Urteil des LG Köln vom 29.04.2008

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Landgericht Köln, 11 S 176/07
Datum:
29.04.2008
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
11. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 S 176/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 118 C 473/06
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom
17.01.2007 – 118 C 473/06 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Kläger nehmen das beklagte Luftfahrtunternehmen unter Berufung auf eine
Flugannullierung auf Zahlung einer Ausgleichszahlung in Höhe von 1.200,-- € aus der
VO (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004
über eine gemeinsame Regelung zur Ausgleichs- und Unterstützungsleistung für
Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung
von Flügen und zur Aufhebung der VO (EWG) Nr. 295/1991 in Anspruch ( im folgenden
VO (EWG) Nr. 261/2004). Weiterhin machen sie 20, € als Reservierungskosten geltend.
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Die Kläger buchten über das Reisebüro Z Tours Flugbörse in I bei dem
Reiseveranstalter O Reisen für den Zeitraum vom 30.01.2006 bis zum 14.02.2006 eine
Flugpauschalreise auf die Gdiven. Der Hinflug sollte am 30.01.2006 um 19.00 Uhr von
C/M über E nach G erfolgen, wobei die Beklagte die Strecke C/M-E mit Flug ###
durchführen sollte, während der Weiterflug E-G planmäßig durch LTU mit Flug ##### zu
erbringen war.
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Für Hin- und Rückflug haben die Kläger Sitzreservierungen zum Preis von 10,-- € pro
Person vorgenommen. Aufgrund technischer Probleme an der bordeigenen
Enteisungsanlage des geplanten Einsatzflugzeuges wurde der Flug ### seitens der
Beklagten am 30.01.2006 annulliert. Die Maschine war am gleichen Tag zuletzt ohne
technische Auffälligkeiten gewartet worden. Nachdem die Beklagte eine Beförderung
der Kläger am gleichen Tag nicht mehr anbieten konnte und diese die Nacht zu Hause
verbracht haben, wurden sie schließlich am 31.01.2006 um 19.30 Uhr mit dem Flug
####### über G nach G befördert.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge im ersten
Rechtszug wird auf die Feststellungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils
gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Klage der Kläger
abgewiesen. Es hat unter anderem ausgeführt, dass die Kläger keinen Anspruch gegen
die Beklagte auf Zahlung von 1.200,-- € aus Art. 5 Abs. 1 c in Verbindung mit Art. 7 Abs.
1 c der VO (EG) 261/2004 hätten, weil die Haftung der Beklagten gemäß Art. 5 Abs. 3
der VO (EG) 216/2004 ausgeschlossen sei, da die Annullierung des Fluges ### am
30.01.2006 trotz Ergreifens aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermeidbar gewesen
sei. Dieses sei vielmehr auf außergewöhnliche Umstände in Form eines unerwarteten
technischen Defekts an der Enteisungsanlage des geplanten Einsatzfluges
zurückzuführen.
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Es habe wegen des Defektes an der Enteisungsanlage ein unerwarteter
Flugsicherheitsmangel und Sicherheitsrisiko im Sinne des 14. Erwägungsgrundes auf
der EE-VO 261/2004 vorgelegen und damit sei die erfolgte Annullierung aufgrund
außergewöhnlicher Umstände erfolgt. Die Beklagte habe alle Wartungsintervalle
pünktlich und den gesetzlichen Vorschriften entsprechend durchgeführt. Weiterhin habe
sie sich intensiv bemüht, einen Ersatzflug zu finden, was im übrigen von den Klägern
nicht substantiiert bestritten worden sei.
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Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Gründe in der angefochtenen
Entscheidung verwiesen.
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Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger, die geltend machen, das Amtsgericht
habe Art. 5 Abs. 3 der VO (EG) 261/2004 falsch ausgelegt. Ein technischer Defekt stelle
keine außergewöhnlichen Umstände dar, die eine Annullierung des Fluges rechtfertigen
könnten. Dies falle allein in den Risikobereich der Beklagten. Die Beklagte müsse
erstens außergewöhnliche Umstände dartun und zweitens alle zumutbaren
Maßnahmen unternommen haben, um die Annullierung zu verhindern.
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Das Amtsgericht habe zu Unrecht den Anspruch der Kläger unter Berufung auf den 14.
Erwägungsgrund zur VO (EG) 261/2004 auf unerwartete Flugsicherheitsmängel
gestützt. Technische Defekte würden darunter grundsätzlich nicht fallen. Der Defekt an
der Enteisungsanlage sei weder ungewöhnlich noch gänzlich unvermeidbar. Auch die
Organisation von Ersatzflügen mit Ersatzmaschinen seien zumutbare Maßnahmen.
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Die Kläger beantragen,
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das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 17.01.2007 – 118 C 473/06 –
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 1.220,-- € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
13.05.2006 zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragten,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie beruft sich im wesentlichen auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf den Akteninhalt
sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
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Die verfahrensrechtlich bedenkenfreie Berufung der Kläger ist zulässig, in der Sache
jedoch unbegründet.
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Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von
Wiederholungen vollinhaltlich Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht in der
angefochtenen Entscheidung die Klage der Klägerin auf Ausgleichszahlung
abgewiesen. Auch das weitere Vorbringen der Kläger in der Berufungsinstanz
rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Die angefochtene Entscheidung beruht
weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO
zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
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Gemäß Art. 5 Abs. 1 c der VO (EG) Nr. 261/2004 wird bei Annullierung eines Fluges den
betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf
Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 eingeräumt. Vorliegend ist unstreitig eine
Annullierung des Fluges ### von C/M nach E seitens der Beklagten erfolgt. Denn nach
Art. 2 l der VO bezeichnet der Ausdruck "Annullierung" die Nichtdurchführung eines
geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war. Diese Voraussetzungen
waren vorliegend gegeben.
