Urteil des LG Aachen vom 22.06.2010

LG Aachen (agb, treu und glauben, bundesrepublik deutschland, internationale zuständigkeit, cisg, gegenstand des verfahrens, vertrag, abschluss des vertrages, gerichtsstandsvereinbarung, kläger)

Landgericht Aachen, 41 O 94/09
Datum:
22.06.2010
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
41 O 94/09
Normen:
EuGVVO Artt. 23, 5; CISG Artt. 8, 19
Tenor:
Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Leistung einer Sicherheit in
Höhe von 110 % des zur Vollstreckung kommenden Betrages.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um die Bezahlung einer Rechnung über die Lieferung von
Kunststofffasern durch die LGmbH an die Beklagte nach Italien.
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Durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen wurde am 01.12.2007 das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der vorgenannten LGmbH eröffnet und der
Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Gegenstand der Geschäftstätigkeit des Unternehmens waren u.a. die Produktion und
der Vertrieb von Kunststofffasern (Polyester).
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Im Jahre 2006 wurden zwischen der Lund der Beklagten Werklieferungsverträge über
Kunststofffasern zu einem Gesamtpreis von 41.609,08 € vereinbart.
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Die ersten drei Rechnungen wurden von der Beklagten beglichen. Auf die Rechnung
vom 20.12.2006 in Höhe von 22.504,65 €, die aufgrund seines Zahlungsziels von 90
Tagen zum 01.04.2007 fällig war, zahlte die Beklagte trotz Aufforderungen nicht. Am
23.02.2007 bat die Beklagte den Handelsvertreter der Insolvenzschuldnerin B1, ihr
"1.300 kg Sedura 160 Trama" zu liefern. Am 27.02.2007 teilte die Mitarbeiterin der
Insolvenzschuldnerin C dem Geschäftsführer der Beklagten in einer E-Mail mit, dass die
Spinnerei auf unbestimmte Zeit geschlossen werde; man versuche, einen neuen
Investor zu finden; eine Weiterführung könnte aber nicht versprochen werden. Sie hätten
keine "Sedura" mehr auf Lager und könnten die Bestellung nicht bestätigen.
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Der Kläger ist der Ansicht, das Landgericht Aachen sei international und örtlich
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zuständig. Die Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der Insolvenzschuldnerin
seien seit Beginn der Geschäftsbeziehungen zur Beklagten im Jahre 1988 jedes Mal mit
Auftragsbestätigung übermittelt worden. Zunächst hat er vorgetragen, dass diese
Bedingungen in deutscher Sprache verfasst worden seien, später ist der Vortrag erfolgt,
sie seien in englischer Sprache abgefasst gewesen, zum Schluss – mit
nachgelassenem Schriftsatz - ist der ursprüngliche Vortrag wieder aufgenommen
worden.
§ 6 lit. a) der Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der LGmbH (Stand
Dezember 2006) lautet:
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"§ 6 Erfüllungsort, Gerichtsstand und Teilunwirksamkeit
9
a)
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Erfüllungsort für alle Leistungen ist der Ort der Niederlassung des
Verkäufers. Gerichtsstand für alle aus dem Vertragsverhältnis
entstehenden Ansprüche ist Heinsberg. Der Verkäufer ist jedoch
berechtigt, seine Ansprüche auch an dem allgemeinen Gerichtsstand
des Käufers geltend zu machen.
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Auch für Auslandslieferungen gilt das Deutsche Recht."
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Zwar könne er Auftragsbestätigungen an die Beklagte nicht mehr vorlegen. Jedoch
hätten die Allgemeinen Verkaufs- und Lieferungsbedingungen bei jeder
Auftragsbestätigung auf der Rückseite gestanden. Exemplarisch legt der Kläger
Auftragsbestätigungen vor, in denen es auf der Vorderseite u.a. heißt: "Wir danken für
Ihren Auftrag und liefern zu den bekannten Verkaufsbedingungen."
13
Der Kläger sieht eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung gemäss Art. 23 Abs. 1
EuGVVO als gegeben.
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Auf irgendwelche Mängelrechte könne sich die Beklagte nicht berufen.
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Er beantragt in der mündlichen Verhandlung, in der abgesondert über die Zulässigkeit
der Klage verhandelt worden ist,
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die Beklagte zu verurteilen, 22.512,15 € nebst Zinsen in Höhe von 8
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.04.2007
an den Kläger zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
19
Sie ist der Ansicht, eine internationale Zuständigkeit der Deutschen Gerichtsbarkeit sei
nicht gegeben. Sie bestreitet die Übermittlung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen
"jedes Mal mit Auftragsbestätigung". Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung sei
nicht getroffen worden.
