Urteil des LG Essen vom 21.11.2007

LG Essen: private krankenversicherung, transplantation, behandlungsvertrag, verfügung, erlass, akte, krankheit, erkenntnis, wissenschaft, chancengleichheit

Landgericht Essen, 1 O 312/07
Datum:
21.11.2007
Gericht:
Landgericht Essen
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 O 312/07
Normen:
§§ 17 (2) Krh EG, 12 TPG
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Tenor:
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen
auf die mündliche Verhandlung vom 21.11.2007
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht T,
den Richter am Landgericht H
und die Richterin am Landgericht C
für R e c h t erkannt:
Der Verfügungsbeklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von
bis zu 250.000,00 € aufgegeben, die Verfügungsklägerin auf die
Warteliste des Transplantations-zentrum der Verfügungsbeklagten für
kombinierte Nieren-Pankreas-Transplantationen aufzunehmen und ihr
den Rang einzuräumen, auf dem sich die Verfügungsklägerin bei
Herunternahme am 12.10.2007 befand.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsbeklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Verfügungsklägerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung, wieder auf
die Warteliste des Transplantationszentrums der Verfügungsbeklagten für eine
kombinierte Nieren-Pankreas-Transplantation aufgenommen zu werden.
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Die im Jahr 1973 geborene Klägerin ist israelische Staatsbürgerin. Sie leidet unter einer
schweren Form der Diabetes, aufgrund derer sie bereits seit dem 12. Lebensjahr
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schwere multisystemische diabetische Komplikationen entwickelt, insbesondere auf
dem rechten Auge das Augenlicht fast vollständig und auf dem linken Auge teilweise
verloren hat. Von ihren Ärzten in Israel wurde ihr daher schnellstmöglich eine
kombinierte Pankreas-Nieren-Transplantation empfohlen und ein Kontakt zum Direktor
der Klinik für Allgemein- und Transplantationschirurgie der Verfügungsbeklagten, Herrn
Prof. Dr. Christoph E. Broelsch, vermittelt. Mit Schreiben vom 13.04.2006 nahm die
Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin als Transplantationspatientin an. Der
Verfügungsklägerin wurde in diesem Schreiben erläutert, dass zunächst ein Betrag von
20.000,00 € zu zahlen sei, dann eine Aufnahmeuntersuchung erfolgen würde und bei
danach erfolgender Annahme weitere 100.000,00 € zu zahlen seien, bevor die
Verfügungsklägerin dann offiziell gelistet werden würde. Nachdem die
Verfügungsklägerin die 20.000,00 € bezahlt und die Untersuchung am 02.05.2006
durchgeführt worden war, übernahm die private Krankenversicherung der
Verfügungsklägerin die Zahlung des Restbetrages an die Verfügungsbeklagte. Die
Verfügungsklägerin wurde am 23.05.2006 von der Verfügungsbeklagten auf die
Warteliste angemeldet und schließlich auf diese aufgenommen. Die Warteliste, auf die
die jeweiligen nationalen Transplantationszentren ihre Patienten melden, wird dann
zentral bei einer für die Vermittlung von Spenderorganen nach dem Zusammenschluss
mehrerer europäischer Staaten zuständigen holländischen Stiftung "Eurotransplant"
geführt.
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In der Folgezeit begab sich die Verfügungsklägerin in ein von der Verfügungsbeklagten
beschafftes Apartment in Essen, wo sie auf eine Transplantation wartete und sich noch
heute in regelmäßiger Dialysebehandlung befindet. Mit Schreiben vom 10.10.2007 wies
Eurotransplant die Verfügungsbeklagte darauf hin, dass die Verfügungsklägerin wegen
ihrer Staatsangehörigkeit zu unrecht auf der Warteliste stehe, man die
Verfügungsbeklagte aber nicht zwingen würde, diese von der Liste zu nehmen, sondern
die Frage der zuständigen Prüfungskommission vorlegen würde. Mit Schreiben vom
12.10.2007 wurde der Verfügungsklägerin mitgeteilt, dass die Verfügungsbeklagte sie
von der Warteliste heruntergenommen habe. Mit Schreiben vom 16.10.2007 setzte die
Verfügungsklägerin der Verfügungsbeklagten erfolglos eine Frist zur erneuten
Aufnahme in die Warteliste bis zum 19.10.2007.
