Urteil des LG Frankfurt am Main vom 12.02.2009

LG Frankfurt Main: unternehmen, aufsichtsrat, amt, verbotsirrtum, absichtserklärung, zukunft, marktpreis, anleger, wahrscheinlichkeit, verfügung

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Gericht:
OLG Frankfurt
Senat für
Bußgeldsachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ss-OWi 514/08, 2
Ss OWi 514/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 13 Abs 1 S 3 WpHG, § 15
Abs 3 WpHG, § 39 Abs 2 Nr 5a
WpHG
Verstoß gegen das Wertpapierhandelsgesetz: Beginn der
Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen
Leitsatz
1. Die Publizitätspflicht beginnt bereits dann, wenn der Bereich interner Willensbildung
sich zu einer konkreten Tatsache verdichtet hat und das Ergebnis dieses
Willensbildungsprozesses gegenüber einem Entscheidungsträger des Unternehmens
als konkrete Tatsache objektiv nach außen zu Tage tritt.
2. Die Frage, „wie“ der Aufsichtsrat mit der beabsichtigten Amtsniederlegung
unternehmerisch und rechtlich umgeht, ist für die bereits entstandene Publizitätspflicht
des Unternehmens über das „ob“ der Amtsniederlegung unerheblich.
3. Diese „neuen“ Entscheidungen über das „wie“ können nach Abschluss des internen
Willensbildungsprozesses, wenn sie objektiv erkennbar nach außen treten, jeweils für
sich „neue“ publizitätspflichtige Tatsache darstellen.
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt
am Main wird der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 15. August
2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
der Rechtsbeschwerde und die der Betroffenen insoweit erwachsenen notwendigen
Auslagen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankfurt am Main
zurückverwiesen.
Gründe
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat gegen die
Betroffene, vertreten durch deren Vorstand, gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1,
30 Abs. 1 und Nr. 4, Abs. 4 OWiG wegen leichtfertigen Verstoßes gegen die
Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen gemäß §§ 13, 15, 39 Abs.2 Nr. 5
lit. a WpHG in der Fassung vom 28.10.2004 bis 31.10.2007 ein Geldbuße von
200.000 € festgesetzt. Von diesem Vorwurf hat das Amtsgericht die Betroffene
freigesprochen. Das von der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt
am Main vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat
Erfolg.
I. Der erhobene Vorwurf gegen die Betroffene betrifft im Wesentlichen die Frage,
ab wann die Tatsache, dass der damalige Vorstandsvorsitzenden Prof. A aus dem
Unternehmen ausscheiden wollte, feststand oder zumindest hinreichend
wahrscheinlich i.S.d. § 13 Abs. 1 WpHG war und damit als Insiderinformation
veröffentlichungspflichtig. Das Amtsgericht hat den Freispruch unter Darlegung
des Verfahrensgangs und der wechselseitigen Rechtsansichten, ohne jedoch
ausreichend eigene Feststellungen zu treffen, im Ergebnis mit Hinweis auf die
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ausreichend eigene Feststellungen zu treffen, im Ergebnis mit Hinweis auf die
„ungeklärte Rechtslage“ (UA 7) mit einem unvermeidbaren Verbotsirrtum
begründet.
Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Voraussetzungen für die Annahme eines Verbotsirrtum liegen schon aus
Rechtsgründen nicht vor, da der angefochtenen Entscheidung nicht entnommen
werden kann, dass die Betroffene überhaupt einem Irrtum unterlegen ist, und auf
welchen konkreten Auskünften dieser Irrtum beruhen soll. Ob die Betroffene
verpflichtet gewesen wäre, das Ausscheiden des damaligen
Vorstandsvorsitzenden Prof. A aus dem Unternehmen zum 31. Dezember 2005
schon vor dem Aufsichtsratsbeschluss vom 28. Juli 2005 bekannt zu geben, ist
mangels hinreichender Feststellung durch das Amtsgericht, für das
Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfbar, zumal die pauschale Bezugnahme (§ 267
StPO) auf den Bußgeldbescheid, in der vorgenommenen Art und Weise unzulässig
ist (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 1 Bezugnahme 1, 3; BGH NStZ-RR 2000, 304). Die
Sache muss daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen
werden.
