Urteil des LG Aachen vom 11.12.2009

LG Aachen (einstellung des verfahrens, mutter, unterbringung, zuschlag, antrag, beschwerde, zpo, begründung, einstellung, zwangsversteigerung)

Landgericht Aachen, 3 T 433/09
Datum:
11.12.2009
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 T 433/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Aachen, 18 K 421/02
Schlagworte:
Zwangsversteigerung, Selbstmordgefahr
Normen:
ZPO § 793, ZVG § 96, ZVG § 100, ZVG § 83 Nr. 6, ZPO § 765 a
Leitsätze:
Zwangsversteigerung eines Grundstücks trotz Androhung des
Selbstmordes eines Angehörigen des Schuldners
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1) hat die gerichtlichen Kosten und Auslagen des
Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 4) wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte zu 4) hat die gerichtlichen Kosten und Auslagen des
Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Auf Antrag der Beteiligten zu 2) ordnete das Amtsgericht Aachen mit Beschluss vom
6. Januar 2003 die Wiederversteigerung des eingangs näher bezeichneten Grundstücks
an. Die Beteiligte zu 1) hatte das Eigentum an dem ursprünglich ihrer Mutter, Frau S
(geboren am ####), gehörenden Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung durch
den vollstreckbaren Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Aachen vom 18. September
2002 – 18 K 120/01 – zu einem Meistgebot von 182.000,00 € erworben, das Meistgebot
indes nicht bedienen können. Das Amtsgericht Aachen setzte im vorliegenden
Verfahren den Verkehrswert der Immobilie durch Beschluss vom 14. August 2003 auf
207.500,00 € fest und bestimmte Versteigerungstermin auf den 10. Dezember 2003.
Dieser Termin führte indes nicht zur Erteilung des Zuschlags: Nachdem die Beteiligte zu
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1) unter Vorlage ärztlicher Atteste die einstweilige Einstellung des Verfahrens mit der
Begründung beantragt hatte, es bestehe im Falle der Fortführung des
Versteigerungsverfahrens unmittelbare Gefahr für Leib und Leben ihrer Mutter, Frau
Waltraud S, wurde das Verfahren auf Bewilligung der Beteiligten zu 2) einstweilen
eingestellt. Auf Antrag der Beteiligten zu 2) setzte das Vollstreckungsgericht das
Verfahren allerdings fort und bestimmte Termin zur Zwangsversteigerung nunmehr auf
den 10. November 2004. In diesem Termin blieb die Beteiligte zu 2) Meistbietende. Der
Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) stellte jedoch erneut
Schuldnerschutzantrag nach § 765a ZPO gestützt darauf, dass die Mutter der
Schuldnerin für den Fall der Zuschlagserteilung suizidgefährdet sei. Das Amtsgericht
Aachen wies den Antrag der Beteiligten zu 1) durch Beschluss vom 26. November 2004
zurück und erteilte der Beteiligten zu 2) den Zuschlag. Diesen hob allerdings auf
sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) der Einzelrichter des erkennenden
Beschwerdegerichts durch Beschluss vom 2. Juni 2006 auf. Die
Beschwerdeentscheidung stützte sich maßgeblich auf die Feststellungen des vom
Beschwerdegericht beauftragten Sachverständigen Dr. I, der die Mutter der Schuldnerin
untersucht und sein Gutachten unter dem 21. Mai 2006 vorgelegt hatte. In den Gründen
des Beschlusses vom 2. Juni 2006 führte der Einzelrichter unter anderem aus:
"Für das weitere Verfahren nach Ablauf der Einstellungsfrist wird zu berücksichtigen
sein, ob die Beteiligte zu 1) nachweist, dass sich Ihre Mutter nunmehr an die
Empfehlungen des Sachverständigen Dr. I hält, namentlich, ob sie sich wegen der
bestehenden Suizidalität in fachpsychiatrische Behandlung mit der Möglichkeit einer
suffizienten psychopharmakologischen und psychotherapeutische Therapie begibt [...]
ob (und gegebenenfalls welche) Erfolge hierbei erzielt werden und welche
Änderungen sich gegebenenfalls für die bestehenden vorstehend geschilderten
Gründe nach § 765a ZPO ergeben. [...] Das Beschwerdegericht hat von
entsprechenden Auflagen zur Beibringung entsprechender Nachweise an die
Schuldnerin (vgl. insoweit BVerfG NJW 2004, 49 [50], BGH NJW 2006, 508, LG
Krefeld Rechtspfleger 1996, 363) im Hinblick auf die auszusprechende Einstellung
des Verfahrens bislang abgesehen. Bei etwaigen künftigen Entscheidungen über die
Frage einer etwaigen nochmaligen Einstellung des Verfahrens wird das Verhalten der
Schuldnerin und Ihrer Mutter, die nunmehr einen zeitlichen Aufschub und damit die
Gelegenheit zur Aufnahme einer entsprechenden therapeutischen Behandlung
erhalten, insoweit kritisch zu beleuchten sein, vor allem im Hinblick auf ein ernsthaftes
Bemühen um eine Verringerung des Suizidrisikos, aber auch im Hinblick auf die
subjektiven Möglichkeiten von Frau S."
