Urteil des LG Frankfurt am Main vom 02.12.2005

LG Frankfurt Main: rechtswidrigkeit, telefonüberwachung, wache, bestätigung, konzentration, verwertungsverbot, hauptsache, strafverfahren, unterliegen, gefahr

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 972/05, 3 Ws
1021/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 98 Abs 2 StPO, § 100a StPO,
§ 163f StPO, § 304 StPO, Art
19 Abs 4 GG
(Strafverfahren: Zuständigkeit für nachträgliche
Feststellung der Rechtswidrigkeit einer
Telefonüberwachung und einer längerfristigen Observation;
Rechtsschutzgarantie; Zulässigkeit der Beschwerde)
Tenor
I.
Die Beschwerden werden wegen Sachzusammenhangs zur einheitlichen
Entscheidung verbunden.
II.
1. Der Beschluss vom 21.10.2005 betreffend die staatsanwaltschaftliche
Anordnung der längerfristigen Observation (§ 163 f I 1, IV StPO) wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Anordnung der Staatsanwaltschaft beim
Landgericht Frankfurt am Main vom 26.1.2005, soweit sie den Angeklagten A
betrifft, rechtswidrig war.
3. Die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens und die in diesem
Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen
der Staatskasse zur Last (§§ 473 III, 467 I StPO analog).
III.
1. Der Beschluss vom 21.10.2005 betreffend die ermittlungsrichterlichen
Anordnungen der Überwachung von Telefonanschlüssen (vom 3.8.2004,
20.1.2005, 24.1.2005 und 26.1.2005) wird aufgehoben.
2. Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten dieses
Beschwerdeverfahrens, an die 31. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am
Main zurückverwiesen
Gründe
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main ordnete am
26.1.2005 gem. § 163f I StPO für vier Wochen die Observation der Beschuldigten
und ihrer Kontaktpersonen an. Ferner verfügte der Ermittlungsrichter beim
Amtsgericht Frankfurt am Main gem. §§ 100a, 100b, 100g und 100h StPO die
Überwachung von Telefonanschlüssen, die teils vom Angeklagten A, teils vom
Mitangeklagten B genutzt wurden.
Die am 27.4.2005 erhobene und am 21.7.2005 zugelassene Anklage wird derzeit
vor der 31. großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main verhandelt.
Bei dieser Kammer beantragte der Angeklagte A über seine Verteidigerin im
Termin vom 15.9.2005 festzustellen, dass die vorbezeichnete Anordnung der
Staatsanwaltschaft vom 26.1.2005 und die vorgenannten Anordnungen des
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Staatsanwaltschaft vom 26.1.2005 und die vorgenannten Anordnungen des
Ermittlungsrichters vom 3.8.2004, 20.1.2005, 24.1.2005 und 26.1.2005
rechtswidrig seien; zugleich widersprach er der Verwertung der aus der
längerfristigen Observation und Telefonüberwachung gewonnen Erkenntnisse.
Mit den angefochtenen Beschlüssen wies die Kammer die Feststellungsbegehren
zurück. Der gegen die Anordnung der Observation gerichtete Antrag sei
unzulässig, soweit er sich gegen Maßnahmen wende, durch die ausschließlich der
Mitangeklagten B betroffen sei. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, weil die
Observation des Angeklagten A rechtmäßig angeordnet worden sei.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seinen Beschwerden.
A) Die Beschwerden sind zulässig.
§ 305 S. 1 StPO steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob
dies bereits aus § 305 S. 2 StPO bzw. aus dem Umstand folgt (in diese Richtung
BVerfG, NJW 2005, 1855, 1856 f.), dass das Hauptverfahren nur der Feststellung
von Tat und Schuld dient, die vorliegenden Beschwerdeverfahren hingegen der
Überprüfung der mit der Anordnung der längerfristigen Observation und der
Telefonüberwachung verbundenen Grundrechtseingriffen (Trennungsprinzip).
