Urteil des LG Aachen vom 02.12.2009

LG Aachen (abteilung, antragsteller, anstalt, antrag, behandlung, ermessen, person, sache, begründung, beurteilungsspielraum)

Landgericht Aachen, 33i StVK 760/09
Datum:
02.12.2009
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
33i StVK 760/09
Schlagworte:
Sozialtherapie, Rückverlegung, Ermessen, Auslegung
Normen:
StVollzG §§ 109 ff., 9 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
Mangels eines vorherigen Antrags an die Vollzugsbehörde auf
Verpflichtung zur Vornahme der begehrten Maßnahme wäre ein
Verpflichtungsantrag nach § 109 Abs. 1 S. 2 StVollzG bereits
unzulässig. Entsprechend der erkennbaren Zielsetzung des Antrags, die
Fortsetzung der Behandlung in der Sozialtherapeutischen Anstalt der
JVA B zu erreichen, ist der als solcher gestellte Verpflichtungsantrag als
Anfechtungsantrag auszulegen.
Verlegungsgrund für eine Rückverlegung eines Gefangenen aus einer
Sozialtherapeutischen Anstalt nach § 9 Abs. 1 S. 2 StVollzG ist die aus
dem Therapieprozess als ganzen resultierende
Wahrscheinlichkeitsprognose, dass voraussichtlich mit den
sozialtherapeutischen Mitteln und sozialen Hilfen dieser Anstalt kein
Erfolg erzielt werden kann.
Tenor:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird verworfen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen werden d.
Antragsteller auferlegt.
Der Streitwert wird auf 1.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
I.
2
Der Antragsteller befindet sich derzeit in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt X, gegen
ihn wird eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren u.a. wegen versuchten Mordes aus einem
Urteil vom 15.12.2005 (#### StA O) vollstreckt. Die Hälfte der Strafzeit wird am
11.05.2011 erreicht sein, 2/3 der Strafe am 11.05.2013. Das Strafende ist auf den
11.05.2017 notiert.
3
Der Verurteilte befand sich, eingewiesen von der JVA I, seit dem 30.11.2006 in der
Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA B. Am 25.08.2009 wurde er in die JVA X
zurückverlegt. In der Verlegungsverfügung des Leiters der Sozialtherapeutischen
Abteilung der JVA B vom 24.08.2009 (Bl. 8 d.A.) ist u.a. Folgendes ausgeführt:
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"Trotz aller Bekundungen sich verändern zu wollen, blieb Herr M letztlich
eigensinnig, wenig einsichtsfähig, widerstandsfixiert und verstieß wiederholt in
einem erheblichen Maß gegen Abteilungsregeln (z.B. heimlicher Geldbesitz;
Einschmuggeln von Gegenständen wie etwa einem Aschenbecher mit extrem
frauenfeindlicher Gestaltung; Einschüchterung eines Mitbewohners, einen Vorfall
nicht offen zu machen; heftige verbal-aggressive Attacken seinen Behandlern
gegenüber; demonstrativer Verstoß gegen Kontaktverbot etc.) Da er nicht nur seine
Behandler, sondern grundsätzlich die gesamte Abteilung heftig entwertete, entzog
er sich letztlich, wurde zusehends unerreichbar. Er erlebte sich überwiegend als
Opfer der "sadistischen" Behandler, vor allem wenn er kritische Hinweise zu seiner
Person erhielt und suchte wiederholt Zuflucht in hassvolles, hysterisch agiertes
Selbstmitleid. Seine mangelnde Affektkontrolle hat sich trotz intensiver Arbeit, nicht
essentiell verbessern können.
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Herr M. hat zudem kaum nachhaltiges Problembewusstsein aufbauen können und
er sei sich sicher nicht wieder rückfällig zu werden. Die Beobachtungen hier
widersprechen dem entschieden. Nach den hier mit Herrn M. gemachten
Erfahrungen ist ohne weitere Persönlichkeitskorrektur von seiner Seite aus, von
einer höheren Rückfallgefahr in ein einschlägiges Delikt auszugehen..."
