Urteil des LG Aachen vom 24.06.2010

LG Aachen (zug, richtlinie, ewg, rückgabe, arglistige täuschung, rückzahlung, bedingter vorsatz, höhe, antrag, inverkehrbringen)

Landgericht Aachen, 8 O 386/09
Datum:
24.06.2010
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 O 386/09
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.314,49 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
20.08.2009 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe und
Rückübereignung von 140 Paar Feuerwehrstiefeln, davon 64 des Typs
"Profi" und 76 des Typs "Profi Plus".
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme von 64
Paar Feuerwehrstiefeln des Typs "Profi" und 76 Paar Feuerwehrstiefeln
des Typs "Profi Plus" in Verzug befindet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, einem Unternehmen, das unter anderem
Feuerwehrstiefel herstellt, die Rückabwicklung von mehreren getätigten Käufen von
Feuerwehrstiefeln des Typs "Profi" und des Typs "Profi Plus". Die Klägerin kaufte in den
Jahren 2003 bis 2008 von der Beklagten 68 Paar Feuerwehrstiefel des Typs "Profi" und
89 Paar Feuerwehrstiefel des Typs "Profi Plus". Die Beklagte stellte der Klägerin die
Stiefel mit den auf Seite 2 der Klageschrift im Einzelnen aufgelisteten Rechnungen, die
sich auf eine Gesamtsumme von 16.314,49 € belaufen, in Rechnung. Die Lieferung
erfolgte jeweils zeitnah zu den Rechnungsdaten, höchstens mit einer Differenz von 3
Tagen.
2
Die Beklagte hatte ein vom TÜV Köln im Jahr 2000 gemäß Art. 10 der Richtlinie
89/686/EWG ausgestelltes EG-Baumusterprüfungszertifikat ihrer Rechtsvorgängerin
zum 31.12.2002 gekündigt. Am 28.04.2006 erteilte der Prüf- und Forschungsinstitut
3
Pirmasens e.V. (PFI) ein neues EG-Baumusterprüfzertifikat nach Art. 10 der Richtlinie
89/686/EWG unter anderem für die Feuerwehrstiefelmodelle "Profi" und "Profi Plus". Die
Bescheinigung wurde befristet bis zum 25.04.2007 erteilt. In dem sich nach der
Zertifizierung anschließenden Verfahren zum Nachweis der Qualitätssicherung nach
Art. 11A der Richtlinie 89/686/EWG, mit dem das PFI auch beauftragt war, wurde das
Zertifikat vom PFI am 12.01.2007 für ab sofort ungültig erklärt.
Mit Ordnungsverfügung vom 12.02.2007 untersagte die Bezirksregierung Köln der
Beklagten das Inverkehrbringen von Feuerwehrstiefeln unter anderem des Typs "Profi"
und des Typs "Profi Plus".
4
Unter dem 22.03.2007 hob das PFI die Aussetzung des EG-Baumusterzertifikats mit
sofortiger Wirkung wieder auf.
5
Das von der Beklagten mit der EG-Baumusterprüfung nach Art. 10 der Richtlinie
89/686/EWG und der anschließenden Prüfung der Qualitätssicherung nach Art. 11A der
Richtlinie 89/686/EWG beauftragte Centre Technique Cuir Chaussure Maroquinerie in
Lyon (CTC) erteilte unter dem 25.07.2007 und 02.08.2007 ein neues EG-
Baumusterprüfzertifikat u.a. für Feuerwehrstiefel der Typen "Profi" und "Profi Plus".
Einen Qualitätssicherungsnachweis nach Art. 11A der Richtlinie 89/686/EWG erteilte
das CTC in den sich anschließenden Qualitätssicherungsverfahren innerhalb der
laufenden Produktion jedoch nicht.
6
Mit Ordnungsverfügung vom 07.08.2008 untersagte die Bezirksregierung Köln der
Beklagten, Feuerwehrstiefel u.a. des Typs "Profi" und des Typs "Profi Plus" in den
Verkehr zu bringen. Mit Ordnungsverfügung vom 10.02.2009 ordnete die
Bezirksregierung Köln den Rückruf und die unschädliche Beseitigung aller seit dem
01.01.2003 in den Verkehr gebrachten Feuerwehrstiefel unter anderem des Typs "Profi"
und "Profi Plus" an.