4
Auf Antrag der Beteiligten zu 2) bestimmte das Vollstreckungsgericht unter dem 17. April
2007 erneuten Versteigerungstermin auf den 8. August 2007. Am 7. August 2007 stellt
die Beteiligte zu 1) erneut Schuldnerschutzantrag und trug vor, ihre Mutter befinde sich
zwar seit 9 Wochen in stationärer Behandlung von Dr. I in den Rheinischen Kliniken E,
sei aber noch nicht hinreichend stabilisiert worden, um eine Versteigerung des
Grundstücks ertragen zu können. Im Versteigerungstermin am nächsten Tage blieb
erneut die Beteiligte zu 2) Meistbietende mit einem Meistgebot von 145.250,00 €.
Daraufhin erteilte das Amtsgericht Aachen durch Beschluss vom 21. August 2007 der
Beteiligten zu 2) unter gleichzeitiger Zurückweisung des Schuldnerschutzantrages den
Zuschlag an die Meistbietende und führte zur Begründung unter anderem aus, der
Beteiligten zu 2) sei ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten, zumal sich die Mutter der
Beteiligten zu 1) offensichtlich erst unter dem Druck des erneuten Versteigerungstermins
in Behandlung begeben und zuvor keine ernsthaften Bemühungen um eine
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Verbesserung ihres Zustandes unternommen habe. Hiergegen wandte sich die
Beteiligte zu 1) erneut mit sofortiger Beschwerde vom 4. September 2007 mit dem
Antrag, den Zuschlagsbeschluss aufzuheben und das Verfahren einstweilen
einzustellen. Sie machte geltend, ihre Mutter sei den Vorgaben aus dem
landgerichtlichen Beschluss vom 2. Juni 2006 nachgekommen. Im Übrigen bestehe
weiterhin eine akute Suizidgefahr für den Fall der Zuschlagserteilung. Die Kammer holte
ein erneutes Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. I ein, das dieser am
25. Januar 2008 vorlegte. Darin führt dieser unter anderem aus:
"… Nach einer Reihe von Schicksalsschlägen in den letzten Jahren, die teils durch
familiäre und soziale (berufliche) Verlusterlebnisse teils durch somatische,
Traumatisierungen entstanden (Multimorbidität, vielfache Hospitalisierungen, schwere
operative Eingriffe, insulinpflichtiger Diabetes mellitus etc.), hat sich bei Frau S eine
depressive Disposition entwickelt, die bei zusätzlicher aktueller psychosozialer
Belastung exacerbiert (wiederaufflackert). Hierbei hat neben emotional belastenden
familiären Ereignissen (so zuletzt schwere Wirbelsäulenverletzung des Ehemannes)
die drohende Zwangsversteigerung des Elternhauses, das für Frau S einen hohen
gefühlsmäßigen und symbolischen Wert behält mit dem Charakter einer letzten
Sicherheit spendenden und Zuflucht gewährenden Stätte, die größte destabilisierende
Bedeutung. Frau S, die seit Jahren latent lebensmüde erscheint, reagiert regelmäßig
akut suizidal in Situationen, die mit der Thematik des Hausverlustes direkt (erneuter
Zwangsversteigerungstermin) oder indirekt (zum Beispiel Anwaltskorrespondenzen
etc.) in Zusammenhang stehen. Nachdem Frau S bei solchen Gelegenheiten bereits
mehrfach Suizidversuche durch Insulininjektionen in Überdosierung begangen hatte,
muss nach Angaben der Familienangehörigen aus der diesbezüglichen ständigen
Sorge heraus eine kontinuierliche personelle Begleitung, Betreuung und Kontrolle
erfolgen. Nur während der Präsenz der Familie vermag Frau S die gefürchtete
Bedrohung zu verdrängen und sich abzulenken, wobei aber eine basale Angst und
depressive Grundstimmung fast stets vorhanden bleibe [...]
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Während des stationären Aufenthaltes (Behandler war der Gutachter) stellte sich
heraus, dass Frau S bezüglich ihrer depressiven und Angstsymptomatik ein
Bewältigungsverfahren entwickelt hat, das durch Verdrängung, Aufsuchen von
mitmenschlicher Gesellschaft zur Ablenkung, helfersyndromartigen Verhalten etc.
gekennzeichnet ist. Ein Verdrängungsmechanismus steht ganz im Vordergrund [...]
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Frau S wurde mehrfach nachdrücklich darauf hingewiesen dass, sowohl hinsichtlich
der individuellen psychischen Situation, aber auch, um entsprechenden Forderungen
im Rahmen des Zwangsversteigerungsverfahrens ihres Hauses Rechnung zu tragen,
unbedingt eine weiterführende ambulante Therapie notwendig sei [...].
