Urteil des LG Aachen vom 26.03.2009

LG Aachen: wiederbeschaffungswert, fahrzeug, reparaturkosten, verkehrsunfall, vollstreckung, bestätigung, zustand, sicherheitsleistung, abweisung, wiederherstellung

Landgericht Aachen, 2 S 241/08
Datum:
26.03.2009
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 S 241/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Aachen, 81 C 72/08
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensumfang, Wiederbeschaffungsaufwand,
Wiederbeschaffungswert
Normen:
VVG § 115 Abs. 1, StVG §§ 7 Abs. 1, 17, BGB §§ 823 Abs. 1, 249 ff.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. August 2008
verkündete Urteil des Amtsgerichts Aachen - 114 C 72/08 - abgeändert
und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die
Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
1
Bei einem Verkehrsunfall am 9. November 2007 wurde das Fahrzeug des Klägers der
Marke Mercedes Benz beschädigt. Dass die Beklagte, die der Haftpflichtversicherer des
gegnerischen Unfallfahrzeugs ist, dem Kläger zum vollständigen Ersatz der ihm durch
den Verkehrsunfall entstandenen Schäden verpflichtet ist, steht zwischen den Parteien
dem Grunde nach außer Streit. In einem von dem Kläger vorgerichtlich eingeholten
Schadensgutachten ermittelte die DEKRA unter dem 14. November 2007 einen
Wiederbeschaffungswert für sein Fahrzeug in Höhe von 5.300,00 € und einen Restwert
in Höhe von 2.700,00 €. Die erforderlichen Reparaturkosten bezifferte das Gutachten auf
5.305,23 € netto bzw. 6.313,22 € brutto. Am 28. November 2007 zahlte die Beklagte an
den Kläger zum Ersatz des an seinem Fahrzeug entstandenen Schadens einen Betrag
2
in Höhe von 2.600,00 €, der dem Wiederbeschaffungsaufwand entspricht. Mit Schreiben
seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 16. Januar 2008 forderte der Kläger die
Beklagte unter Fristsetzung bis zum 31. Januar 2008 zur Zahlung des Differenzbetrages
in Höhe von 2.700,00 € bis zum Wiederbeschaffungswert auf. Zur Begründung führte er
aus, das Fahrzeug sei instand gesetzt worden, und fügte eine Bescheinigung der
DEKRA vom 10. Januar 2008 bei, in der es heißt: "Der vormals begutachtete Schaden
vorne rechts wurde instandgesetzt". Die Beklagte forderte den Kläger auf, eine
Bestätigung darüber vorzulegen, dass das Fahrzeug ordnungsgemäß im Rahmen des
Gutachtens repariert worden sei. Auf eine unmittelbar an die DEKRA gerichtete Anfrage
der Beklagten teilte die DEKRA mit Schreiben vom 11. Februar 2008 mit, bei der
Nachbesichtigung des Fahrzeugs sei festgestellt worden, dass sich der Zustand des
Fahrzeuges gegenüber der ersten Besichtigung am 14. November 2007 verändert habe,
eine genaue Aussage hinsichtlich des exakten Instandsetzungsumfanges indes nur im
Rahmen einer weiteren Besichtigung getroffen werden könne, welche gegebenenfalls
gesondert in Auftrag gegeben werden müsse.
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, das Fahrzeug sei in einem Umfang repariert
worden, der den Wiederbeschaffungsaufwand deutlich übersteige, und unter
Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. April 2008,
Aktenzeichen VI ZR 220/07, die Auffassung vertreten, er könne unter diesen
Voraussetzungen (fiktive) Reparaturkosten insoweit beanspruchen, als diese den
Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, so dass die Beklagte ihm zur Zahlung
weiterer 2.700,00 € verpflichtet sei.
3
Der Kläger hat beantragt,
4
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.700,00 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2008 zu
zahlen.
5
Die Beklagte hat beantragt,
6
die Klage abzuweisen.
7
Die Beklagte hat geltend gemacht, der Kläger sei auf eine Abrechnung nach dem
Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt.
