Urteil des LG Aachen vom 11.12.2009

LG Aachen (ärztliches zeugnis, erweiterung, unterbringung, anhörung, beschwerde, klinikum, zeitpunkt, akte, behandlung, falle)

Landgericht Aachen, 3 T 400/09
Datum:
11.12.2009
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 T 400/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Aachen, 69 XVII R 957
Schlagworte:
Erweiterung der Betreuung
Normen:
FGG § 69i Abs. 1; BGB §§ 1908d Abs. 3, 1896
Leitsätze:
§ 69i Abs. 1 FGG i.V.m. § 1908d Abs. 3 BGB verlangt im Falle der
(dauerhaften) Erweiterung der Betreuung um den Bereich der
Aufenthaltsbestimmugn die Vorlage eines Gutachtens.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Gründe
1
I.
2
Für den nach fachärztlicher Diagnose unter einer chronischen rezidivierenden
Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis wurde durch Beschluss des
Amtsgerichts F vom 18.02.1997 (Bl. 70) eine gesetzliche Betreuung eingerichtet und der
Beteiligte zu 2 zum berufsmäßigen Betreuer bestellt. Die bestehende Betreuung wurde
anschließend mehrfach verlängert, u.a. durch Beschluss des Amtsgerichts vom
04.07.2006 (Bl. 261). Der Aufgabenkreis des Betreuers bestand zum damaligen
Zeitpunkt in Gesundheitsfürsorge sowie Vertretung bei Behörden und Ämtern. Nachdem
der Beteiligte zu 2 unter Bezugnahme auf ein ärztliches Attest des Dr. xxxxx vom
15.10.2007 (Bl. 283) die geschlossene Unterbringung des Betroffenen und zugleich die
Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Bereich
Aufenthaltsbestimmung beantragt hatte, wurde die Betreuung durch Beschluss des
Amtsgerichts B vom 16.10.2007 (Bl. 284), an das das Verfahren nach Umzug des
Betroffenen inzwischen abgegeben worden war, antragsgemäß um den Aufgabenkreis
der Aufenthaltsbestimmung erweitert. Im Zuge der erneuten Überprüfung der Betreuung
reichte der Beteiligte zu 2 ein Attest des den Betroffenen ambulant behandelnden Arztes
für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychiatrie xxxxx vom 23.05.2008 (Bl. 330) zur
Akte, in dem - ohne weitere Spezifizierung - empfohlen wurde, dass die Betreuung "im
bisherigen Umfang unverändert aufrechterhalten bleiben" sollte. Ferner empfahl der
damalige Verfahrenspfleger Rechtsanwalt xxxxx in seiner Stellungnahme vom
01.07.2008 (Bl. 338) - gleichfalls ohne weitere Differenzierung betreffend die
Aufgabenkreise - die Verlängerung Betreuung "zu den bisherigen Konditionen". Zum
3
daraufhin anberaumten Anhörungstermin am 12.09.2008 erschien der Betroffene nicht.