Jedenfalls gilt der Ausschluss der Beschwerde gem. § 305 S. 1 StPO nur für
Entscheidungen, die nicht nur im inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung
stehen, sondern auch bei der Urteilsfällung selbst und damit auf entsprechende
Rüge auch in der Revision der nochmaligen Überprüfung unterliegen (inzwischen
allgemeine Meinung, vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 305 Rn 1 mit
zustimmender Rspr.). An letzterem mangelt es jedenfalls. Überprüft wird im
Hauptverfahren und in der Revisionsinstanz lediglich, ob die aus den
Ermittlungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse einem Verwertungsverbot
unterliegen. Nicht jeder zur Rechtswidrigkeit der Anordnungen führender Mangel
zieht indes ein Verwertungsverbot nach sich. Das gilt sowohl für die aus der
längerfristigen Observation gewonnen Erkenntnisse, als auch für diejenigen aus
der Telefonüberwachung stammenden Ergebnisse (vgl. Schoreit/Wache, in: KK-
StPO, 5. Aufl., § 163 f Rn 35, Nack, in: KK-StPO, § 100a Rn 37; Meyer-Goßner, § §
100a Rn 21 jew. mit zustimmender Rspr.).
§ 310 II StPO steht der Zulässigkeit der Rechtsmittel ebenfalls nicht entgegen. Für
die die Observation betreffende Entscheidung der Kammer folgt dies schon
daraus, dass es sich um eine erstmalige richterliche Entscheidung handelt. Für die
Entscheidung der Kammer, welche die Telefonüberwachungsmaßnahmen zum
Gegenstand hat, resultiert die Zulässigkeit daraus, dass - wie noch ausführen sein
wird - keine Beschwerde- sondern eine erstinstanzliche Entscheidung zu treffen
war (vgl. hierzu Meyer-Goßner, § 310 Rn 2).
Auch die Erledigung der Ermittlungsmaßnahmen führt nicht zu Unzulässigkeit der
Beschwerden. Nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (zuletzt NJW 2005, 1855) und des
Bundesgerichtshofes (vgl. z.B. BGHSt 44, 265; 45, 183), welcher der Senat in
ständiger Rechsprechung folgt (vgl. z.B. Senat, NStZ-RR 2003, 175), kann in Fällen
tiefgreifender Grundrechtseingriffe durch richterliche Ermittlungsanordnungen der
Betroffene auch nach Vollzug der Anordnung und nach damit eingetretener
Erledigung Beschwerde einlegen, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme
nach dem typischen Verlauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welchem der
Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht erlangen
kann. Wurde eine derartige Maßnahme durch die Ermittlungsbehörden
angeordnet, steht dem Betroffenen entsprechend § 98 II 2 StPO die richterliche
Überprüfung einschließlich des Beschwerdeverfahrens (vgl. zuletzt BVerfG, NJW
2005, 1855) offen. Diese nachträgliche Kontrolle gilt für Telefonüberwachungen
gem. § 100a StPO (vgl. BVerfG) ebenso wie für die - gleichermaßen während ihres
Vollzugs dem Betroffenen typischerweise unbekannt bleibende - Anordnung der
längerfristigen Observation gem. § 163f StPO (vgl. Meyer-Goßner, § § 163f Rn 9;
vor § 296a Rn 18a; Schoreit/Wache, § 163f Rn 34; Wolter, in: SK-StPO, § 163f Rn 21;
Krehl, in: HK-StPO, 3. Aufl., § 163f Rn 21; zweifelnd Rieß, in: Löwe/Rosenberg, StPO,
25. Aufl., § 163 f Rn 21, seine Argumentation ist aber überholt durch das in BVerfG,
NJW 2005, 1855 konstatierte, oben dargelegte "Trennungsprinzip").
B) Die Beschwerden sind auch begründet.
I. Die Kammer hat zwar zu Recht ihre Zuständigkeit für die richterliche
Überprüfung der staatsanwaltlichen Observationsanordnung vom 26.1.2005
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Überprüfung der staatsanwaltlichen Observationsanordnung vom 26.1.2005
angenommen und hierüber zutreffend durch Beschluss entschieden (nachfolgend
1.), aber zu Unrecht die Rechtmäßigkeit dieser Ermittlungsmaßnahme bejaht
(nachfolgend 2.).
1. Zuständig für das Begehren, die Rechtswidrigkeit erledigter
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsmaßnahmen mit tiefgreifendem
Grundrechtseingriff der vorbezeichnete Art gem. § 98 II 2 StPO analog nach ihrer
Erledigung festzustellen, ist grundsätzlich der Ermittlungsrichter, nach
Anklageerhebung jedoch das mit der Sache befasste Gericht, hier also die
erkennende Kammer. Dies hat der Bundesgerichtshof (NStZ 1999, 200, 202) u.a.
aus § 100d VI StPO a.F. gefolgert, der eine entsprechende Regelung für den
Rechtsschutz gegen eine erledigte Maßnahme nach § 100c I Nr. 3 StPO a.F.