20
In materieller Hinsicht bestreitet sie, dass die Insolvenzschuldnerin den vertraglichen
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Pflichten insgesamt nachgekommen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstandes wird verwiesen auf die
wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst den von ihnen zu den Akten gereichten
Urkunden sowie auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 04.05.2010.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist unzulässig.
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Eine Zuständigkeit des Landgerichts Aachen ist nach den Vorschriften der EuGVVO
nicht gegeben.
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Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes beurteilt sich alleine nach den
Regelungen der EG-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die
Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom
22.12.2000 – VO 44/2001 (EuGVVO) -.
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Der Anwendungsbereich der EuGVVO ist vorliegend eröffnet. Die Bundesrepublik
Deutschland und die italienische Republik sind Mitgliedsstaaten der EU (Art. 52 EU).
Der erforderliche grenzüberschreitende Bezug ist gegeben, da die Insolvenzschuldnerin
ihren Sitz in Deutschland hatte und an die in Italien sitzende Beklagte Waren geliefert
hat.
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I.
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Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Aachen ergibt sich nicht aus den Artt.
23, 60 Abs. 1 EuGVVO.
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Der Kläger konnte nicht substantiiert darlegen, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung,
nach welcher Gerichtsstand für alle aus dem Vertragsverhältnis entstehenden
Ansprüche Heinsberg sei, zwischen der Beklagten und der Insolvenzschuldnerin
wirksam vereinbart worden ist.
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Wenn die Parteien nach Art. 23 Abs. 1 S. 1 EuGVVO vereinbart haben, dass ein Gericht
oder die Gerichte eines Mitgliedsstaates über eine bereits entstandene
Rechtsstreitigkeit oder über eine zukünftig aus einem bestimmten Rechtsverhältnis
entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind diese Gerichte oder die
Gerichte dieses Mitgliedsstaates zuständig. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 muss eine
solche Vereinbarung jedoch a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung, b)
in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien
entstanden sind, oder c) im internationalen Handel in einer Form, die einem
Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den
Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein
kennen und regelmäßig beachten, geschlossen werden.
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Grundsätzlich ist Art. 23 EuGVVO für seine Voraussetzungen eng auszulegen (vgl. BGH
NJW 2001, 1731). Zunächst ist eine tatsächliche Einigung der Parteien materielle
Voraussetzung der Wirksamkeit einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung, die
ausschließlich in der Form des Satz 3 geschlossen werden kann. Ob tatsächlich eine
Einigung der Parteien erfolgt ist, kann dahinstehen, wenn das Formerfordernis des
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Satzes 3 schon nicht erfüllt ist. Die Verordnung regelt die Modalitäten der Form für
Zuständigkeitsvereinbarungen, die in den Anwendungsbereich des Art. 23 EuGVVO
fallen, abschließend; dies gilt auch für die Regeln über die Einbeziehung von AGB (vgl.
Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Auflage, Art. 23 EuGVVO, Rdnr.
97).
Diesem Formerfordernis wurde hier nicht genüge getan.
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Die Gerichtsstandsvereinbarung ist nicht nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. a) 1. Alternative
EuGVVO schriftlich geschlossen worden.
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Nach dieser Vorschrift müssen beide Vertragsparteien den eine
Gerichtsstandsvereinbarung enthaltenden Vertragstext unterschrieben haben (vgl.
Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. Art. 23 EuGVVO, Rdnr. 8). Das Schriftformerfordernis
kann allerdings auch durch Bezugnahme auf die die Gerichtsstandsklausel enthaltende
AGB erfüllt werden (vgl. OLG Köln, Urteil vom 24.05.2006, 16 W 25/06, OLGR Köln
2006, 661 ff.).
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Die Annahme eines Angebotes unter Beifügung der AGB führt grundsätzlich noch nicht
zur Vereinbarung einer darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel, da es insoweit an der
vollen beiderseitigen Schriftlichkeit fehlt (vgl. BGH NJW 1994, 2699, 2007). Etwas
anderes gilt aber dann, wenn die andere Partei die Geschäftsbedingungen schriftlich
bestätigt und damit der Gerichtsstandsklausel zustimmt (vgl. OLG Köln, a.a.O.; BGH,
NJW 1996, 1819).
