Urteil des LG Paderborn vom 18.11.2005

LG Paderborn: eintritt des versicherungsfalls, virus, hepatitis, innere medizin, behandlung, versicherungsschutz, wahrscheinlichkeit, flughafen, unfallversicherung, depression

Landgericht Paderborn, 3 O 290/05
Datum:
18.11.2005
Gericht:
Landgericht Paderborn
Spruchkörper:
3. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 290/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu
vollstrecken-den Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Unfallversicherung in Anspruch.
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Seit dem 01.06.2002 unterhält der Kläger bei der Beklagten eine Unfallversicherung mit
einer Invaliditätssumme von 25.000 €. In den in den Vertrag einbezogenen Allgemeinen
Bedingungen der Unfallversicherung mit der Bezeichnung " ... AB UPR-R 2000" ist
unter anderem geregelt:
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"2.1 Invaliditätsleistung
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2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung:
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2.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer kör-
perlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).
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Die Invalidität ist
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- innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und
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- innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schrift- lich
festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.
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...
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2.1.2 Art und Höhe der Leistung:
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2.1.2.1 Die Invaliditätsleistung zahlen wir als Kapitalbetrag.
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2.1.2.2 Grundlage für die Berechnung der Leistung bilden die Versiche-
rungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität.
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...
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5. In welchen Fällen ist in der Unfallversicherung der
Versicherungsschutz ausgeschlossen?
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5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Vorfälle:
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...
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5.2.4 Infektionen.
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5.2.4.1 Sie sind auch dann ausgeschlossen, wenn sie
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- durch Insektenstiche oder -bisse oder
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- durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen
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verursacht wurden, durch die Krankheitserreger sofort oder später in den
Körper gelangten.
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5.2.4.2 Versicherungsschutz besteht jedoch für
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- Tollwut und Wundstarrkrampf sowie für
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- Infektionen, bei denen die Krankheitserreger durch Unfallverlet- zungen,
die nicht nach Ziffer 5.2.4.1 ausgeschlossen sind, in den Körper
gelangten.
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5.2.6 Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, auch wenn
diese durch einen Unfall verursacht wurden.
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Der jetzt 51-jährige Kläger, der als Exportmanager eines größeren Unternehmens häufig
im europäischen und außereuropäischen Ausland unterwegs ist, stürzte am 10.07.2002
auf dem internationalen Flughafen von Moskau auf einer Treppe und zog sich dabei
eine blutende Verletzung am rechten Knie zu. Er ließ sich deshalb von einem
Flughafensanitäter behandeln. Da sich die Wunde entzündete, begab er sich nach
seiner Rückkehr nach Paderborn am 13.07.2002 in die Behandlung seines Hausarztes
... . Im Rahmen einer umfassenden Untersuchung wurde am 15.07.2002 auch eine
Untersuchung auf Hepatitis-C-Antikörper vorgenommen, die keinen positiven Befund
ergab. Anlässlich einer anderen Erkrankung wurde bei einer Untersuchung am
18.11.2002 eine Hepatitis-C-Infektion bei dem Kläger festgestellt.
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Unter den Parteien ist streitig, ob diese Infektion auf die Verletzung und Behandlung auf
dem Flughafen in Moskau zurückzuführen ist.
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Im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Detmold hat die für den Kläger
zuständige Berufsgenossenschaft die Hepatitis-C-Infektion als Unfallfolge anerkannt,
nachdem der Sachverständige Prof. Dr. N in seinem Gutachten vom 06.10.2004 (Blatt
39 ff. d. A.) den Kausalzusammenhang als wahrscheinlich bezeichnet hat und in einem
weiteren Gutachten den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der
Hepatitis-C-Infektion mit 40 % und aufgrund der durch die Behandlung mit Interferon
entstandenen Depression mit weiteren 10 – 20 % angegeben hat.
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Inzwischen erhält der Kläger aufgrund eines Bescheides der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 09.09.2005 (Blatt 133 d. A.) ab dem
01.07.2005, und zwar zunächst befristet bis zum 31.08.2007, Rente wegen voller
Erwerbsminderung. Der Entscheidung liegen Gutachten der Ärztin für Innere Medizin Dr.