II. Die mitgeteilten Rechtansichten der Beteiligten geben Anlass zu folgendem
Hinweis: Die §§ 13, 15 WpHG beruhen auf der durch die im
Anlegerschutzverbesserungsgesetzt vom 1. Juli 2004 (BGBl. I, S.2630)
umgesetzten Vorgaben der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG sowie der
Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG mit dem Ziel, den Missbrauch von
Insiderwissen durch führzeitige Informationspflichten zu vermeiden. Nach dem
insoweit neu gefassten Gesetzeswortlaut erstreckt sich die unverzügliche
Veröffentlichungspflicht von Insiderinformationen i.S.d. § 13 WphG nicht mehr wie
in der bis 29. Oktober 2004 gültigen Fassung nur auf die Ergebnisse
abgeschlossener Entscheidungsprozesse, sondern gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3
WpHG n.F. schon auf konkrete interne Informationen die mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten werden. Damit sind auch Umstände aus
dem Vorfeld einer Entscheidung erfasst, wie z.B. Pläne, Vorhaben und Absichten
einer Person, wenn diese internen Informationen im Falle ihres Bekanntwerdens
geeignet sind, den Börsen- oder Marktpreis erheblich zu beeinflussen, was dann
der Fall ist, wenn die Informationen von einem verständigen Anleger bei seinen
Anlageentscheidung berücksichtigt würden. Davon sind nicht
veröffentlichungspflichtige subjektive Wertungen und Gerüchte abzugrenzen,
zumal der Markt durch sie gerade nicht beeinflusst werden soll (vgl. Begr. RE BT-
Drucks 15/3174 S. 34).
Bezogen auf den vorliegenden „Vorstandswechsel“, bedeutet dies, dass es für die
Publizitätspflicht des Unternehmens nicht mehr wie nach altem Recht darauf
ankommt, ab wann die endgültige Aufsichtsratsentscheidung gem. § 84 AktG
getroffen wurde. Die Publizitätspflicht beginnt bereits dann, wenn der Bereich
interner Willensbildung (z.B. der Wunsch, das Amt niederzulegen) sich zu einer
konkreten Tatsache verdichtet hat und das Ergebnis dieses
Willensbildungsprozesses gegenüber einem Entscheidungsträger des
Unternehmens als konkrete Tatsache objektiv nach außen zu Tage tritt (z.B.
Mitteilung gegenüber einem Aufsichtsratsmitglied, das Amt niederlegen zu wollen).
Insoweit korrespondiert die Notwendigkeit des Entscheidungsträgers, sich mit der
einseitig beabsichtigten Amtsniederlegung – in entsprechender Anwendung des §
84 Abs. 3 AktG (vgl. dazu Möller WM 2005, 1393, 1394 m.w.N.; OLG Stuttgart ZIP
2007, 481 Rdn. 78 ff) – zu beschäftigen, mit der das Unternehmen treffenden
Verpflichtung, diese konkrete Information unverzüglich auch den Markteilnehmer
mitzuteilen, damit auch diese sich bei ihren Investitionsentscheidungen auf die
neue Sachlage einstellen können. Die Frage, ob und mit welchen Folgen diese
geäußerte Absichtserklärung rechtlich durchsetzbar ist und deswegen ggf. nicht
als einseitiger Rücktritt verstanden werden kann (so OLG Stuttgart, ZIP 2007, 481
Rdn. 87), spielt nach neuem Recht keine Rolle. Maßgeblich ist alleine die
gegenüber dem Aufsichtsrat des Unternehmens geäußerte Absichtserklärung als
solche (Frage des „ob“). Da ein gegenüber dem Aufsichtsrat geäußerte
Rücktrittswille des Vorstandsvorsitzenden für sich schon geeignet ist, im Falle
seines Bekanntwerdens, den Aktienkurs eines Unternehmens erheblich zu
beeinflussen, kommt es auf die Frage, „wie“ der Aufsichtsrat mit der