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Eine schriftliche Bestätigung der Beklagten auf die – an die unterstellte jedoch strittigen
– Beifügung der AGB der Insolvenzschuldnerin mit der Auftragsbestätigung ist hier aber
unstreitig nicht erfolgt, so dass insoweit eine Gerichtsstandsvereinbarung ausscheidet.
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Auch wenn man davon ausgeht, dass die Auftragsbestätigung erst nach dem
Vertragsschluss übersandt worden ist, ergibt sich nichts anderes. Haben die
Vertragsparteien einen Vertrag ohne Gerichtsstandsvereinbarung mündlich
geschlossen, übersendet aber nachträglich eine Partei der anderen ein
Bestätigungsschreiben, das erstmals ein Hinweis auf eine Gerichtsstandsklausel
enthält, so kommt dadurch eine Zuständigkeitsvereinbarung nicht zustande; denn es
fehlt an einer Einigung, es sei denn, der Empfänger des Bestätigungsschreibens nimmt
das Schreiben schriftlich an. Dann ist die erste Formalternative erfüllt (vgl.
Geimer/Schütze, a.a.O., Art. 23 EuGVVO Rdnr. 115). Eine schriftliche
Annahmeerklärung der Beklagten hat hier aber nach dem Vortrag der Klägerseite
gerade nicht stattgefunden.
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Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist auch nicht mündlich mit schriftlicher Bestätigung
geschlossen worden, vgl. Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. a) 2. Alternative EuGVVO.
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Nach dieser Alternative muss zunächst eine zumindest konkludente mündliche
Einigung über die Gerichtsstandsklausel erzielt worden sein, die dann anschließend
schriftlich von einer der Parteien innerhalb angemessener Frist bestätigt worden ist – so
genannte Halbschriftlichkeit (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, 28. Auflage, ZPO, Art. 23
EuGVVO, Rdnr. 9). Keine Bedingungseinigung liegt jedoch dann vor, wenn ein Vertrag
ohne jede Bezugnahme auf bestehende AGB geschlossen wird. Denn dann ist eine
Gerichtsstandsklausel nicht Gegenstand des von den Parteien mündlich geschlossenen
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Vertrages (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 28. Auflage, Art. 23 EuGVVO Rdnr. 28). Die
nachfolgende Übermittlung der eine solche Klausel enthaltenen AGB durch den
Verkäufer führt daher nicht zu einer Änderung des von den Parteien mündlich
vereinbarten Vertragsinhalts, es sei denn, diese Bedingungen werden vom Käufer
nachher auch ausdrücklich schriftlich angenommen (derselbe ebenda). Das bloße
Aushändigen der AGB reicht nicht aus, da sich hieraus nicht folgern lässt, der
Empfänger sei mit der Einbeziehung der AGB in den Vertrag auch einverstanden (so
Geimer/Schütze, a.a.O.; Rdnr. 85).
Eine vorherige mündliche Einigung in Bezug auf die Gerichtsstandsklausel wird hier
aber von dem Kläger gerade nicht vorgetragen. Die Geltung der nachträglich
übergebenen AGB wurde auch nicht nachträglich durch die Beklagte schriftlich
bestätigt, so dass nach dieser Alternative ebenfalls eine wirksame
Gerichtsstandsklausel, die die Zuständigkeit des Landgerichts Aachen begründen
würde, nicht Vertragsinhalt geworden ist.
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Es sind auch nach Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. b) EuGVVO keine Gepflogenheiten zwischen
den Parteien ersichtlich, welche eine solche Gerichtsstandsvereinbarung vorsehen
würden.
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Gepflogenheiten setzen eine tatsächlich Übung voraus, welche auf eine Einigung der
Vertragsparteien beruht. Der laufende Abdruck einer Gerichtsstandsklausel auf
Rechnungen oder Auftragsbestätigungen als solcher reicht hierfür nicht aus (so: BGH,
NJW-RR 2004, 1292). Vielmehr muss feststehen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung
im Rahmen der laufenden Geschäftsbeziehung der Parteien zumindest einmal
Gegenstand einer Willensübereinstimmung geworden ist (vgl. Hüßtege, a.a.O., Art. 23
EuGVVO, Rdnr. 10). Wollte der Empfänger der Auftragsbestätigung bei dieser Sachlage
die Zuständigkeitsvereinbarung leugnen, so verstieße er gegen Treu und Glauben, auch
wenn es einer schriftlichen Annahme seinerseits fehlt (vgl. Geimer in Zöller, a.a.O., Art.
