Urteil des LG Aachen vom 23.03.2010

LG Aachen (bundesrepublik deutschland, opfer, 1949, deutschland, mitglied, niederlande, hauptverhandlung, widerstandsbewegung, datum, vertrag von lissabon)

Landgericht Aachen, 52 Ks 45 Js 18/83 10/09
Datum:
23.03.2010
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
52 Ks 45 Js 18/83 10/09
Normen:
StGB §§ 211, 53, 54
Tenor:
Der Angeklagte ist des
Mordes in drei Fällen
schuldig.
Er wird deshalb zu
lebenslanger Freiheitsstrafe
als Gesamtstrafe verurteilt.
Die in den Niederlanden vollzogene Freiheitsentziehung (10. Mai 1945
bis 09. Juni 1947) wird im Maßstab 1 zu 1 auf die verhängte Strafe
angerechnet, ebenso die in Deutschland vollzogene Auslieferungshaft
(28. Februar 1983 bis 05. Mai 1983).
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens, die notwendigen
Auslagen der Nebenkläger und seine eigenen Auslagen zu tragen.
§§ 211, 25 Abs. 2, 53, 54 StGB
Gründe
1
I.
2
Zur Person des Angeklagten hat die Kammer die folgenden Feststellungen treffen
können:
3
Der gegenwärtig 88 Jahre alte Angeklagte Heinrich Boere wurde am 27.09.1921 in E.
bei A. als Sohn der Eheleute Gertrud Boere-L. (geborene L. verwitwete Sa., deutsche
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Staatsangehörige) und Johannes Boere (niederländischer Staatsangehöriger) geboren;
er wurde durch die Staatsangehörigkeit seines Vaters Niederländer. Angesichts der
niederländischen Herkunft wird der Nachname "Bure" ausgesprochen.
Seine Mutter war Hausfrau, sie hatte keinen Beruf erlernt. Sie starb 1978 mit 89 Jahren
in Sittard/Niederlande.
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Der Vater des Angeklagten war von Beruf Schießmeister und arbeitete früher auch im
Bergbau. Er war ein eher unpolitischer Mensch. Mit 91 Jahren verstarb er in einem
Altersheim in Meersen/Niederlande.
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Der Angeklagte hatte zwei Halbgeschwister aus der ersten Ehe der Mutter, nämlich
Johann, der im 2. Weltkrieg an der Ostfront kämpfte und dort verschollen blieb, und
Marie, die zwischenzeitlich verstorben ist. Aus der Ehe der Eltern stammen vier
Geschwister: die bereits verstorbenen Peter, Gustav und Sybille sowie J., der in
Bu./Niederlande lebt. Der Angeklagte war das mittlere Kind in dieser Geschwisterreihe.
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Als der Angeklagte zwei Jahre alt war, verzog die Familie Boere von E. in die
Niederlande. Sie wohnte dort an verschiedenen Orten, zuletzt in Maastricht. Der Vater
des Angeklagten war die meiste Zeit arbeitslos, die finanzielle Lage der vielköpfigen
Familie war schlecht.
8
Der Angeklagte besuchte die Volksschule in Meersen bis zur 6. Klasse. Die Kinder der
Familie Boere wurden streng katholisch erzogen. Kirchgänge waren in der Familie an
der Tagesordnung. Im Alter von 14 Jahren begann der Angeklagte in Meersen eine
Schusterlehre. Sein Wochenlohn betrug 50 Cent und half kaum, die finanzielle Lage der
Familie zu verbessern. Nach zwei Jahren brach er die Lehre im Hinblick auf die
fortwährend schlechte finanzielle Situation der Familie ab. Er fand 1937 Arbeit in der
Porzellanfabrik N. V. Sphinx in Maastricht, für anfangs 4 Gulden/Woche, einem recht
guten Arbeitslohn. Sein Lohn und der der Geschwister wurde jedoch auf die
Arbeitslosenunterstützung des Vaters angerechnet, die auf diese Weise manchmal nur
ein paar Cent betrug, "und das im reichsten Land der Welt", so meint der Angeklagte
heute. Die Familie fühlte sich materiell höchst benachteiligt.
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Nachdem am 10.05.1940 der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Niederlande
begonnen hatte, weckte die Mutter den damals 18jährigen Angeklagten morgens und
sagte: "Sie kommen. Da sind sie, jetzt wird es besser". In der Nähe hörte der Angeklagte
die Einschläge von Bombenabwürfen deutscher Sturzkampfbomber. Tatsächlich
verbesserte sich in der Folgezeit die finanzielle Lage der Familie deutlich. Die
Geschwister des Angeklagten fanden Arbeit, auch der Vater als Tiefbauarbeiter an von
den Deutschen errichteten Küstenbunkern.
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Einige Zeit nach der Besetzung erhielt die Familie Besuch von Beauftragten der
NSDAP. Sie erkundigten sich, ob es der Familie jetzt besser gehe, was von den Boeres
bejaht wurde. Die Besucher erklärten, dann müssten die Familienmitglieder auch "was
machen". Gemeint war, dass die "deutsche Sache" aktiv unterstützt werden sollte, z.B.
durch Meldung zum Waffendienst.
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Um diese Zeit herum sah der Angeklagte ein Werbeplakat der Waffen-SS; unter
anderem wurde damit geworben, dass man nach zwei Jahren Dienst in der Waffen-SS
die deutsche Staatsangehörigkeit erhalte und man bei Dienstende als Polizist oder
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Beamter in den Staatsdienst übernommen werde. Diese Aussichten, Deutscher zu
werden und später einen sicheren und gut bezahlten Beruf zu haben, gefielen dem
ohnehin aufgrund seiner Erziehung deutschfreundlich gesinnten Angeklagten, und aus
seiner Sicht hatten sich durch den deutschen Einmarsch die Dinge ja auch zum Guten
gewendet.
So meldete er sich 1940, noch vor seinem 19. Geburtstag, wie viele andere
Niederländer auch, zum Dienst bei der Waffen-SS. Bei einem Musterungstermin in
Maastricht wurde er aus einer Gruppe von etwa 100 Bewerbern zusammen mit 14
anderen Niederländern ausgewählt, was ihn mit Stolz erfüllte. Der Angeklagte erhielt
nun einen Stellungsbefehl; er sollte sich in einer Münchener Kaserne melden. Von
Maastricht über Köln fuhr er mit anderen Freiwilligen im Sonderzug nach München.
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Hier trat er am 15.09.1940 als Niederländer aus freien Stücken der Waffen-SS bei.
Seine Einheit war die Division "Wiking", Standarte "Westland". Diese Standarte bestand
im Wesentlichen aus Freiwilligen aus den Niederlanden und Belgien, während in einer
weiteren Standarte "Nordland" andere Landsleute, insbesondere Dänen und Finnen
Dienst taten. Außerdem gab es noch die Standarte "Germania", das war die deutsche
Stammmannschaft, zuständig auch für die Ausbildung der anderen Standarten.
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Es folgte eine sechsmonatige Grundausbildung in der Freimann-Kaserne in München.
Dazu gehörte zunächst eine politische Schulung, "solange, bis wir von der deutschen
Sache überzeugt waren; aber ich war sowieso immer ein guter Deutscher, Mutter hat
uns immer so erzogen". Unter anderem wurde als Propagandamaterial der Film "Der
ewige Jude" eingesetzt. Auf die politische Schulung folgte die eigentliche soldatische
Ausbildung, "als Holländer hatten wir ja keine Ahnung vom Militär". Bei einem großen
Aufmarsch leistete der Angeklagte schließlich mit vielen Anderen den Treue-Eid auf den
Führer Adolf Hitler.
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Der Angeklagte hatte nun den SS-Dienstgrad eines Sturmmannes, der dem eines
Gefreiten der deutschen Wehrmacht entsprach. Er erhielt eine Tätowierung seiner
Blutgruppe auf den Unterarm als typisches Zeichen für seine Zugehörigkeit zur Waffen-
SS.
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Auf dem Gefechtstruppenübungsplatz Heuberg in Schwaben schloss sich im Frühjahr
1941 eine Gefechtsausbildung an. Es sei, so sagt der Angeklagte heute, das Ziel der
Ausbilder gewesen, den jungen Waffen-SS-Angehörigen beizubringen, "nicht mehr zu
denken, sondern nur noch Befehle auszuführen: Befehl ist Befehl".
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Mit der SS-Division "Wiking" ging es anschließend nach Lemberg in Oberschlesien, wo
der Angeklagte nach seinen Angaben erstmals scharfe Munition bekam. Er diente in der
13. Infanteriegeschützkompanie. Sein Kompaniechef war Bernhard Dietsche.
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Von einem Überfall der SS-Division "Wiking" auf die Zivilbevölkerung in Zborow im
Sommer 1941 mit Hunderten von getöteten Juden habe er aber nichts gehört,
geschweige denn daran teilgenommen, so sagt der Angeklagte heute.
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Im Winter 1941/42 stand die Einheit des Angeklagten an der Ostfront. Es kam immer
wieder zu Kämpfen mit Kosaken und russischen Elitetruppen. Der Angeklagte war
allerdings selbst nie in unmittelbaren Nahkampf verwickelt, sondern bediente hinter der
eigentlichen Front ein Geschütz. Bei seiner Infanterieeinheit konnte der Angeklagte von
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den Gefechten nicht viel sehen, er hat - nach eigenen Angaben - nicht einmal mit dem
Gewehr geschossen, sondern war immer bei einer Geschützeinheit zweiter Schütze.
Im September 1942 endete die zweijährige Dienstzeit des seinerzeit gerade 21 Jahre
alten Angeklagten bei der Waffen-SS. Hierzu gibt der Angeklagte heute an, sein
Kompaniechef habe ihm damals ausdrücklich gesagt, dass er jetzt Deutscher sei; das
habe er auch schriftlich bekommen, das Schriftstück sei aber verloren gegangen.
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Zuvor war der Angeklagte mit dem "Winterabzeichen" beziehungsweise der
"Ostmedaille" für seine Leistungen in der Winterschlacht im Osten 1941/42 und mit dem
"Sturmabzeichen" in Bronze für seine Leistungen bei der Waffen-SS an der Ostfront
ausgezeichnet worden.
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Nach seiner ersten Darstellung, im Wesentlichen verlesen in der Hauptverhandlung am
5. Verhandlungstag, blieb der Angeklagte trotz des Ablaufs der zwei Jahre bei seinen
kämpfenden Kameraden; offiziell aber sei der Dienst in der Waffen-SS nie verlängert
worden. "Aufgeben kam nicht in Frage, wir wollten den Krieg gewinnen".
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Sein Dienstgrad sei immer noch Sturmmann gewesen, an eine Beförderung an der
Ostfront habe er keine Erinnerung. Wenn gesagt werde, er sei Hauptscharführer der
Waffen-SS, entsprechend einem Oberfeldwebel der Wehrmacht, gewesen, so könne
das eigentlich nicht stimmen, denn Di. als Stellvertreter Feldmeijers sei ja nur
Oberscharführer (also Feldwebel), aber sein - des Angeklagten - Vorgesetzter beim
Kommando Feldmeijer gewesen; auf die Einzelheiten zu dieser Organisation und ihren
Angehörigen wird später noch einzugehen sein.
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Bei der Sommeroffensive 1943 habe er in der Nähe des Kaukasus gekämpft, auf einem
Raupenfahrzeug an einem 15-cm-Geschütz. Während dieser Sommeroffensive sei er an
der Ruhr und an einer Nierenbeckenentzündung erkrankt. Seine Einheit habe vor
Stalino, dem heutigen Donezk, gelegen und gerade ein Bergwerk eingenommen, als er
sie wegen der ansteckenden Ruhr-Erkrankung mit einem Lazarettzug habe verlassen
müssen. Etwa drei Wochen in einem Kriegslazarett in Lemberg seien die Folge
gewesen.
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Nach seiner Genesung sei er versetzt worden zum Ersatzbataillon der SS-Division
"Wiking" in Ede-Wageningen/Niederlande. Hier habe er eine neue Uniform bekommen;
er habe nicht mehr die alte Soldatenuniform getragen. Er habe dann drei Wochen Front-
und Genesungsurlaub bekommen und seine Eltern in Maastricht besucht. Er habe keine
Erinnerung, ob er ausgemustert worden sei und ob er als Zählerableser in Maastricht
gearbeitet habe.
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Inwieweit diese Darstellung des Angeklagten ganz oder teilweise zutrifft, konnte die
Kammer nicht mehr in allen Punkten hinreichend sicher feststellen.
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Andere Quellen (Urkunden: a) aus dem Archiv der Gemeindepolizei Maastricht: Archief
Gemeentepolitie Maastricht II, dossier 127, Afd. Politike Recherche, dossier Nr.615
(1946); b) Lohnkarte ("Loonkart") des Angeklagten Contr.-No. 787, c) Antrag des
Angeklagten vom 05.11.1955 auf Gewährung einer Entschädigung nach dem
Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz) und die zweite, am 23.02.2010 in der
Hauptverhandlung verlesene Einlassung des Angeklagten, sprechen nämlich für
folgende Umstände:
28
Der Angeklagte verließ danach schon am 10.12.1942 die Waffen-SS und kehrte in die
Niederlande nach Maastricht zurück; diesen Umstand hat er in seiner weiteren
Einlassung als "durchaus möglich" bezeichnet. Dort war der Angeklagte, vermutlich
durch Unterstützung eines Stadtrates namens v.B. und des Bürgermeisters Pe., die
beide Mitglieder der NSB (Nationaal Socialistische Beweging) waren, ab 01.01.1943 bis
Anfang 1944 als Zählerableser bei den Stadtwerken in Maastricht beschäftigt.
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Am 08.02.1943 wurde der Angeklagte als sympathisierendes Mitglied der NSB unter der
Stammbuch-Nr. 027078 eingetragen, am 04.05.1943 unter der gleichen Stammbuch-
Nummer als Voll-Mitglied der NSB, was der Angeklagte sich "nicht so richtig erklären"
kann, was jedoch urkundlich belegt ist durch das Ermittlungsprotokoll aus dem Archiv
der Gemeindepolizei Maastricht a.a.O., und nach der Einlassung des Angeklagten im
Zusammenhang mit der Förderung durch den Bürgermeister Pe. gestanden haben
könnte.