6
Im Abschlussbericht der Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA B vom 10.09.2009
(Bl. 10 d.A.) heißt es ferner u.a. wie folgt:
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"Anfangs gab sich Herr M sehr motiviert an seiner Persönlichkeitsproblematik zu
arbeiten. Schnell zeigte sich jedoch, dass er sein Gegenüber heftig zu kritisieren
begann. Dies spitzte sich dermaßen zu, dass er seinerseits versuchte eine
Beziehung zu seinem Gegenüber aufzubauen und andererseits parallel
Regelverstöße beging...
8
Herr M hat vom Besuch Geld mit auf die Abteilung gebracht und wollte dies eine
Woche später seinem anderen Besuch übergeben. Die Tatsache, dass Herr M
dieses Geld einmal auf die Abteilung geschmuggelt hat und selbiges eine Woche
später wieder runterschmuggeln wollte, wurde als Täuschungsversuch gewertet.
Trotz mehrmaliger Hinweise, dass dies ein Regelverstoß in Form eines Betrugs ist,
tat sich Herr M schwer, dies anzunehmen.
9
Herr M teilte mir mit, dass er Schwierigkeiten hat, sich an Regeln zu halten. Er will
immer gegen den Strom schwimmen, um es rebellisch den anderen zu zeigen. Auf
der einen Seite braucht Herr M die Bestätigung, dass er Fortschritte gemacht hat
und auf der anderen Seite braucht er für sich die Bestätigung, dass er immer noch
machen kann was er will und wie er will und dass alle anderen es nicht
mitbekommen.
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Daraus resultierend, wurde der Behandlungsplan geändert und die Lockerungen
wieder zurückgesetzt.
11
Bei dem Vorfall in der Werkstatt (ein Bewohner der Abteilung wurde mit
Schraubzwingen an ein Weinregal ... spielerisch befestigt) will sich Herr M nicht
daran erinnern, wo er zum fraglichen Zeitpunkt gewesen ist und gibt an, von der
ganzen Sache nichts mitbekommen zu haben. Da Herr M seinen Arbeitsplatz direkt
am Ort des Geschehens hat, ist es sehr fragwürdig, ob er wirklich nichts
mitbekommen hat. Ein Versuch ihn für diesen Übergriff sensibler zu machen, ist
bisher noch nicht geglückt und Herr M empfindet diese Situation auch mehr als
"Spaß". Daraus resultierend wurde ein Kontaktverbot zu einem Bewohner
ausgesprochen welches er nicht eingehalten hat...
12
In den letzten Monaten wurde immer mehr deutlich, dass es Herr M nicht gelingt
Rapport und Anbindungsfähigkeit zu zeigen. Er versucht permanent gegen die ihm
auferlegten Regeln zu verstoßen. Er beansprucht somit Sonderrechte für sich.
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An dieser Stelle wird immer mehr seine subkulturelle Seite sichtbar und die
Tatsache das er sich lieber gegen alles auflehnt, als das er an seiner
Persönlichkeitsproblematik arbeitet. Herr M ist der Ernst der Lage und seiner
notwendigen Bearbeitung seiner Persönlichkeitsproblematik nicht bewusst..."
14
Ohne einen entsprechenden Antrag an die Antragsgegnerin hat der Antragsteller unter
dem 09.09.2009 gegen die Rückverlegung auf gerichtliche Entscheidung angetragen
und zur Begründung seines Antrags ausgeführt, die Beendigung der
sozialtherapeutischen Maßnahme sei ohne ersichtlichen Grund erfolgt und verstoße
gegen das Resozialisierungsgebot.