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Am 27.02.2009 erteilte die von der Beklagten mit der Qualitätssicherung nach Art. 11A
der Richtlinie 89/686/EWG beauftragte TNO Quality Services BV (TNO), eine
niederländische Prüfstelle, eine Bescheinigung über die von ihr durchgeführte
Qualitätssicherung gemäß Art. 11A der Richtlinie 89/686/EWG.
8
Nachdem die Klägerin durch eine am 12.01.2009 im Internet erfolgte Veröffentlichung
(Anlage 30) von den Ordnungsverfügungen und deren Begründung erfahren hatte,
erklärte sie mit Schreiben vom 06.08.2009 (Anlage 13) den Rücktritt von den
Kaufverträgen und forderte die Beklagte zur Rückzahlung der Kaufpreise bis zum
19.08.2009 auf. Ihre Rücktrittserklärung begründete die Klägerin damit, dass die Stiefel
mangelbehaftet seien. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 17.08.2009 ab. Mit
Schreiben vom 28.08.2009 forderte die Klägerin die Beklagte erneut zur Rückzahlung
der Kaufpreise Zug um Zug gegen die zugleich angebotene Rückgabe der
Feuerwehrstiefel. Die Beklagte verweigerte die Annahme des Schreibens. Am
09.09.2009 übersandte die Klägerin das Schreiben nochmals per Telefax an die
Beklagte. Eine Zahlung oder Rücknahme der Feuerwehrstiefel durch die Beklagte
erfolgte nicht.
9
Die Klägerin behauptet, die Stiefel entsprächen nicht den geforderten
Sicherheitsstandards. In den Zeiträumen, in denen die streitgegenständlichen
Feuerwehrstiefel produziert worden seien, habe die Beklagte zudem nicht über die
10
erforderlichen Zertifizierungen und Nachweise verfügt. Sie vertritt die Auffassung, sie
habe Anspruch auf Rückzahlung der Kaufpreise Zug um Zug gegen Rückgabe der
Feuerwehrstiefel, soweit diese noch vorhanden seien. Dass 17 Stiefelpaare nicht mehr
vorhanden seien, ändere an ihrem Anspruch auf Rückzahlung der Kaufpreise nichts, da
deren Abgängigkeit – unstreitig – nicht auf unsachgemäße Behandlung der Stiefel
zurückzuführen sei.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage zunächst Rückzahlung der Kaufpreise Zug um Zug
gegen Rückgabe von 157 Paar Feuerwehrstiefeln begehrt und den Antrag im Laufe des
Rechtsstreits dahingehend abgeändert, dass Rückzahlung der Kaufpreise Zug um Zug
gegen Rückgabe von 140 Paar Feuerwehrstiefeln begehrt wird, nachdem sie festgestellt
hatte, dass nur noch 140 Stiefelpaare vorhanden sind.
11
Die Klägerin beantragt zuletzt,
12
1.
13
die Beklagte zu verurteilen, an sie Zug um Zug gegen Rückgabe von 140
Paar Feuerwehrstiefeln, davon 64 der Marke "Profi" und 76 der Marke
"Profi Plus", 16.314,49 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 20.08.2009 zu zahlen,
14
2.
15
festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Angebots auf
Rückgabe der streitbefangenen Feuerwehrstiefel Zug um Zug gegen
Erstattung des Betrages von 16.314,49 € in Verzug befindet.
16
Die Beklagte beantragt,
17
die Klage abzuweisen.
18
Die Beklagte macht geltend, die Feuerwehrstiefel seien mangelfrei. Insbesondere habe
die Beklagte im Zeitpunkt der Lieferung über die erforderlichen Zertifizierungen verfügt.
Aus den Ordnungsverfügungen könnten keine Rechte hergeleitet werden, da gegen
diese Rechtsbehelfe eingelegt worden seien. Zudem erhebt sie die Einrede der
Verjährung und macht geltend, im Falle einer Rückabwicklung müsse die Klägerin sich
die Gebrauchsvorteile anrechnen lassen.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
20
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
21
I.
22
Die zulässige Klage ist weitestgehend begründet.
23
1.
