Urteil des LG Frankfurt am Main vom 14.11.2007

LG Frankfurt Main: anteil, mahnung, bischof, hessen, anwaltskosten, bestätigung, quelle, gerichtsverfahren, vertretung, gebühr

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Gericht:
OLG Frankfurt 18.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
18 W 283/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Teil 3
Vorbem 3 Abs 4 RVG, § 2 Abs
2 S 1 Anl 1 Nr 3100 RVG, § 91
ZPO, § 104 ZPO
(Kostenfestsetzungsverfahren: Teilweise Anrechnung der
anwaltlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr)
Leitsatz
Schuldet die im Rechtsstreit obsiegende Partei nur eine gemäß Teil 3, Vorbemerkung 3
Ziff. 4 VV RVG um die anteilige Geschäftsgebühr geminderte Verfahrensgebühr, dann
kann gemäß §§ 91, 104 ZPO zu ihren Gunsten keine volle, sondern nur eine geminderte
Verfahrensgebühr festgesetzt werden. Dies gilt unabhängig von einer Titulierung oder
einem außergerichtlichen Ausgleich der Geschäftsgebühr (Bestätigung der
Entscheidungen des Senats zu Aktenzeichen 18 W 282/07 und 18 W 275/07)
Tenor
In der Beschwerdesache ... wird die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom
29.September 2007 zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf € 393,90 festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien haben vor dem Landgericht Frankfurt am Main gestritten. Der
Rechtsstreit ist durch Versäumnisurteil vom 5.6.2007 (Bl. 22 d.A.) abgeschlossen
worden, nach dessen Tenor die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen
hat. Mit Schriftsatz vom 24.7.2007 (Bl. 27 d.A.) hat die Klägerin die Festsetzung
der Kosten von € 1.973,06 zuzüglich nicht erfasster Gerichtskosten und
Auslagenvorschüsse beantragt. Sie hat unter dem 16.8.2007 vorgetragen:
„…Ergänzend wird vorsorglich noch ausgeführt, dass der Beklagten zwar in
einer vorprozessualen anwaltlichen Mahnung eine Geschäftsgebühr in Rechnung
gestellt worden war, diese ist danach aber fallen gelassen worden, weil die
Beklagte auf die Mahnung weder reagiert noch gar gezahlt hat. Deshalb ist mit der
Klage auch keine Geschäftsgebühr mehr geltend gemacht worden….“ (Bl. 32 d.A.).
Mit Beschluss vom 29.9.2007 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts den Betrag
von € 1.579,16 festgesetzt und die in voller Höhe geltend gemachte anwaltliche
Verfahrensgebühr um einen Anteil der Geschäftsgebühr von 0,65 reduziert. Gegen
den am 11.10.2007 an den Klägervertreter zugestellten Beschluss (Bl. 37 d.A.) hat
die Klägerin am 15.10.2007 Beschwerde eingelegt (Bl. 38 d.A.). Sie ist der
Auffassung, die Rechtspflegerin habe den Anteil der Geschäftsgebühr zu Unrecht
von der Verfahrensgebühr abgezogen, da die Geschäftsgebühr weder tituliert noch
durch die Beklagte erstattet worden sei. Die Rechtspflegerin hat die Beschwerde
unter Nichtabhilfe vorgelegt .
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft und rechtzeitig
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II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft und rechtzeitig
eingelegt worden, §§ 104 III S.1, II; 567 I Ziff.1; 569 I, II ZPO.
In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg, denn die Rechtspflegerin hat die
Verfahrensgebühr zu Recht um einen Anteil der Geschäftsgebühr von 0,65
reduziert. Der Senat nimmt Bezug auf seine zu den Aktenzeichen 18 W 282/07
(Beschluss vom 30.10.2007) und 18 W 275/07 (Beschluss vom 29.10.2007) bereits
ergangenen Entscheidungen sowie die Entscheidung des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zu Aktenzeichen 6 W 167/07 (Beschluss
vom 18.10.2007, sämtliche Beschlüsse abrufbar unter
„www.rechtsprechung.hessen.de“).
Der Kostenschuldner hat nach § 91 I S.1, II S.1 ZPO die dem Gläubiger
erwachsenen Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, soweit diese zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig
waren.