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Zumindest im Mai und Juni 1943 zahlte der Angeklagte Mitgliedsbeiträge an die NSB in
Höhe von monatlich 0,75 Gulden, woran er heute keine Erinnerung mehr haben will,
allerdings belegt durch den in die Hauptverhandlung eingeführten polizeilichen
Ermittlungsvermerk in dem Archiv der Gemeindepolizei Maastricht a.a.O..
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Am 14.01.1944 trat der Angeklagte hauptberuflich in den Dienst der Landwacht, den
bewaffneten Arm der NSB. Sein Jahresverdienst - belegt durch die in die
Hauptverhandlung eingeführte Lohnkarte ("Loonkaart") - betrug 2.050 Gulden und ab
dem 01.07.1944 2.700 Gulden. Zusätzlich erhielt eine Wohnungszulage von zunächst
205 Gulden und ab dem 01.07.1944 270 Gulden. Er führte eine Pistole Kaliber 7,65 mm
und tat Dienst unter anderem in Ruurlo und - als Instrukteur - in Weert/Limburg.
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Der Angeklagte erinnert sich heute an diese Umstände nicht mehr, die aber unter
anderem seinen eigenen Angaben gegenüber den niederländischen Polizeibeamten
Bg. und Bm. im Lager Valkenburg am 20.09.1946 entsprechen.
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Zu einem nicht geklärten Zeitpunkt wurde der Angeklagte von dem
"Kreispropagandisten Df." als "Leiter des Sturms der Germanischen SS Maastricht"
angeschrieben und nach Namen und Adressen der Mitglieder der Germanischen SS
gefragt (wiedergegeben in dem Archiv der Gemeindepolizei Maastricht a.a.O.). Der
Angeklagte hat dazu in der Hauptverhandlung zunächst angegeben, er sei niemals
Mitglied der Nederlaandsche SS, die später in die Germaansche SS in Nederland
umbenannt wurde, gewesen. Ob er einmal für acht Tage der stellvertretende Leiter der
Sturmabteilung in Maastricht gewesen sei, so gab der Angeklagte dann in seiner am
23.02.2010 verlesenen Einlassung an, wisse er nicht mehr.
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Sicher feststellen konnte die Kammer wieder Folgendes:
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Aufgrund der äußerst demütigenden und das Land wirtschaftlich in eine tiefe
Depression stürzenden deutschen Besetzung der Niederlande, verbunden auch mit
Willkürakten und Gewalttaten der deutschen Besatzer, war inzwischen eine starke
Widerstandsbewegung in der niederländischen Bevölkerung entstanden, die
zunehmend auch ihrerseits zu gewalttätigen Mitteln gegen Deutsche oder mit den
Deutschen zusammenarbeitende oder auch nur deutschfreundlich gesinnte
Niederländer griff. Um dieser Widerstandsbewegung wirksam zu begegnen, wurde 1943
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das Kommando Feldmeijer gegründet, das unter der Führung von Johannes Hendrik
Feldmeijer, eines niederländischen SS-Mannes, aus bis zu 15 niederländischen
ehemaligen Waffen-SS-Männern, bevorzugt ehemaligen so genannten
Ostfrontkämpfern bestand. Auf Einzelheiten wird insoweit im Rahmen der
Feststellungen zur Sache (unten II. 2.) noch näher einzugehen sein.
Der Angeklagte gehörte ab März 1944 dem Kommando Feldmeijer an.
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Er wurde nach einer Ausbildung in Schalkhaar, an der SS-Sportschule Avengoor und
bei der Landwacht - an die der Angeklagte heute keine Erinnerung mehr haben will, sie
aber auch nicht bestreitet - in Den Haag, Bezuidenhoutscheweg 125, einem alten
Herrenhaus, stationiert.
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Unter dem 22. Juli 1944 fertigte der Unteroffizier Be., Feldgendarm bei der
Wehrmachtskommandantur Den Haag, einen Aktenvermerk, wonach es in einem Cafe
in Den Haag zu einer Auseinandersetzung von SS-Leuten (Kr., dem Angeklagten und
B.) mit anderen Gästen des Lokals gekommen sei. Als sich die zivil gekleideten SS-
Männer von den anderen Gästen bedroht gefühlt und angegriffen worden seien, hätten
sie ihre Pistolen gezogen. Sie seien von der Feldgendarmerie festgenommen, nach
Feststellung der Personalien und des Sachverhaltes aber mit ihren Waffen wieder
entlassen worden.
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Von dem Kommando Feldmeijer wurden verschiedene Kommandoaktionen
durchgeführt, an denen der Angeklagte teilnahm.
40
Im Juli und September 1944 kam es in Breda, Voorschoten und Wassenar zu den Taten
des Angeklagten, die den Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens bilden und die
noch im Einzelnen dargestellt werden (unten II. 3.).
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Gegen Kriegsende Anfang 1945 kämpfte der Angeklagte in den Niederlanden noch an
der Brücke von Nijmegen (Nimwegen) mit Teilen der Wehrmacht und SS-Verbänden
gegen die alliierten Streitkräfte. Im Mai 1945 ergab sich seine Einheit, der Angeklagte
geriet in Gefangenschaft.
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Er kam am 10.05.1945 in ein Lager in der Nähe der Brücke von Nijmegen. Ein
englischer Offizier, zuvor wahrscheinlich als alliierter Agent eingeschleust als
Hausmeister beim deutschen Sicherheitsdienst (SD) in Den Haag, sortierte Angehörige
des Kommandos Feldmeijer aus, erkannte den Angeklagten aber nicht als solchen. Der
Angeklagte kam dann in ein anderes Lager, wahrscheinlich Harskamp, bewacht jetzt
von niederländischen Einheiten. Im Jahre 1947 musste er für etwa 14 Tage in das
Gefängnis in Vught; der Grund ist ihm heute nicht mehr in Erinnerung. Es folgte die
Verlegung in das Lager in Valkenburg und Arbeit in einer Grube außerhalb des Lagers.
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Während seiner Inhaftierung ist der Angeklagte mehrfach unter anderem zu den
Vorwürfen, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, vernommen worden und
hat die Tötung der drei Männer dabei eingeräumt.
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Der Angeklagte bekam dann die Mitteilung, er solle in Amsterdam im Strafprozess
gegen den General der Waffen-SS Hanns Albin Rauter als Zeuge aussagen. Er wollte
dies aber auf keinen Fall und fasste den Entschluss, zu fliehen. Am 09.06.1947 gelang
ihm bei Heerlen die Flucht aus einem Gefangenen-Bus.
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Der Angeklagte hielt sich in den folgenden Jahren versteckt, verließ das oder die
Verstecke nur ganz selten. Seine Eltern und noch lebenden Geschwister wohnten
damals in der Burgemeester-van-Aaken-Straat 3 in Maastricht. Angaben dazu, wo er
sich seit 1947 versteckt hielt, wie er die Zeit bis 1954 verbracht hat und unter welchen
Umständen er am 01.11.1954 nach Deutschland gelangte, wollte der Angeklagte in der
Hauptverhandlung nicht machen.
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Am 18.10.1949 wurde er durch den Sondergerichtshof Amsterdam unter anderem
wegen der Taten in Breda, Voorschoten und Wassenar in Abwesenheit zum Tode
verurteilt (vgl. unten II. 4.).
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Im Jahre 1954 begab der Angeklagte sich zu einem Onkel nach E.-N. in Deutschland.
Bereits nach kurzer Zeit bezog er eine eigene Wohnung in einem Hochhaus in E.-D.,
wohnte dort aber nicht lange, sondern mietete eine neue Wohnung im Fuchshofweg 8 in
E.. Er lebte fortan jahrzehntelang unbehelligt, ohne sich in irgendeiner Weise zu
verstecken, unter seinem richtigen Namen in E..
48
Der Angeklagte fand zunächst eine Gelegenheitsarbeit als Installateur-Gehilfe. Der
örtliche Pastor schickte ihn dann zum Betriebsleiter des Bergwerks Grube Maria in Ad..
Ab 1955 war der Angeklagte dort im Steinkohlenbergbau unter Tage als Bergmann
berufstätig.
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Im Jahr 1955 entzog die Gemeinde Maastricht dem Angeklagten die niederländische
Staatsangehörigkeit.
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Am 25.10.1955 stellte er einen Einbürgerungsantrag bei der Stadtverwaltung E., der
seinen Angaben zufolge allerdings niemals beschieden worden ist. Später erhielt er
vom Ausländeramt des damaligen Kreises A. eine unbefristete Niederlassungserlaubnis
(§ 9 AufenthaltsG). Die deutschen Verwaltungsbehörden gehen von einer
Staatenlosigkeit des Angeklagten aus.
51
Ein unter seinem richtigen Namen mit Datum vom 05.11.1955 gestellter Antrag des
Angeklagten auf Entschädigung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz
wurde abgelehnt. In dem Antrag ist unter anderem die ursprünglich handschriftlich
eingetragene Nationalität "Deutsch" durchgestrichen und ersetzt durch "staatenlos z. Zt.,
Einbürgerung läuft". Als Grund für die Kriegsgefangenschaft ist angegeben:
"Angehöriger der Waffen-SS". Als vorletzte Einheit wird bezeichnet "Div. Wicking Reg.
Westland 13. S.I.G. Komp. 15.9.1940-Dez. 1942, Sturmmann"; als letzte Einheit:
"Sonderkommando Feldmeyer Jan. 1943 - Kriegsende, Hauptscharführer". Eintreffen im
Bundesgebiet: "1.11.1954".
52
Am 31.12.1958 erlitt der Angeklagte einen schweren Arbeitsunfall im Hauptschacht der
Grube Maria; er war hier als Gasbohrhauer eingesetzt. Er trug Frakturen und Prellungen
davon, war mehrere Wochen arbeitsunfähig und ihm wurden 10 % GdB (Grad der
Berufsunfähigkeit) zugebilligt.
53
Nach der Schließung der Grube Maria arbeitete der Angeklagte zunächst in der Grube
Siersdorf und später in der Grube in Baesweiler, die im Jahre 1975 geschlossen wurde.
Der Angeklagte musste damals mit 54 Jahren in Rente gehen.
54
Vom 28.02.1983 bis zum 05.05.1983 befand er sich im Hinblick auf das Urteil des
Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18.10.1949 in deutscher Auslieferungshaft, zu
einer Auslieferung an die Niederlande kam es jedoch nicht (vgl. unten II. 4.).
55
Seit dem 10.03.2006 lebt er in der "P.R.", einem Altenheim in E..
56
Verheiratet war der Angeklagte nie, weil er jederzeit mit seiner Festnahme rechnete und
- nach seinen Worten - weil er doch einer Frau die Ungewissheit über seine Zukunft
nicht habe zumuten können, "die Holländer haben ja immer versucht, mich zu kriegen".
Er war einmal einige Zeit mit einer inzwischen verstorbenen Rentnerin befreundet.
Kinder hat der Angeklagte nicht.
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Er bezieht eine Rente in Höhe von 1.020 € monatlich. Sie wird durch die Heimkosten,
die sie bei weitem nicht deckt, vollständig aufgezehrt. Er erhält Pflegegeld der
Pflegestufe 1, das ebenfalls für die Heimkosten verwandt wird. Der Angeklagte selbst
bekommt ein monatliches Taschengeld von zur Zeit 97 €.
58
Sein Leben im Seniorenheim besteht darin, dass er manchmal mit den Mitbewohnern
das Essen im Speisesaal einnimmt, gelegentlich, aber immer seltener an gemeinsamen
Aktivitäten teilnimmt, mit einem Bekannten, der wie er auch am 2. Weltkrieg
teilgenommen hat, spricht und ansonsten "herumsitzt und guckt".
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Der Angeklagte leidet neben weiteren Erkrankungen unter einer chronischen
Herzinsuffizienz (insbesondere Herzrhythmus-Störungen) in Verbindung mit einer
mittelgradigen Einschränkung der Nierenfunktion. Er hat ganz erhebliche Probleme mit
dem Laufen und bewegt sich außerhalb seines Zimmers fast nur im Rollstuhl.
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Aufgrund seiner gesundheitlichen Situation - so unterstellt die Kammer als wahr - ist die
Lebenserwartung des Angeklagten im Vergleich zu gleichaltrigen Menschen so stark
reduziert, dass selbst bei bestmöglicher Therapie die Mortalität bei bis zu 50 % im ersten
Jahr liegt, er innerhalb von dreieinhalb Jahren einem sechsfach erhöhten Sterberisiko
unterliegt und jederzeit aufgrund des bestehenden Krankheitsbildes an einem
plötzlichen Herztod versterben kann.
61
Dem Gesundheitszustand des Angeklagten hat die Kammer neben permanenter
ärztlicher Kontrolle dadurch Rechnung getragen, dass die Hauptverhandlung an jedem
Verhandlungstag nicht mehr als äußerstenfalls dreieinhalb Stunden, überwiegend
jedoch wesentlich weniger lang dauerte.
62
Im Laufe der Hauptverhandlung hat sich - jedenfalls für die Kammer überraschend -
aufgrund einer auf Anordnung der Kammer durchgeführten eingehenden Untersuchung
im Universitätsklinikum A. herausgestellt, dass der Angeklagte außerdem unter einem
schwerwiegenden Hör-Problem (im Wesentlichen: Hochtonverlust beidseitig) leidet. Die
Beeinträchtigung wurde alsdann fachmännisch mit einem von seiner Krankenkasse
finanzierten Hörgerät behoben, so dass der Angeklagte - nach eigener Angabe - fortan
nicht nur der Hauptverhandlung uneingeschränkt folgen konnte, sondern nach dem
Eindruck der Kammer auch deutlich verbessert an dem sozialen Geschehen in seiner
Umgebung teilnehmen kann.
