Urteil des LG Aachen vom 10.10.2008

LG Aachen: reparaturkosten, fahrzeug, abrechnung, mittelwert, dispositionen, zustand, wiederherstellung, ausführung, arbeitslohn, bereicherung

Landgericht Aachen, 6 S 69/08
Datum:
10.10.2008
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 S 69/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Aachen, 11 C 321/07
Schlagworte:
Mehrwertsteuer, Stundenverrechnungssätze, Fachwerkstatt, fiktive
Abrechnung, Nutzungsausfalls
Normen:
BGB § 249
Leitsätze:
Der Bundesgerichtshof hat im sog. Porsche-Urteil entschieden, dass der
Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, der
Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer
markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen darf. Der
Entscheidung lag eine Konstellation zugrunde, in der die Geschädigte
das Fahrzeug unrepariert veräußert hat. Sowohl im Fall der
Veräußerung im unreparierten Zustand als auch im Fall der Ausführung
einer "Billigreparatur" und fiktiver Abrechnung auf Basis eines
Sachverständigengutachtens sind die höheren
Stundenverrechnungssätze tatsächlich nicht angefallen. Maßgeblich ist,
dass Ziel des Schadensersatzes die Totalreparation ist und der
Geschädigte nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der
Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des
vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei ist (vgl. BGH VersR
1989, 1056).
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das angefochtene Urteil des
Amtsgerichts vom 15. Februar 2008 - unter Zurückweisung der Berufung
im übrigen - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger
1.050,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02. August 2007 zu zahlen.
Die Beklagten werden weiter verurteilt, durch Zahlung an die
Prozessbevollmächtigten der Klägerin diese von vorgerichtlichen, auf
das vorliegende Verfahren nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten in
Höhe von 155,30 € freizustellen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 40 %
und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 60 %. Die Kosten des
Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 22 % und die Beklagten als
Gesamtschuldner zu 78 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
1
I.
2
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß den §§ 313 a Abs. 1,
540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO abgesehen.
3
II.
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Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.
5
Nach dem Inhalt der Berufungsbegründung werden die vom Amtsgericht
zugesprochenen Positionen "Mehrwertsteuer" (294,50 €), restliche Reparaturkosten
(953,73 € = 3.120,49 € abzgl. gezahlter 2.166,76 €) und Nutzungsausfall (129,00 € =
drei Tage à 43,00 €), insgesamt mithin ein Betrag von 1.377,23 € beanstandet.
6
1.
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Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer aus §§ 7, 17 StVG, 3
PflVersG (§ 115 VVG), 823 ff., 249 Abs. 2 BGB nicht zu. Dem Kläger ist der Nachweis
des Ausgleichs des Mehrwertsteuerbetrages gemäß § 249 Abs. 2 BGB nicht gelungen.
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Auf die Verfügung der Kammer vom 19. August 2008 hat der Kläger keinen
Zahlungsnachweis eingereicht. Nach der Aussage des Zeugen ... gemäß
Beweisaufnahme der ersten Instanz steht jedoch - ohne dass insoweit auf die
Glaubwürdigkeit des Zeugen abzustellen wäre - nicht zur Überzeugung der Kammer
fest, dass es zum Ausgleich gekommen ist.
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Mit seiner Erklärung "Die Rechnung ist bar bezahlt worden, allerdings inkl. der hier
ausgewiesenen MWSt, soweit ich mich erinnere" hat der Zeuge seine Aussage selbst
relativiert und Zweifel bekundet. Die Annahme, der Kläger habe die Rechnung inklusive
der ausgewiesenen Mehrwertsteuer ausgeglichen, kann darauf nicht gestützt werden.
10
2.
11
Dem Kläger steht der Anspruch auf Ausgleich der restlichen Reparaturkosten in Gestalt
der in dem Gutachten ausgewiesenen Stundenverrechnungssätze - wie vom
Amtsgericht ausgeurteilt - aus §§ 7, 17 StVG, 3 PflVersG, 823 ff, 249 BGB zu.