24
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten
25
Kaufpreise in Höhe von insgesamt 16.314,49 € Zug um Zug gegen Rückgabe der 140
noch vorhandenen Feuerwehrstiefelpaare gemäß §§ 434, 437 Nr. 2, 323 BGB in
Verbindung mit § 346 BGB zu. Denn die Klägerin ist wirksam von den
streitgegenständlichen Kaufverträgen zurückgetreten.
a)
26
Der von der Klägerin mit Schreiben vom 06.08.2009 erklärte Rücktritt ist wirksam, weil
die von der Beklagten gelieferten Feuerwehrstiefel des Typs "Profi" und "Profi Plus"
mangelhaft, also "nicht vertragsgemäß" im Sinne des § 323 Abs. 1 BGB sind.
27
Die Feuerwehrstiefel, die die Beklagte der Klägerin in Erfüllung der geschlossenen
Kaufverträge geliefert hat, waren mangelbehaftet im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB.
28
aa)
29
Hinsichtlich des Teils der gelieferten Feuerwehrstiefel, für die die Klägerin die
Produktionsdaten mitgeteilt hat, lagen die Voraussetzungen für ihr Inverkehrbringen
nicht vor. Die Produktionszeiträume liegen unbestritten zwischen den Monaten 06/2003
und 1/2008.
30
Bei den Feuerwehrstiefeln handelt es sich um persönliche Schutzausrüstungen. Gemäß
§ 4 Abs. 1 des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte
(Geräte- und Produktsicherheitsgesetz, GPSG) i.V.m. den §§ 2, 3 Abs. 1, 6, 7 der Achten
Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Verordnung über das
Inverkehrbringen von persönlichen Schutzausrüstungen, 8. GPSGV) setzt das
Inverkehrbringen persönlicher Schutzausrüstungen unter anderem voraus, dass für
diese sowohl ein EG-Baumusterprüfzertifikat gemäß Art. 10 der Richtlinie 89/686/EWG
vorliegt als auch ein Nachweis über die Qualitätssicherung gemäß Art. 11 der Richtlinie
89/686/EWG. Die Beklagte hat sich für das Verfahren nach Art. 11A der Richtlinie
89/686/EWG entschieden. Ein persönlicher Schutzausrüstungsgegenstand weist nur
dann die vertraglich geschuldete Beschaffenheit auf, wenn die Voraussetzungen für
sein Inverkehrbringen erfüllt sind. Fehlt das EG-Baumusterprüfzertifikat oder der
Nachweis der Qualitätssicherung, liegt bereits darin eine Abweichung der Ist- von der
Sollbeschaffenheit, ohne dass es noch auf die Beschaffenheit des einzelnen Schuhs
ankommt. So liegt der Fall hier.
31
Ein Zertifikat des TÜV Köln war zum 31.12.2002 seitens der Beklagten ersatzlos
gekündigt worden. Das Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens e.V. (PFI) erteilte der
Beklagten sodann erst am 28.04.2006 ein bis zum 25.04.2007 befristetes EG-
Baumusterprüfzertifikat nach Art. 10 der Richtlinie 89/686/EWG. Ab 12.01.2007 bis
22.03.2007 fehlte der Beklagten ebenfalls für die Produktion ein EG-
Baumusterprüfzertifikat. Das erteilte befristete EG-Baumusterprüfzertifikat wurde von
dem PFI mit Schreiben vom 12.01.2007 mit sofortiger Wirkung für ungültig erklärt. Erst
mit Schreiben vom 22.03.2007 wurde die Aussetzung des EG-Baumusterprüfzertifikats
mit sofortiger Wirkung wieder aufgehoben. Ab dem 26.04.2007 lag ebenfalls kein
Baumusterprüfzertifikat mehr vor, denn das Baumusterprüfzertifikat des PFI war bis zum
25.04.2007 befristet. Ein neues EG-Baumusterprüfzertifikat für Feuerwehrstiefel des
Typs "Profi Plus" wurde erst am 25.07.2007, für Feuerwehrstiefel des Typs "Profi" erst
am 02.08.2007 vom Centre Technique Cuir Chassure Maroquinerie (CTC) erteilt.