63
Der Angeklagte ist, wie sich aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen Auszug aus
dem Bundeszentralregister vom 30.11.2009 ergibt, in Deutschland bisher nicht wegen
64
einer Straftat verurteilt worden.
II.
65
Zur Sache konnte die Kammer die folgenden Feststellungen treffen:
66
1.
67
Am 10.05.1940 fielen deutsche Wehrmachtstruppen in die Niederlande ein. Es war dies
der Anfang eines fast fünfjährigen Leidensweges des Landes. Der Angriff machte
rasche Fortschritte. Deutsche und Deutschstämmige in den Niederlanden waren
überwiegend zufrieden oder gar begeistert von der Entwicklung, die für die
niederländische Bevölkerung, die Politik und das Militär in dieser Form weitgehend
überraschend kam und insoweit zunächst auf wenig Widerstand stieß. Während die
Königin und ihr Kabinett sich schon am 13.05.1940 einschifften, um nach
Großbritannien ins Exil zu gehen, kapitulierte das Heer am folgenden Tag. Sein Chef,
General Winkelmann, befahl die Einstellung des Kampfes an allen Fronten. Dennoch
wurde Rotterdam von einem deutschen Bombergeschwader angegriffen. Fast 1000
Rotterdamer Bürger kamen ums Leben. Die deutsche Besatzungsmacht installierte eine
Zivilverwaltung mit dem Österreicher Arthur Seyß-Inquart als NS-Reichskommissar an
der Spitze, die sich im übrigen auch auf verbliebene niederländische Zivilbeamte und
deren vorhandenes Fachwissen stützte. Es gab weiterhin eine niederländische Polizei.
Unabhängig hiervon operierten der deutsche Sicherheitsdienst (SD) und die deutsche
Sicherheitspolizei (Sipo), an deren Spitzen der HSSPF (Höherer SS- und Polizeiführer)
und der BdS (Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes)
standen. HSSPF war 1944 der frühere SS-Obergruppenführer und General der Waffen-
SS Hanns Albin Rauter (geboren am 04.02.1895, hingerichtet am 25.03.1949), BdS ab
Juni 1944 Dr. Karl Georg Eberhard Schöngarth (geboren am 22.04.1903, hingerichtet im
Mai 1946).
68
Eine bereits vor dem Krieg in den Niederlanden bestehende Nationaal Socialistische
Beweging (NSB), die sich zwar faschistischen Zielen verschrieben hatte, sich jedoch
deutlich von der deutschen NSDAP unterschied, bekam mehr Zulauf und kooperierte
offen mit den Deutschen. Als bewaffneter Arm der NSB wurde die Landwacht gegründet.
Daneben bestand als niederländische nationalsozialistische Organisation die
Weerafdeeling (Wehrabteilung), ähnlich der deutschen SA.
69
Die Landwacht umfasste auch hauptberufliche Mitglieder als so genannte Berufs-
Landwacht. Zunehmend kam es zur Zusammenarbeit der deutschen
Sicherheitsbehörden mit der Landwacht.
70
Parallel zur deutschen SS gründete sich die Germanische SS in den Niederlanden, der
im Wesentlichen mehr oder weniger fanatische deutschfreundliche Niederländer
angehörten.
71
2.
72
Unter dem Druck und Terror der deutschen Besatzungsmacht und unter dem Eindruck
der Kooperation relativ vieler Niederländer mit den Deutschen regte sich alsbald
zunehmend organisierter Widerstand patriotisch gesinnter Niederländer. Diese
konspirativ arbeitende Widerstandsbewegung führte unter anderem durch
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Überfallkommandos ("Knokploegen") Anschläge auf Deutsche, auf mit der deutschen
Seite kooperierende Niederländer und auf Angehörige der NSB aus. Dabei kamen, wie
beabsichtigt, die so Angegriffenen häufig ums Leben; ebenso gab es Todesopfer unter
den Widerständlern. Die Widerstandsbewegung fand in der niederländischen
Bevölkerung Unterstützung, unter anderem durch die Aufnahme und das Verstecken
von untergetauchten Widerständlern ("Onderduikers").
Von deutscher Seite wie auch von Seiten der NSB und der Germanischen SS in den
Niederlanden sollte diesem organisierten Widerstand nachhaltig entgegengewirkt
werden. Auf Befehl Hitlers wurden im Sommer 1943 Pläne für die Bekämpfung der
Widerstandsgruppen ausgearbeitet. Ein Spitzenfunktionär der NSB, Cornelis van
Geelkerken, forderte in einer viel beachteten öffentlichen Rede strengste Vergeltung für
Anschläge auf NSB-Leute. Da die deutsche Wehrmacht sich hieran nicht beteiligen
wollte, wurden zunächst verdeckt andere deutsche Einheiten zur Bekämpfung des
Widerstandes eingesetzt.
74
Im Herbst 1943 wurde dann unter Führung des niederländischen SS-Mannes Johannes
Hendrik Feldmeijer (geboren am 30.11.1910, wahrscheinlich am 22.02.1945 bei einem
Fliegerangriff ums Leben gekommen) das Kommando Feldmeijer gebildet. Aufgabe des
Kommandos war es, neben Personenschutz für Feldmeijer, Objektschutz für diverse
Einrichtungen und Aktionen gegen den Widerstand, auch verdeckte tödliche Anschläge
auf Niederländer als unmittelbare Reaktion auf Anschläge der Widerstandsbewegung
durchzuführen.
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Diese Anschläge auf Niederländer wurden bei den insoweit beteiligten deutschen
Stellen (das war insbesondere der SD) unter dem Code "Geheime Reichssache
Silbertanne" geführt, wobei der Begriff "Silbertanne" seinerzeit den niederländischen
Angehörigen des Kommandos Feldmeijer nicht geläufig war. Treibende Kraft hinter
dieser Maßnahme war Rauter, wie sich unter anderem aus dessen Schreiben an
Himmler vom 13.01.1944 ergibt, in dem er nach Darstellung von
Widerstandshandlungen Klage über das Verhalten der Wehrmacht führt und die
dringende Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen betont.
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Die Aktionen erfolgten grundsätzlich so, dass Kommandomitglieder ausgewählt wurden,
um (in Begleitung von SD-Leuten, in Zivilkleidung, am frühen Morgen oder am späten
Abend und teilweise mit falschen Ausweisen und gefälschten Kennzeichen an den
benutzten Kraftwagen) Niederländer, die sich aus den Kommandomitgliedern
ausgehändigten Listen ergaben, aufzusuchen und nach Feststellung der Identität ohne
Zeugen ohne Weiteres zu erschießen. Die Opfer sollten aus den Orten stammen, aus
denen auch das Opfer der Widerstandsbewegung stammte, das den Anlass zu der
konkreten "Silbertanne"-Aktion gab. Für jedes Widerstandsopfer sollten (bis zu) drei
Niederländer umgebracht werden. Die Listen mit den Namen und Adressen der zu
Tötenden wurden in der Regel willkürlich oder jedenfalls ohne erkennbares Schema
von örtlichen NSB-Funktionären aufgestellt. Wurden die ins Auge gefassten Opfer nicht
angetroffen, so unterblieb ihre Tötung, und es wurde die nächste Adresse auf der Liste
aufgesucht. Nach der Tat flüchteten die Täter und niemand bekannte sich öffentlich zu
der Tat. Ziel der Aktionen war es, die Widerstandsgruppen und ihre Sympathisanten
einzuschüchtern, zu verunsichern und von weiteren Widerstandshandlungen
abzuhalten. Den Mitgliedern des Kommandos Feldmeijer war unter Androhung
schwerster Strafen strenges Stillschweigen auferlegt.
77
Das Kommando Feldmeijer bestand in wechselnder Besetzung meist aus 12 bis 15
Mann, die von Den Haag aus in den ganzen Niederlanden operierten. Vorzugsweise
wurden hierfür alte (niederländische) Ostfrontkämpfer rekrutiert, weil ihnen solche Taten
am ehesten zugetraut wurden.
78
Die Mitglieder des Kommandos Feldmeijer unterstanden ebenso wie die
Begleitpersonen vom SD der SS-Sondergerichtsbarkeit.
79
Die ersten "Silbertanne"-Aktionen fanden im Oktober 1943 statt. Di. (geboren am
12.07.1914, verstorben am 04.10.1999) war in dem Kommando de facto der
Stellvertreter Feldmeijers, der selbst nur selten mit den Kommandomitgliedern
persönlichen Kontakt aufnahm. Im März 1944 fand der Angeklagte Aufnahme im
Kommando Feldmeijer. Zu dieser Zeit trat der niederländischen Führer der 5.
Germanischen SS-Standarte, Ro., an den Angeklagten mit der Frage heran, ob dieser
bereit sei, Mitglied des Kommandos Feldmeijer zu werden. Der Angeklagte, der dies als
ehrenvolle Aufgabe ansah, stimmte dem, ohne dazu gezwungen worden zu sein, zu und
erhielt kurz darauf einen Stellungsbefehl vom Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF)
Hanns Albin Rauter, wonach er sich beim Stab von Feldmeijer in Den Haag zu melden
habe. Dort nahmen an einer ersten Besprechung neben ihm auch Po., B., Kr., Sl., Kn.,
Mi., v.d.B., Bo. und Kri. teil. Bei einem weiteren, von Feldmeijer selbst geleiteten Treffen,
beschrieb dieser die Aufgaben des Kommandos: persönlicher Schutz Feldmeijers,
Schutz von Besitzgütern der Ostfrontkämpfer, Erkundigung von Aktivitäten des
Untergrundes sowie die Durchführung von Vergeltungsaktionen gegen führende
Personen der Widerstandsbewegung. Dabei zeigte Feldmeijer Fotos von ermordeten
Mitgliedern der NSB und der SS. Er erklärte, dass auf Befehl von Rauter
Gegenmaßnahmen zu ergreifen seien. Es sei die Pflicht der Mitglieder des Kommandos,
die Aufträge genauestens auszuführen und mit niemandem, auch nicht untereinander,
über die Aufträge zu sprechen. Die strenge Geheimhaltung der Kommandoaktionen sei
die erste Pflicht. Werde sie nicht eingehalten, würden die Mitglieder des Kommandos
mit einem Fuß im Konzentrationslager und mit dem anderen im Grab stehen. Die
Todesstrafe sei das Los bei einem Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht. Zu einem
späteren Zeitpunkt ging das Gerücht um, das v.d.B. vom SD liquidiert worden sei, weil er
mit einem Mädchen über einen Auftrag als Kommandomitglied gesprochen habe.
Außerdem waren Mitglieder des Kommandos Feldmeijer unter anderem die Zeugen B.
(geboren am 22.05.1921, lebt heute in Rotterdam), Kr. (geboren am 29.09.1924,
verstorben wahrscheinlich am 03.01.1996), Kn. (geboren am 18.04.1914, verstorben am
25.11.1993) und Po. - genannt: Dij. - (geboren am 31.05.1915, verstorben am
04.05.1993). Insgesamt fielen mindestens 54 Niederländer "Silbertanne" - Aktionen zum
Opfer.
80
Das Kommando Feldmeijer führte wie erwähnt auch andere Aktionen aus, wobei es für
deren Gelingen wie auch bei den "Silbertanne" - Aktionen nützlich war, dass es sich bei
den Kommandomitgliedern durchweg um Niederländer handelte, die Land und Leute
kannten und Sprache und Gepflogenheiten beherrschten.
81
Mitte Mai 1944 wurden drei Mitglieder des Kommandos Feldmeijer (nämlich die Zeugen
Le. und Rs. sowie der Angeklagte) in die Gegend von Helden-Panningen geschickt, um
dort nach Untergetauchten ("Onderduikers") der Widerstandsbewegung zu suchen, die
ihrerseits unterstützt wurden durch die LO (Landelijke Organisatie voor hulp aan
Onderduikers - Nationale Organisation für Hilfe an Untergetauchten). Der Angeklagte,
Le. und Rs. gaben sich in dem Ort und den umliegenden Bauernschaften als
82
untergetauchte Mitglieder der Widerstandsbewegung aus und sammelten Informationen,
die sie nach Rückkehr nach Maastricht an den dortigen SD-Führer weitergaben. Bereits
wenige Tage später fand in Helden-Panningen eine Razzia deutscher Soldaten und des
SD statt, an der auch der Angeklagte teilnahm. Die Razzia führte zur Festnahme von
über 50 Menschen. Einige der Festgenommenen, wahrscheinlich sieben, kamen später
infolge der Inhaftierung ums Leben.
3.
83
a. Fall 1
84
Ende Juni/Anfang Juli 1944 wurde in oder bei Breda ein Attentat auf einen Rottenführer
der Waffen-SS verübt. Hierfür sollten durch das Kommando Feldmeijer Niederländer
getötet werden.
85
Der Angeklagte, damals 22 Jahre alt, der Zeuge B., ebenfalls 22 Jahre alt, und Po., 29
Jahre alt, erhielten deshalb am Freitag, dem 14.07.1944, den Befehl, sich nach Breda zu
begeben und sich dort bei dem SS-Hauptscharführer St. zu melden. Von ihm erhielten
sie einen Umschlag, der die Namen und Adressen eines - heute namentlich nicht mehr
bekannten - Arztes und des Apothekers Fritz Hubert Ernst Bi. enthielt, die erschossen
werden sollten. Dem Angeklagten und seinen Begleitern wurde aufgegeben, die
Anschriften auswendig zu lernen. Ihnen wurde mitgeteilt, dass die Personen eine
leitende Position in der Widerstandsbewegung einnehmen würden. Bedenken oder
Skrupel hegten der Angeklagte oder seine beiden Begleiter zu keinem Zeitpunkt. Sie
führten Papiere mit sich, mit Bild und falschem Namen, die sie wahrheitswidrig als
Mitglieder des SD auswiesen.
86
Sie begaben sich mit einem Fahrzeug des SD nebst dessen Fahrer, des SD-Kraftfahrers
O., zunächst zur Adresse des Arztes, den sie jedoch nicht antrafen.
87
Anschließend fuhren O., der Angeklagte, B. und Po. zum Wohn- und Geschäftshaus des
Fritz Hubert Ernst Bi. in Breda, W.straat 2, wo sie gegen 21:45 Uhr eintrafen.