Es sind dem Gläubiger allerdings nur die Kosten zu erstatten, die dessen
Rechtsanwalt für die Durchführung des Prozessverfahrens berechnen kann. Nach
zutreffender Auffassung erstreckt sich das Festsetzungsverfahren jedenfalls nicht
auf die für anwaltliche Mahnungen angefallene Geschäftsgebühr. Denn insoweit
fehlt es an einem prozessualen Erstattungsanspruch im Sinne des § 91 ZPO, da
die anwaltliche Mahntätigkeit weder durch die gerichtliche Rechtsverfolgung
verursacht wird noch der Vorbereitung eines Rechtsstreits dient (BGH, Beschluss
vom 27.4.2006, Az.: VII ZB 116/05, NJW 2006, 2560; Zöller-Herget, 26. Aufl., § 104
ZPO, Rd. 21, „Außergerichtliche Anwaltskosten“, m.w.N.). Ein etwaiger
materiellrechtlicher Erstattungsanspruch ist im Klageverfahren geltend zu
machen.
Die für die Durchführung des Prozesses entstehende anwaltliche
Verfahrensgebühr (Ziffer 3100 VV RVG) ist nach Teil 3, Vorbemerkung 3, Ziffer 4
VV RVG um die Hälfte einer Geschäftsgebühr nach Ziffern 2300 bis 2303, maximal
um einem Gebührensatz von 0,75, zu reduzieren, soweit die Geschäftsgebühr
wegen desselben Gegenstands entstanden ist.
Die anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr ergibt
sich unmittelbar aus dem Gesetz und wurde durch den Bundesgerichtshof in den
Beschlüssen vom 7.3.2007 und 14.3.2007 zutreffend klargestellt (Az.: VIII ZR
86/06, NJW 2007, 2049; juris; Az.: VIII ZR 184/06, JurBüro 2007, 358 ff, juris; zu der
zuvor geübten Praxis siehe Bischof, JurBüro 2007, S. 341) .
Nach dem oben Gesagten beschränkt sich der prozessuale Erstattungsanspruch
des Kostengläubigers auf die für das Gerichtsverfahren entstandenen Kosten.
Kann dessen Rechtsanwalt für die Vertretung im Prozess nur eine reduzierte
Verfahrensgebühr an seinen Mandanten in Rechnung stellen, ist es nicht möglich,
die volle Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen:
Unabhängig davon, ob die Verfahrensgebühr sogleich in verringerter Höhe oder
aber in zunächst voller Höhe entsteht und sodann zu reduzieren ist, wird der
Kostengläubiger mit ihr tatsächlich nur in der reduzierten Höhe belastet. Der
anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr ist jedenfalls in den Fällen, in denen die
vorgerichtliche Tätigkeit des Anwalts nicht der Vorbereitung des Prozesses diente,
nicht festsetzungsfähig.
Der Auffassung, die Anrechnungsregel betreffe lediglich das Innenverhältnis
zwischen Rechtsanwalt und Mandant und sei im Festsetzungsverfahren
grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (KG, Berlin, Beschluss vom 17.7.2007, Az.:
1 W 256/07, AGS 2007, S. 440; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.9.2007, Az.: 13
W 83/07, juris; OLG München, Beschluss vom 30.8.2007, Az. 11 W 1779/07, juris;
OLG Koblenz, Beschluss vom 15.3.2007, Az.: 14 W 170/07, Rpfleger 2007, 433;
Schneider, NJW 2007, 2001), kann nicht gefolgt werden. Denn sie lässt sich mit
dem oben genannten Grundsatz des § 91 ZPO, dass durch die unterlegene Partei
nur tatsächlich entstandene prozessbedingte Kosten zu erstatten sind, nicht in
Einklang bringen (BGH, Entscheidung vom 14.3.2007, a.a.O.: „Diese Anrechnung
ist….erst im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu berücksichtigen“;
siehe auch VGH München, AGS 2007, 155 und Ostermeier, NJW-aktuell 34/2007, S.
XVI: „..Demnach kann die Höhe der Kosten des Rechtsstreits im
Erstattungsverhältnis aber nicht über diejenigen des Vergütungsverhältnisses
hinausgehen. Der Unterlegene darf nicht mehr an Kosten des Rechtsstreits
erstatten müssen, als dem Obsiegenden ….angefallen sind...“).
