges
demselben Rechtsbereich zuzurechnen (Kopp/Schenke, 13. Aufl., § 40 VwGO RdNr. 23).
Die enge Verbindung zu den öffentlich-rechtlichen Aufgaben ergibt sich auch daraus, dass das beklagte Labor überhaupt erst tätig werden
durfte, nachdem es die im Bescheid des Regierungspräsidiums .... vom 21. Dezember 2001 enthaltene Erlaubnis bekommen hatte. Der
Bescheid enthielt zahlreiche Bestimmungen, die die Beklagte einhalten musste bei der Durchführung der Tests. Durch diese Vorgehensweise
hat das klagende Land die privaten Labors praktisch in die öffentliche Verwaltung eingegliedert (Beschluss des LG Ravensburg vom 24. April
2003, AZ 5 O 165/2002).
Daraus ergibt sich auch der entscheidende Unterschied zu den Abschleppverträgen zwischen Polizei und Abschleppunternehmer, die als
privatrechtliche Werkverträge zu beurteilen sind, da diese nur als Beschaffungsgeschäfte anzusehen sind (Eyermann/Rennert, 11. Aufl. § 40
VwGO RdNr. 73), während dagegen der Unternehmervertrag über den Betrieb einer Tierkörperbeseitigungsanstalt als öffentlich-rechtlicher
Vertrag anzusehen ist (Redeker/von Oertzen, 13. Aufl., § 40 VwGO RdNr. 11).
Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ist daher dem öffentlichen Recht zuzuordnen, so dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist,
der sich auch auf Schadensersatzansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis erstreckt.