88
Fritz Hubert Ernst Bi., 56 Jahre alt, Apotheker, verheiratet mit der Zeugin Ra., Vater von
12 Kindern, darunter die Nebenkläger L. Bi., geboren am 19.05.1923, und A. Bi.,
geboren am 11.04.1936, hielt sich zu dieser Zeit in seiner Apotheke im Erdgeschoss
des Hauses auf und bediente eine Kundin.
89
Während Po. absprachegemäß im Auto wartete, betraten der Angeklagte und B. die
Apotheke. Sie trugen Trenchcoats und Schlapphüte, in der Manteltasche jeweils eine
ihnen kurz zuvor ausgehändigte geladene und entsicherte Pistole. Sie warteten, bis die
Kundin kurz darauf die Räumlichkeiten verlassen hatte. Dann fragte der Angeklagte
Boere den offensichtlich arg- und wehrlosen Apotheker, ob er Fritz Hubert Ernst Bi. sei,
was dieser bejahte. Daraufhin zogen der Angeklagte und der Zeuge B. sofort ihre
Pistolen und schossen wortlos jeder mehrmals auf ihr Opfer, in der Absicht, es zu töten.
Bi., auf diese Weise tödlich getroffen, sackte hinter seiner Theke zusammen.
90
Der Angeklagte und B. verließen eilends die Apotheke, stiegen zu dem wartenden Po.
in den Wagen und verließen den Tatort.
91
Die Ehefrau von Fritz Hubert Ernst Bi., die Zeugin Ra., hatte den Motor des Autos und
92
die Schüsse gehört, eilte aus der ersten Etage des Hauses kommend herbei und fand
ihren Mann sterbend oder schon tot vor. Der herbeigerufene Arzt Dr. S. stellte
schließlich den Tod Bi.s fest. Acht leere Patronenhülsen lagen auf dem Verkaufstisch
und auf dem Boden.
b. Fall 2
93
Am Sonntag, dem 03.09.1944, wurde in Voorschoten bei Den Haag ein Anschlag auf
ein führendes Mitglied der NSB namens v.A. begangen, der dabei erstochen wurde.
Erneut sollten deshalb durch das Kommando Feldmeijer Niederländer getötet werden.
94
Der Zeuge Kr., 19 Jahre alt, und der Angeklagte erhielten deshalb auf der Dienststelle
der Landwacht in Den Haag den Auftrag, diese Aktion auszuführen. Ein weiterer Auftrag
sollte von den Zeugen B. und Sl. erledigt werden. Ohne Bedenken zu äußern oder auch
nur zu hegen, kamen sie dem Auftrag nach. Von einem sie auf der Fahrt nach
Voorschoten im Auto begleitenden Mitarbeiter des SD erhielten sie während der Fahrt
Namen und Adressen der ins Auge gefassten Opfer, die sie sich wieder merken sollten.
Ihnen wurde auch mitgeteilt, dass beide Personen führende Mitglieder der
Widerstandsbewegung in Voorschoten seien. Außerdem bekamen sie eine Pistole der
Marke Walther P.P. Kaliber 7,65 mm mit Munition.
95
Sie fuhren zunächst zur Wohnung des Teunis de G. in Voorschoten, Sch.straat, wo sie
am Morgen gegen 07:30 Uhr eintrafen.
96
Teunis de G., 42 Jahre alt, Fahrradhändler, verheiratet mit Mo., Vater von fünf Kindern,
darunter der Nebenkläger T. de G., geboren am 03.12.1932, hielt sich in seiner
Wohnung auf.
97
Während der SD-Mann das Auto ein wenig abseits parkte, begaben sich der Angeklagte
und Kr. zur Haustür und klingelten. De G. öffnete. Die beiden Kommandoangehörigen,
wie im Falle des getöteten Apothekers Bi. bekleidet und bewaffnet, wiesen sich als SD-
Leute aus und der Angeklagte verlangte, den Ausweis von de G. zu dessen
Identifizierung zu sehen. Dieser holte das Papier, ohne Verdacht zu schöpfen, und
entschuldigte sich, dass er noch nicht vollständig bekleidet sei. Ohne weitere Worte
zogen der Angeklagte und danach Kr. ihre Waffen und gaben jeder die Arg- und
Wehrlosigkeit ihres Opfers ausnutzend mindestens zwei Schüsse auf Teunis de G. ab in
der Absicht, ihn zu töten. Nach den eigenen Angaben des Angeklagten zog er die
schussbereite Pistole aus seiner rechten Jackentasche und schoss in Richtung des
Herzens von Teunis de G.. Dieser brach im Flur seiner Wohnung tödlich getroffen
zusammen.
98
Kr. und der Angeklagte gingen zum Auto zurück.
99
Der Bruder von Teunis de G., der sich in Kenntnis des Anschlages auf v.A. Sorgen
machte, fand den Getöteten wenig später in einer großen Blutlache in der Diele liegend.
100
c. Fall 3
101
Der Angeklagte, Kr. und der SD-Mann fuhren sodann weiter zum Hause des Frans
Willem Ku. in Voorschoten, wo sie gegen 08:15 Uhr eintrafen.
102
Frans Willem Ku., 28 Jahre alt, Prokurist in einer Kunsthonigfabrik, kinderlos verheiratet
mit Ba., hielt sich im Haus auf, war aber wegen der frühen Morgenstunde noch nicht
vollständig angekleidet.
103
Auf das Klingeln der beiden Täter, die wiederum die Arg- und Wehrlosigkeit ihres Opfers
auszunutzen gedachten, öffnete die Zeugin Ba. im Morgenrock die Tür. Nachdem sie
sich legitimiert hatten, rief die Zeugin Ba. auf Verlangen der beiden Männer ihren
arglosen Ehemann hinzu. Da es den Kommandoangehörigen verboten war, die
Erschießungen in Gegenwart anderer Personen vorzunehmen, verlangten der
Angeklagte und Kr. Auskunft, ob Ku. Untergetauchte ("Onderduikers") versteckt habe,
was dieser verneinte und zum Beweis eine gemeinsame Hausbegehung anbot.
Gefunden wurde hierbei niemand. Um ihren Tötungsplan nun doch noch umsetzen zu
können, beanstandeten Kr. und der Angeklagte den Ausweis des Frans Willem Ku. und
verlangten, dass er mit zur Polizei zur Kontrolle komme. Sein Ansinnen, selbst mit dem
Fahrrad zur Polizei zu fahren, lehnten sie ab.
104
Frans Willem Ku., der keine Möglichkeit sah, sich dem zu entziehen, bestieg deshalb
gemeinsam mit dem Angeklagten und Kr. den Wagen. Der SD-Mann fuhr Richtung
Wassenar. Auf der Waldeck-Pyrmontlaan in Höhe des Hauses Nr. 14 täuschte der SD-
Mann, wie zuvor für einen solchen Fall vereinbart, eine Panne vor. Frans Willem Ku.
verließ, auf Aufforderung, nach dem Schaden zu sehen, das Fahrzeug und ergriff sofort
die Flucht. Der unmittelbar hinter ihm ausgestiegene Angeklagte und Kr. schossen nun
aus wenigen Metern Entfernung auf den Fliehenden, um ihn zu töten. Tödlich getroffen
brach Frans Willem Ku. am Gartenzaun des Hauses Nr. 14, der Villa Constance,
zusammen. Aus einer Halswunde spritzte fontänenartig 10 bis 15 Zentimeter hoch das
Blut. Man ließ ihn dort liegen.
105
Sofort bestiegen der Angeklagte, Kr. und der SD-Mann das Auto wieder und fuhren zur
Zentrale nach Den Haag.
106
Der Vorfall war von Anwohnern bemerkt worden. Die herbeigerufene niederländische
Polizei fand am Tatort im Umkreis der Leiche mehrere Patronenhülsen.
107
4.
108
Nachdem der Angeklagte am 09.06.1947 aus der Gefangenschaft hatte fliehen können,
verhandelte am 04.10.1949 der Bijzondere Gerechtshof te Amsterdam
(Sondergerichtshof zu Amsterdam), Aktenzeichen 358-12269-`49, gegen den
Angeklagten unter anderem wegen der unter II. 3. dargestellten Taten zum Nachteil des
Fritz Hubert Ernst Bi., des Teunis de G. und des Frans Willem Ku.; der Angeklagte war,
da flüchtig, nicht anwesend, und wurde auch nicht durch einen Wahl- oder
Pflichtverteidiger vertreten, weil dies nach niederländischem Recht nicht erforderlich
war. Durch Urteil des Sondergerichtshofs vom 18.10.1949 wurde der Angeklagte
aufgrund dieser Hauptverhandlung zum Tode verurteilt.
109
In diesem Urteil heißt es in der übersetzten Fassung unter anderem wie folgt:
110
" Der BIJZONDER GERECHTSHOF (Sondergerichtshof) Amsterdam, Erste Kammer,
verhandelt
111
aufgrund der Unterlagen, zu denen auch die Vorladung gehört, die im Namen des
112
leitenden Generalstaatsanwalts beim Sondergericht und laut Mitteilung der
Geschäftsstelle des Sondergerichtshofs am 21. September 1949 dieser Geschäftsstelle
übermittelt wurden, deren Übermittlung an diesem Datum durch eine Mitteilung
ihrerseits beim Sondergerichtshof öffentlich ausgehängt wurde;
nach Anhörung der Anklage des leitenden Generalsstaatsanwalts gegen den
Angeklagten, der vorgeladen wurde als:
113
HEINRICH BOERE
114
seines Zeichens Schumacher, geboren in E. (Deutschland) am 27. September 1921 und
wohnhaft in Maastricht, Burgemeester van Akenstraat 3, zurzeit ohne bekannten
Aufenthaltsort.
115
In Anbetracht der Feststellung des Nichterscheinens des Angeklagten,
116
in Anbetracht der Untersuchung in der Hauptverhandlung;
117
nach Anhörung der vom leitenden Generalsstaatsanwalt geforderten Strafe;
118
in der Erwägung, dass der Angeklagte in der folgenden Sache vorgeladen wurde, wobei
ihm vorgeworfen wurde:
119
A.
120
...
121
B.
122
...
123
C.
124
dass er sich in Helden-Panningen und Umgebung, beziehungsweise in den
Niederlanden, beziehungsweise dort oder andernorts in Europa, an einigen Tagen im
Mai 1944, auf jeden Fall während des Zeitraums zwischen dem 10. Mai 1940, dem
Beginn des von Deutschland gegen die Niederlande geführten Krieges, und dem 15.
Mai 1945, während der Zeit des oben genannten Krieges zum Vorteil des Feindes und
gemeinsam mit J.G. Rs. und N.J. Le., vorsätzlich als untergetauchte Person, die eine
Unterkunft suchte, ausgegeben hat, und der Sicherheitspolizei in Maastricht über die
ihm und Le. und Rs. in dieser Eigenschaft gewährte Hilfe, sowie über die Auskünfte und
Angaben in Bezug auf die Hilfe an Untergetauchte und sonstige illegale Tätigkeiten,
über die sie aufgrund des von ihnen erworbenen Vertrauens erfuhren, Bericht erstattet
hat;
125
D.
126
dass er in Breda, beziehungsweise in den Niederlanden, beziehungsweise dort oder
andernorts in Europa, am 14. Juli 1944 oder um dieses Datum herum, auf jeden Fall
während des Zeitraums zwischen dem 10. Mai 1940, dem Beginn des von Deutschland
gegen die Niederlande geführten Krieges, und dem 15. Mai 1945, gemeinsam mit J.P.
127
B., oder einem anderen, zwecks Ausführung ihres zuvor in ruhiger Überlegung
verfassten Plans, den oben genannten F.H.E. Bi. vorsätzlich zu töten, beziehungsweise
dem oben genannten Bi. vorsätzlich schwere körperliche Verletzungen zuzufügen; dass
sowohl er, der Angeklagte, als auch J.P. B., oder der andere, jeder aus einer scharf
geladenen Pistole, oder einer Feuerwaffe, aus kurzer Entfernung einen oder mehrere
Schüsse auf den genannten Bi. abgegeben haben, so dass der genannte Bi. durch die
von ihm, dem Angeklagten, und von J.P. B. abgefeuerten Schüsse, derart getroffen und
verletzt wurde und solche schweren körperlichen Verletzungen davon trug, dass er
unmittelbar danach, auf jeden Fall bald danach, an deren Folgen gestorben ist. Dabei
hat er, der Angeklagte, beim Obigen die Machtposition, Gelegenheit und/oder die Mittel
eingesetzt, die ihm durch die Tatsache der feindlichen Besatzung geboten wurden, da
er damals als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS oder als
(ehemaliges) Mitglied der Waffen-SS über eine Schusswaffe verfügte, was damals kraft
deutscher Verordnung allen guten Niederländern verboten war, und da er für die Fahrt
zu der Wohnung des oben genannten Bi. und zurück ein dazu von oder im Namen der
Sicherheitspolizei zur Verfügung gestelltes Fahrzeug benutzte;
E.
128
dass er in Voorschoten, beziehungsweise in den Niederlanden, beziehungsweise dort
oder andernorts in Europa, am 3. September 1944 oder um dieses Datum herum, auf
jeden Fall während des Zeitraums zwischen dem 10. Mai 1940, dem Beginn des von
Deutschland gegen die Niederlande geführten Krieges, und dem 15. Mai 1945,
gemeinsam mit H. Kr., oder einem anderen, zwecks Ausführung ihres zuvor in ruhiger
Überlegung verfassten Plans zur vorsätzlichen Tötung von T. de G., beziehungsweise
zwecks Ausführung ihres Vorhabens, dem oben genannten T. de G. vorsätzlich schwere
körperliche Verletzungen zuzufügen, aus einer scharf geladenen Pistole, oder einer
Feuerwaffe, aus kurzer Entfernung einen oder mehrere Schüsse auf den genannten T.
de G. abgegeben hat, so dass der genannte T. de G. durch die von ihm, dem
Angeklagten, und von H. Kr. abgefeuerten Schüsse, derart getroffen und verletzt wurde
und solche schweren körperlichen Verletzungen davon trug, dass er unmittelbar
danach, auf jeden Fall bald danach, an deren Folgen gestorben ist. Dabei hat er, der
Angeklagte, beim Obigen die Machtposition, Gelegenheit und/oder Mittel eingesetzt, die
ihm durch die Tatsache der feindlichen Besatzung geboten wurden, da er damals als
Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS oder als (ehemaliges)
Mitglied der Waffen-SS über eine Schusswaffe verfügte, was damals kraft deutscher
Verordnung allen guten Niederländern verboten war;
129
F.