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Die Verfügungsklägerin ist der Ansicht, der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten
sei eröffnet, da sie Ansprüche aus einem mit der Verfügungsbeklagten zustande
gekommenen Behandlungsvertrag geltend mache. Über die Aufnahme in die Warteliste
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habe das Transplantationszentrum nach dem Stand der Erkenntnis der medizinischen
Wissenschaft sowie der Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung zu
entscheiden.
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Sie behauptet weiter, dass die fortschreitende Krankheit sich evident schlecht auf den
Allgemeinzustand auswirke. Würde sich im Vermittlungsbereich von Eurotransplant ein
Unglücksfall ereignen, könnte das der Verfügungsklägerin ggfs. zustehende Organ dann
nicht eingepflanzt werden. Bis zur Klärung in der Hauptsache würde sie aber schon
schwere und irreparable Gesundheitsschäden erlitten haben.
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Die Verfügungsklägerin beantragt,
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der Verfügungsbeklagten aufzugeben, bei Meidung eines
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Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € die Verfügungs- klägerin aus
der Warteliste des Transplantationszentrum der Verfügungsbeklagten für
kombinierte Nieren-Pankreas-Transplantationen vom 12.10.2007
rückgängig zu machen und
- hilfsweise - bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00
€ der Verfügungsbeklagten aufzugeben, die Verfügungsklägerin auf die
Warteliste des des Transplantationszentrum der Verfügungsbeklagten für
kombinierte Nieren-Pankreas-Transplantationen aufzunehmen.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, der Verwaltungsrechtsweg und nicht der Rechtsweg vor den
ordentlichen Gerichten sei eröffnet. Die Verteilungsentscheidung über die
Organvermittlung und die Aufnahme in die Warteliste sei ein hoheitlicher Akte, der nicht
Gegenstand eines zivilrechtlich bindenden Vertrages sein könne.
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Die Verfügungsklägerin habe kein Rechtsschutzbedürfnis, da eine Vermittlung eines
Organs unter Missachtung der Richtlinien der Bundesärztekammer unter dem Aspekt
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der Chancengleichheit nach § 9 TPG unzulässig sei und die Verfügungsklägerin als
israelische Staatsangehörige daher nicht mit einer Transplantation rechnen könne.
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Zwischen den Parteien sei weiter kein wirksamer Vertrag geschlossen worden, da eine
Wahlleistungsvereinbarung nach § 17 KHEntgG schriftlich vereinbart werden müsse.
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Die medizinischen Gründe, die die Verfügungsklägerin benenne, seien nicht aus-
reichend, eine bevorzugte Berücksichtigung der Verfügungsklägerin zu rechtfertigen.
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Weiter würden die Vorschriften der Eurotransplant in Kapitel 2 Ziff. 2.1.5.3 des
Handbuches eine Anmeldung eines nicht angeschlossenen Staatsangehörigen
verbieten.
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Entscheidungsgründe
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.
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Der Zivilrechtsweg ist im Sinne von §§ 13, 23 Abs. 1, 71 Abs. 1 GVG eröffnet.
Vorliegend handelt es sich um einen bürgerlichen Rechtsstreit, weil die Ver-
fügungsklägerin einen Anspruch aus einem Behandlungsvertrag geltend macht.