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Wie Frau S dem Gutachter aktuell erklärte, habe sie beiden Empfehlungen aufgrund
der oben genannten erneuten langzeitigen somatisch-stationären Behandlungen
bisher noch nicht nachkommen können. Die Fortsetzung der
psychopharmakologischen Behandlung sei allerdings durch die Hausärztin
gewährleistet worden [...].
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Grundsätzlich hat sich die depressive und bei Zuspitzung suizidale
Reaktionsbereitschaft bei Frau S, die nicht nur, aber insbesondere an das
Zwangsversteigerungsverfahrens ihres Hauses gekoppelt ist, nicht geändert. Ein
stationärer Aufenthalt in den Rheinischen Kliniken E vom Juni bis August 2007 diente
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lediglich einer Krisenintervention wegen erneuter Depressivität und latenter
Suizidalität und latenter Suizidalität bei Herannahen eines erneuten Termins in der
Zwangsversteigerungssache [...].
Angesichts von Suizidversuchen im Rahmen dieser Thematik in der Vergangenheit
(Einspritzung von Überdosierung von Insulin) muss diese Suiziddrohung weiterhin
sehr ernst genommen werden. Der beste Suizidschutz für Frau S besteht natürlich
darin, ihr Elternhaus weiterhin als Lebensmittelpunkt zu belassen. Ist dies nicht
möglich, so müsste bereits vor Erfolgen der Zwangsvollstreckung eine geschlossen-
psychiatrische Unterbringung Frau Ss zur Suizidprophylaxe erfolgen. Freilich ist damit
die Wahrscheinlichkeit einer ernst zu nehmenden Selbsttötung nur zu verringern, nicht
gänzlich aufzuheben. …"
11
Auf das Sachverständigengutachten vom 25. Januar 2008 wird im Übrigen ergänzend
Bezug genommen (Blatt 448 – 470 d.A.). Die Beteiligten zu 1) und zu 2) verblieben
hierauf bei ihren Rechtsstandpunkten. Durch Beschluss vom 21. Juli 2008 hob das
erkennende Beschwerdegericht auch den Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts
Aachen vom 31. August 2007 auf und versagte erneut den Zuschlag. Gleichzeitig stellte
es das Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 765a ZPO für die Dauer von drei
Monaten ab Zustellung desselben Beschlusses einstweilen ein, allerdings unter der
Auflage, dass die Beteiligte zu 1) binnen eines Monats nach Zustellung dieses
Beschlusses gegenüber dem Vollstreckungsgericht nachweise, dass sie unter Vorlage
dieses Beschlusses beim örtlich zuständigen Vormundschaftsgericht die Einrichtung
einer Betreuung für Frau S mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge,
Aufenthaltsbestimmungsrecht, Entscheidung über die geschlossene Unterbringung
beantragt habe mit dem Ziel, auf Antrag des Betreuers durch das Vormundschaftsgericht
die dauerhafte geschlossene Unterbringung von Frau S bis zur völligen
Entaktualisierung ihrer Suizidneigungen herbeizuführen. Die einstweilige Einstellung
des Verfahrens erfolgte nach Maßgabe des Tenors des Beschlusses vom 31. Juli 2008
nur für den Fall, dass die Beschwerdeführerin den vorstehend beschriebenen Auflagen
nicht fristgerecht nachkomme. Das Beschwerdegericht wies für den Fall der Fortsetzung
des Verfahrens bei Nichterfüllung der Auflagen das Vollstreckungsgericht an,
seinerseits den vorbezeichneten Antrag bei dem Vormundschaftsgericht zu stellen und
in jedem Falle einen Zuschlag nur zu erteilen, wenn sichergestellt sei, dass Frau S zum
Zeitpunkt der Zuschlagserteilung entweder nach Betreuungsrecht oder nach den
Vorschriften des PsychKG NW untergebracht sei oder dass eine Unterbringung vom
Vormundschaftsgericht nach beiden Rechtsinstituten abgelehnt worden sei. Wegen
weiterer Einzelheiten wird auf Blatt 480 ff. d.A. ergänzend Bezug genommen. Mit
Verfügung vom 28. August 2008 fragte die Rechtspflegerin bei dem
Vollstreckungsgericht beim Vormundschaftsgericht in Aachen nach, ob für die Mutter der
Schuldnerin ein Antrag auf Betreuung gestellt worden sei. Das Vormundschaftsgericht
Aachen erteilte unter dem 29. August 2008 zunächst die Auskunft, dass dies nicht der
Fall sei. Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 2) die Fortsetzung des vorgenannten
Versteigerungsverfahrens. Mit Beschluss vom 2. September 2008 setzte das
Amtsgericht Aachen das vorliegende Versteigerungsverfahren fort. Hiergegen erhob die