23 EuGVVO Rdnr. 30).
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Bei AGB kann die Vereinbarung ihrer Geltung dann durch eine abstrakte Einbeziehung
ersetzt werden, wenn eine laufende Geschäftsbeziehung aufgrund der AGB stattfindet.
Die Partner müssen die Geltung der AGB in der Anfangsphase mindestens einmal
ausdrücklich vereinbart haben und sich in der Praxis nach ihnen gerichtet haben (vgl.
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Auflage, Art. 23 EuGVVO Rdnr. 10).
Wie oben bereits dargestellt, ist hier jedoch nichts dafür dargetan, dass die AGB
tatsächlich jemals Gegenstand einer Willensübereinstimmung geworden sind. Selbst
wenn man von dem Vortrag des Klägers ausgeht, dass die AGB jedes Mal mit
Auftragsbestätigung übergeben worden seien, liegen keine weiteren Hinweise darauf
vor, dass sich die Parteien in der Praxis nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen
der Insolvenzschuldnerin gerichtet, geschweige denn eine ausdrückliche Vereinbarung
geschlossen haben. Insoweit bestehen auch deshalb Bedenken, weil die mit der Anlage
K 7 zur Klageschrift vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der
Insolvenzschuldnerin überschrieben worden sind mit "Allgemeine Verkaufs- und
Lieferbedingungen der LGmbH". Die vorgelegten Auftragsbestätigungen verweisen
jedoch immer wieder auf umseitig abgedruckte "bekannte Verkaufsbedingungen". Dass
es sich dabei um die Verkaufsbedingungen handelt, die mit der Anlage K 7 vorgelegt
worden sind, ist nicht eindeutig erkennbar, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die
umseitig abgedruckten Allgemeinen Liefer- und Verkaufsbedingungen identisch waren
mit denjenigen Verkaufsbedingungen, die nach der Annahme der Insolvenzschuldnerin
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die waren, die der Beklagten offenkundig bekannt sein sollten. Es sollten nämlich nicht
irgendwelche Allgemeine Liefer- und Verkaufsbedingungen in das Vertragsverhältnis
einbezogen werden, sondern nach der Auftragsbestätigung, die vom Kläger vorgelegt
worden ist und die nach seiner Behauptung in ähnlicher Form auch im Fall abgeschickt
worden ist, nur die Verkaufsbedingungen, welche der Beklagten bekannt waren, also
bereits einmal in das Vertragsverhältnis einbezogen worden sind. Deshalb kommt es
nicht darauf an, dass irgendwelche AGB in der Vergangenheit in das Vertragsverhältnis
einbezogen worden sind, sondern es kommt speziell auf die Einbeziehung der mit
Stand Dezember 2006 zum Zeitpunkt der Auftragsbestätigung geltenden AGB an. Das
sind die, die zum Zeitpunkt der Auftragsbestätigung Gültigkeit hatten. Offenkundig hat
die Insolvenzschuldnerin wechselnde Allgemeine Geschäftsbedingungen benutzt.
Ein Handelsbrauch, nach der sich hier die Zuständigkeit des Landgerichts Aachen
ergeben würde, Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. c) EuGVVO konnte ebenfalls nicht substantiiert
dargelegt werden. Ein Handelsbrauch im Sinne der genannten Vorschrift ist autonom
auszulegen und nur für den jeweiligen Geschäftszweig, in dem die Parteien tätig sind,
zu bestimmen (EuGH, EuZW 1999, 441). Die Annahme eines solchen Handelsbrauches
setzt voraus, dass die tätigen Kaufleute bei Abschluss einer bestimmten Art von
Verträgen allgemein oder regelmäßig ein bestimmtes Verhalten befolgen (so EuGH,
ebenda). Er braucht nicht für bestimmte Länder, insbesondere nicht für alle
Vertragsstaaten nachgewiesen zu werden. Es genügt, wenn am Sitz irgendeiner der
Parteien ein entsprechender Handelsbrauch besteht. Dass die Vertragsparteien einen
solchen Handelsbrauch kennen, steht dann fest oder wird vermutet, wenn sie
untereinander oder mit anderen in dem betreffenden Geschäftszweig tätigen
Vertragsparteien schon früher Geschäftsbeziehungen geknüpft hatten oder wenn in
diesem Geschäftszweig ein bestimmtes Verhalten bei Abschluss einer bestimmten Art
von Verträgen allgemein oder regelmäßig befolgt wird und daher hinreichend bekannt
ist, um als ständige Übung angesehen zu werden (vgl. EuGH NJW 1997, 1431).