130
dass er in Wassenaar, beziehungsweise in den Niederlanden, beziehungsweise dort
oder andernorts in Europa, am 3. September 1944 oder um dieses Datum herum, auf
jeden Fall während des Zeitraums zwischen dem 10. Mai 1940, dem Beginn des von
Deutschland gegen die Niederlande geführten Krieges, und dem 15. Mai 1945,
gemeinsam mit H. Kr., oder einem anderen, zwecks Ausführung ihres zuvor in ruhiger
Überlegung verfassten Plans, F.W. Ku. vorsätzlich zu töten, beziehungsweise dem
genannten F.W. Ku. vorsätzlich schwere körperliche Verletzungen zuzufügen, aus einer
scharf geladenen Pistole, oder einer Feuerwaffe, aus kurzer Entfernung einen oder
mehrere Schüsse auf den genannten F.W. Ku. abgegeben hat, so dass der genannte
F.W. Ku. durch die von ihm, dem Angeklagten, und von H. Kr. beziehungsweise
jenemanderen abgefeuerten Schüsse, derart getroffen und verletzt wurde und solche
131
schweren körperlichen Verletzungen davon trug, dass er unmittelbar danach, auf jeden
Fall bald danach, an deren Folgen gestorben ist; dabei hat er, der Angeklagte, beim
Obigen die Machtposition, Gelegenheit und/oder Mittel eingesetzt, die ihm durch die
Tatsache der feindlichen Besatzung geboten wurden, da er damals als Mitglied des
Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS oder als (ehemaliges) Mitglied der
Waffen-SS über eine Schusswaffe verfügte, was damals kraft deutscher Verordnung
allen guten Niederländern verboten war.
132
In der Erwägung, dass durch den oben genannten Inhalt der vorstehenden Beweismittel
- von denen jedes Beweismittel angesehen wird als Beweis für die Tatsache, auf die
sich der Beweis bezieht - die darin beschriebenen Tatsachen und Umstände feststehen,
und der Gerichtshof auf der Grundlage dieser Beweismittel zu der Überzeugung gelangt
ist und es als gesetzlich bewiesen erachtet:
133
A.
134
...
135
C.
136
dass der Angeklagte sich an einigen Tagen im Mai 1944, während der Zeit des oben
genannten Krieges, in Helden-Panningen und Umgebung gemeinsam mit J.G. Rs. und
H.J. Le. vorsätzlich zum Vorteil des Feindes als untergetauchter Flüchtling ausgegeben
hat, der auf der Suche nach einem neuen Versteck war, und dass er über die ihm und
Le. und Rs. aus diesem Grund gewährte Hilfe, sowie über die Informationen und
Angaben über die Hilfe an Untergetauchte und sonstige illegale Tätigkeiten, die ihnen
infolge des ihnen gewährten Vertrauens zuteil geworden waren, der Sicherheitspolizei
in Maastricht Bericht erstattet hat;
137
D.
138
dass der Angeklagte am 14. Juli 1944, oder um dieses Datum herum, in Breda
gemeinsam mit J.P. B. zwecks Ausführung ihres zuvor nach ruhiger Überlegung
ausgedachten und entwickelten Plans zur vorsätzlichen Tötung von F.H.E. Bi.,
vorsätzlich, sowohl er, der Angeklagte, als auch J.P. B., aus einer scharf geladenen
Schusswaffe aus nächster Entfernung mehrere Schüsse auf den genannten F.H.E. Bi.
abgefeuert hat, durch die der genannte F.H.E. Bi. derart getroffen und verwundet wurde
und derart schwere körperliche Verletzungen davon trug, dass er bald darauf an den
Folgen gestorben ist, wobei er, der Angeklagte, für die oben beschriebene Tat die
Gelegenheit und die Mittel genutzt hat, die ihm die Tatsache der feindlichen Besatzung
bot, indem er zu dem Zeitpunkt als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der
Germanischen SS über eine Schusswaffe verfügte und indem er für die Hin- und
Rückfahrt zu der Wohnung von Bi. ein von oder im Namen der Sicherheitspolizei zur
Verfügung gestelltes Auto benutzte;
139
E.
140
dass der Angeklagte am 3. September 1944, oder um dieses Datum herum, in
Voorschoten gemeinsam mit H. Kr. zwecks Ausführung ihres zuvor nach ruhiger
141
Überlegung ausgedachten und entwickelten Plans zur vorsätzlichen Tötung von T. de
G., vorsätzlich, sowohl er, der Angeklagte, als auch H. Kr., aus einer scharf geladenen
Schusswaffe aus nächster Entfernung mehrere Schüsse auf den genannten T. de G.
abgefeuert hat, durch die der genannte T. de G. derart getroffen und verwundet wurde
und derart schwere körperliche Verletzungen davon trug, dass er bald darauf an den
Folgen gestorben ist, wobei er, der Angeklagte, für die oben beschriebene Tat die
Gelegenheit und Mittel genutzt hat, die ihm die Tatsache der feindlichen Besatzung bot,
indem er zu dem Zeitpunkt als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen
SS über eine Schusswaffe verfügte;
F.
142
dass der Angeklagte am 3. September 1944, oder um dieses Datum herum, in
Wassenar gemeinsam mit H. Kr. zwecks Ausführung ihres zuvor in ruhiger Überlegung
ausgedachten und entwickelten Plans zur vorsätzlichen Tötung von F.W. Ku.,
vorsätzlich, sowohl er, der Angeklagte, als auch H. Kr., aus einer scharf geladenen
Schusswaffe aus nächster Entfernung mehrere Schüsse auf den genannten F.W. Ku.
abgefeuert hat, durch die der genannte F.W. Ku. derart getroffen und verwundet wurde
und derart schwere körperliche Verletzungen davon trug, dass er bald darauf an den
Folgen gestorben ist, wobei er, der Angeklagte, für die oben beschriebene Tat die
Gelegenheit und Mittel genutzt hat, die ihm die Tatsache der feindlichen Besatzung bot,
indem er zu dem Zeitpunkt als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen
SS über eine Schusswaffe verfügte;
143
in der Erwägung, dass es im August 1940. Oder um dieses Datum herum, in Maastricht
allgemein bekannt war - was heutzutage offenkundig ist - dass Deutschland sich damals
seit dem 10. Mai 1940 mit den Niederlanden im Krieg befand;
144
dass der Gerichtshof deshalb davon ausgeht, dass der Angeklagte davon bei seinem
oben genannten Dienstantritt gewusst hat;
145
in der Erwägung, dass dem Angeklagten über die oben als bewiesen erachteten Taten
hinaus, keine weiteren oder anderen Taten als gesetzlich und überzeugend bewiesen
zur Last gelegt werden können;
146
in der Erwägung, dass das oben als bewiesen Erklärte dem Gesetz nach strafbar ist,
weil es zu den nachstehenden Verbrechen geführt hat;
147
in der Erwägung, dass der Angeklagte deshalb strafbar ist, weil sich in Bezug auf ihn
keine Strafausschließungsgründe ergeben haben;
148
in der Erwägung, dass die nachstehende Strafe der Ernsthaftigkeit der verübten
Straftaten, den Umständen, unter denen diese verübt wurden, und der Person und den
persönlichen Umständen des Angeklagten entspricht, wie sich in der Verhandlung
gezeigt hat;
149
in der besonderen Erwägung, dass allein schon der abscheuliche Anteil des
Angeklagten an mehreren Silbertanne-Aktionen die Verhängung der schwersten Strafe
rechtfertigt;
150
gemäß den Artikeln 28, 57, 101, 102, 289 des Wetboek van Strafrecht (Strafgesetzbuch);
151
gemäß den Artikeln 1, 7, 8, 9, 11 des Besluit Buitengewoon Strafrecht ?niederländischer
Erlass über das Außerordentliche Strafrecht?;
152
ERGEHT IM NAMEN DER KÖNIGIN FOLGENDES URTEIL:
153
Der Sondergerichtshof erklärt es somit als gesetzlich erwogen und überzeugend
erwiesen, dass der Angeklagte die ihm in der Vorladung zu Last gelegten Taten
begangen hat, und dass das auf diese Weise Bewiesene darin besteht:
154
"freiwilliger Eintritt in den Kriegsdienst einer ausländischen Macht als Niederländer, mit
dem Wissen, dass diese sich mit den Niederlanden im Krieg befindet";
155
"vorsätzliche Unterstützung des Feinds während der Dauer des derzeitigen Krieges";
156
"mehrfacher Mord während der Dauer des derzeitigen Krieges, wobei der Schuldige die
Gelegenheit und Mittel genutzt hat, die sich ihm durch die Tatsache der feindlichen
Besatzung geboten haben";
157
Der Bijzonder Gerechtshof erklärt das Bewiesene und den Angeklagten deswegen als
strafbar;
158
und verurteilt den oben genannten HEINRICH BOERE
159
zur Todesstrafe;
160
Der Bijzonder Gerechtshof erklärt als nicht bewiesen, was ihm ansonsten oder auf
andere Weise zur Last gelegt wurde,
161
spricht den Angeklagten davon frei,
162
und erkennt dem Angeklagten das Recht ab:
163
1. öffentliche Ämter zu bekleiden;
164
2. bei der bewaffneten Macht zu dienen;
165
3. bei kraft Gesetzes ausgeschriebenen Wahlen zu wählen oder sich zur Wahl
166
zu stellen;
167
dies alles auf Lebenszeit.
168
Geurteilt von Mr. A.G. Lubbers stv. Präsident
169
Mr. Dr. F.C. Cremer und
170
Gen.-Maj. A.D. A.R. van den Bent Gerichtsräte
171
anwesend im Ratszimmer Mr. A. Cohen Tervaert stv. Urkundsbeamter
172
und vom besagten Mr. A.G. Lubbers in der öffentlichen Gerichtsverhandlung des oben
genannten Bijzonder Gerechtshof am 18. Oktober 1949 verkündet."
173
Nach Artikel 2 und Artikel 16 des niederländischen Königlichen Erlasses vom
22.12.1943 über das Außerordentliche Strafrecht (Besluit Buitengewoon Strafrecht) in
Verbindung mit Art. 59 des niederländischen Militärstrafgesetzbuches (Wetboek van
Militair Strafrecht) hat sich die gegen den Angeklagten verhängte Todesstrafe
zwischenzeitlich von Rechts wegen in eine lebenslange Gefängnisstrafe umgewandelt,
weil die Todesstrafe nicht binnen einer Frist von fünf Jahren nach Eintreten der
Rechtskraft der Verurteilung vollstreckt werden konnte.
174
Erst am 05.02.1980 – 35 Jahre nach Kriegsende - ersuchte die Königlich-
Niederländische Botschaft die Bundesrepublik Deutschland um die Auslieferung des
Verurteilten zur Vollstreckung des Urteils vom 18.10.1949. Nachdem das
Oberlandesgericht Köln am 24.01.1983 die Auslieferungshaft gegen den Angeklagten
angeordnet hatte, wurde dieser am 28.02.1983 im Alter von 61 Jahren festgenommen
und am selben Tage dem Haftrichter des Amtsgerichts E. vorgeführt.
175
In dem richterlichen Anhörungsprotokoll heißt es u.a.:
176
Vorgeführt erschien der staatenlose Heinrich Boere, geboren am 27. September 1921 in
E., wohnhaft … E., Rentner, früher Bergmann.
177
Dem Verfolgten wurde der Auslieferungshaftbefehl des Oberlandesgerichts in Köln vom
24.01.1983 – Ausl. 17/80 – 4/80 – richterlich bekannt gegeben und eine
Beschlussausfertigung ausgehändigt.
178
Dem Verfolgten wurde die Verbalnote der Königlich-Niederländischen Botschaft in
Bonn vom 05.02.1949, das Urteil des Sondergerichtshofes Amsterdam vom 18.10.1949,
der Haftbefehl der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Amsterdam vom 21.11.1949,
das Protokoll über die Sitzung des Sondergerichtshofes Amsterdam vom 04.10.1949,
die Gesetzesbestimmungen (Bl. 34 - 39/76 - 85 d. A.) und die Sachverhaltsdarstellung
der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Amsterdam bekannt gemacht.
179
Am 05.05.1983 hob das Oberlandesgericht Köln auf Antrag der Staatsanwaltschaft den
Haftbefehl vom 24.01.1983 auf. Der Angeklagte wurde am selben Tage aus der
Auslieferungshaft entlassen.
180
Durch Beschluss vom 25.05.1983 erklärte das Oberlandesgericht Köln die Auslieferung
des Angeklagten an die Niederlande zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des
Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18.10.1949 für unzulässig, weil zumindest nicht mit
der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte nach
dem Erlass über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einstellung in die
deutsche Wehrmacht, die Waffen-SS, die deutsche Polizei oder die Organisation Todt
vom 19.05.1943 oder auf Grund dieses Erlasses die deutsche Staatsangehörigkeit
erworben haben könnte.