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Die Frage, ob dem Kostengläubiger ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch
zusteht, ist im Zusammenhang mit der Anrechnung ebenso wenig von Belang, wie
dessen Titulierung, vorgerichtliche Erfüllung oder ein etwaiger Verzicht des
Rechtsanwalts auf die Geltendmachung der Geschäftsgebühr. Denn diese Aspekte
finden in Teil 3., Vorbemerkung 3, Ziffer 4 VV RVG gerade keine Berücksichtigung.
Vielmehr stellt die gesetzliche Regelung ausschließlich darauf ab, ob eine
Geschäftsgebühr „entstanden“ ist. Auch die Entscheidungen des
Bundesgerichtshofs vom 7.3.2007 und 14.3.2007 zwingen nicht zu der Annahme,
derartige Umstände könnten die Festsetzung der Verfahrensgebühr beeinflussen.
Dass es gegebenenfalls erforderlich ist, Ersatz für die angefallene
Geschäftsgebühr in einem neuerlichen Prozessverfahren durchzusetzen, stellt sich
als prozessökonomisch ausgerichteter Einwand dar, der eine Abweichung von der
gesetzlichen Regelung nicht rechtfertigen kann (siehe BGH, Beschluss vom
7.3.2007, a.a.O., juris, Rd.12; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 18.10.2007,
Az.: 6 W 167/07) – zumal die Geschäftsgebühr in zukünftigen Fällen bereits im
Ausgangsprozess vollständig geltend gemacht werden kann (siehe Enders, JurBüro
2007, S. 340).
Soweit das Fehlen eines materiellrechtlichen Anspruchs auf Erstattung der
Geschäftsgebühr dazu führen kann, dass die unterlegene Partei ausschließlich
Ersatz der anteiligen Verfahrensgebühr erhält, mag dieses Ergebnis jedenfalls in
den Einzelfällen, in denen ein materieller Anspruch des Kostengläubigers nicht
hätte geschaffen werden können, für unbillig zu halten sein. Dies ist allerdings
nicht auf die Anwendung von Teil 3, Vorbemerkung 3, Ziffer 4 VV RVG
zurückzuführen, sondern auf das Fehlen einer materiellrechtlichen
Anspruchsgrundlage und kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren durch
Abweichen von der gesetzlichen Regelung behoben werden.
Damit ist es Aufgabe des Kostengläubigers, zur schlüssigen Darlegung eines
Anspruchs auf Erstattung der Verfahrensgebühr, im Kostenfestsetzungsverfahren
konkret vorzutragen, in welchem Umfang eine Geschäftsgebühr angefallen ist.
Jedenfalls in den Fällen, in denen Anfall und Höhe der Geschäftsgebühr außer
Streit stehen, ist eine weitergehende Prüfung durch den Rechtspfleger nicht
erforderlich (zur Frage, ob der Rechtspfleger in Streitfällen weitergehend
aufzuklären hat: Bischof, JurBüro 2007, 343, 345; Enders, JurBüro 2007, 339).
Wie die Klägerin selbst mit Schriftsatz vom 16.8.2007 vorgetragen hat, entstand
durch eine vorgerichtliche anwaltliche Mahnung eine Geschäftsgebühr (Ziffer 2300
VV RVG). Ob insoweit ein Erstattungsanspruch verfolgt wurde, ist ohne Belang
(s.o.). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist von einer Gebühr in Höhe des 1,3
fachen Gebührensatzes auszugehen, so dass auf die Verfahrensgebühr ein Anteil
der Geschäftsgebühr von 0,65 anzurechnen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.
Der Beschwerdewert ergibt sich aus der Differenz des mit der Beschwerde
verfolgten und des festgesetzten Betrages.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 II, III ZPO zuzulassen. Die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs
als Beschwerdegericht, da die Auffassung des 6. und 18. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main von der durch andere Oberlandesgerichte
vertretenen Ansicht abweicht. Darüber hinaus wird sich die Frage der Anrechnung
in einer Vielzahl von Fällen stellen, so dass der Rechtssache auch grundsätzliche
Bedeutung zukommt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.