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Die Darlegungslast für das Bestehen eines solchen Handelsbrauches und seinen Inhalt
hat denjenige, der sich auf ihn beruft (Baumbach/Lauterbach, a.a.O., Art. 23 EuGVVO
Rdnr. 12), hier also der Kläger. Dieser hat jedoch einen solchen Handelsbrauch nicht
darzulegen vermocht, der diesbezügliche Vortrag erschöpft sich in pauschalen
Darlegungen, die nicht durch Tatsachen unterstützt sind und daher nicht
nachvollziehbar sind.
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II.
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Auch kann eine besondere Zuständigkeit des Landgerichts Aachen nicht nach Artt. 5 Nr.
1, 60 Abs. 1 EuGVVO angenommen werden.
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Gemäss Art. 5 Nr. 1 a) EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet
eines Mitgliedsstaates hat, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden, wenn ein
Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, und
zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu
erfüllen wäre. Gemäss Art. 5 Nr. 1 lit. b) 1. Alternative EuGVVO ist der Erfüllungsort im
Sinne dieser Vorschrift für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem
Mitgliedsstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert
werden müssen, sofern nichts anderes vereinbart ist. Für die Erbringung von
Dienstleistungen ist Erfüllungsort der Ort an einem Mitgliedsstaat, in dem sie nach dem
Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Liegt – wie hier – ein
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Werklieferungsvertrag vor, ist nur dann ein Dienstvertrag im Sinne dieser Vorschrift
gegeben, wenn der Dienstleistungsanteil überwiegt (Geimer/Schütze, a.a.O., Art. 5
EuGVVO, Rdnr. 88). Dies ist bei der Herstellung und anschließender Lieferung von
Kunststofffasern jedoch nicht anzunehmen, so dass die 1. Alternative einschlägig ist. Mit
Art. 5 Nr. 1 b) EuGVVO wurde ein selbständiger Erfüllungsortbegriff geschaffen (vgl.
Hüßtege, a.a.O., Art. 5 EuGVVO Rdnr. 4). Bei dem Verkauf von Waren und der
Erbringung von Dienstleistungen wird der forumeröffnende Erfüllungsort nach rein
faktischen Kriterien bestimmt.
Hier ist zu beachten, dass die Stoffe nach dem Vertrag nach Italien geliefert worden
sind, so dass sich dort der Erfüllungsort befindet. Es ist auch mit Blick auf Art. 6 a) der
Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der Insolvenzschuldnerin nichts anderes
zwischen den Parteien wirksam vereinbart worden. Der in Art. 5 Nr. 1 lit. b) EuGVVO
anvisierte Anknüpfungspunkt des Lieferortes steht zwar zur Disposition der Parteien.
Auch bestimmt Art. 6 a) der Allgemeinen Verkaufs- und Lieferbedingungen der
Insolvenzschuldnerin als Erfüllungsort für alle Leistungen Heinsberg. Jedoch wurden
diese AGB nicht wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen.
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Das Zustandekommen und die Wirksamkeit einer abweichenden Vereinbarung
beurteilen sich nach der lex causae (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1518). Diese ist hier das
UN-Kaufrecht. Die Anwendungsvoraussetzungen des CISG – im folgenden CISG – sind
gegeben. Die Parteien haben ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten, Art. 1 Abs.
1 CISG. Die Bundesrepublik Deutschland und Italien sind auch Vertragsstaaten des
CISG.
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Ein wirksamer Ausschluss des CISG durch die AGB der Insolvenzschuldnerin kann von
der Klägerin nicht substantiiert dargelegt werden. Die Frage, ob sich die Parteien über
eine vollständigen Ausschluss des CISG geeinigt haben, beurteilt sich nach den Regeln
von Teil II. CISG über den Abschluss des Vertrages (vgl. Ferrari in
Schlechtriem/Schwenzer, UN-Kaufrecht, 5. Auflage, Art. 6 Rdnr. 13; Westermann in
Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage, Art. 4 CISG Rdnr. 5). Somit ist nach dem
CISG autonom zu entscheiden, ob eine AGB-Klausel gültig in den Vertrag einbezogen
worden ist.
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Auslegungsmaßstab ist hier Art. 8 CISG. Das bedeutet, dass für den Empfänger der
Willen des Anbietenden erkennbar sein muss, dieser wolle seine Bedingungen in den
Vertrag einbeziehen. Erforderlich für eine wirksame Einbeziehung ist zudem, dass der
Erklärungsgegner mit der Angebotserklärung der Text übersendet oder anderweitig
zugänglich gemacht wird (vgl. BGHZ 149, 113, 117 f.).