181
Hinsichtlich der Taten vom 14.07.1944 in Breda und vom 03.09.1944 in Voorschoten
und Wassenaar (also der Tötungen des Fritz Hubert Ernst Bi., des Teunis de G. und des
Frans Willem Ku.) wurden auch in der Bundesrepublik Deutschland
Ermittlungsverfahren geführt. Durch Verfügung des Leiters der Zentralstelle im Lande
182
Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen
bei der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 15.02.1984 wurde das unter anderem auch
gegen den Angeklagten Boere gerichtete Ermittlungsverfahren (45 Js 18/83 StA
Dortmund, das ist das vorliegende Verfahren) gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Zur
Begründung wurde unter anderem folgendes ausgeführt:
" … Danach enthielt die Anordnung, den Anschlägen des niederländischen
Widerstandes mit möglichst gleichartigen Taten zu begegnen, keine Weisung, die
Humanitätsschranke zu überschreiten. Sie verstieß mithin insoweit nicht gegen die vom
Völkerrecht für Repressalmaßnahmen aufgestellten Erfordernisse. Dementsprechend
kann auch hinsichtlich der Durchführung der einzelnen Silbertanneaktionen von einem
Überschreiten der Humanitätsgrenze solange keine Rede sein, wie sie sich im Rahmen
der allgemeinen Anordnung gehalten hat und Gleiches mit Gleichem vergolten worden
ist.
183
Obwohl in keinem der Fälle 1 bis 13 insoweit Feststellungen zu treffen sind, unterliegt
es keinem Zweifel, dass die Angehörigen der niederländischen Widerstandsgruppe bei
den von ihnen begangenen Tötungen vor einer meuchlerischen Handlungsweise im
Sinne von Art. 23 Buchst. b HLKO nicht zurückgeschreckt sind. Deshalb durfte auch im
Rahmen der Silbertanneaktionen meuchlerisch gemordet werden.
184
185
Danach entsprachen die Silbertanneaktionen, so widerwärtig und abscheulich sie auch
im Vergleich zu den Anschlägen der niederländischen Widerstandskämpfer waren,
jedenfalls dem damals geltenden Völkerrecht. Ihre Anordnung und Durchführung war
zulässig und rechtmäßig. … "
186
Unter dem Datum vom 23.06.2003 - fast 20 Jahre nach dem Auslieferungsersuchen -
ersuchte das Niederländische Justizministerium die zuständigen deutschen Behörden
um Übernahme der Vollstreckung der durch Urteil des Sondergerichtshofs Amsterdam
vom 18.10.1949 gegen den Angeklagten verhängten lebenslangen Gefängnisstrafe.
Weiterhin wurde das Bundesjustizministerium vom Niederländischen Justizministerium
unter dem Datum vom 23.06.2003 ersucht, zu veranlassen, dass der Angeklagte in
Untersuchungshaft genommen werde, solange die Behandlung des vorgenannten
Ersuchens schwebe.
187
Durch Beschluss vom 16.09.2003 lehnte es die Strafvollstreckungskammer beim
Landgericht Aachen (33h StVK 724/03) ab, gegen den Angeklagten einen Haftbefehl
zur Sicherung der Vollstreckung zu erlassen, weil kein Grund zu der Befürchtung
bestehe, dass der Angeklagte die Flucht ergreifen werde, und angesichts seines hohen
Lebensalters eine Inhaftierung darüber hinaus auch unverhältnismäßig erscheine.
188
Mit Beschluss vom 20.02.2007 erklärte die hiesige Strafvollstreckungskammer (33h
StVK 553/04) das Urteil des Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18. Oktober 1949
sodann insoweit für in Deutschland vollstreckbar, als der Angeklagte durch die
Entscheidung wegen mehrfachen Mordes verurteilt worden sei, und wandelte die
verhängte (schon umgewandelte) lebenslange Gefängnisstrafe in eine lebenslange
Freiheitsstrafe um.
189
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten hob das Oberlandesgericht Köln mit
190
Beschluss vom 03.07.2007 (2 Ws 156/07) den Beschluss der
Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 20.02.2007 auf und lehnte
eine Übernahme der Vollstreckung ab. Tragend hierfür war, dass der Senat durch das
Urteil des Sondergerichtshofs zu Amsterdam vom 18.10.1949 völkerrechtlich
verbindliche Mindeststandards verletzt sah, weshalb nach § 49 Abs.1 Nr. 2 IRG die
Vollstreckung in Deutschland unzulässig sei. Es hätte nämlich, so führte der Senat aus,
angesichts des Vorwurfs schwerwiegender, mit sehr hoher Strafe bedrohter Straftaten in
einem Abwesenheitsverfahren ohne tatsächliche nachträgliche
Überprüfungsmöglichkeit vor dem Sondergerichtshof zu Amsterdam jedenfalls der
Mitwirkung eines Verteidigers bedurft. Dass die niederländische Strafprozessordnung
(Wetboek van Strafvordering) das prozessrechtliche Institut der Pflichtverteidigung
damals nicht gekannt habe, rechtfertige es nicht, im Rechtshilfeverfahren von den
Mindeststandards abzuweichen. Zudem habe für den Angeklagten auch nachträglich
keine Möglichkeit zur effektiven Rechtsverteidigung bestanden.
Daraufhin nahm die Staatsanwaltschaft Dortmund die Ermittlungen gegen den
Angeklagten wieder auf und erhob mit Datum vom 14.04.2008 Anklage wegen des
Vorwurfs des Mordes in drei Fällen.
191
Mit Beschluss vom 07.01.2009 lehnte die Kammer die Eröffnung des Hauptverfahrens
nach Einholung eines Gutachtens des internistisch-kardiologischen Sachverständigen
Prof. Dr. F., Universität zu Köln, im Hinblick auf den Gesundheitszustand des
Angeklagten wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit ab, wobei die Auslagen des
Angeklagten nicht der Staatskasse auferlegt wurden. Das Oberlandesgericht Köln
eröffnete auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft nach Vernehmung zweier
Pflegekräfte des Seniorenheims, in dem der Angeklagte lebt, durch Beschluss vom
01.07.2009 (2 Ws 69/09) das Hauptverfahren vor der Kammer. Eine hiergegen vom
Angeklagten eingelegte Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1724/09) blieb am 06.10.2009
erfolglos.
192
III.
193
1.
194
Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten unter I. beruhen auf seinen
verlesenen schriftlichen Erklärungen vom 27.11.2009 und 23.02.2010, die er
ausdrücklich als seine eigenen Erklärungen bezeichnete, seinen ergänzenden
mündlichen Angaben auf Fragen des Gerichts, wobei er nur an einem Tag Fragen
beantwortete und im übrigen schweigend am Prozess teilnahm. Die Feststellungen
stützen sich ferner auf die ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls verlesenen
Urkunden und in Augenschein genommenen Papiere, insbesondere aus dem Archiv der
Gemeindepolizei Maastricht: Archief Gemeentepolitie Maastricht II, dossier 127, Afd.
Politike Recherche, dossier Nr. 615, unter anderem den Ermittlungsvermerk des
Polizeibeamten Lm. und die protokollierte Aussage des Zeugen Ms.. Diese Urkunden
sind auf Antrag der Nebenklage im Wege der Rechtshilfe beigezogen und übersetzt
worden.
195
2.
196
Die ferner unter I. und II. getroffenen Feststellungen beruhen auf den schriftlichen, am
08.12.2009 und 23.02.2010 verlesenen Erklärungen des Angeklagten, der diese
197
wiederum ausdrücklich als seine eigenen bezeichnete, der zur Sache ergänzende
Fragen aber nicht beantwortete. Sie beruhen ferner auf den ausweislich des
Hauptverhandlungsprotokolls erhobenen Beweisen und verlesenen Urkunden, hier in
erster Linie auf den verlesenen Protokollen der Vernehmungen verstorbener Zeugen
nebst deren Sterbeurkunden zum Teil in übersetzter Form, der Inaugenscheinnahme der
Lichtbilder vom Getöteten Frans Willem Ku. und einer audiovisuellen Vernehmung des
in Rotterdam aufhältigen Zeugen B. sowie auf allgemein bekanntem oder in öffentlich
zugänglicher Literatur enthaltenem Wissen.
a.
198
Der Angeklagte, der die Taten nie bestritten hat, hat die Umstände seiner Aufnahme
beim Kommando Feldmeijer und die drei Taten und deren Begleitumstände so
geschildert, wie es unter I. und II. von der Kammer festgestellt worden ist. Auf eine
Wiedergabe seiner Einlassung kann daher verzichtet werden.
199
Hinsichtlich der Geschehnisse in Helden-Panningen im Mai 1944 hat er ergänzend
ausgeführt, dass er sich eigentlich nur daran erinnern könne, dass er mit mehreren
Kameraden in einem Dorf nach untergetauchten Personen gesucht habe; er wisse aber
nicht mehr, ob das Helden-Panningen gewesen sei.
200
Ferner hat er von einem dritten Auftrag berichtet, der in Amsterdam habe ausgeführt
werden sollen. Bei der Besprechung hätten B. und er einen Zettel mit zwei Namen von
Personen in Amsterdam erhalten. Der erste Mann sei Tierarzt und der zweite Mann sei
Arzt gewesen. Beide seien aber nicht angetroffen worden, so dass der Auftrag nicht
ausgeführt worden sei.
201
Weiter hat sich der Angeklagte wie folgt eingelassen:
202
Von Personen, die hätten erschossen werden sollen, habe man ihnen immer wieder
gesagt, dass diese eine führende Position in der Widerstandsbewegung eingenommen
und Aufträge erteilt hätten, Mitglieder der NSB und der SS zu erschießen. Für ihn seien
das damals auf Anschläge der Widerstandsbewegung unmittelbar folgende
Vergeltungsmaßnahmen gewesen, mit denen der Widerstand natürlich gerechnet habe.
Mitglieder der NSB hätten das bei öffentlichen Veranstaltungen und in Zeitungen des
Öfteren angekündigt. Er habe diese Aufträge immer als einen militärischen Befehl
angesehen, den es unbedingt zu befolgen gegolten habe. Ihm sei 1944 nie der
Gedanke gekommen, dass die Handlungen im Krieg unrechtmäßig sein könnten. Vor
jedem Einsatz sei ihnen vom SD oder von ihren militärischen Vorgesetzten mitgeteilt
worden, dass es sich bei den Opfern um Personen handele, die für die Attentate
verantwortlich seien.
203
Die Durchführung sämtlicher Kommandoeinsätze sei vom SD - dem Fahrer und einer
weiteren Begleitperson - begleitet und überwacht worden.
204
Hätten sie den Auftrag nicht ausgeführt, hätte der SD sofort entsprechende Meldung
gemacht. Als einfacher Soldat habe er gelernt, Befehle auszuführen, und gewusst, dass
er bei Nichtbefolgen eines Befehls seinen Eid brechen und selbst erschossen werden
würde. Er habe damals keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass die Befehle und
Aufträge, die ihm erteilt worden seien, nicht rechtens sein würden. Für ihn und seine
Kameraden seien das Repressalmaßnahmen gegen die Widerstandskämpfer gewesen,
205
die ihres Erachtens notwendig und rechtens waren. Bei jeder Einweisung und
Vorbereitung einer Aktion sei ihnen das von ihren Vorgesetzten mitgeteilt worden. Er
habe 1944 zu keinem Zeitpunkt in dem Bewusstsein oder dem Gefühl gehandelt, ein
Verbrechen zu begehen.
Heute, 65 Jahre danach, sehe er das natürlich aus einem anderen Blickwinkel.
206
b.
207
Die einem Geständnis gleichkommende Einlassung des Angeklagten steht, soweit sie
das tatsächliche Geschehen an den beiden Tattagen im Juli und September 1944 und
weitere Zusammenhänge und Begleitumstände betrifft, in allen wesentlichen Punkten in
Übereinstimmung mit den gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesenen Niederschriften
der Aussagen verstorbener Tatzeugen und Mittäter beziehungsweise der
Übersetzungen dieser Niederschriften, so dass die Kammer keine Bedenken hat, der
Einlassung zum Tatgeschehen zu folgen, wobei ergänzende begleitende
Feststellungen den Zeugenangaben entnommen worden sind.
208
Die Kammer hat insoweit die im Sitzungsprotokoll konkret aufgeführten
Vernehmungsprotokolle und Übersetzungen der Vernehmungsprotokolle durch
Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Dabei betrafen die
Vernehmungen der Zeugen Ra., Po. alias "Dij.", … O., St., …, Dr. S., … Hr. und Ro. die
Tat zum Nachteil des Fritz Hubert Ernst Bi. und deren Begleitumstände. Die
Vernehmungen des Kr. betrafen die Tötungen des Teunis de G. und des Frans Willem
Ku. und deren Begleitumstände. Der Zeuge S. de G. machte Angaben zum Tode seines
Bruders. Die Vernehmungen der Ba. sowie der Zeugen … betrafen die Tat zum Nachteil
des Frans Willem Ku..
209
Die nach niederländischem Recht beeidete Aussage des einzigen noch lebenden
Tatzeugen und Mittäters im Fall Fritz Hubert Ernst Bi., des B., im Rahmen seiner
audiovisuellen Vernehmung bestätigte lediglich, dass der Angeklagte im Fall des
Apothekers Bi. an der Tötungshandlung teilnahm, indem sich beide, B. und der
Angeklagte, in die Apotheke begaben, wo geschossen wurde und der wehrlose
Apotheker zu Boden fiel.
210
Im Übrigen waren die Angaben des offensichtlich verärgerten Zeugen B., der sich
geweigert hatte, nach Deutschland zu einer Zeugenvernehmung vor der Kammer zu
kommen und auch nicht dazu gezwungen werden konnte, so sehr von dem
offensichtlichen Bestreben geprägt, zu erklären, sich nicht an Motive, Zusammenhänge,
Einzelheiten und andere Umstände erinnern zu können und zu wollen, und trotz der
Vorhalte aus seinen alten Vernehmungen seinen eigenen Tatbeitrag zu bagatellisieren,
dass ihr insgesamt kein weiterer Beweiswert zukommt. Der Wahrheitsfindung waren
insoweit Grenzen gesetzt, da die offensichtliche Falschaussage des in den
Niederlanden befindlichen Zeugen nicht sanktioniert werden konnte. Sachverhalte, die
von den Feststellungen der Kammer abwichen, hat der Zeuge B. nicht bekundet mit
Ausnahme des Umstandes, dass er selbst in der Apotheke keine Waffe mitgeführt und
auch nicht geschossen habe.
211
c.