32
Der zusätzlich zum Baumusterprüfzertifikat erforderliche Nachweis der gemäß § 7 der
8.GPSGV vorgeschriebenen Qualitätssicherung nach Art. 11 A der Richtlinie
89/686/EWG ist von der Beklagten jedenfalls für den Zeitraum nach Ablauf des
befristeten Zertifikats des PFI nicht zu erbringen. Gemäß Art. 11 A Abs.5 stellt die
gemeldete Stelle dem Hersteller ein Gutachten aus, das vom Hersteller vorzulegen ist
(Abs.6). Ein Qualitätssicherungsnachweis wurde durch das CTC aber gerade nicht
erteilt. Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf, dass das
Institut TNO Quality Services BV am 27.02.2009 einen Qualitätssicherungsnachweis
gemäß Art. 11A der Richtlinie 89/686/EWG erteilt hat. Der durch das TNO erteilte
Qualitätssicherungsnachweis vermag die früheren - zum Teil mehrere Jahre
zurückliegenden - Produktionszeiträume vor Durchführung der Prüfung nicht zu
erfassen. Dies ergibt sich bereits aus der Vorschrift des Art. 11A Abs. 2 der Richtlinie,
dem zufolge Kontrollen zur Qualitätssicherung mindestens einmal im Jahr
durchzuführen sind.
33
Ob als Qualitätssicherungsnachweis schließlich für den Zeitraum, in dem die
Qualitätssicherung dem PFI oblag, dessen Bescheinigung über die EG-
Qualitätssicherung vom 28.04.2006 verbunden mit der EG-Baumusterprüfbescheinigung
oder deren vorläufige Mitteilung vom 22.03.2007 genügt, der zufolge die Aussetzung
des Zertifikats ab sofort aufgehoben worden ist, kann aus folgenden Gründen
dahinstehen:
34
Die Feuerwehrstiefel aus dem Produktionszeitraum ab April 2006 bis zum Ablauf des
von dem PFI erteilten Zertifikats waren trotz des zeitweilig vorliegenden EG-
Baumusterprüfbescheinigung und eines möglicherweise zeitweise gegebenen
Qualitätssicherungsnachweises mangelbehaftet im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB. Ein
Sachmangel lag in Form eines Mangelverdachts bei Gefahrübergang vor. Dieser
Verdacht, der nicht ausgeräumt worden ist, steht der Eignung zur nach dem Vertrag
vorausgesetzten Verwendung als Feuerwehrstiefel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr.
1 BGB entgegen.
35
Vorliegend wird der objektive Verdacht im Hinblick auf die mangelnde Eignung der
Stiefel als Feuerwehrstiefel und eine damit einhergehende Gefährdung der körperlichen
Unversehrtheit der Feuerwehrmänner bei Verwendung der Feuerwehrstiefel im Einsatz
durch die Produktionsweise der Stiefel begründet. Der Verdacht, dass im Rahmen der
Fertigung mängelbehaftete Stiefel produziert worden sein könnten und Mängel damit
allen Stiefeln desselben Typs anhaften können, ist aufgrund der vom Kläger
vorgetragenen Umstände begründet. So hat die Beklagte zum einen unstreitig über
einen Zeitraum von mehreren Jahren Stiefel dieser Typen ohne gültiges Zertifikat und
Qualitätssicherungsnachweis produziert und vertrieben. Das ihr sodann befristet
ausgestellte Zertifikat des PFI ist nicht über den 25.04.2007 verlängert worden,
nachdem es bereits zuvor für den Zeitraum Januar 2007 bis März 2007 ausgesetzt
wurde. Die Klägerin hat vorgetragen, dass die Aussetzung der EG-
Baumusterprüfbescheinigung des PFI im Januar 2007 erfolgt ist, nachdem
Überprüfungen im laufenden Produktionsprozess Abweichungen von den geforderten
Mindestanforderungen ergeben hatten. Dem ist die Beklagte nicht substantiiert
entgegen getreten. Auch die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung Köln vom
10.02.2009 bestätigt diesen Verdacht. Diese Verfügung, durch die der Beklagten u.a.