8
Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 2.700,00 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2008 verurteilt. Zur
Begründung führte es aus, der Kläger berufe sich zu Recht auf die Entscheidung des
Bundesgerichtshofes vom 29. April 2008 (Aktenzeichen VI ZR 220/07). Danach könne
der Geschädigte die vom Kläger gewählte Abrechnungsmodalität dann wählen, wenn er
das Fahrzeug nach dem Unfall mindestens 6 Monate weiter genutzt und zu diesem
Zwecke verkehrssicher habe (teil-)reparieren lassen. Beide Voraussetzungen seien
erfüllt.
9
Mit der Berufung begehrt die Beklagte unter Wiederholung ihrer Ansicht Abweisung der
Klage.
10
Die Beklagte beantragt,
11
das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 12. August 2008- 81 C 72/08 –
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
12
Der Kläger beantragt,
13
die Berufung zurückzuweisen.
14
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
15
Entscheidungsgründe
16
Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
17
Dem Kläger steht gegen die Beklagte über den bereits regulierten
Wiederbeschaffungsaufwand hinaus kein weiterer Zahlungsanspruch gemäß §§ 115
Abs. 1 VVG, 7 Abs. 1, 17 StVG, 823 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB wegen des ihm aufgrund
des Verkehrsunfalls vom 9. November 2007 an seinem Fahrzeug entstandenen
Schadens zu.
18
Unstreitig übersteigen sowohl die sachverständig ermittelten Nettoreparaturkosten
(5.305,23 €) als auch die Bruttoreparaturkosten (6.313,22 €) den
Wiederbeschaffungswert (5.300,00 €) des klägerischen Fahrzeugs. Für Fälle, in denen
die fiktiven Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs
übersteigen, ist anerkannt, dass die zur Instandsetzung erforderlichen Kosten zuerkannt
werden können, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30 % übersteigen, wenn die
Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt werden, wie ihn der
Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. BGH NJW
2005, 1108). Dass das klägerische Fahrzeug fachgerecht und in einem Umfang repariert
wurde, wie ihn die DEKRA zur Grundlage ihrer Kostenschätzung gemacht hat,
behauptet der Kläger indes selbst nicht. Er hat vielmehr vorgetragen, das Fahrzeug sei
in einem Umfang repariert worden, der den Wiederbeschaffungsaufwand deutlich
übersteige, und begehrt lediglich Zahlung des Differenzbetrages bis zum
Wiederbeschaffungswert.
19
Ein Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und
Wiederbeschaffungswert steht dem Kläger nicht zu. Nach Auffassung der Kammer kann
sich der Kläger insoweit nicht mit Erfolg auf die von ihm in Bezug genommene
Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. April 2008, Aktenzeichen VI ZR 220/07
(abgedruckt u.a. in: NJW 2008, 1941) berufen. Dort hatte der Bundesgerichtshof
entschieden, dass ein Unfallgeschädigter (fiktiv) die vom Sachverständigen geschätzten
Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes regelmäßig (nur)
abrechnen kann, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und zu
diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-) reparieren lässt. Der dieser
Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt liegt jedoch in einem entscheidenden
Punkt anders als der vorliegend zu entscheidende Fall. In dem von dem
Bundesgerichtshof entschiedenen Fall überstieg der sachverständig ermittelte
Reparaturbetrag den Wiederbeschaffungswert nicht, während vorliegend die
sachverständig ermittelten Netto- und Bruttoreparaturkosten den ermittelten
Wiederbeschaffungswert des klägerischen Fahrzeugs übersteigen. In diesen Fällen ist
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich die Kammer anschließt,
eine grundlegend andere Betrachtungsweise geboten. Zwar steht es dem Geschädigten
20
auch in solchen Fällen frei, in welcher Weise er den Schaden beseitigen will. Dem
Geschädigten können Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungsaufwand des
Fahrzeugs übersteigen, jedoch grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn diese
Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar
wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand
übersteigt; andernfalls ist die Höhe des Ersatzanspruchs auf den
Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt (BGH NJW 2005, 1110). Demgegenüber