H vom 19.07.2005 (Blatt 109 ff. d. A.) und der Ärztin für Psychiatrie Dr. Q2 vom
10.08.2005 (Blatt 115 ff. d. A.) zugrunde, aus denen hervorgeht, dass bei dem Kläger im
November 2004 ein Hepatitis-C-Relaps aufgetreten ist und eine therapiebedingte
mittelschwere bis schwere Depression vorliegt, sodass seine Belastbarkeit zumindest
vorübergehend deutlich reduziert ist.
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Der Kläger trägt vor, die Hepatitis-C-Infektion sei auf die Behandlung seiner
Knieverletzung durch den Flughafensanitäter in Moskau mit nicht sterilen Instrumenten
zurückzuführen. Das Virus könne praktisch ausschließlich über die Blutbahn, also über
offene Wunden, aufgenommen werden. Ein Virusträger könne das Virus, das an der
Oberfläche bei Raumtemperatur mindestens 16 Stunden und maximal 4 Tage infektiös
bleibe, über Körperflüssigkeiten ausscheiden. Deshalb sei es ohne weiteres möglich,
dass bei der Behandlung Viren von dem Sanitäter oder von vorbehandelten Personen in
seinen Körper gelangt seien.
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Da am 15.07.2002 eine Untersuchung mit negativem Befund und am 18.11.2002 eine
Untersuchung mit positivem Befund erfolgt seien und die Antikörper spätestens 6
Wochen nach der Infektion nachweisbar seien, müsse die Infektion zwischen Anfang
Juni 2002 und Ende September 2002 erfolgt sein, sodass ein Zusammenhang mit der
Verletzung und Behandlung am 10.07.2002 sehr nahe liege, zumal in Russland und
insbesondere bei dem dortigen medizinischen Personal ein hoher Durchseuchungsgrad
bestehe. Eine andere Infektionsmöglichkeit komme bei ihm nicht in Betracht. Er, der
Kläger, gehöre keiner der Risikogruppen – Drogenabhängige, Homosexuelle,
Verwender von Körperschmuck wie Piercing und Tatoos – an. Auch eine Blutspende
scheide als Ursache aus, da er eine Blutspende nicht erhalten habe. Er habe in dem
fraglichen Zeitraum auch keine andere Verletzung gehabt, die als "Einfallstor" für das
Virus in Betracht gekommen wäre. Nach alledem sei ein Zusammenhang zwischen
seinem Unfall und der Infektion nachgewiesen oder zumindest im Sinne der
Rechtsprechung deutlich überwiegend wahrscheinlich.
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Wegen der unfallbedingten 60prozentigen Invalidität habe die Beklagte vertragsgemäß
60 % der Versicherungssumme von 25.000 € zu zahlen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins
seit dem 07.03.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, der Kläger könne einen Ursachenzusammenhang zwischen seiner
Unfallverletzung und der Infektion nicht beweisen. Dieser Zusammenhang sei auch
nicht überwiegend wahrscheinlich und könne allenfalls vermutet werden. Davon sei
bereits deshalb auszugehen, weil in 30 – 50 % der Infektionsfälle die Infektionsquelle
nicht feststellbar sei. Selbst wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im Hinblick
auf den vom Kläger behaupteten Zusammenhang anzunehmen sei, reiche das nicht
aus, weil nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen Infektionen nur dann vom
Versicherungsschutz umfasst seien, wenn die Erreger durch nicht nur geringfügige
Unfallverletzungen in den Körper gelangt sind und insoweit der Vollbeweis des
Kausalzusammenhangs erbracht werden müsse.
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Es werde auch bestritten, dass unfallbedingt ein Invaliditätsgrad von 60 % vorliege.
Hinsichtlich einer eventuellen durch Behandlung mit Interferon bedingten
Verschlimmerung der bereits vorbestehenden Depression bestehe gem. Ziff. 5.2.6 der
Bedingungen kein Versicherungsschutz.
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Im übrigen habe der Kläger auch die Obliegenheiten nach Eintritt des
Versicherungsfalls verletzt, indem er die Frage nach Krankheiten verneint habe, sodass
auch aus diesem Grunde Leistungsfreiheit bestehe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet.