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Hier ist – selbst wenn man unterstellt, dass die AGB mit Auftragsbestätigung im
Dezember 2006 verschickt worden sind – unklar, ob diese bereits mit Vertragsschluss
wirksam in den Vertrag einbezogen worden sind. Insbesondere aufgrund der vom
Kläger vorgelegten schriftlichen Erklärungen der Zeugin C (Anlage K 4) geht die
Kammer davon aus, dass es den Gepflogenheiten bei der Insolvenzschuldnerin
entsprach, auf schriftlich erteilte Aufträge der Kunden mit entsprechenden
Auftragsbestätigungen (Vertragsannahme) zu reagieren. Damit lagen aber, anders als
im Fall des BGH (BGHZ 149, 113 ff.) nicht bereits dem Vertragsangebot die
Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit der Gerichtsstandsklausel bei, sondern erst bei
der Vertragsannahmeerklärung durch die Insolvenzschuldnerin, was für die
Einbeziehung der AGB in den Vertrag gemäss Art. 8 CISG nicht ausreicht. Hinzu kommt,
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dass die Einbeziehung der AGB nicht erfolgen kann, wenn die Bedingungen in einer
Sprache abgefasst sind, die dem Erklärungsempfänger nicht verständlich ist und nach
den Umständen auch nicht sein muss (so: Schmidt-Kessel in Schlechtriem/Schwenzer,
a.a.O., Art. 8 Nr. 54 m.w.N.). Im Fall steht nun fest, dass die Vertragssprache zwischen
den Parteien englisch war, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen jedoch in deutscher
Sprache abgefasst worden sind. Dass die deutsche Sprache für die Beklagte
verständlich ist oder verständlich sein musste, ist nicht näher dargelegt. Insoweit ähnelt
der Fall dem vom Bundesgerichtshofs am 25.02.2004 (BB 2004, 853 f.) entschiedenen
Sachverhalt. Auch dort hat der Bundesgerichtshof es nicht als Verstoss gegen Treu und
Glauben angesehen, wenn sich die Beklagtenseite auf das Fehlen einer
Gerichtsstandsvereinbarung beruft, obwohl ihr in der Vergangenheit in einer Vielzahl
von Fällen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerseite übersandt worden
sind. Denn auch dort hat der BGH wie hier, nicht festzustellen vermocht, dass die
Parteien die Lieferbeziehungen aus ihren Geschäftsbeziehungen den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Klägerin unterstellen wollten und auch danach abgewickelt
haben.
Eine Einbeziehung der AGB kommt hier auch nicht nach Art. 19 CISG in Betracht. Die
Einbeziehung kraft Verweises in nachträglich übersandten Lieferscheinen und
Rechnungen kann ausnahmsweise in seltenen Fällen im Wege einer Vertragsänderung
erfolgen, allerdings wird es zum Beleg eines entsprechenden Parteiwillens schon für
den Übersender zusätzlicher Hinweise bedürfen, die schlichte Übersetzung reicht
hierfür nicht aus (vgl. Schmidt-Kessel, a.a.O., Art. 8 Rdnr. 54). Sollten hier die ABG mit
der Rechnung übersandt worden sein, so fehlt in dieser jedoch ein Hinweis auf die
Geltung der AGB. Die vorgelegte Anlage K 6 enthält einen solchen Hinweis jedenfalls
nicht.
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Im Fall kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es einer wirksamen
Einbeziehung von AGB gekommen ist, weil sie dem Vertragsgegner bei laufender
Geschäftsbeziehung ohnehin bekannt sind oder die Einbeziehung eine Gepflogenheit
der Parteien entspricht (vgl. Gruber in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage, Art.
14 CISG Rdnr. 32 f). Selbst wenn dies der Fall war, wird hier nicht deutlich, dass die
Parteien ihre Vertragsbeziehungen tatsächlich nach den übersandten Allgemeinen
Geschäftsbedingungen ausgerichtet haben (vgl. BGH, a.a.O.). Nach alledem kommt
eine wirksame Einbeziehung der allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin nach
dem CISG auch nicht in Betracht, was zur Folge hat, dass Erfüllungsort im Sinne des § 5
Nr. 1 b) EuGVVO die Ortschaft Busto Arsizio in Italien ist und eine Zuständigkeit des
Landgerichts Aachen zu verneinen ist.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen haben ihre Grundlage in den §§ 91, 709 ZPO.
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Streitwert: bis 23.000,00 €
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Q
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