(Einsatz technischer Mittel in einer Wohnung) enthielt. Der Rechtsgedanke dieser
Regelung sei sowohl i. S. einer Konzentration der Zuständigkeit (keine Spaltung
des Rechtswegs in nach § 98 II 2 StPO und nach § 23 ff. EGGVG zu bescheidende
Feststellungsanträge) als auch deswegen verallgemeinerungsfähig, weil er zu einer
Überprüfung der Rechtmäßigkeit erledigter Maßnahmen gerade des
sachverhaltsnäheren Gerichts führe. Der Senat folgt dieser Argumentation. Die
Vorschrift stellte sich - jedenfalls, was die hier allein in Rede stehende Abgrenzung
der Zuständigkeit von Ermittlungsrichter und erkennendem Gericht nach
Anklageerhebung betrifft - zudem als Ausdruck eines allgemeinen, in § 162 StPO
niedergelegten Rechtsgedankens dar. Mit Anklageerhebung ist nämlich jedwede
Kompetenz des Ermittlungsrichters beendet, sie geht auf das erkennende Gericht
über; an den Ermittlungsrichter gerichtete Anträge, auch denjenigen auf
gerichtliche Bestätigung gem. § 98 II 2 StPO wären unzulässig (vgl. Rieß, in:
Löwe/Rosenberg, § 162 Rn 52; Wache, in: KK-StPO, § 162 Rn 14 ). Hierbei kann es
keinen Unterschied machen, ob es um eine die gerichtliche Bestätigung einer
noch fortdauernden Ermittlungsmaßnahme der Staatsanwaltschaft oder die an
ihre Stelle tretende Feststellung ihrer Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit geht
(in diesem Sinne KG, Beschl. v. 30.4.2001 - 3 VAs 6/01 und v. 4.3.1999 – 4 VAs
42/97– jew. zit. nach Juris; s. auch OLG Hamburg, StV 1999, 301 und Schäfer, in:
Löwe/Rosenberg, § 105 Rn 106).
An der Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nach Anklageerhebung hat sich
auch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3.3.2004 zur
akustischen Überwachung von Wohnraum zu Strafverfolgungszwecken (BVerfGE
109, 279 = NStZ 2004, 163) und die darauf basierende Neuregelung der
gerichtlichen Zuständigkeit nach Erledigung der Überwachungsmaßnahme in §
100d X StPO nichts geändert.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der genannten Entscheidung (vgl.
Absatznummer 320) zwar die Regelung des § 100 VI StPO a.F. insoweit verworfen,
als das mit der Hauptsache befasste Gericht auch dann über die Rechtmäßigkeit
der Anordnung bzw. der Art und Weise des Vollzugs entscheiden konnte, wenn der
Anklagte noch nicht von der Maßnahme unterrichtet worden war und Gelegenheit
hatte in die entsprechenden Unterlagen Einsicht zu nehmen (Verstoß gegen Art.
103 I GG). Ein derartiger Fall liegt hier aber nicht vor.
Der Gesetzgeber hat auf das verfassungsgerichtliche Urteil die
Rechtsschutzregelung in § 100d StPO n.F. mit Wirkung zum 1.7.2005 (BGBl. I,
2841) wie folgt neu gefasst:
"(10) Auch nach Erledigung einer in § 100c genannten Maßnahme können
Betroffene binnen zwei Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der
Rechtmäßigkeit der Anordnung sowie der Art und Weise des Vollzugs beantragen.
Über den Antrag entscheidet das Gericht, das für die Anordnung zuständig
gewesen ist. Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft. Ist
öffentliche Klage erhoben entscheidet über den Antrag das mit der Sache befasste
Gericht in der das Verfahren abschließenden Entscheidung."
Bei einer analogen Anwendung dieser neugefassten Vorschrift wäre vorliegend -
der Angeklagte ist zwischenzeitlich über die Maßnahme unterrichtet - zwar die
erkennende Kammer weiterhin zuständig, indes wäre ihre Entscheidung "verfrüht"
und in der falschen Form (Beschluss statt Urteil) ergangen mit der weiteren
Konsequenz, dass gegen ihre Entscheidung nicht das Rechtsmittel der
Beschwerde, sondern der Revision gegeben wäre (vgl. die amtl. Begründung BT-Dr.
15/4533, S. 19; BGH, NJW 2005, 3078, 3079 mwN). Eine analoge Anwendung der
Vorschrift verbietet sich indes nach Auffassung des Senats.