15
Der Antragsteller beantragt,
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die Fortsetzung der Sozialtherapie in der JVA B anzuordnen und ihn in die
sozialtherapeutische Abteilung der JVA zurückzuverlegen.
17
Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
19
Sie führt unter Bezugnahme auf die Verlegungsverfügung sowie den Abschlussbericht
der Sozialtherapeutischen Abteilung zur Begründung an, der Verurteilte habe sich trotz
nahezu dreijähriger Aufenthaltsdauer auf der Abteilung als behandlerisch nicht
erreichbar erwiesen.
20
Dem Verfahrensbevollmächtigten ist eine zweiwöchige Frist zur Erwiderung auf die
Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 19.10.2009 gesetzt worden, die antragsgemäß
bis zum 23.11.2009 verlängert wurde, ohne dass bis zum heutigen Tag eine
Stellungnahme erfolgt wäre. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den
Akteninhalt Bezug genommen.
21
II.
22
Der als solcher gestellte Verpflichtungsantrag war als Anfechtungsantrag nach §§ 109 ff
StVollzG auszulegen. Denn mangels eines vorherigen Antrags an die Vollzugsbehörde
auf Verpflichtung zur Vornahme der begehrten Maßnahme (vgl. hierzu Calliess/Müller-
Dietz, StVollzG, 11. Aufl. § 109 Rn 6 m.w.N.) wäre ein Verpflichtungsantrag bereits
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unzulässig gewesen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller gegen die
Rückverlegungsentscheidung der Antragsgegnerin im Wege der Anfechtungsklage
vorgehen wollte.
Ein derartiger Antrag ist zulässig, hat aber in der Sache selbst keinen Erfolg.
Rechtsfehlerfrei hat die Antragsgegnerin entschieden, den Antragsteller aus der,
Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA B in die für ihn zuständige JVA X
zurückzuverlegen.
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Gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 StVollzG ist ein Gefangener zurückzuverlegen, wenn der Zweck
der Behandlung aus Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, nicht erreicht
werden kann. Durch die Bestimmung soll sichergestellt werden, dass die ohnehin
beschränkten Behandlungskapazitäten der sozialtherapeutischen Anstalten nicht durch
ungeeignete Gefangene zu sehr belastet werden. Verlegungsgrund ist die aus dem
Verlauf des Therapieprozesses als ganzen resultierende Wahrscheinlichkeitsprognose,
dass voraussichtlich mit den sozialtherapeutischen Mitteln und sozialen Hilfen dieser
Anstalt kein Erfolg erzielt werden kann. Dies gilt z.B. für den Fall, dass sich im
Behandlungsprozess herausstellt, dass die Sozialtherapie für diesen Gefangenen
ungeeignet ist oder auch für den Fall, dass er im Behandlungsprozess überhaupt nicht
mehr mitarbeitet (LG Stuttgart NStZ-RR 2001, 255). Die Wahrscheinlichkeitsprognose ist
aus dem gesamten Vollzugsverlauf abzuleiten; Einzelvorkommnisse genügen ebenso
wenig wie übliche Rückschläge im Behandlungsprozess (Calliess/Müller-Dietz, a.a.O. §
9 Rn 21).
25
Die Entscheidung über die Rückverlegung trifft der Anstaltsleiter nach seinem
pflichtgemäßen Ermessen. Er ist dabei allerdings an die gesetzlich zulässigen
Rückverlegungsgründe gebunden. Darüber hinaus steht der Vollzugsbehörde ein
Beurteilungsspielraum bei der Wahrscheinlichkeitsprognose zur mangelnden
Erfolgsaussicht der weiteren Behandlung zu, der seinerseits einem
Ermessensspielraum ähnlich ist. Das der Vollzugsbehörde eingeräumte Ermessen und
der vorbeschriebene Beurteilungsspielraum beschränken danach im Ergebnis die
gerichtliche Kontrolle der Entscheidung über die Rückverlegung aus einer
sozialtherapeutischen Anstalt auf die für die Überprüfung von
Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätze des § 115 Abs. 5 StVollzG. Danach
hat die Strafvollstreckungskammer nur zu prüfen, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer
Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt
ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff der mangelnden
Erfolgsaussicht zu Grunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden
Beurteilungsspielraums eingehalten hat. Die gerichtliche Kontrolle findet insoweit nur
unter Vertretbarkeitsgesichtspunkten statt. Das Gericht darf die Prognose der
Vollzugsbehörde nicht durch seine eigene prognostische oder wertende
Gesamtabwägung ersetzen.