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Die Parteien streiten insoweit darüber, ob im Rahmen des Schadensersatzanspruchs
die Stundenverrechnungssätze einer Fachwerkstatt in Ansatz gebracht werden können,
wie sie in dem Gutachten des Sachverständigen ... niedergelegt sind. Gegen die fiktive
Abrechnung auf Gutachtenbasis bestehen nach der durchgeführten Teilreparatur keine
Bedenken.
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Grundsätzlich darf der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, der
Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen
Fachwerkstatt zugrunde legen. Der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze
aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region repräsentiert als
statistisch ermittelte Rechengröße nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag
(BGH NJW 2003, 2086). Denn einerseits ist der Schädiger zur vollständigen Behebung
des Schadens unabhängig von den wirtschaftlichen Dispositionen des Geschädigten
verpflichtet. Darüber hinaus würde bei anderer Sichtweise die dem Geschädigten durch
§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB eröffnete Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie
eingeschränkt werden. Schließlich würde die Realisierung einer Reparatur zu dem
bezeichneten Mittelwert der Stundenverrechnungssätze eine erhebliche Eigeninitiative
des Geschädigten erfordern, wozu dieser grundsätzlich nicht verpflichtet ist. Denn er
müsste Erkundigungen hinsichtlich der Werkstatterfahrung für die Reparatur der
entsprechenden Fahrzeugmarke anstellen und entsprechende Preisangebote einholen
(BGH NJW 2003, 2086, 2087).
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Vorliegend gilt auch nicht deshalb etwas anderes, weil die Beklagte zu 2) auf eine
günstigere Reparaturmöglichkeit hingewiesen hat. Zum Zeitpunkt des entsprechenden
Schreibens vom 14. Februar 2007 war das Fahrzeug durch den Kläger - wie sich aus
der Reparaturbescheinigung vom 17. September 2007 ergibt - bereits der Reparatur
zugeführt. Das Angebot der Beklagten konnte der Kläger daher nicht mehr annehmen.
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Der Verpflichtung zum Ersatz der höheren Stundenverrechnungssätze steht vorliegend
auch nicht entgegen, dass der Kläger eine günstige Reparatur gewählt hat und die
erhöhten Kosten damit gerade nicht angefallen sind.
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Zwar wurde teilweise in diesen Konstellationen vertreten, dass der Geschädigte
lediglich die mittleren ortsüblichen Stundenverrechnungssätze geltend machen kann:
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Rechnet der Geschädigte auf Basis fiktiver Reparaturkosten ab, berechnet sich der
ersatzfähige Arbeitslohn auf Basis mittlerer ortsüblicher Stundenverrechnungssätze und
nicht auf der Basis der höheren Sätze einer Vertragswerkstatt. Dies gilt jedenfalls, wenn
der Geschädigte den Unfallschaden tatsächlich in einer kleineren Werkstatt und
lediglich behelfsmäßig hat reparieren lassen und auch nicht dargelegt hat, dass er sonst
üblicherweise eine Vertragswerkstatt aufzusuchen pflegt (vgl. OLG Hamm RuS 1996,
357). Die Erstattung von Stundenverrechnungssätzen einer Vertragswerkstatt, die die
ortsüblichen durchschnittlichen Stundenverrechnungssätze einer autorisierten
anerkannten Fachwerkstatt übersteigen, kommt dann nicht in Betracht, wenn der
Geschädigte durch Eigenreparatur seines verunfallten Fahrzeuges deutlich macht, dass
es ihm auf die im Fall eines Weiterverkaufs realisierbare "Wertschätzung" an einer
Reparatur durch eine "Vertragswerkstatt" gerade nicht ankommt (vgl. LG Aachen (5 S
232/92) Schaden-Praxis 1993, 175).