212
Soweit die Kammer zur inneren Tatseite festgestellt hat, dass der Angeklagte vorsätzlich
213
ohne Bedenken und ohne Skrupel vorgegangen ist, beruht das auf den folgenden
Überlegungen:
Der Angeklagte hat weder im Rahmen seiner früheren Vernehmungen noch bei seiner
Einlassung vor der Kammer geäußert, zur Tatzeit irgendwelche Bedenken gegen die
Ausführung der Aufträge gehabt zu haben. Im Gegenteil will er seinerzeit das Vorgehen
für gerechtfertigt gehalten haben. Der Angeklagte war, wie sein freiwilliger, ohne
jeglichen Zwang erfolgter Beitritt zu der Waffen-SS, zur NSB und schließlich zum
Kommando Feldmeijer zeigt, überzeugt davon, dass nahezu jedes Mittel rechtens war,
das der sogenannten "deutschen Sache" als Oberbegriff für die nationalsozialistischen
deutschen Interessen, denen sich alles andere unterzuordnen hatte, diente. Dass ein
Motiv für den Beitritt zur Waffen-SS war, dass er später die deutsche
Staatsangehörigkeit erhalten würde, schließt nicht aus, sondern unterstreicht eher, dass
der Angeklagte als Überzeugungstäter gehandelt hat. Die Teilnahme an den Tötungs-
Aktionen in Breda, Voorschoten und Wassenaar sowie Amsterdam und sein Vorgehen
in Helden-Panningen belegen insgesamt, dass der Angeklagte keine Hemmungen an
den Tag legte, vermeintliche Gegner hinterhältig zu töten, zu verraten und damit
schwersten Nachteilen auszusetzen.
214
Ein von dem Kommandomitglied Kn. (Übersetzung des polizeilichen
Vernehmungsprotokolls vom 16.10.1945) geschilderter Vorfall, an dem der Angeklagte
allerdings nicht beteiligt war, belegt darüber hinaus exemplarisch, wie fanatisch den
Mitgliedern des Kommandos Feldmeijer daran gelegen war, persönlich den
Tötungsbefehlen nachzukommen: Als bei einer geplanten Repressalmaßnahme in den
Fahrzeugen des SD nicht genügend Platz für alle vorgesehenen Kommandomitglieder
war, nahm keiner die Gelegenheit wahr, der Teilnahme an der Aktion zu entgehen,
sondern es wurde durch Ziehen von Stöckchen ermittelt, wer nicht daran teilnehmen
durfte, nämlich derjenige, der das kürzeste Stöckchen zog.
215
d.
216
Die Feststellungen zum Hintergrund des Tatgeschehens (unter anderem unter II. 1. und
2. ausgeführt) beruhen unter anderem auf gerichtsbekanntem allgemeinem Wissen, dem
auszugsweise Verlesen öffentlich zugänglicher wissenschaftlicher Literatur ("De SS en
Nederland", herausgegeben von N.K.C.A. In 'T Veld, 's-Gravenhage 1976) und den
durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten, aus dem
Sitzungsprotokoll ersichtlichen Vernehmungen der Zeugen Hr., Ro. und Hanns Albin
Rauter.
217
e.
218
Dass der Angeklagte an den Aktionen um den Ort Helden-Panningen im Mai 1944 so
wie festgestellt teilgenommen hat, ergibt sich aus den verlesenen Übersetzungen der
polizeilichen Vernehmungsprotokolle vom "13. November 1946 und den
darauffolgenden Tagen" (aus: Directoraat Generaal Voor Bijzondere Rechgtspleging,
Politieke Recherche-Afdeling District Heerlen, Nr. 1867/P/46) der verstorbenen Zeugen
…, Rs. und Le., die das Geschehen zeitnah, im Wesentlichen miteinander
übereinstimmend und detailliert wie festgestellt beschrieben haben. Ihre Angaben
stehen auch im Einklang, jedenfalls nicht im Widerspruch zum Vorbringen des
Angeklagten.
219
IV.
220
Nach den unter II. 3. getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte des dreifachen
gemeinschaftlichen Mordes gemäß den §§ 211, 25 Abs. 2 und 53 StGB schuldig
gemacht.
221
In allen drei Fällen hat der Angeklagte, gemeinschaftlich mit seinen Mittätern, sein Opfer
heimtückisch umgebracht, indem er die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer jeweils
bewusst ausnutzte.
222
So betrat der Angeklagte in Fall 1 zusammen mit dem Zeugen B. den Laden des
Apothekers, in dem dieser gerade noch eine Frau bediente, fragte diesen, ob er Bi. sei,
was dieser bestätigte, griff unverzüglich nach seiner schussbereiten Pistole und feuerte
daraus sofort mit Tötungsvorsatz zwei bis drei Schüsse auf sein Opfer ab, das sich bis
zu diesem Zeitpunkt eines Angriffs vom Angeklagten erkannt nicht versah. Die Tat war,
wie auch die beiden anderen Taten, darauf ausgerichtet und angelegt, das
Überraschungsmoment auszunutzen und dem Opfer eine effektive Abwehr oder Flucht
von vorneherein unmöglich zu machen, ohne auch nur selbst das geringste Risiko
einzugehen.
223
Bei der Tat zum Nachteil des Teunis de G. klingelte der Angeklagte in Begleitung von
Kr. an der Tür des Hauses, woraufhin de G. das Fenster der Haustür öffnete. Der
Angeklagte fragte diesen, ob er de G. sei, ließ sich noch den Personalausweis zeigen
und zog daraufhin unverzüglich seine geladene und entsicherte Pistole und gab in
Tötungsabsicht insgesamt drei Schüsse ab. Auch de G. rechnete vom Angeklagten
erkannt in seinem Wohnhaus nicht mit einem Angriff auf sein Leben, was der
Angeklagte wusste und sich zunutze machte, ohne selbst irgendein Risiko einzugehen.
224
Bei der Tat zum Nachteil des Frans Willem Ku. schließlich klingelten der Angeklagte
und Kr. an der Wohnung und wurden arglos eingelassen, konnten aber den ihnen
erteilten Auftrag, Ku. in seiner Wohnung zu erschießen, in dieser Form nicht ausführen,
weil sich dessen Frau immer in seiner Nähe aufhielt. Gleichwohl hatte von diesem
Moment an der bis dahin offensichtlich arg- und wehrlose Frans Willem Ku. angesichts
der beiden überlegenen Täter keine realistische Chance mehr, dem Mordkomplott zu
entkommen. Das wussten der Angeklagte und Kr. und machten es sich bei der
Änderung ihres nunmehr zeitlich und räumlich gestreckten, im Übrigen aber
gleichgebliebenen Tatplanes und bei der Verwirklichung ihres Tatzieles zunutze,
wiederum ohne ein eigenes Risiko einzugehen.
225
Dass die Opfer Bi., de G. und Ku. sich bei Beginn der ersten mit Tötungsvorsatz
geführten Handlung des Angeklagten keines Angriffs auf ihr Leben versahen, arglos und
als Folge ihrer Arglosigkeit auch wehrlos waren, zeigt sich gerade darin, dass sie beim
Erscheinen des Angeklagten und seines jeweiligen Mittäters keinerlei Anstalten zur
Flucht oder zur Verteidigung trafen oder zu treffen versuchten und sich auch nicht um
Unterstützung oder Hilfe durch Dritte bemühten.
226
Soweit die Erschießung von Ku. nicht in seinem Hause, sondern außerhalb seiner
Wohnung erfolgte, ist dies für die Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als
heimtückisch ohne Belang, weil es grundsätzlich auf die Lage bei Beginn des ersten mit
Tötungsvorsatz geführten Angriffs ankommt.
227
Demgegenüber reicht zum Ausschluss der Arglosigkeit der Opfer ein generelles
Misstrauen oder ein genereller Argwohn oder eine latente Angst auf Grund einer
allgemein feindseligen Atmosphäre oder allseitiger Unsicherheit etwa in Kriegszeiten
nicht aus. Ebenso genügt es nicht zum Ausschluss ihrer Arglosigkeit, wenn die Opfer
Bi., de G. und Ku. den Angeklagten und seinen jeweiligen Mittäter, die in Zivilkleidung
erschienen waren, für Mitarbeiter der Polizei oder des Sicherheitsdienstes hielten und
dies zu einem allgemeinen Misstrauen der Opfer gegenüber dem Angeklagten und
seinen Mittätern geführt haben sollte. Vielmehr kommt es darauf an, ob das jeweilige
Opfer in der konkreten Tatsituation mit der Möglichkeit eines Angriffs auf sich selbst
rechnet. Das war hier nicht der Fall, wie der Angeklagte auch erkannte und geplant zu
der für ihn damit gefahrlosen Tatausführung ausnutzte. Dazu passt auch, dass die Opfer
jeweils in ihren heimischen Räumen aufgesucht wurden und nicht etwa zu einer
Amtsstelle oder einem sonstigen Treffpunkt gelockt wurden, was sie unter Umständen
misstrauisch und vorsichtig gemacht hätte.
228
Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass der Angeklagte seinen Opfern gegenüber
jeweils eine feindselige Haltung einnahm. Dass er auf Veranlassung seiner
Vorgesetzten handelte, schließt die eigene feindselige Willensrichtung gegenüber den
Opfern nicht aus.
229
Sonstige niedrige Beweggründe im Sinne von § 211 StGB vermag die Kammer
angesichts einer Gesamtwürdigung der mutmaßlichen Motivlage des Angeklagten vor
fast 66 Jahren nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen.
230
Der Angeklagte hat als Täter aufgrund eigener Willensbildung, Tatsteuerung und
Tatherrschaft gehandelt.
231
Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor.
232
Den von der Kammer getroffenen Feststellungen lässt sich im Kern entnehmen, dass
der Angeklagte nach Beginn des Krieges zwischen Deutschland und den Niederlanden
der Waffen-SS beigetreten und zu den Tatzeitpunkten Mitglied des Kommandos
Feldmeijer der Germanischen SS in den Niederlanden war, dass er jeweils mit einem
weiteren Mitglied des Kommandos Feldmeijer den Auftrag erhalten hatte, Fritz Hubert
Ernst Bi., Teunis de G. und Frans Willem Ku. zu töten, und dass es sich jedenfalls aus
der Sicht des Angeklagten bei der Tötung des Apothekers Bi. um eine
Vergeltungsmaßnahme und bei den Personen de G. und Ku. um Personen aus der
Widerstandsbewegung handelte, gegen die wegen eines erfolgten Anschlags
Gegenmaßnahmen ausgeführt werden sollten. Danach können die vom Angeklagten
begangenen Morde weder als rechtmäßige Kriegshandlungen noch als rechtmäßige
Kriegsrepressalien angesehen werden.
233
Bei den drei Morden handelte es sich um keine rechtmäßigen Kriegshandlungen, weil
sie nicht durch die bewaffnete Militärmacht, sondern durch Angehörige des Kommandos
Feldmeijer mit Unterstützung des SD vorgenommen wurden und weil die Opfer auch
nicht als Widerstandskämpfer beim Kampf betroffen oder auf der Flucht ergriffen wurden
oder sich zumindest in Aktionsbereitschaft befanden.
234
Die Morde können auch nicht als gerechtfertigte Kriegsrepressalien angesehen werden,
da die Voraussetzungen erlaubter Kriegsrepressalien nach dem zur damaligen
Zeitpunkt geltenden Völkerrecht nicht festgestellt werden können.
235
Zwar muss davon ausgegangen werden, dass zu den Tatzeitpunkten
Kriegsrepressalien auch durch Tötung unbeteiligter und unschuldiger Zivilisten eines
besetzten Gebietes, als Beugemittel, um illegale Kombattanten zur Aufgabe
völkerrechtswidriger Kampfhandlungen zu veranlassen, in bestimmtem Rahmen nach
dem damals anerkannten Völkerrecht erlaubt waren. Erlaubte Kriegsrepressalien
durften jedoch allenfalls von einem Völkerrechtssubjekt vorgenommen werden, das
auch als Urheber bekannt gemacht werden oder zumindest erkennbar sein musste (sog.
Notifikationserfordernis), um den Abschreckungszweck zu erreichen. Beide
Voraussetzungen liegen nicht vor. Zum einen wurden die Opfer Bi., de G. und Ku. nicht
durch Angehörige der Besatzungsmacht, sondern durch Mitglieder des Kommandos
Feldmeijer der Germanischen SS in den Niederlanden, wenn auch in Zusammenarbeit
mit dem deutschen SD, getötet. Das Kommando Feldmeijer und die übergeordnete
Germanische SS in den Niederlanden waren aber nicht Teil oder weisungsgebundene
Einheit der deutschen Besatzungsmacht. Zum anderen muss nach den tatsächlichen
Feststellungen der Kammer davon ausgegangen werden, dass nach Durchführung der
Taten einerseits seitens der deutschen Besatzungsmacht keine konkrete, über
allgemeine Mutmaßungen oder Spekulationen hinausgehende Unterrichtung der
niederländischen Öffentlichkeit über die Urheber der Morde erfolgte. Andererseits
führten der Angeklagte und seine Mittäter, die unter anderem in Zivilkleidung und mit
falschen Ausweisen operierten, die Morde entsprechend den ihnen erteilten
Anordnungen jeweils so heimlich aus, dass die deutsche Besatzungsmacht als Urheber
der drei Morde in der niederländischen Öffentlichkeit nicht erkennbar war und nach den
Planungen auch nicht erkannt werden sollte, wie schon aus dem strikten
Schweigegebot zu folgern ist. Mithin kann von einer Erfüllung des Notifikationsgebotes
nicht ausgegangen werden.
236
Der Verurteilung steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte jeweils auf Befehl
gehandelt hat.
237
Auch wenn man für die Angehörigen des Kommandos Feldmeijer von der
Anwendbarkeit des § 47 des Militärstrafgesetzbuches in der zu den Tatzeiten geltenden
Fassung ausgeht, sind die Tötungen durch den Angeklagten nicht nach § 47 Abs. 1 S. 2
des Militärstrafgesetzbuches entschuldigt.
