Urteil des LG Dortmund vom 22.10.2009

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Landgericht Dortmund, 2 O 469/08
Datum:
22.10.2009
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 469/08
Leitsätze:
Zur Legitimationswirkung des Versicherungsscheins
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von 5.503,41 €
der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in
gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d
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Der Kläger ist der Sohn und einer der Erben seiner am 07.10.2007 verstorbenen Mutter,
die bei dem Beklagten zwei Lebensversicherungen abgeschlossen hatte, die bis zu
ihrem Tode fortbestanden (LV ######50 und LV #####57). Im Vertrag mit der
Endnummer 57 war jedenfalls ursprünglich der Kläger als Bezugsberechtigter
eingesetzt und auch als solcher im Versicherungsschein namentlich genannt.
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Mit Schreiben vom 03.09.2007 teilte die Versicherungsnehmerin der Beklagten mit, dass
das Bezugsrecht zu Gunsten ihrer Tochter L geändert werden sollte. Diese
Bezugsänderung bestätigte die Beklagte ihrer Versicherungsnehmerin mit Schreiben
vom 10.09.2007.
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Nach dem Tod der Versicherungsnehmerin überreichte die Zeugin L der Beklagten mit
Schreiben vom 12.10.2007 eine Sterbeurkunde sowie den Versicherungsschein mit der
Endnummer 57 und bat um Überweisung der fälligen Versicherungssumme auf ihr
Konto. Die Beklagte zahlte 4.698,50 € auf das angegebene Konto. Hinsichtlich der
zweiten Lebensversicherung erklärte die Tochter den Versicherungsschein für verlustig
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und ließ sich die Versicherungsleistung in Höhe von 804,91 € ebenfalls von der
Beklagten überweisen.
In der Folgezeit beanspruchte der Kläger die Versicherungsleistungen für sich. Die
Beklagte verwies auf die Änderungen des Bezugsrechts und die Auszahlung an die
Schwester des Klägers.
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Der Kläger behauptet, das Schreiben vom 09.02.2007 sei nicht von der
Versicherungsnehmerin, sondern von seiner Schwester, der Zeugin L, unterzeichnet
worden. Er verweist darauf, dass seiner Mutter zum damaligen Zeitpunkt 91 Jahre alt
und bei sehr schlechter Gesundheit gewesen sei und sich am 03.09.2007 in stationärer
Behandlung befunden habe. Außerdem sei sie fast erblindet gewesen. Er bestreitet,
dass der Beklagten der Originalversicherungsschein vorgelegt worden ist. Hinsichtlich
der weiteren Lebensversicherung habe die Beklagte in Kenntnis des Bestehens einer
Erbengemeinschaft an nur einen Miterben ausgezahlt.
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Der Kläger verlangt nun von der Beklagten Auskehrung der Versicherungsleistungen an
sich.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.503,41 € nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz ab dem 07.10.2007 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er behauptet, die Bezugsrechtsänderung sei durch die Versicherungsnehmerin selbst
unterzeichnet worden. Im Übrigen sieht er sich leistungsfrei geworden, da ihm – so
seine Behauptung – der Originalversicherungsschein durch die Schwester des Klägers
vorgelegt worden sei. Hinsichtlich der weiteren Lebensversicherung räumt er ein, dass
befreiende Wirkung durch Zahlung an einen Erben nicht eingetreten sei. Er meint aber,
dass auch der Kläger die Leistung nicht an sich verlangen könne, sondern nur an die
Erbengemeinschaft.
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Das Gericht hat zu der Frage, ob dem Beklagten der Originalversicherungsschein mit
der Endnummer 57 vorgelegt worden ist Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin
L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom
22.10.2009. Wegen der weiteren Einzelheiten vom 22.10.2009, wegen der weiteren
Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen
ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Kläger kann von der Beklagten als Erbe nach seiner Mutter nicht die Auskehrung
der Versicherungsleistungen aus den von der Mutter bei dem Beklagten
abgeschlossenen beiden Lebensversicherungen verlangen, weil der Beklagte
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hinsichtlich der Lebensversicherung mit der Endnummer 57 durch Zahlung an die
Schwester des Klägers von der Leistungspflicht befreit worden ist und hinsichtlich der
weiteren Lebensversicherung, die in den Nachlass gefallen ist, der Kläger jedenfalls
nicht Leistung an sich verlangen kann.
1. Der Beklagte hat seine Zahlungsverpflichtung aus der Lebensversicherung mit der
Endnummer 57 durch Leistung der Versicherungssumme an die Zeugin L erfüllt. Denn
§ 9 der dieser Lebensversicherung zugrundeliegenden Allgemeinen
Versicherungsbedingungen für die Kleinlebensversicherung enthält eine sogenannte
Inhaberklausel, wonach der Beklagte den Inhaber des Versicherungsscheins als
verfügungs- und empfangsberechtigt ansehen kann. Zusätzlich kann der Beklagte den
Nachweis der Berechtigung verlangen.
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a) Nach der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass dem Beklagten vor
der Auszahlung der Versicherungsleistung der Originalversicherungsschein vorgelegt
worden ist. Die Zeugin L hat dazu bekundet, dass sie das Original des
Versicherungsscheins von ihrer Mutter nach der Änderung des Bezugsrechts erhalten
hat. Nach dem Versicherungsfall hat sich die Zeugin bei dem Beklagten erkundigt, was
sie tun müsse, um in den Genuss der Versicherungsleistung zu kommen. Dabei sei ihr
gesagt worden, dass sie den Originalversicherungsschein übersenden müsse. Dies
habe sie dann getan.