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Auch der BGH hat in seinen Entscheidungen vom 7.12.1998 (BGHSt 44, 265 =
NStZ 1999, 200, 202) und vom 25.8.1999 (BGHSt 45, 183 = NJW 1999, 3499)
nicht etwa § 100d VI StPO a.F. analog angewandt, sondern lediglich die darin
enthaltene Zuständigkeitsregelung als Beleg für eine gesetzgeberische
Umsetzung des von der Rechtsprechung entwickelten Prinzips der Konzentration
der Entscheidungszuständigkeit über erledigte Ermittlungsmaßnahmen mit
Grundrechtsrelevanz angesehen. Gegen eine analoge Anwendung der Vorschrift in
allen derartigen Fällen hat er hingegen ausdrücklich eingewandt, es liege eher
nahe, dass der in § 100 d VI StPO a.F. geregelte Rechtsbehelf nur für den
speziellen - besonders gewichtigen - Eingriff der akustischen
Wohnraumüberwachung gelten solle. Dies gilt um so mehr für die Neuregelung in §
100d X StPO n.F. Denn zum einen ist die darin geregelte Befristung des
Rechtsbehelfs den bisher im Wege der Rechtsfortbildung entsprechend
angewandten § 98 II 2, 304 StPO fremd. Zum anderen stellt die Überbürdung der
Rechtmittelentscheidung bei Erstentscheidung des erkennenden Gerichts auf das
Berufungs- und vor allem das Revisionsgericht eine derartige Abkehr von bisher
gültigen Prozessgrundsätzen dar, dass § 100d X StPO n.F – im Gegensatz zur
Vorgängernorm des § 100d VI a.F. - insoweit nur als nicht
verallgemeinerungsfähige Sonderregelung angesehen werden kann.
Wie bereits dargelegt (oben Buchst. A, 1. Absatz) kann bezüglich - auch
grundrechtsrelevanter - Ermittlungsmaßnahmen mit der Revision nämlich
grundsätzlich lediglich geltend gemacht werden, die aus den
Ermittlungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse unterlägen einem
Verwertungsverbot. Die demgegenüber durch § 100d X StPO n.F. eröffnete
umfassende revisionsrechtliche Überprüfung der Anordnung einer
Ermittlungsmaßnahme, bzw. der Art und Weise ihres Vollzugs auf das Vorliegen
jedweden Rechtsfehlers hin war dem bisherigen Revisionsrecht hingegen fremd.
Gleiches gilt für die dadurch geforderte Überprüfung dieser der Urteilsfällung
vorangegangen Entscheidung auf Rechtsfehler auch insoweit, als das Urteil nicht
auf ihr beruht. § 100d X StPO n.F. dient von daher nicht nur der Konzentration der
Zuständigkeit: Die Vorschrift verstärkt vielmehr zugleich den verfahrensrechtlichen
Schutz des von der akustischen Wohnraumüberwachung Betroffenen. Die
Überprüfung dieser Maßnahme wird insgesamt den Verfahrengarantien der
Hauptverhandlung und des Revisionsverfahrens unterstellt. Die Regelung bietet
deshalb gegenüber dem Beschluss- und Beschwerdeverfahren eine deutlich
erhöhte Gewähr für die Erforschung der Wahrheit und die bestmögliche
Verteidigung des Angeklagten. Dies ersichtlich mit Blick darauf, dass die
akustische Wohnraumüberwachung als "letztes Mittel der Strafverfolgung" den
Schutzbereich der Menschenwürde und den Menschenwürdegehalt des Art 13 I GG
tangiert und mit den sonstigen Ermittlungsmaßnahmen eben nicht vergleichbar
ist.
2. Die Anordnung der längerfristigen Observation (§ 163f StPO) vom 26.1.2005 ist
schon deswegen rechtswidrig, weil es an einer ausreichenden Begründung
ermangelt (§ 163 f IV StPO). In ihr hätten - gerade um eine Überprüfung auf die
Rechtmäßigkeit der Anordnung zu ermöglichen - diejenigen tatsächlichen
Umstände aufgeführt werden müssen, welche die gesetzlichen Voraussetzungen
der Anordnung belegen (Meyer-Goßner, § 163 f Rn 8; Schoreit/Wache, in: KK-StPO,
§ 163 f Rn 26, Rieß, in: Löwe/Rosenberg, § 163 f Rn 17; Krehl, in: HK-StPO, § 163 f
Rn 6). Statt dessen entbehrt sie jedweder Begründung. § 163 f IV StPO verlangt
indes die Angabe der maßgeblichen Gründe nicht erst für die richterliche
Entscheidung, sondern auch und gerade für die interne staatsanwaltschaftliche
Anordnung (Rieß aaO). Sie kann deshalb auch in der gerichtlichen Entscheidung
nicht - wie vorliegend aber geschehen - nachgeholt werden (vgl. BVerfG, NJW 2004,
33171 - für eine unzulässige Nachholung der gebotenen Begründung in der
Beschwerdeinstanz).