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Der Bundesgerichtshof hat im - den vorzitierten Entscheidungen zeitlich nachgehenden
- sogenannten Porsche-Urteil jedoch entschieden, dass der Geschädigte, der fiktive
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Reparaturkosten abrechnet, der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze
einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen darf. Der abstrakte Mittelwert
der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien
Fachwerkstätten einer Region repräsentiert als statistisch ermittelte Rechengröße
demnach nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag (vgl. BGH NJW 2003,
1158). Allerdings lag dieser Entscheidung eine Konstellation zugrunde, in der die
Geschädigte das Fahrzeug unrepariert veräußert hat.
Nach Auffassung der Kammer kann allerdings der hier vorliegende Fall nicht anders
behandelt werden. Sowohl im Fall der Veräußerung im unreparierten Zustand als auch
im Fall der Ausführung einer "Billigreparatur" und fiktiver Abrechnung auf Basis eines
Sachverständigengutachtens sind die höheren Stundenverrechnungssätze tatsächlich
nicht angefallen. Maßgeblich ist, dass Ziel des Schadensersatzes die Totalreparation ist
und der Geschädigte nach schadensrechtlichen Grundsätzen sowohl in der Wahl der
Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu
leistenden Schadensersatzes frei ist (vgl. BGH VersR 1989, 1056). Dem Geschädigten
soll bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich
zukommen. Der Schädiger ist zur vollständigen Behebung des Schadens unabhängig
von den wirtschaftlichen Dispositionen des Geschädigten verpflichtet. Bei anderer Sicht
würde die dem Geschädigten eröffnete Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener
Regie eingeschränkt werden (vgl. BGH NJW 2003, 2086).
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In der zitierten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof auch angeführt, dass das
konkrete Verhalten des Geschädigten die Schadenshöhe nicht beeinflusst, solange die
Schadensberechnung das Gebot der Wirtschaftlichkeit und das Verbot der Bereicherung
beachtet. In diesem Rahmen ist der Geschädigte nämlich grundsätzlich hinsichtlich der
Verwendung des zum Schadensausgleich erhaltenen Geldbetrages frei.
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Vor diesem Hintergrund ist daher die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der
Reparaturkosten nicht zu beanstanden.
22
3.
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Dem Kläger steht auch ein Anspruch auf Ersatz des Nutzungsausfalls für drei Tage in
der durch das Amtsgericht ausgeurteilten Höhe aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVersG, 115
VVG, 249 ff. BGB zu.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in Gestalt der Ausführungen des
Sachverständigen wurde das Fahrzeug zweifellos repariert, auch wenn durch den
Kläger lediglich eine "Billig-Reparatur" veranlasst wurde. Den Nutzungswillen hat der
Kläger mit Beauftragung der Reparatur manifestiert. Vor dem Hintergrund der
vorstehenden Ausführungen zur Dispositionsbefugnis des Geschädigten steht dem
Kläger - auch wenn das Fahrzeug nur minderwertig repariert wurde - für den Zeitraum
des Ausfalls des Fahrzeugs auch eine – in zeitlicher Hinsicht nicht über die Dauer bei
Durchführung einer ordnungsgemäßen Reparatur hinausgehende -
Nutzungsausfallentschädigung zu. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das
Amtsgericht ein Nutzungsausfall für drei Tage - auf Basis einer um eine Stufe niedrigen
Fahrzeugklasse - als erstattungsfähig angesehen hat (§ 287 ZPO), zumal der
Sachverständige ... eine Reparaturdauer von 4-5 Tagen angegeben hat, ohne das
insoweit durchgreifende Zweifel bestehen. Die in der Reparaturbestätigung
angegebene Dauer von einer Woche hat das Amtsgericht dagegen zutreffend nicht voll
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berücksichtigt.
Auch hinsichtlich des Nutzungsausfalls ist die Berufung daher zurückzuweisen.
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III.
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Vor dem Hintergrund der ausgeurteilten berechtigten klägerischen Ansprüche sind die
von dem Amtsgericht zugesprochenen vorprozessualen Kosten (Streitwert bis 1.200,00
€) nicht zu beanstanden.
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IV.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 173
ZPO.
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Berufungsstreitwert: 1.345,42 €
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