aufgegeben worden ist, sämtliche seit dem 01.01.2003 in den Verkehr gebrachten
Feuerwehrstiefel der hier streitgegenständlichen Typen zurückzurufen, wird mit einer
Vielzahl von gravierenden Mängeln begründet, die bei Überprüfungen über mehrere
36
Jahre hinweg festgestellt worden sind und den Rückschluss darauf zulassen, dass die
Beklagte keine normenkonforme Feuerwehrstiefel herstellte. Diese Ordnungsverfügung
ist wirksam und gilt für die Beklagte verbindlich. Mit Beschluss vom 04.08.2009 hat das
Oberverwaltungsgericht Münster (Az. 8 B 785/09) die von der Beklagten eingelegte
Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 18.05.2009
(Az. 3 L 113/09) verworfen.
bb)
37
Ein Mangel liegt auch hinsichtlich der Stiefel vor, deren Produktionszeit von der Klägerin
nicht benannt werden konnte. Aus der Gegenüberstellung der Kaufdaten und der
Produktionsdaten, die von der Klägerin ermittelt werden konnten, ergibt sich, dass von
der Beklagten jeweils höchstens wenige Monate zuvor produzierte Stiefel ausgeliefert
worden sind. Dies lässt es ausgeschlossen erscheinen, dass die der Klägerin
gelieferten Stiefel, deren Produktionsdatum nicht dargelegt werden konnte, aus einem
Zeitraum vor Ablauf des vom TÜV Köln erteilten Zertifikats stammen.
38
b)
39
Aus den von der Klägerin zur Akte gereichten Unterlagen ergibt sich, dass sie die
Beklagte vor Erklärung des Rücktritts erfolglos zur Lieferung mangelfreier
Feuerwehrstiefel aufgefordert hat und dass die Beklagte dem nicht nachgekommen ist.
40
c)
41
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Rückzahlung der von ihr geleisteten Kaufpreise in
Höhe von insgesamt 16.314,49 € zu.
42
Die Klägerin muss sich nicht gemäß § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB gezogene
Nutzungsvorteile anrechnen lassen. Für die gezogenen Nutzungen bzw. deren Wert
trägt die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Der Vortrag der Beklagten ist
hinsichtlich eines etwa in Abzug zu bringenden Nutzungsersatzes unsubstantiiert. Sie
hat sich lediglich darauf beschränkt, darauf zu verweisen, dass die Klägerin sich die
Gebrauchsvorteile anrechnen lassen müsse. Eine Berechnung oder konkrete
Anknüpfungspunkte, die dem Gericht eine Schätzung ermöglichen würden, hat die
Beklagte nicht dargelegt.
43
Gemäß dem Antrag der Klägerin, der der gesetzlichen Regelung des § 348 BGB
Rechnung trägt, ist dieser Rückzahlungsanspruch Zug um Zug gegen Rückgabe und
Rückübereignung der 140 Paar Feuerwehrstiefel, davon 64 Paar des Typs "Profi" und
76 Paar des Typs "Profi Plus" zu erfüllen. Zwar hat die Klägerin in ihrem Antrag nur die
Rückgabe ausdrücklich aufgeführt. Der Antrag war jedoch unter Berücksichtigung der
gesamten Umstände dahingehend auszulegen, dass davon auch die Rückübereignung
umfasst sein sollte. Zweifelsohne will die Klägerin den Vertrag insgesamt
rückabwickeln, wozu auch die Rückübertragung des Eigentums an den
Feuerwehrstiefeln gehört.
44
Soweit der Klägerin eine Rückgabe von 17 Paar Feuerwehrstiefeln nicht mehr möglich
ist, weil diese nicht mehr vorhanden sind, hat die Klägerin keinen Wertersatz zu leisten,
der von den geleisteten Kaufpreisen in Abzug zu bringen wäre. Die Klägerin hat
vorgetragen, dass die Stiefel abgängig waren, obwohl sie durch alle Bediensteten unter
45
Beachtung der Sorgfalt behandelt worden sind, die sie in eigenen Angelegenheiten
anzuwenden pflegen. Dies ist unwidersprochen geblieben und damit unstreitig. Für eine
bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme unter Beobachtung der Sorgfalt, die in eigenen
Angelegenheiten angewendet zu werden gepflegt wird, ist Wertersatz nicht zu leisten, §
346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB.
d)
46
Ohne Erfolg bleibt die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung. Die
Ansprüche der Klägerin sind nicht verjährt.