Der Senat erlaubt sich aber den Hinweis, dass mit der Feststellung der Verletzung
der in § 163 f IV StPO niedergelegten Dokumentations- und Begründungspflicht
noch nichts zur Unverwertbarkeit der auf der Anordnung basierenden Erkenntnisse
ausgesagt ist (vgl. hierzu Rieß, in: Löwe/Rosenberg, § 163f Rn 23).
II. Für die Entscheidung über die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der
erledigten richterlichen Anordnung der Telefonüberwachung war nach
Anklageerhebung ebenfalls die erkennende Kammer zuständig (nachfolgend Ziff.
1.). Die fehlende sachliche Verbescheidung des Begehrens durch die Kammer
führt zur Aufhebung ihrer Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an
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führt zur Aufhebung ihrer Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an
sie (nachfolgend Ziff. 2).
1. Entgegen der Auffassung der Kammer ist keine Zuständigkeit des
Beschwerdegerichts gegeben. Vielmehr ist auf Grund der nach den Anordnungen
erfolgten Anklageerhebung ihre Zuständigkeit als erkennendes Gericht gegeben.
Der Kammer ist zwar zuzugeben, dass bei richterlicher Anordnung einer
Ermittlungsmaßnahme grundsätzlich der Beschwerdeweg zur Beschwerdekammer
eröffnet ist. Die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters für die Anordnung der
Ermittlungsmaßnahme entfällt aber mit Anklageerhebung und geht mit diesem
Zeitpunkt auf das erkennende Gericht über (s. oben unter Ziff I. 1 1. Absatz). Mit
dem Übergang der Anordnungskompetenz auf das erkennende Gericht entfällt
zugleich die Zuständigkeit der dem Ermittlungsrichter übergeordneten
Beschwerdeinstanz. Die bereits eingelegte bzw. die nach Anklage erhobene
Beschwerde ist in einen Antrag auf Aufhebung der Ermittlungsmaßnahme an das
erkennende Gericht umzudeuten, dieses ist also zur Entscheidung berufen.
Ansonsten käme es zu einem Nebeneinander von Zuständigkeiten in derselben
Sache von Beschwerdegericht und erkennendem Gericht und wäre die Gefahr
widerstreitender Entscheidungen eröffnet. Diese Grundsätze entsprechen einer
lang andauernden Tradition in der Rechtsprechung namentlich des
Bundesgerichtshofs (BGHSt 27, 253; 29, 200; OLG Karlsruhe, wistra 1998, 76), die
- entgegen der Ansicht der Kammer - nicht etwa auf das Haftrecht beschränkt ist
(vgl. etwa Meyer-Goßner, § 162 Rn 19; Rieß, in: Löwe/Rosenberg, § 162 Rn 52; OLG
Karlsruhe, Justiz 1998, 130; Senat, Beschl. v. 27.11.2001 – 3 Ws 1049/01).
Zwar kommt nach einer Erledigung die Aufhebung der ermittlungsrichterlichen
Maßnahme schon begriffslogisch nicht mehr in Betracht. An deren Stelle tritt aber
in den genannten Fällen der Anordnung von Ermittlungsmaßnahmen, die zu
tiefgreifenden Grundrechtseingriffe führen, ohne dass typischerweise Rechtschutz
vor Beendung ihres Vollzugs zu erlangen ist, die Feststellung der Rechtswidrigkeit
der Maßnahme. Diese Feststellung kann das anordnende Gericht nicht mehr
treffen, weil ihm die Entscheidungskompetenz nach Übergang der Zuständigkeit
durch Anklageerhebung genommen ist. Gleiches gilt für die von § 306 II StPO
vorausgesetzte Möglichkeit einer Abhilfeentscheidung.
Auch der vom Bundesgerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht (s. oben Ziff
I. 1) betonte Gesichtspunkt, im Sinne der Gewährleistung eines effektiven
Rechtschutzes sei die Zuständigkeit für die Überprüfung möglichst bei
sachverhaltsnäheren Gericht zu konzentrieren, spricht für die
Entscheidungskompetenz des erkennenden Gerichts. Denn - wie dargelegt -
obliegt ihm ohnehin die richterliche Bestätigung gem. § 98 II 2 StPO.