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Der Kläger hat den ihm obliegenden Nachweis, dass die bei ihm bestehende Hepatitis-
C-Infektion auf einen Unfall zurückzuführen ist, nicht geführt und kann diesen Nachweis
auch nicht führen.
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Im Hinblick auf die Anforderungen an den Nachweis und den Grad der
Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen Unfall und Infektion geht
das Gericht davon aus, dass es nicht ausreicht, wenn eine deutlich überwiegende
Wahrscheinlichkeit für den Ursachenzusammenhang besteht. Da Infektionen
grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind und nur dann einbezogen
sind, wenn der Erreger durch eine nicht geringfügige Verletzung in den Körper gelangt
ist, trägt der Versicherungsnehmer für die Gegenausnahme von der Ausnahme die volle
Beweislast, sodass es insoweit nicht genügt, wenn der Zusammenhang überwiegend
wahrscheinlich oder sogar deutlich überwiegend wahrscheinlich ist.
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Im vorliegenden Fall kann zwar das Virus durch die Wunde, die der Kläger bei seinem
Sturz auf der Treppe auf dem Moskauer Flughafen erlitten hat, in seinen Körper gelangt
sein. Dafür spricht auch, dass die Infektion praktisch nur durch Aufnahme des Virus in
den Blutkreislauf erfolgen kann und nach den Ergebnissen der Tests im Juli und
November 2002 etwa in der Zeit von Juni 2002 bis September 2002 erfolgt sein muss,
sodass der Unfall vom 10.07.2002 in diesen zeitlichen Rahmen passt. Für einen
Zusammenhang kann auch sprechen, dass sich die Wunde entzündet hat, was auf eine
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Behandlung mit nicht sterilen Instrumenten hindeuten kann. Auch der verhältnismäßig
hohe Gehalt der Durchseuchung des medizinischen Personals in Russland mit
Hepatitis C vergrößert den Grad der Wahrscheinlichkeit eines
Ursachenzusammenhangs. Es ist auch kein anderes Ereignis bekannt geworden, dass
mit der Infektion in Verbindung gebracht werden könnte. Desweiteren spricht auch
nichts dafür, dass der Kläger einer der bekannten Risikogruppen angehört.
Auf der anderen Seite muss jedoch festgestellt werden, dass es unzählige
Möglichkeiten gibt, wie das Virus über einen Hautdefekt des Klägers in seinen Körper
gelangt sein kann, nachdem es von einem Virusträger über Körperflüssigkeiten (z. B.
auch Speichel oder Schweiß) ausgeschieden worden ist, wobei auch zu
berücksichtigen ist, dass das Virus bis zu maximal 4 Tagen infektiös bleiben kann. Nach
der Darstellung in der von beiden Parteien zitierten Fachliteratur kann in 20 – 50 % der
Fälle von Hepatitis-C-Infektionen die Infektionsquelle und der Infektionsweg nicht
zuverlässig ermittelt werden. Das zeigt, dass sich die infizierten Personen häufig nicht
an eine mögliche leichte Hautverletzung erinnern können, über die das Virus
aufgenommen worden sein kann. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass kleine
Hautdefekte oder Verletzungen, an die man sich später kaum erinnern kann, die
Ursachen für eine Infektion sein können, wenn diese mit Gegenständen in Berührung
kommen, an denen sich das Virus befindet.
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Da auch im Fall des Klägers eine solche Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden
kann und wegen der verhältnismäßig hohen Quote der nicht klärbaren Infektionsfälle
auch nicht von einer lediglich theoretischen alternativen Möglichkeit ausgegangen
werden kann, ist der Nachweis eines Ursachenzusammenhangs zwischen der auf dem
Flughafen erlittenen Verletzung und der Infektion nicht geführt und kann auch mit einem
Sachverständigengutachten nicht geführt werden. Die Wahrscheinlichkeit des
Zusammenhangs, die z. B. in dem ärztlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.
N vom 06.10.2004 angenommen worden ist, reicht für den Nachweis nicht aus.
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Die Klage war daher abzuweisen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
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