238
Nach dieser Bestimmung ist der gehorchende Untergebene nur dann zu bestrafen,
wenn er den erteilten Befehl in Dienstsachen überschritten hat oder wenn ihm bekannt
gewesen ist, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein
allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte.
239
Eine Überschreitung der erteilten Befehle, bei denen es sich um Befehle in
Dienstsachen handelte, ohne dass dem Angeklagten die Möglichkeit eigenen
Ermessens eingeräumt wurde, durch den Angeklagten liegt nicht vor.
240
Es muss aber davon ausgegangen werden, dass dem Angeklagten – insoweit entgegen
seiner Einlassung - bei der hinterlistigen, willkürlichen, niederträchtigen und feigen
Tötung der Opfer klar war, dass die Erschießung unschuldiger Zivilisten rechtswidrig
war, und dass er den verbrecherischen Charakter der Tötungsbefehle erkannt hatte. Da
die Erschießungen der drei Zivilisten letztlich durch die deutsche Besatzungsmacht
veranlasst wurden, bei Androhung härtester Bestrafung nicht bekannt werden durfte,
beziehungsweise sollte, wer die Tötungen beging, und sie deshalb offensichtlich nicht
241
als rechtlich zulässige Kriegsrepressalien angesehen werden konnten und die Opfer
auch nicht als Widerstandskämpfer beim Kampf oder auf der Flucht oder zumindest in
Aktionsbereitschaft erschossen wurden, hegt die Kammer keine Zweifel daran, dass der
Angeklagte den verbrecherischen Zweck der erteilten Anordnungen zur Tötung
unschuldiger Zivilisten und die Rechtswidrigkeit der Erschießungen seinerzeit erkannt
hat, auch wenn er das heute leugnet oder nicht mehr wahr haben will.
Die Feststellungen der Kammer haben keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür
ergeben, dass der Angeklagte bei Nichtbefolgung der Erschießungsbefehle wegen
Befehlsverweigerung selbst um sein Leben hätte fürchten müssen oder
schwerwiegende andere Nachteile hätte in Kauf nehmen müssen und daher die Taten
unter den Voraussetzungen eines rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstandes
begangen hat.
242
Soweit der Angeklagte sich darauf berufen hat, im Falle von Ungehorsam mit Tod oder
Konzentrationslager bedroht worden zu sein, bezog sich diese Drohung ersichtlich auch
nach Darstellung aller verlesenen Zeugenaussagen und wohl auch der Aussage des
vernommenen Zeugen B. ausschließlich darauf, dass ein Angehöriger des Kommandos
Feldmeijer beziehungsweise Teilnehmer an einer Aktion gegen das strikte
Schweigegebot verstieß. Sämtliche in diesem Zusammenhang geschilderten
Drohungen Feldmeijers oder anderer Vorgesetzter hatten ausschließlich zum Inhalt,
dass über die geplante oder durchgeführte Aktion weder untereinander noch mit Dritten
geredet werden durfte, andernfalls derjenige "mit einem Fuß im Konzentrationslager und
mit dem anderen im Grab" stünde. Es ist nur ein Fall bekannt, in dem ein Angehöriger
des Kommandos Feldmeijer verschwunden sein soll, weil er einem Mädchen etwas
erzählt haben soll. Für weitere Sanktionen in diesem Zusammenhang fehlt jeglicher
Anhaltspunkt; auch der Angeklagte selbst benennt insoweit keinerlei Einzelheiten.
Umgekehrt muss angenommen werden, dass aus Abschreckungsgründen solche
Sanktionen, hätten sie stattgefunden, dem hiervon betroffenen Personenkreis bekannt
gemacht worden wären. Angesichts des betroffenen höchsten Rechtsgutes, nämlich des
Lebens der Opfer, hätte außerdem die Gefahr für einen Befehlsverweigerer, zur
Rechenschaft gezogen zu werden, entsprechend hoch gewesen sein müssen. Hierzu
geben die Feststellungen ebenfalls nichts her.
243
Selbst wenn aber im Fall einer Weigerung, an einer Tötungsaktion teilzunehmen,
schwerwiegende Nachteile gedroht haben sollten, könnte sich der Angeklagte hierauf
nicht berufen. Aus seinen eigenen Ausführungen ergibt sich, dass er aus seiner
damaligen Grundhaltung heraus, der sogenannten "deutschen Sache" zu dienen und
Befehle des Kommandos Feldmeijer bedenken- und bedingungslos Folge zu leisten,
damals zu keinem Zeitpunkt daran gedacht hat, sich nicht an einer solchen Aktion zu
beteiligen. Irgendein Bemühen, nicht an den Tötungshandlungen teilnehmen zu müssen
oder sie nicht durchzuführen, oder auch nur ein Widerstreben oder eine Widerwilligkeit
ist nicht einmal im Ansatz vorgetragen worden oder erkennbar. Eine solche
Grundhaltung schließt aber die Berufung auf einen Befehlsnotstand aus.
244
Auch ein Irrtum über einen Entschuldigungsgrund (Putativnotstand), der ohnehin
vermeidbar gewesen wäre, kann damit nicht angenommen werden.
245
Die Kammer ist nach alledem dem Beweisantrag der Verteidigung vom 02.03.2010, zum
Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte als Mitglied des Kommandos Feldmeijer im
Falle einer Befehlsverweigerung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder
246
Freiheit rechnen musste und sich somit zum Zeitpunkt der Ausführung der angeklagten
Taten in einem Befehlsnotstand befunden hat, ein Sachverständigengutachten
einzuholen, wegen eigener Sachkunde nicht nachgegangen.
V.
247
Eine Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses, und zwar des
Verbotes einer Doppelverfolgung im Hinblick auf das Urteil des Bijzonder Gerechtshof
te Amsterdam vom 18.10.1949, gemäß § 260 Abs. 3 StPO kommt nach Ansicht der
Kammer nicht in Betracht.
248
Die Gewährleistungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh)
sind zwar seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 (das
war am sechsten Verhandlungstag) verbindliches Recht. Folglich ist Art. 50 GRCh, der
das Verbot der Doppelbestrafung grenzüberschreitend erweitert, zu beachten. Danach
darf niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem
Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren
erneut verfolgt oder bestraft werden.
249
Für die Mitgliedsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) gilt
bereits seit längerem durch dessen Art. 54 ein transnationales Doppelbestrafungsverbot.
Der Unterschied zwischen Art. 50 GRCh und Art. 54 SDÜ liegt nun offensichtlich darin,
dass Art. 54 SDÜ einer nochmaligen Verfolgung und doppelten Bestrafung nicht
entgegensteht, wenn die Strafe aus dem Ersturteil noch vollstreckt werden kann,
während Art. 50 GRCh eine solche Vollstreckungsklausel nach dem eindeutigen
Wortlaut nicht enthält.
250
Der eindeutige Wortlaut von Art. 50 GRCh verbietet nach Auffassung der Kammer eine
an Art. 54 SDÜ angelehnte, teleologische, also am Zweck orientierte Auslegung oder
gar Analogie.
251
Weder der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, noch dem Vertrag von
Lissabon, noch anderen Normen oder Verträgen oder deren Entstehungsgeschichte ist
jedoch zu entnehmen, dass der den Normgebern bekannte Art. 54 SDÜ durch Art. 50
GRCh verdrängt oder modifiziert werden sollte, so dass Art. 54 SDÜ nach wie vor
Gültigkeit besitzt und als zulässige Einschränkung von Art. 50 GRCh zu werten ist.
Insoweit sieht Art. 52 Abs. 1 GRCh ausdrücklich vor, dass eine zulässige
Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten
gesetzlich vorgesehen sein muss, dass der Wesensgehalt der Rechte zu achten und der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Ferner muss die Eingrenzung
notwendig sein und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden
Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer
tatsächlich entsprechen. Mithin können Mitgliedsstaaten unter den Voraussetzungen
des Art. 52 GRCh in Ausnahmefällen Einschränkungen vornehmen, wobei dies, da in
dem Gesetz die betroffene Gewährleistung nicht zitiert werden muss, auch durch die
Fortgeltung bereits vor Inkrafttreten der Charta existierender Gesetze geschehen kann.
252
Die Voraussetzungen der Einschränkungsmöglichkeit nach Art. 52 GRCh liegen aber
erkennbar vor. Das SDÜ stellt ein formelles Gesetz dar. Der Wesensgehalt des Art. 50
GRCh wird nicht angetastet, da der grundsätzliche Schutz vor doppelter Verfolgung und
Bestrafung bestehen bleibt und nur eine sachlich gerechtfertigte Eingrenzung durch das
253
Kriterium der Vollstreckung oder Vollstreckbarkeit erfolgt. Den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit beachtend verfolgt Art. 54 SDÜ auch ein dem Art. 52 GRCh
entsprechendes legitimes Ziel, nämlich die Effektivität der Rechtspflege sowie das
Interesse der Allgemeinheit und der Opfer an einer Strafverfolgung. Diese Wertung
erscheint als zwingend, wenn es sich wie im vorliegenden Fall um eine rechtskräftige
Erstverurteilung handelt, die in der Bundesrepublik Deutschland nicht vollstreckbar ist,
wegen der eine Auslieferung abgelehnt wurde, bislang keine Vollstreckung oder
Teilvollstreckung erfolgte, aber im Staat, in dem die Erstverurteilung erfolgte, eine
Vollstreckung durchaus möglich und zulässig ist, mit anderen Worten, wenn eine
Vollstreckung des Ersturteils rechtlich und praktisch nicht zu befürchten ist.
Das Urteil des Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18.10.1949 ist für den Angeklagten
nicht mehr anfechtbar und damit rechtskräftig. Zwar liegen die Voraussetzungen des Art.
399 Abs. 1 der niederländischen Strafprozessordnung nicht vor, da der Angeklagte sich
seit seiner Flucht aus der Gefangenschaft im Juni 1947 verborgen hielt und nicht
angenommen werden kann, dass er von dem Gerichtstermin vom 18.10.1949 zuvor
Kenntnis erlangt hatte. Auch scheidet eine Anfechtbarkeit nach Art. 399 Abs. 2 der
niederländischen Strafprozessordnung aus, da er spätestens am 28.02.1983 anlässlich
seiner Vorführung beim Amtsgericht E. Kenntnis von dem gegen ihn ergangenen Urteil
erlangte und die Frist zur Einlegung eines Einspruchs von vierzehn Tagen nicht
eingehalten wurde. Eine Verfolgungsverjährung ist weder nach deutschem noch nach
niederländischem Recht eingetreten.
254
Das rechtskräftige Urteil vom 18.10.1949 ist weder bereits vollständig vollstreckt, noch
wird es zur Zeit vollstreckt, denn der Angeklagte war seither in den Niederlanden nicht
inhaftiert und eine Vollstreckung des niederländischen Erkenntnisses in Deutschland
hat nicht stattgefunden. Er befand sich lediglich in der Zeit vom 28.02.1983 bis
05.05.1983, mithin nur etwas mehr als zwei Monate, in Auslieferungshaft. In den
Niederlanden ist das Urteil, darauf deuten das Auslieferungsersuchen sowie der Antrag
auf Vollstreckungsübernahme hin, noch vollstreckbar.
255
Der Einholung eines Rechtsgutachtens oder einer möglichen Vorlage der Sache durch
die Kammer zum Europäischen Gerichtshof zu einer Vorabentscheidung, bedurfte es
angesichts der dargelegten Rechtsauffassung nicht, zumal beides zu einer weiteren,
nicht zu vertretenden Verzögerung geführt hätte. Die Kammer hat insoweit ihr Ermessen,
das nicht auf Null reduziert war, ausgeübt.
256
VI.
257
Für jeden der drei Morde ist der Angeklagte nach § 211 StGB zu
258
lebenslanger Freiheitsstrafe
259
zu verurteilen. Da die drei Taten zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit stehen, hat
die Kammer gemäß § 54 Abs.1 S.1 StGB auf
260
lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
261
erkannt.
262
Eine Herabsetzung dieser Strafe aufgrund einer entsprechenden Anwendung von § 49
263
StGB schied erkennbar aus. Außergewöhnlich mildernde Umstände, die dies
ausnahmsweise rechtfertigen oder nahe legen könnten, sind nicht erkennbar.
Zwar ist der Angeklagte 88 Jahre alt. Er leidet an zum Teil schweren Erkrankungen. Die
Taten, die in einer Zeit des Vorherrschens völlig anderer moralischer, rechtlicher und
sozialer Wertevorstellungen begangen wurden, liegen fast 66 Jahre zurück, wobei der
Zeitablauf zunächst durch die Flucht des Angeklagten und durch historische Abläufe,
nicht aber durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bedingt war. Der
Angeklagte war zur Zeit der Taten mit 22 Jahren noch recht jung. Er ist geständig und
nach den Morden in strafrechtlicher Hinsicht nicht mehr in Erscheinung getreten.
Andererseits ist zu beachten, dass er jahrzehntelang unbehelligt in Freiheit lebte, ohne
eine wirklich nennenswerte Sanktion für die von ihm verübten Verbrechen zu erfahren.
Er hat gleich drei hinterlistige, menschenverachtende und niederträchtige Morde
begangen. Er hat unsägliches, zum Teil bis heute andauerndes Leid über die Familien
der Opfer gebracht. Auch nur die geringsten Anzeichen von Reue oder Bedauern oder
Mitgefühl oder Verantwortungsübernahme wurden vergeblich erhofft. Angesichts dieser
Umstände verbietet sich aber ein Abrücken von der absoluten Strafandrohung des § 211
StGB.
264
Von einer Feststellung der besonderen Schuldschwere gemäß § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2
StGB hat die Kammer angesichts der strafmildernden Gesichtspunkte, vornehmlich
wegen des hohen Alters des Angeklagten, abgesehen.
265
Zu seinen Gunsten wurden die Zeiten seiner Gefangenschaft in den Niederlanden und
der Auslieferungshaft in Deutschland auf die Strafe angerechnet.
266
VII.
267
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs.1, 472 Abs.1 StPO.
268
Dr. N.
T.
F.
269