Mit dem damaligen Verfahrenspfleger und dem Betreuer wurde besprochen, dass die
bestehende Betreuung unverändert verlängert werden sollte (Vermerk vom 12.09.2008,
Bl. 342). Gleichwohl führte der Beschluss des Amtsgerichts B vom 12.09.2008 (Bl. 343),
mit dem die Fortdauer der Betreuung mit Überprüfungsfrist bis zum 11.09.2013
angeordnet wurde, als Aufgabenkreise lediglich Gesundheitsfürsorge sowie Vertretung
bei Behörden und Ämtern (nicht aber die Aufenthaltsbestimmung). In seinem
Jahresbericht vom 10.10.2008 (Bl. 345) teilte der Beteiligte zu 2 u.a. mit, dass der
Betroffene sich im vergangenen Jahr dreimal zur stationären Behandlung im Klinikum
xxxxx befunden habe. Mit Schreiben vom 27.05.2009 (Bl. 348) beantragte der Betreuer
unter Bezugnahme auf ein ärztliches Attest vom gleichen Tag (Bl. 349) die
geschlossene Unterbringung nach § 1906 BGB, nachdem der Betroffene bislang nach
den Vorschriften des PsychKG NRW untergebracht war, keine
Fremdgefährdungsaspekte mehr bestanden, der Betroffene sich jedoch nicht zu einer
freiwilligen (indizierten) Weiterbehandlung bereit erklärt hatte. Durch Schreiben vom
08.06.2009 (Bl. 351) nahm der Betreuer seinen Unterbringungsantrag zurück, nachdem
der Betreute inzwischen auf eine offene Station verlegt worden war. Mit Schreiben vom
27.08.2009 (Bl. 352) beantragte der Beteiligte zu 2 erneut die geschlossene
Unterbringung des - durch Beschluss vom 21.08.2009 (AG B 69 XIV 2042.L, Bl. 353)
nach den Bestimmungen des PsychKG NRW untergebrachten - Betroffenen nach
Betreuungsrecht sowie die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den
Bereich Aufenthaltsbestimmung. Daraufhin hat das Amtsgericht ohne weitere Anhörung
des Betroffenen die Betreuung durch Beschluss vom 10.09.2009 (Bl. 354)
antragsgemäß um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung erweitert. Nachdem
der Betreute inzwischen wieder aus dem Klinikum entlassen worden war, legte er unter
dem 29.09.2009 zu Protokoll der Geschäftsstelle Beschwerde ein mit der Begründung,
er sehe für die Aufgabenkreiserweiterung keine Gründe (Vermerk Bl. 357). Das
Amtsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 01.10.2009 (Bl. 358) unter
Verweis auf die Verfahrenshistorie nicht abgeholfen und die Akte der Kammer zur
weiteren Entscheidung vorgelegt.
Die von der Kammer zur Verfahrenspflegerin bestellte Beteiligte zu 3 hat mit Schreiben
vom 26.11.2009 (Bl. 368) zum Verfahren Stellung genommen. Der Berichterstatter der
Kammer hat am 07.12.2009 einen Anhörungstermin durchgeführt, an dem die
Beteiligten zu 1 bis 3 teilgenommen haben. Dabei überreichte der Betreuer ein
ärztliches Attest zur Erforderlichkeit der Erweiterung der Betreuung um den
Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf
das Attest vom 30.11.2009 (Bl. 379) sowie das Sitzungsprotokoll (Bl. 377) verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
4
II.
5
Da das erstinstanzliche Verfahren betreffend die Erweiterung der Betreuung beim
Amtsgericht vor dem 01.09.2009 und damit vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform
des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz) eingeleitet wurde, sind gem. Art. 111 Abs. 1 und 2
FGG-Reformgesetz auch für das Beschwerdeverfahren die vor Inkrafttreten des FGG-
Reformgesetzes geltenden Vorschriften weiter anzuwenden.
6
Die Beschwerde gegen die Erweiterung der Betreuung ist gemäß §§ 19, 20, 69i Abs. 1
S. 1 FGG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
7
Es kann dahinstehen, ob das das Amtsgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung mit
Recht die bestehende Betreuung um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung
erweitert hat, obwohl zuvor hierzu offensichtlich keine Anhörung des Betroffenen
stattgefunden hatte, sich der Akte auch kein entsprechendes Attest entnehmen lässt und
der Aufgabenkreis nicht nur unwesentlich erweitert wurde (vgl. hierzu § 69i Abs. 1 FGG).
Jedenfalls zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung sind die Voraussetzungen für
eine Erweiterung der Betreuung um den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung
nach §§ 1908d Abs. 3, 1896 BGB nicht gegeben.