Beteiligte zu 1) sofortige Beschwerde und teilte mit, sie habe zwischenzeitlich Antrag
auf Einrichtung eines Betreuungsverfahrens gestellt. Mit Beschluss vom 25. März 2009
bestellte die Richterin bei dem Amtsgericht, Vormundschaftsgericht, Aachen Herrn S1 in
B1 zum Betreuer der Frau S mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge,
Aufenthaltsbestimmung und Vermögenssorge bis zum 20. März 2011. Das Amtsgericht
Aachen, Vollstreckungsgericht, holte sodann ein neues Sachverständigengutachten
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zum Wert des Objekts ein, welches der Sachverständige Dr. P in I1 unter dem 4. Mai
2009 vorlegte. Er schätzt darin den Wert des verfahrensgegenständlichen Grundstücks
auf nunmehr nur noch 153.000 €. Nach Anhörung der Beteiligten setzte das
Amtsgericht, Vollstreckungsgericht, Aachen durch Beschluss vom 9. Juni 2009 den
Verkehrswert der verfahrensgegenständlichen Immobilie auf 153.000 € fest (Blatt 551
der Akten). Unter dem 6. Juli 2009 bestellte das Amtsgericht, Vollstreckungsgericht,
Aachen Termin zur Zwangsversteigerung der verfahrensgegenständlichen Immobilie
auf Freitag, den 2. Oktober 2009 - 9:00 Uhr. Die Terminsveröffentlichung wurde
öffentlich bekannt gemacht, insbesondere im Internet unter www.ZVG-Portal.de seit dem
13. Juli 2009 (Bl. 562 d.A.). Die Terminsbestimmung wurde den
Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) und dem Betreuer von Frau S am 14.
Juli 2009 zugestellt (Bl. 566, 568 d.A.). Unter dem 17. September 2009 schrieb das
Amtsgericht, Vollstreckungsgericht, Aachen den Betreuer der Frau S dahingehend an,
dass im vorliegenden Verfahren Zuschlag an den Meistbietenden nur dann erteilt
werden dürfe, wenn Frau S entweder nach Betreuungsrecht untergebracht sei oder aber
eine solche Betreuung durch das Vormundschaftsgericht abgelehnt worden sei; mit
Rücksicht auf den anstehenden Versteigerungstermin werde er gebeten, die
erforderlichen Schritte zu unternehmen. Durch Schreiben vom 8. September 2009
erklärte der Betreuer der Frau S hingegen, er sehe momentan keinen Grund für einen
Antrag auf Unterbringung nach Betreuungsrecht. Denn nach Rücksprache mit dem
behandelnden Psychologen, Herrn G, I1, bestehe momentan keine akute Gefährdung.
Eine Unterbringung nach PsychKG NW sei wegen fehlender Fremdgefährdung
ebenfalls nicht möglich und nötig. Natürlich werde er den Gesundheitszustand von Frau
S weiterhin beobachten und regelmäßig Rücksprache mit dem behandelnden Arzt
halten oder einer Veränderung sofort reagieren zu können. Durch Schreiben vom 23.
September 2009 schrieb die Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts das
Vormundschaftsgericht Aachen unter Vorlage des Beschlusses der Kammer vom 21.
Juli 2008 und des Schreibens des Betreuers an und bat um Prüfung der Frage der
Unterbringung bzw. deren Ablehnung (Bl. 578 d.A.).
Im Termin zur Zwangsversteigerung vom 2. Oktober 2009 erschienen sodann unter
anderem Herr S, der Vater der Beteiligten zu 1) und Ehemann der Frau S, sowie der
Beteiligte zu 4). Die Versteigerungsbedingungen, wegen deren genauen Inhalts auf das
Versteigerungsprotokoll (Blatt 581 bis 590 d.A.) ergänzend Bezug genommen wird,
sahen für das geringste Gebot u.a. einen durch Zahlung zu berichtigenden Betrag von
13.000 € vor und keine bestehen bleibenden Rechte Dritter. Die Rechtspflegerin wies
im Übrigen im Termin darauf hin, "dass die Mutter der Schuldnerin psychisch erkrankt ist
und vor dem Hintergrund der landgerichtlichen Entscheidung vom 21.07.2008 – 3 T
350/07 – die Erteilung des Zuschlages ausgesetzt wird." Den Erschienenen wurde der
Tenor der Entscheidung erläutert (Bl. 583 d.A.) Nachdem das Vollstreckungsgericht um
9:05 Uhr zur Abgabe von Geboten aufgefordert hatte, blieb der Beteiligte zu 4) mit einem
Meistgebot von 107.200,00 € Meistbietender bis zum Ende der Bietzeit um 9:38 Uhr. Die
Rechtspflegerin bei dem Vollstreckungsgericht beraumte daraufhin Termin zur
Verkündung der Entscheidung über den Zuschlag an auf Mittwoch, den 21. Oktober
2009. Unter dem 2. Oktober 2009 fasste die Richterin bei dem Amtsgericht Aachen,
Betreuungsgericht, den Beschluss, die Unterbringung der Frau S werde abgelehnt (Bl.