Nicht nur wegen dieser letztgenannten Kompetenz des erkennenden Gerichts
besteht schließlich die Gefahr widerstreitender Entscheidungen, wenn man nach
Anklageerhebung die fortbestehende Kompetenz des dem Ermittlungsrichter
übergeordneten Beschwerdegerichts annimmt. Vielmehr hat die Kammer auch -
im Urteil - über die Verwertbarkeit der Ergebnisse der ermittlungsrichterlichen
Anordnungen zu befinden. Diese Entscheidung ist - wie dargelegt - zwar nicht
deckungsgleich mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung. Die zu
prüfenden Fragen überlappen sich jedoch teilweise.
2. Nach alledem wird die Kammer den Antrag nunmehr sachlich zu bescheiden
haben. Da eine solche Sachentscheidung bisher völlig fehlt, weil sich die Kammer
für unzuständig gehalten hat, kommt demgegenüber eine Sachentscheidung
durch den Senat als Beschwerdegericht (§ 309 II StPO) nicht in Betracht. Vielmehr
war die Entscheidung aufzuheben und die Sache an die Kammer
zurückzuverweisen (vgl. Senat, NStZ 1983, 426 - st. Rspr.; Meyer-Goßner, § 309
Rn 9 mwN).
III. Zusammenfassend kann nach alledem festgehalten werden:
Zuständig für die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit (der Anordnung
und Durchführung) von Ermittlungsmaßnahmen mit tiefgreifendem
Grundrechtsrechtseingriff, gegen deren Anordnung der Beschuldigte typischer
Weise vor ihrer Vollziehung keinen Rechtsschutz erlangen kann - hier die
Anordnung der längerfristigen Observation (§ 163 f StPO) und der
Telefonüberwachung - obliegt grundsätzlich dem anordnendem Gericht.
Nach Erhebung der Anklage geht die Zuständigkeit auf das erkennende Gericht
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Nach Erhebung der Anklage geht die Zuständigkeit auf das erkennende Gericht
über. Es hat sowohl die gerichtliche Überprüfung von den Ermittlungsbehörden
angeordneten Maßnahmen gem. § 98 II StPO analog vorzunehmen, als auch die
Rechtswidrigkeit der vom Ermittlungsrichter angeordneten Maßnahmen
festzustellen.
Gegen die Entscheidung des erkennenden Gerichts ist die Beschwerde nach § 304
StPO eröffnet. Fehlt es an einer Sacheentscheidung des erkennenden Gerichts,
weil dieses seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint hat, so kann das ihm
übergeordnete Beschwerdegericht die Sache zur erneuten Entscheidung
zurückverweisen.
Die Entscheidung des Beschwerdegerichts lässt die Frage der Verwertbarkeit der
Ergebnisse aus den Ermittlungsmaßnahmen unberührt. Hierüber entscheiden
allein das erkennende Gericht und gegebenenfalls die Revisionsinstanz.
Der Senat erlaubt sich in diesem Zusammenhang abschließend den Hinweis, dass
Art. 19 IV GG nicht sofortigen Rechtsschutz fordert, sondern nur Rechtsschutz in
angemessener Zeit (vgl. BVerfG, NJW 1985, 1019; StV 1994, 1, 465). Von daher
und auch mit Blick auf die Antragsstellung erst in laufender Hauptverhandlung sind
verfassungsrechtliche Hindernisse, die (neuerliche) Entscheidung der Kammer erst
in zeitlicher Nähe zur Urteilsfällung zu erlassen, nicht zu erkennen. Eine solche
Verfahrensweise käme dem - u.a. auch der Neuregelung des § 100d X StPO n.F. zu
Grunde liegenden - Willen des Gesetzgebers und dem Bemühen der
Rechtsprechung, namentlich des Bundesgerichtshof, bei der Rechtsfortbildung
divergierende Entscheidungen - auch zwischen dem Rechtsmittelgericht in der
Hauptsache und dem im nachträglichen Rechtschutzverfahren - möglichst zu
vermeiden, entgegen.
Der Senat hätte nämlich die Möglichkeit, bei neuerlich eingelegter Beschwerde
zunächst die Entscheidung in der Revision abzuwarten. Womöglich erledigt sich -
bei einer für den Angeklagten günstigen Entscheidung des Revisionsgerichts -
sogar das Feststellungsinteresse des Angeklagten.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.