47
Auch von den den Rechnungen aus den Jahre 2003 zugrunde liegenden ältesten
Kaufverträgen konnte die Klägerin wirksam zurücktreten, da der Anspruch auf Leistung
bzw. Nacherfüllung noch nicht verjährt war, § 438 Abs. 4 i.V.m. § 218 Abs. 1 BGB.
Hinsichtlich des Nacherfüllungsanspruchs gilt die regelmäßige Verjährungsfrist nach §
438 Abs. 3 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 195, 199 BGB. Denn die Beklagte hat die Klägerin
arglistig getäuscht. Die Beklagte hat die Feuerwehrstiefel an die Klägerin verkauft,
obwohl ihr bewusst war, dass sie nicht die erforderlichen Nachweise für das
Inverkehrbringen der Feuerwehrstiefel hatte bzw. eine Aussetzung des bestehenden
EG-Baumusterprüfzertifikats infolge einer nicht normkonformen Fertigung der
Feuerwehrstiefel vorlag. Die Beklagte hätte die Klägerin über den Mangel bzw.
Mangelverdacht und die tatsächliche Grundlage des Verdachts aufklären müssen. Das
Unterlassen dieser Aufklärung rechtfertigt den Vorwurf der Arglist. Nach ständiger
Rechtsprechung liegt eine arglistige Täuschung auch im Verschweigen eines
offenbarungspflichtigen Mangels, mithin wenn eine Partei einen Mangel mindestens für
möglich hält, gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der
Vertragspartner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht
mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Ein bedingter Vorsatz ist hierfür
ausreichend (vgl. OLG Celle, NJW-RR 1997, 848). Diese Voraussetzungen sind
vorliegend erfüllt. Die Beklagte hat zumindest billigend in Kauf genommen, dass die
Klägerin bei Kenntnis über die fehlenden Nachweise bzw. der teilweisen
Normabweichung der Produktion der Feuerwehrstiefel diese nicht von ihr erworben
hätte. Für die Beklagte war zweifelsohne erkennbar, dass die Klägerin Wert darauf
legte, dass die Schuhe für den Feuerwehrdienst uneingeschränkt geeignet waren. Es ist
selbstverständlich und für jedermann erkennbar, dass die Schuhe für die Feuerwehr
uneingeschränkt für den Feuerwehrdienst geeignet sein und alle
Sicherheitsbestimmungen erfüllen mussten. Andernfalls genießt der Nutzer auch keinen
Versicherungsschutz.
48
Die Klägerin hat unbestritten erstmals durch die von ihr als Anlage 30 vorgelegte im
Internet veröffentlichte Information vom 12.01.2009 die für den Beginn der
Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis erlangt, so dass die Verjährungsfrist vorher nicht
in Lauf gesetzt worden ist, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Die von der Klägerin geltend
gemachten Ansprüche sind daher nicht verjährt.
49
2.
50
Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 2
BGB.
51
Der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch ist nur in Höhe von 5
52
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz begründet, da es sich nicht um eine
Entgeltforderung im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB handelt (vgl. Grüneberg in: Palandt,
BGB, 68. Auflage 2009, § 288 Rn. 8, § 286 Rn. 27). Soweit die Klägerin darüber
hinausgehend Zinsen beansprucht, war die Klage abzuweisen.
3.
53
Der Antrag auf Feststellung, dass sich die Beklagte sich im Annahmeverzug mit den 140
Paar Feuerwehrstiefeln befindet, ist zulässig und begründet.
54
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere besteht hinsichtlich der begehrten Feststellung
ein Interesse der Klägerin. Dies folgt wegen der beantragten Verurteilung zur Leistung
Zug um Zug aus § 756 ZPO.
55
Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Klägerin hat der Beklagten die Rückgabe der
insgesamt noch vorhandenen 140 Paar Feuerwehrstiefel angeboten. Die Beklagte hat
diese ihr angebotene Leistung nicht angenommen und ist dadurch gemäß § 293 BGB in
Annahmeverzug geraten.
56
II.
57
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit die Klägerin mit ihrer
Klage mehr begehrt hat, als ihr zugesprochen worden ist, handelt es sich um eine
geringfügige Zuvielforderung, die auf die Höhe der Kosten ohne Einfluss geblieben ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
58
Streitwert: bis zu 19.000,00 €
59
G
60