592 d.A.). Zur Begründung führte die Betreuungsrichterin aus, die Rechtspflegerin der
Zwangsversteigerungsabteilung habe zwar im Hinblick auf das Versteigerungsverfahren
um Prüfung der Frage der Unterbringung beziehungsweise deren Ablehnung gebeten.
Eine Unterbringung könne indes derzeit nur abgelehnt werden. Denn die
Voraussetzungen nach den §§ 12,14 PsychKG NW lägen nicht vor. Ferner fehle es an
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einem Antrag des Betreuers auf Genehmigung der geschlossenen Unterbringung nach
§ 1906 BGB. Schlussendlich komme auch eine Unterbringung durch das Gericht nach
§ 1846 BGB nicht in Betracht. Denn nach dieser Vorschrift könne das Gericht die
Entscheidung des Betreuers ersetzen, wenn dieser noch gar nicht bestellt oder zwar
bestellt, aber verhindert sei. Beides sei indes nicht der Fall. Der Betreuer sei bestellt und
erreichbar. Er habe sich ausdrücklich gegen Unterbringung ausgesprochen. Ein Fall
des § 1846 BGB sei nicht gegeben. Ferner lägen die gesundheitlichen
Voraussetzungen für eine Unterbringung der Frau S ausweislich des Schreibens des
Betreuers vom 18. September 2009 nicht vor. Durch Schreiben vom 20. Oktober 2009
stellte die Beteiligte zu 1) erneut Schuldnerschutzantrag mit der Begründung, ihre Mutter
habe noch einmal erklärt, dass sie das Haus nur "mit den Füßen voraus" verlassen
werde. Der Zuschlag sei zu versagen oder das Zwangsversteigerungsverfahren
einstweilen einzustellen. Durch am 21. Oktober 2009 verkündeten Beschluss (Blatt 598
d.A.) erteilte die Rechtspflegerin des Amtsgerichts, Vollstreckungsgericht, Aachen dem
Beteiligten zu 4) den Zuschlag über die verfahrensgegenständlichen Immobilie für einen
durch Zahlung zu berichtigenden Betrag von 107.200,00 €, bei keinen im Grundbuch
bestehen bleibenden Rechten und auch im Übrigen zu den durch die
Versteigerungsbedingungen vorgesehenen Bedingungen. In dem Beschluss weist die
Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts den Antrag der Beteiligten zu 1) vom 20.
Oktober 2009 auf Gewährung von Vollstreckungsschutz zurück. In den Gründen des
Beschlusses wird ausgeführt, nach Ansicht des Vollstreckungsgerichts sei die Mutter
der Beteiligten zu 1) durch den Beschluss der Kammer vom 21. Juli 2008 – 3 T 350/07 –
umfassend geschützt. Vor der Erteilung des Zuschlages habe das
Vormundschaftsgericht in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2009 die Unterbringung der
Betreuten im Hinblick auf ihren jetzigen psychischen Allgemeinzustand abgelehnt.
Somit sei die Auflage des landgerichtlichen Beschlusses erfüllt. Anderweitige Gründe
für eine Einstellung nach der sehr eng auszulegenden Vorschrift von § 765a ZPO seien
nicht vorgetragen, der Zuschlag daher zu erteilen. Gegen den ihren
Verfahrensbevollmächtigten am 23 Oktober 2009 zugestellten Beschluss erhebt die
Beteiligte zu 1) durch Schriftsatz vom 3. November 2009, eingehend bei Gericht am 4.
November 2009, abermals sofortige Beschwerde. Eine weitere Begründung hat sie
angekündigt, indes nicht zu den Akten gereicht. Am 6. November 2009 legte nunmehr
auch der Beteiligte zu Ziffer 4) sofortige Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss
ein. Zur Begründung führte er aus, er habe die Erläuterungen des Gerichts im
Zwangsversteigerungstermin so verstanden, dass der Zuschlag nur dann erteilt werden
könne, wenn die psychisch kranke und suizidgefährdete Mutter der Schuldnerin aus
dem Hause ausgezogen beziehungsweise in eine entsprechende Einrichtung
eingewiesen worden sei. Solange sie indes noch dort wohne, sei er nicht zur Zahlung
bereit und ziehe sein Meistgebot daher zurück. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf
den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.
II.
14
Die sofortigen Beschwerden der Beteiligten zu 1) und zu 4) sind statthaft gemäß §§ 11
Abs. 1 RPflG, 96 ZVG, 793, 567 ff. ZPO und auch im Übrigen in formeller Hinsicht
unbedenklich.