beabsichtigten Amtsniederlegung unternehmerisch (z.B. Zustimmung,
Nachfolgeregelung etc.), und rechtlich (z.B. Abfindung, Schadensersatz) umgeht,
für die bereits entstandene Publizitätspflicht des Unternehmens über das „ob“
nicht an. Diese „neuen“ Entscheidungen über das „wie“ können nach Abschluss
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nicht an. Diese „neuen“ Entscheidungen über das „wie“ können nach Abschluss
des internen Willensbildungsprozesses, wenn sie objektiv erkennbar nach außen
treten, jeweils für sich „neue“ publizitätspflichtige Tatsachen darstellen. Die
Verknüpfung von mehreren eigenständigen konkreten Umständen („ob“ und
„wie“) zu einer einheitlichen (Gesamt)Entscheidung (vgl. OLG Stuttgart ZIP 2007,
481) negiert den Wortlaut der Vorschrift, den gesetzgeberischen Willen und führt
durch die Feststellungen im Tatsächlichen zu einem Wiederaufleben der alten
Rechtslage wie sie durch die Vorgaben der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG
sowie der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG gerade geändert werden sollte.
Diesem weiten Verständnis der Publizitätspflicht können auch keine gleichwertigen
unternehmerischen Geheimhaltungsinteressen entgegen gehalten werden. Dem
unternehmerischen Interesse an einer möglichst langen Geheimhaltung von
publizitätspflichtigen Umstände während eines laufenden Verhandlungsprozesses
(vgl. Art. 3 der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG vom 22. Dezember 2003), hat
der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er dem Unternehmen, in
Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 Marktmissbrauchsrichtlinie in § 15 Abs. 3 WphG für
die ausgeweitete Publizitätspflicht als Korrektiv eine eigene Befreiungsmöglichkeit
eingeräumt hat. Dieser als Legalausnahme („ist befreit“) gestaltete
Befreiungstatbestand berechtigt das betroffene Unternehmen in Abkehr vom alten
Antragsrecht nach § 15 Abs. 1 Satz 5 WphG a.F. nunmehr unter bestimmten
Voraussetzungen selbst darüber zu entscheiden, ob es die Veröffentlichung von
Tatsachen zunächst aufschieben will. Macht es davon Gebrauch, wobei dem
Unternehmen ein weiter Ermessenspielraum einzuräumen ist, ist der Zeitpunkt
der Aufschiebungsentscheidung der Bundesanstalt mitzuteilen (§ 15 Abs. 3 Satz 4
WpHG). Die Aufsichtsbehörde soll dadurch in die Lage versetzt werden, zu prüfen,
ob einerseits vor diesem Zeitpunkt bereits Publizitätspflichten entstanden waren
und anderseits ab diesem Zeitpunkt die Vertraulichkeit der (nicht mitgeteilten)
Insiderinformation gewahrt wurde.
III. Für die neue Verhandlung wird es auf die Feststellung ankommen, ab wann Herr
Prof. A seinen inneren Entschluß sein Amt zur Verfügung zu stellen nach außen,
insbesondere gegenüber den Entscheidungsträgern des Unternehmens,
kommuniziert hat. Dabei werden die Inhalten der Gespräche zwischen ihm und
dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats Herrn B am 17. Mai 2005 und dem
Eröffnungsgespräch vom 1. Juni 2005 gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern den
Herren C und D ebenso eine Rolle spielen wie die Inhalten der Entwürfe der
Pressemitteilungen, dem externen Statement, einem Mitarbeiterbrief sowie den
Briefen für Bekannte, die jeweils um den 10. Juni 2005 erstellt worden sein sollen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.