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Es besteht ein Rechtsschutzbedürfnis der Verfügungsklägerin, da die Aufnahme auf die
Warteliste zwingende Voraussetzung für den Erhalt eines zu transplantierenden Organs
ist. Die Frage, ob ihr nach Aufnahme in die Warteliste von Eurotransplant tatsächlich ein
Organ zugeteilt werden kann oder ob dem Umstände entgegenstehen, ist nicht
Gegenstand des hier betroffenen Rechtsverhältnisses.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.
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Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf
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Wiederaufnahme in die durch das Transplantationszentrum der Verfügungsbeklagten
geführte Warteliste für eine kombinierte Pankreas-Nieren-Transplantation aus dem
zwischen den Parteien zustande gekommenen Behandlungsvertrag.
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Soweit die Verfügungsbeklagte sich darauf beruft, dieser Vertrag sei unwirksam bzw.
nichtig, weil für Wahlleistungen Schriftform erforderlich sei, greift dieser Einwand nicht
durch. § 17 Abs. 2 KrhEG regelt nämlich lediglich, dass Wahlleistungen vor ihrer
Erbringung schriftlich zu vereinbaren sind. Es kann dahinstehen, ob es sich bei dem
Inhalt des Behandlungsvertrages zwischen den Parteien - soweit er mit dem
einstweiligen Verfügungsverfahren betroffen ist - um Wahlleistungen ist in diesem Sinne
handelt, denn jedenfalls ist dem Schriftformerfordernis vorliegend bereits dadurch
genüge getan, dass die Erklärung, dass die Verfügungsklägerin in den Schreiben vom
13.04.2006 und 08.08.2007 am Transplantationszentrum der Verfügungsbeklagten
akzeptiert wurde und nach medizinischer Untersuchung auf die Warteliste zu setzen
wäre, schriftlich und damit jedenfalls formgerecht erfolgt ist.
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Nach dem Behandlungsvertrag hat die Verfügungsbeklagte sich verpflichtet, die
Verfügungsklägerin für den Fall, dass sie entsprechende Zahlungen leistet und die
medizinischen Untersuchungen durchgeführt sind, diese auf die Warteliste von
Eurotransplant zu setzen. Die Zahlungen hat die Verfügungsklägerin unstreitig geleistet.
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Auch die medizinischen Bedingungen für das Setzen auf die Warteliste sind erfüllt.
Soweit die Verfügungsbeklagte sich darauf beruft, die Verfügungsklägerin habe die
medizinischen Gründe nicht ausreichend dargelegt, wäre es Sache der
Verfügungsbeklagten gewesen, dazulegen, dass die medizinischen Gründe nicht mehr
vorliegen, da sie die Verfügungsklägerin am 23.5.2006 ursprünglich selbst auf die
Warteliste gesetzt hat und damit für die Kammer ausreichend glaubhaft gemacht ist,
dass die medizinischen Erfordernisse vorlagen. Dass sich die medizinischen
Voraussetzungen inzwischen geändert haben, wird nicht behauptet.
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Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte vorträgt, dass aufgrund der
Vorschriften des Handbuches von Eurotransplant eine Aufnahme eines israelischen
Staatsbürgers aus die Warteliste nicht möglich sei, denn diese internen Vorschriften
sind zum einen allenfalls im Verhältnis der Verfügungsbeklagten und Eurotransplant
bindend. Zum anderen hat die Verfügungsbeklagte selbst ein Schreiben von
Eurotransplant zur Akte gereicht, aus dem sich ergibt, dass man seitens Eurotransplant
die Beklagten jedenfalls nicht zwingen werde, die Verfügungsklägerin von der Liste zu
nehmen.
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Einen Verfügungsgrund bejaht die Kammer, da jederzeit ein Unglücksfall entstehen
kann, aufgrund dessen ein entsprechendes Organ für die Verfügungsklägerin zur
Verfügung stehen könnte. Ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens ist daher nicht
zumutbar.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die einstweilige Vollstreckbarkeit
folgt aus der Natur der Sache.
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Der Streitwert wird auf 120.000,00 € festgesetzt.
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