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In der Sache haben beide Rechtsmittel indes keinen Erfolg. Gemäß § 100 Abs. 1 ZVG
kann die sofortige Beschwerde gegen einen Zuschlagsbeschluss nur darauf gestützt
werden, dass eine der Vorschriften der §§ 81, 83 - 85 a ZVG verletzt oder dass der
Zuschlag unter anderen als den der Versteigerung zugrunde gelegten Bedingungen
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erteilt worden ist. Diese Aufzählung der Beschwerdegründe ist erschöpfend. Deshalb
dürfen nur sie vom Beschwerdegericht nachgeprüft werden, wobei eine Verletzung der
§§ 81, 83 Nr. 1 - 5, 84 - 85 a ZVG zusätzlich nur dann zu beachten ist, wenn eine
entsprechende Rechtsverletzung von dem Beschwerdeführer ausdrücklich gerügt
worden ist. Lediglich die in § 83 Nr. 6 und Nr. 7 ZVG bezeichneten Versagungsgründe
hat das Beschwerdegericht von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 100 Abs. 3 ZVG).
1.)
17
Insbesondere die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist unbegründet. Der
angefochtene Zuschlagsbeschluss ist nicht unter Verletzung der gemäß § 100 Abs. 3
ZVG von Amts wegen zu beachtenden Bestimmung des § 83 Nr. 6 ZVG ergangen, der
eine Zuschlagsversagung für den Fall vorsieht, dass die Zwangsversteigerung aus
einem "sonstigen Grunde" unzulässig ist. Zu derartigen, sonstigen Gründen zählen zwar
grundsätzlich insbesondere Verstöße gegen die Voraussetzungen der
Zwangsvollstreckung als Erfordernisse der Verfahrensanordnung und –durchführung
und alle Hinderungsgründe, die den Fortgang der Zwangsvollstreckung aufhalten, somit
die Schuldnerinteressen wahrenden Aufhebungs- und Einstellungsgründe (vgl. Stöber,
Zwangsversteigerungsgesetz, 19. Auflage 2009, § 83 Rdn. 4). Am Maßstab dieser
Grundsätze ist eine erneute Versagung des Zuschlages und einstweilige Einstellung
des Verfahrens gemäß §§ 100 Abs. 3, 83 Nr. 6 ZVG i.V.m. § 765a ZPO unter
Berücksichtigung der guten Sitten im Hinblick auf die beachtenswerten Interessen der
Gläubigerin unter keinem denkbaren Aspekt mehr zumutbar oder auch nur vertretbar.
Vielmehr zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht Aachen,
Vollstreckungsgericht, den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Bewilligung von
Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO, zurückgewiesen. Nach § 765a ZPO ist eine
Zwangsvollstreckungsmaßnahme auf Antrag des Schuldners (nur) dann ganz oder
teilweise aufzuheben, zu untersagen oder einstweilen einzustellen, wenn die
Maßnahme ansonsten unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers
wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeuten würde, die mit den guten Sitten
schlechthin unvereinbar wäre, insbesondere den elementaren Wertentscheidungen des
Grundgesetzes zuwiderliefe. Ebenso wenig wie bei der Zwangsräumung schließt eine
bestehende Suizid- oder sonstige Lebensgefahr für den Schuldner oder einen ihm
nahestehenden Verwandten die Zuschlagserteilung im Rahmen der
Zwangsversteigerung von vornherein vollständig aus. Vielmehr ist unter
Berücksichtigung der auch in der Zwangsvollstreckung geschützten Grundrechte auch
des Schuldners und der grundsätzlichen Wertentscheidungen des Grundgesetzes eine
umfassende Würdigung aller Umstände vorzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 24.
November 2005 – V ZB 99/05, NJW 2006, 505 [506] m.w.N.; BGH Beschluss vom 4. Mai
2005 – I ZB 10/05, NJW 2005, 1859; BGH Beschluss vom 14. Juni 2007 – V ZB 28/07,
NJW 2007, 3719; BGH Beschluss vom 13. März 2008 – I ZB 59/07, NJW 2008, 1742;
BVerfG, Beschluss vom 25. September 2003 – I BvR 1920/03, NJW 2004, 49, BVerfG,
Beschluss vom 11. Juli 2007 – 1 BvR 501/07, NJW 2007, 2910). Diese
Interessenabwägung kann allerdings im Einzelfall dazu führen, dass die Vollstreckung
für einen längeren Zeitraum und – in absoluten Sonderfällen – auf unbestimmte Zeit
einzustellen ist. Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr
für Leib oder Leben des Schuldners oder eines nahestehenden Angehörigen verbunden
ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen
eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der – in diesen Fällen ganz
besonders gewichtigen – Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen
des Gläubigers. Auch dieser kann sich auf seine Grundrechte berufen, deren Schutz
18
und Durchsetzung das Zwangsvollstreckungsverfahren gerade zu dienen bestimmt ist.