8
Zwar liegt mit dem Attest des Stationsarztes xxxxx vom 30.11.2009 (Bl. 379) inzwischen
ein ärztliches Zeugnis vor, das sich für die Erweiterung der Betreuung im
beschlossenen Umfang ausspricht. Indes ist im vorliegenden Fall die Vorlage eines
Attestes nicht ausreichend, da es sich bei der beschlossenen Aufgabenkreiserweiterung
nicht nur um eine vorläufige Maßnahme im Wege der einstweiligen Anordnung nach
Maßgabe von § 69f FGG handelt, für die ein ärztliches Zeugnis ausgereicht hätte (§ 69f
Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FGG), und auch die Voraussetzungen, unter denen auf die Vorlage
eines Gutachtens verzichtet werden kann (§ 68b Abs. 1 S. 2, 3 FGG), nicht vorliegen.
Denn § 69i Abs. 1 FGG i.V.m. § 1908d Abs. 3 BGB verlangt im Falle der (dauerhaften)
Erweiterung der Betreuung um den Bereich der Aufenthaltsbestimmung die Vorlage
eines Gutachtens.
9
Die Kammer hielt es aufgrund des Ergebnisses des Anhörungstermins durch den
Berichterstatter der Kammer am 07.12.2009 auch nicht geboten, selbst von Amts wegen
(§ 12 FGG) das erforderliche Gutachten zur Erweiterung des Aufgabenkreises
einzuholen. Nach der übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten zu 2 und 3 sowie
des Berichterstatters der Kammer hat sich der bei der Anhörung vollständig orientierte
Betroffene klar und deutlich gegen die Aufgabenkreiserweiterung ausgesprochen und
hierzu auf Vorhalt auch eine differenzierte Meinung vertreten. Insbesondere der Betreuer
hat angegeben, dass in den vergangenen Jahren eine Unterbringung nach den
Bestimmungen des PsychKG NRW eigentlich immer ausreichend gewesen wäre, da
der Betroffene - mit Ausnahme der geschlossenen Unterbringung im Mai 2009 - stets
noch weiter freiwillig zur ärztlich empfohlenen Behandlung im Klinikum verblieben wäre,
auch nachdem keine akute Eigen- und oder Fremdgefährdung im Sinne von § 11
PsychKG mehr bestanden hätte. Bezeichnend ist insoweit auch die Aussage des - der
Kammer als sehr erfahren und kompetent bekannten - Betreuers bei der Anhörung,
wenn er könnte, würde er den Antrag auf Erweiterung des Aufgabenkreises nunmehr
zurücknehmen. Es bestehen somit trotz des ärztlichen Attestes vom 30.11.2009
zumindest nachhaltige Zweifel, ob die angefochtene Aufgabenkreiserweiterung
erforderlich war im Sinne von §§ 1908d Abs. 3, 1896 Abs. 2 S. 1 BGB. Zu weiteren
Ermittlungen von Amts wegen sah sich die Kammer, wie bereits ausgeführt, nicht
veranlasst.
10
Klarstellend weist die Kammer den Betroffenen indes darauf hin, dass er nunmehr unter
Beweis stellen muss, dass sich in Zukunft keine Unterbringungsnotwendigkeit mehr
ergibt, die den Betreuer veranlassen könnte, erneut einen Antrag auf Erweiterung des
Aufgabenkreises der Aufenthaltsbestimmung bzw. des Rechts zur geschlossenen
Unterbringung zu stellen.
11
Die Entscheidung ergeht gem. § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei.
12
Rechtsmittelbelehrung
13
Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde zulässig. Sie
kann wahlweise bei dem Amtsgericht B, bei dem Landgericht B oder bei dem
Oberlandesgericht L eingelegt werden. Ein Betroffener kann, wenn er untergebracht ist,
Rechtsmittel auch bei dem Amtsgericht einlegen, in dessen Bezirk er untergebracht ist.
14
Die Einlegung erfolgt durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder durch Erklärung
zu Protokoll des Rechtspflegers der Geschäftsstelle des jeweiligen Gerichts. Erfolgt die
Einlegung durch Einreichung einer Beschwerdeschrift, so muss diese von einem
Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
15
Z Vorsitzender Richter am
Landgericht
N Richter am
Landgericht
C Richter am
Landgericht
16