26
Nach diesen Maßstäben hat die Antragsgegnerin vorliegend rechts- und
ermessensfehlerfrei eine Rückverlegung des Antragstellers aus der
sozialtherapeutischen Anstalt der JVA B beschlossen. Die Kammer folgt insoweit der
Begründung der angefochtenen Entscheidung der Antragsgegnerin sowie der weiteren
seitens der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren abgegebenen Stellungnahmen,
§ 115 Abs. 1 S. 4 StVollzG.
27
.
28
Die Voraussetzung in § 9 Abs. 1. S. 2 StVollzG, dass der Behandlungszweck aus
Gründen, die in der Person des Gefangenen liegen, nicht erreicht werden kann,
beinhaltet die Auslegung einer Rechtsfrage, die grundsätzlich von Seiten des Gerichts
voll nachprüfbar ist. Allerdings beinhaltet dieser Begriff – wie bereits erwähnt - auch eine
prognostische Entscheidung. Gemessen an den dargelegten Voraussetzungen ist aber
die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt nicht zu beanstanden. Denn die
Antragsgegnerin hat insbesondere die Therapiefähigkeit des Antragstellers aufgrund
des Ergebnisses der Behandlungskonferenz vom 24.08.2009 abgelehnt, wonach dieser
seit seiner Aufnahme am 30.11.2006 nur sehr eingeschränkt in der Lage war, eine
tragfähige und von Offenheit geprägte Arbeitsbeziehung zu seinen Behandlern
herzustellen. Die Antragsgegnerin hat ferner unter Bezugnahme auf die in der
Verlegungsverfügung vom 24.08.2009 und dem Abschlussbericht vom 10.09.2009
aufgeführten, aus dem gesamten Behandlungsverlauf abgeleiteten Umständen
nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass der Antragsteller trotz aller
Bekundungen, sich verändern zu wollen, letztlich eigensinnig, wenig einsichtsfähig und
widerstandsfixiert gewesen sei und wiederholt in einem erheblichen Maß gegen
Abteilungsregeln verstoßen habe. Die daraus folgende Wertung, der Antragsteller sei
sich seiner notwendigen Bearbeitung seiner Persönlichkeitsproblematik nicht bewusst
und habe stattdessen seit seiner Aufnahme eine deutliche subkulturelle Orientierung
gezeigt, ist ebenso nachvollziehbar, zumal es sich hierbei nicht nur um übliche
Rückschläge im Behandlungsprozess gehandelt hat.
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Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich, dass die Antragsgegnerin in den
Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraumes rechtsfehlerfrei von einer
schlechten Wahrscheinlichkeitsprognose zur Frage der Erfolgsaussicht einer weiteren
sozialtherapeutischen Behandlung des Antragstellers ausgegangen ist und diesen
daher rechts- und ermessensfehlerfrei wieder in die für ihn zuständige Vollzugsanstalt
hat zurückverlegen lassen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 S. 1 StVollzG.
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Die Entscheidung betreffend den Streitwert beruht auf den §§ 65 S. 1, 60 Hs. 1, 52 Abs.
1 GKG. Die Kammer bestimmt ihn nach der Bedeutung des Sache, wie sie sich aus dem
Antrag d. Antragsteller-in ergibt.
32
Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde nach Maßgabe
des beigefügten Formblatts statthaft.
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C
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