Unterbleiben Räumungsvollstreckung oder Zuschlagserteilung wegen der Annahme
einer Suizidgefahr, die immerhin auch bei sorgfältiger fachlicher Prüfung nur auf der
Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten beruhen kann, wird in das Grundrecht des
Gläubigers auf Schutz seines Eigentums eingegriffen und sein verfassungsrechtlich
verankerter Anspruch auf effektiven Rechtsschutz desselben beeinträchtigt (vgl. BGH,
Beschluss vom 24. November 2005 – V ZB 99/05, NJW 2006, 505 [506]). Unter
Beachtung des Vorstehenden geht die Kammer davon aus, dass die Abwägung der
widerstreitenden Interessen der Verfahrensbeteiligten zugunsten der Beteiligten zu 2)
ausfällt, wobei im Einzelnen folgende Erwägungen maßgeblich waren:
(a.) Die Kammer geht allerdings auf der Grundlage der bisher eingeholten
Sachverständigengutachten und des weiteren Vortrages der Beteiligten zu 1), die
mitteilte, Ihre Mutter werde das Haus "nur noch mit den Füßen voran verlassen",
weiterhin davon aus, dass sich die Mutter der Schuldnerin nach gutachterlich belegter,
fachärztlicher Einschätzung für den Fall der Zuschlagserteilung auch weiterhin in einer
derartig hohen Gefahr einer Selbsttötung befindet, dass nach menschlichem Ermessen
davon ausgegangen werden muss, dass sie bei Bestätigung des Zuschlages an die
Beteiligte zu 2) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht nur mit dem Versuch einer
Selbsttötung drohen, sondern diese auch tatsächlich und ernsthaft in die Tat
umzusetzen versuchen würde. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass
sich die gesundheitliche Situation der Mutter der Beteiligten zu 1) gebessert hätte.
Insoweit nimmt die Kammer daher vollinhaltlich auf die Ausführungen in den
Beschlüssen des erkennenden Beschwerdegerichts vom 21. Juli 2008 und 2. Juni 2006
ergänzend Bezug. Gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. I hatte die
Kammer insbesondere festgestellt: "Nach der Einschätzung des gerichtlich beauftragten
Sachverständigen, der der Kammer aus seiner gutachterlichen Tätigkeit insbesondere
im Rahmen von Betreuungs- und sonstigen Freiheitsentziehungssachen als erfahren
und nicht leichtfertig in seinem Urteil bekannt ist, besteht die ganz konkrete Besorgnis,
dass sich die Mutter der Schuldnerin bei Fortdauer des
Zwangsversteigerungsverfahrens, insbesondere durch endgültige Erteilung des
Zuschlags, selbst töten werde. Diese gutachterlichen Aussagen, die die Richtigkeit der
von der Schuldnerin vorgelegten Atteste bestätigen, sind durch nachvollziehbare und
plausible Erwägungen gestützt und überzeugen die Kammer in Begründung und
Ergebnis. Zum einen weist der Gutachter auf konkrete Überlegungen von Frau S zur
Durchführung von Selbstmordversuchen hin sowie auf bereits (erfolglos) durchgeführte,
aber im Hinblick auf die künftige Entwicklung ähnlich wie Vorbereitungshandlungen zu
bewertende Versuche und schlussendlich auf die Tatsache, dass Frau S als
Diabetikerin leicht über die Möglichkeit verfügt, sich selbst Insulinüberdosen zu
verabreichen, wie auch in der Vergangenheit (wenn auch ohne tödlichen Ausgang)
bereits geschehen."
19
(b.) Die Ausführungen des Gutachters beinhalten auch die Antwort auf die bei
Fallgestaltungen der vorliegenden Art vorrangig zu treffende Feststellung, aus welchem
Grund die Absicht zur Selbsttötung besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November
2005 – V ZB 99/05, NJW 2006, 505 [507]). Läge der Grund nämlich lediglich darin, dass
der Gefährdete die nach dem Zuschlag drohende Zwangsräumung, also den
tatsächlichen Verlust seines bisherigen Lebensmittelpunktes fürchtet, hätte es
ausgereicht, dass der Suizidgefahr durch einen Antrag auf einstweilige Einstellung der
dem Versteigerungsverfahren folgenden Räumungsvollstreckung begegnet werden
kann. Auf der Grundlage der gutachterlichen Einschätzung geht die Kammer allerdings
20
davon aus, dass vorliegend bereits die mit der (endgültigen) Zuschlagserteilung
einhergehende Gewissheit, bildlich gesprochen das Elternhaus zu verlieren, die
Suizidgefahr der Mutter der Schuldnerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
realisieren würde. Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Mutter der
Schuldnerin ihre erneut ausgesprochene Selbstmorddrohung an das "Verlassen" des
Hauses knüpft, weil die Mutter der Schuldnerin nach der bisherigen gutachterlichen
Feststellungslage offensichtlich die Frage des Unterliegens im
Zwangsversteigerungsverfahren mit dem "Verlassen" des Hauses im übertragenen
Sinne gleichsetzt (die zuletzt genannte Frage kann aber auch dahinstehen. Denn wäre
die Suiziddrohung nur für den Fall einer Räumungsvollstreckung aktuell, wäre die
sofortige Beschwerde schon aus diesem Grunde unbegründet).