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Die Beklagte kann sich jedoch – wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – mit
Erfolg darauf berufen, gemäß Art. 5 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 261/2004 nicht zur
Ausgleichszahlung verpflichtet zu sein. Denn sie hat nachgewiesen, dass die
Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht
hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Die Annullierung des von den Klägern gebuchten Fluges erfolgte aufgrund eines
Defektes der Enteisungsanlage. Die Kammer folgt der Auffassung des Amtsgerichts,
dass technische Defekte nicht von vornherein als Entlastungsgrund im Sinne des Art. 5
Abs. 3 der VO (EG) Nr. 261/2004 ausscheiden. Der enge Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 der
VO lässt zwar offen, ob zu "außergewöhnlichen Umständen" im Sinne der VO auch
"unvorhersehbare technische Probleme" des Fluggerätes zählen (vgl. Dengler, RRa
2007, 210, 211). Diese Frage wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers
behandelt. Es wird insoweit auf die Entscheidung des Landgerichts C vom 07.02.2008
(Bl. 292 ff. d.A.) verwiesen, die den Parteien zur Kenntnis übersandt worden ist.
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Die Kammer schließt sich der Auffassung an, wonach technische Defekte grundsätzlich
als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 261/2004
angesehen werden können (vgl. AG Köln, RRa 2006, 275; AG G, RRa 2007, 137 mit
zustimmender Anm. Tonner, AG G, RRa 2007, 133; Müller-Rostin, NZV 2007, 221;
Handelsgericht Wien, Urt. v. 29.05.2007 50 R 119/06 ). Nicht haltbar ist nämlich die
Gegenmeinung, technische Mängel hätten, von Außenwirkungen abgesehen, ihre
Ursache immer in mangelnder oder mangelhafter Wartung zu Bedienungsfehlern oder
ähnlichem. Trotz Einhaltung der vorgeschriebenen Wartungsintervalle lässt es sich
zuweilen nicht verhindern, dass ein Einzelteil vor der nächsten fälligen Wartung defekt
wird, z.B. wegen vorzeitiger Materialermüdung oder wegen übermäßiger
Beanspruchung. Zu "Flugsicherheitsmängeln" zählen alle Mängel, insbesondere
technische Mängel, die sich negativ auf die sichere Durchführung des Fluges auswirken
können. Erforderlich ist jedoch ein "unerwarteter" Flugsicherheitsmangel, der zudem
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auch durch Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätte verhindern werden
können (vgl. Müller-Rostin, a.a.O.).
Diese Auslegung ergibt sich auch aus der Stellungnahme des Generalanwalts vom
27.09.2007 im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof welches das dänische
Landgericht Ost in Kopenhagen vorgelegt hat und in dem es um die Auslegung des Art.
5 Abs. 3 der VO (EG) NR. 261/2004 ging In dieser Stellungnahme hat der
Generalanwalt unter anderem ausgeführt, dass technische Probleme manchmal als
außergewöhnliche Umstände eingestuft werden können, so dass insoweit eine
Auslegung im Sinne der Kläger nicht anzunehmen ist. Hierbei muss natürlich
berücksichtigt werden, welche technischen Probleme vorhanden waren und es darf
grundsätzlich nicht zu einer einseitigen Entlastung des Luftfrachtführers führen.
Zwischen den Parteien ist jedoch, wie in der angefochtenen Entscheidung zutreffend
festgestellt worden ist, die defekte Maschine noch am Morgen des Fluges
ordnungsgemäß gewartet worden. Am Mittag des 30.01.2006 gegen 13.45 Uhr wurde
das Flugzeug dann wegen technischer Probleme als "unklar" gemeldet und zwar wegen
eines Defektes der Enteisungsanlage. Dieser Mangel konnte seitens der Beklagten bis
zum Abend nicht behoben werden, so dass der Flug annulliert werden musste. Die
Enteisung eines Flugzeugs ist auch während des Fluges erforderlich, so dass die
Flugsicherheit gefährdet war. Bei Meldung dieses Mangels hätte die Beklagte auch
keine Starterlaubnis erhalten, so dass auch ein Eingriff von dritter Seite erfolgt wäre,
was Schmidt (vgl. NJW 2007, 261) als ausreichend ansieht, um einen
außergewöhnlichen Umstand anzunehmen.
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Der Beklagte hat auch alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um eine Annullierung zu
verhindern. Sie hat dargelegt, dass die Mangelsuche sofort erfolgt ist und des weiteren
sie versucht hat, zwei weitere Flugzeuge als Ersatzflugzeuge nach C/M umzuleiten, was
jedoch keinen Erfolg hatte. Die Umbuchung der Kläger auf eine andere Fluglinie, hätte
den Ausgleichsanspruch der Beklagten nicht entfallen lassen, weil insoweit eine
Annullierung ihres gebuchten Fluges als Fixgeschäft einen Ausgleichsanspruch nicht
hätte entfallen lassen.
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Die Kammer weist im übrigen auf die zutreffenden Gründe in der angefochtenen
Entscheidung hin, auf die Bezug genommen wird.
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Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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Die Revision war zuzulassen, weil es hier um die Auslegung europäischen Rechts geht
(vgl. Zöller, § 544, Rdnr. 5 a).
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Berufungsstreitwert: 1.220,-- €.
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