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Das Gericht hat keine Zweifel, dass die Zeugin die Wahrheit gesagt hat. Sie hat in den
Anspruchsschreiben an den Beklagten ausdrücklich erwähnt, dass sie den
Originalversicherungsschein übersendet und das Gericht hat keine Veranlassung zu der
Annahme, dass entgegen der zutreffenden – Auskunft der Beklagten und entgegen der
Formulierung im Anspruchsschreiben nicht das Original des Versicherungsscheins,
sondern eine Kopie oder Ausfertigung übersandt worden sein sollte.
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b) Durch die Auszahlung der Versicherungsleistung an den Inhaber des
Originalversicherungsscheins ist der Beklagte von seiner Leistungspflicht befreit
worden, ohne dass es darauf ankäme, ob nun die Zeugin L infolge einer wirksamen
Bezugsrechtsänderung oder aber der Kläger infolge der ursprünglichen Einräumung
des Bezugsrechtes Anspruch auf die Versicherungsleistung hatte. Denn mit der dem
Beklagten in § 9 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden
Versicherungsbedingungen eingeräumten Berechtigung, an den Inhaber des
Versicherungsscheins mit befreiender Wirkung zu leisten, wird der Versicherungsschein
zu einem qualifizierten Legitimationspapier im Sinne des § 808 BGB. Die
Legitimationswirkung des § 808 Abs. 1 Satz 1 BGB erstreckt sich auf die vertraglich
versprochene Leistung. Damit ist der Beklagte durch Leistung an die Zeugin L an
Inhaberin des Originalversicherungsscheins leistungsfrei geworden, ohne dass es
darauf ankäme, ob der Beklagte den Inhaber des Versicherungsscheins gegenüber
materiell zur Leistung verpflichtet war (BGH VersR 2009, 1061 = r + s 2009, 342 mit
Anmerkung Münkel in Juris Praxisreport-Versicherungsrecht 9/2009 Anm. 2 und Marlow
VK 2009, 170; OLG München r + s 2009, 159; OLG Koblenz VersR 2008, 1338).
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c) Entgegen der Auffassung des Klägers lagen keine Umstände vor, die der
Legitimationswirkung des Versicherungsscheins im vorliegenden Fall entgegenstehen
würden. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass die
Legitimationswirkung des Versicherungsscheins ausnahmsweise dann nicht eingreift,
wenn der Versicherer die mangelnde Verfügungsbefugnis positiv kennt (BGH a.a.O.;
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VersR, 2000, 709; VersR 1999, 700) oder sonst gegen Treu und Glauben die Leistung
bewirkt hat (BGH a.a.O.). Ob die Legitimationswirkung auch dann entfällt, wenn der
Versicherer die mangelnde Berechtigung des Inhabers aufgrund grober Fahrlässigkeit
verkannt hat (so OLG Karlsruhe NVersZ 1999, 67) ist streitig und vom
Bundesgerichtshof bisher unentschieden gelassen worden (BGH VersR 2009, 1061;
VersR 1999, 700).
Die Beklagte hätte die vom Kläger behauptete mangelnde Verfügungsberechtigung der
Zeugin L jedenfalls nicht positiv gekannt. Substantiiertes hinsichtlich einer positiven
Kenntnis des Beklagten hat der Kläger auch nicht vortragen können. Das Gericht kann
auch offen lassen, ob grob fahrlässige Unkenntnis der Versicherer schadet, da grobe
Fahrlässigkeit der Beklagten ebenfalls nicht anzunehmen ist. Selbst wenn die
Unterschrift der Versicherungsnehmerin unter der Bezugsrechtsänderung deutlich vom
Schriftbild von Unterschriften bei Antragstellung der Lebensversicherungen abweichen
sollte, musste dies den Beklagten nicht misstrauisch werden lassen, da zwischen
Antragstellung und Bezugsrechtsänderung Jahrzehnte liegen und sich das Schriftbild
einer Unterschrift in diesem Zeitraum auch – gravierend – verändern kann. Ferner
erscheint es nicht ungewöhnlich, dass eine Versicherungsnehmerin auch im hoch
betagten Alter eine Bezugsrechtsänderung von einem Nachkommen auf den anderen
vornimmt. Hinweise darauf, dass die Versicherungsnehmerin infolge Krankheit nicht
mehr in der Lage gewesen sein könnte, wirksam Verfügungen zu treffen, lagen dem
Beklagten ersichtlich nicht vor. Allein das hohe Alter lässt nicht einmal ansatzweise den
Schluss auf eine fehlende Geschäftsfähigkeit zu. Schließlich musste auch die rasche
zeitliche Abfolge von Bezugsrechtsänderung bei Eintritt des Versicherungsfalles bei
dem Beklagten keinen Argwohn im Hinblick auf eine materielle Verfügungsberechtigung
wecken, da die Versicherungsnehmerin im Zeitpunkt der Bezugsrechtsänderung schon
über 90 Jahre alt gewesen.
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Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann dem Beklagten auch kein Verstoß gegen
Treu und Glauben vorgeworfen werden, wenn er die Versicherungsleistung an die
Tochter der Versicherungsnehmerin, die zuvor als Bezugsberechtigte eingesetzt worden
war, ausgezahlt hat, zumal der Beklagte die Bezugsrechtsänderung durch Schreiben an
die Versicherungsnehmerin bestätigt hatte und kein Widerspruch durch die
Versicherungsnehmerin erfolgt ist.
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2. Hinsichtlich der zweiten Lebensversicherung kann der Kläger jedenfalls nicht
Zahlung an sich verlangen. Der Anspruch auf die Versicherungsleistung ist unstreitig in
den Nachlass gefallen, so dass nach § 2039 BGB jeder Miterbe nur die Leistung an alle
Erben fordern kann.
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Mithin war die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11 und 711
ZPO.
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