vermag die Kammer - anders als der Kläger und das Amtsgericht - der Entscheidung
des Bundesgerichtshofes vom 29. April 2008 nicht zu entnehmen, dass der
Geschädigte, sofern er nachweist, dass eine Reparatur erfolgt ist, die wertmäßig den
Wiederbeschaffungsaufwand in irgendeiner Höhe übersteigt, berechtigt sein soll,
ungeachtet des tatsächlichen Umfangs und Wertes dieser Reparatur immer
Reparaturkosten in Höhe des Wiederbeschaffungswertes zu begehren. Die
Interessenlage liegt insoweit anders als in Sachverhaltskonstellationen, in denen der
sachverständig ermittelte Reparaturaufwand den Wiederbeschaffungswert des
Unfallfahrzeugs nicht übersteigt. Übersteigen die sachverständig ermittelten
Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert, ist die Reparatur im Allgemeinen
unverhältnismäßig und kann dem Geschädigten nur dann ausnahmsweise zugebilligt
werden, wenn der für ihn gewohnte und von ihm gewünschte Zustand des Fahrzeugs
auch tatsächlich wie vor dem Schadensfall erhalten bleibt bzw. wiederhergestellt wird
(BGH NJW 2005, 1108). Die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands ist dann
zu bejahen, wenn die Reparaturen fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt
werden, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht
hat. Durch die Weiternutzung eines Fahrzeugs, das zwar repariert wurde, dessen
Reparatur aber hinter einer fachgerechten Reparatur in dem vom Sachverständigen
zugrundegelegten Umfang zurückbleibt, beweist der Geschädigte zwar sein Interesse
an der Mobilität. Dieses Mobilitätsinteresse kann aber im Allgemeinen durch die
Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs in vergleichbarer Weise befriedigt
werden. Unter diesen Voraussetzungen ist der Ersatzanspruch des Geschädigten auf
den für die Wiederbeschaffung erforderlichen Aufwand als wirtschaftlichste Möglichkeit
der Naturalrestitution beschränkt. Soweit der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung
vom 29. April 2008 formuliert hat, der Geschädigte könne Reparaturkosten "bis zur Höhe
des Wiederbeschaffungswerts" beanspruchen, stellt der Wiederbeschaffungswert nach
Auffassung der Kammer lediglich die Höchstgrenze dar, die in den einschlägigen Fällen
ohnehin nicht überschritten wird. Da der Kläger Zahlung des Differenzbetrages
zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert auch dann nicht
beanspruchen kann, wenn seine Behauptung, sein Fahrzeug sei in einem Umfang
repariert worden, der den Wiederbeschaffungsaufwand deutlich übersteige, zuträfe, war
eine Beweisaufnahme über diese von der Beklagten bestrittene Tatsache durch
Einholung des vom Kläger angebotenen Sachverständigengutachtens nicht geboten.
Dem Kläger steht auch kein geringerer als der geltend gemachte Zahlungsanspruch zu.
Zwar könnte er grundsätzlich Reparaturkosten geltend machen, die den
Wiederbeschaffungsaufwand übersteigen. Hierzu hätte es ihm allerdings oblegen,
konkret darzulegen und nachzuweisen, in welchem wertmäßigen Umfang die Reparatur
erfolgt ist. Nur dieser nachgewiesene Wert wäre nach bereits in der mündlichen
Verhandlung vom 12. Februar 2009 mitgeteilter Auffassung der Kammer durch die
Beklagte zu ersetzen. Zu diesem Aspekt fehlt jedoch ein ausreichender
Tatsachenvortrag durch den Kläger, so dass eine Beweisaufnahme hierzu nicht
veranlasst war. Die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung der DEKRA vom 10. Januar
2008 ist insoweit ohne Aussagekraft. Die Bestätigung, dass der vormals von der
21
DEKRA begutachtete Schaden instand gesetzt wurde, besagt nichts über den Umfang
und den Wert der Reparatur. Dass eine genaue Aussage hinsichtlich des exakten
Instandsetzungsumfanges ohne erneute Begutachtung nicht getroffen werden könne,
hat die DEKRA mit Schreiben vom 11. Februar 2008 noch einmal ausdrücklich
mitgeteilt. Da der Kläger nicht substantiiert dargelegt hat, welchen wertmäßigen Umfang
die erfolgte Reparatur hatte, und auch keine Umstände vorgetragen hat, die der Kammer
eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO ermöglichen, war die Klage insgesamt
abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 709 ZPO.
22
Die Kammer hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen, da die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
23
Berufungsstreitwert: 2.700,00 €
24
Dr. X S G
25