(c.) Die Kammer hatte sodann sorgfältig zu prüfen, ob der wie vorstehend festgestellten,
realen Gefahr nicht auch anders als durch (schlichte) Einstellung der
Zwangsvollstreckung und Versagung des Zuschlages wirksam begegnet werden kann
und wie man den widerstreitenden Interessen der Verfahrensbeteiligten vorliegend
gerecht werden konnte. Hierbei kommt dem bisherigen Verfahrensablauf und
insbesondere den Abwägungen, Anordnungen und Vorkehrungen aus dem Beschluss
der Kammer vom 21. Juli 2008, dessen Maßgaben von dem Vollstreckungsgericht
ordnungsgemäß befolgt wurden, größte Bedeutung zu. Die Kammer hält an ihrer dem
Beschluss vom 21. Juli 2008 zugrunde liegenden Auffassung fest, dass die Interessen
der Schuldnerin bei zumutbarer Befolgung der Auflagen, die die Kammer durch den
vorherigen Beschluss auferlegt hat, hinreichend gewahrt sind, hingegen die Interessen
der betreibenden Gläubigerin, die im vorliegenden Verfahren bereits in erheblichem
Maße zurückzustecken hatte, in einer verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügenden
Weise nur noch durch Gewährung des Zuschlages gerecht zu werden ist.
21
(aa) Das Vollstreckungsgericht hat insbesondere nach Maßgabe des Beschlusses der
Kammer vom 21. Juli 2008 alle seine Möglichkeiten ausgeschöpft, die Mutter der
Schuldnerin vor Erteilung des Zuschlages in einer solchen Weise geschlossen
unterbringen zu lassen, die den größtmöglichen (und vom Gutachter dringlich
empfohlenen, Seite 21 des Gutachtens vom 25. Januar 2008, Bl. 468 d.A.) Schutz und
die größtmögliche Kontrolle zur Vermeidung von Suizidversuchen der Mutter der
Schuldnerin gewährleistet hätte. Die Kammer ist insoweit der Auffassung, dass die
Vorgaben, die insbesondere durch den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom
14. Juni 2007 – V ZB 28/07 (NJW 2007, 3719 ff.) hinsichtlich der erforderlichen eigenen
Bemühungen des Vollstreckungsgerichts gemacht werden, durch die Rechtspflegerin
bei dem Vollstreckungsgericht Aachen auch unter Berücksichtigung des Beschlusses
der Kammer vom 21. August 2008 vollauf beachtet wurden: Eine Möglichkeit, die Gefahr
anders abzuwenden als durch Einstellung des Verfahrens und Versagung des
Zuschlages, wäre insbesondere die Ingewahrsamnahme der Mutter der Schuldnerin
nach polizeirechtlichen Vorschriften bzw. Unterbringung nach den einschlägigen
Landesgesetzen gewesen (vgl. hierzu BGHZ 163, 66 [74], BGH, NJW 2006, 505 [507],
NJW 2006, 508, 2007, 3719 [3720]). Allerdings sind solche begleitenden Maßnahmen
nur dann geeignet, der Suizidgefahr entgegenzuwirken, wenn ihre Vornahme auch
weitestgehend sichergestellt ist (vgl. BGH NJW 2006, 508). Daher hatte das
Beschwerdegericht das Vollstreckungsgericht angewiesen, den Zuschlag nur zu
erteilen, wenn eine entsprechende Unterbringung durch das zuständige
Vormundschaftsgericht entweder ausgesprochen oder abgelehnt wurde. Insoweit hat
das Vollstreckungsgericht das in seiner Macht stehende getan, um darauf hinzuwirken,
dass die Mutter der Schuldnerin untergebracht wird. Hält aber das zuständige
22
Vormundschaftsgericht eine Unterbringung zum Schutze des Lebens der Mutter der
Schuldnerin nicht für erforderlich und wird diese Entscheidung bestandskräftig, so liegt
darin eine Entscheidung der für die Frage der Unterbringung unter dem Gesichtspunkt
der Selbstgefährdung primär zuständigen Stelle, die es im Regelfall gestattet, die
Zwangsvollstreckung fortzusetzen (BGH NJW 2007, 3719 [3721]; vgl. Schuschke, NJW
2006, 876, 877). Da die Rechtspflegerin bei dem Vollstreckungsgericht schließlich
selbst nicht berechtigt ist, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des
Vormundschaftsgerichts einzulegen, ist nicht ersichtlich, wie das Vollstreckungsgericht
noch ein anderes Ergebnis in der Unterbringungssache vor Zuschlagserteilung hätte
herbeiführen sollen. In gleicher Weise hat das Vollstreckungsgericht darauf hingewirkt,
dass die Mutter der Schuldnerin nach den Grundsätzen des Betreuungsrechts
untergebracht werden möge. Nachdem das Amtsgericht Aachen einen Betreuer bestellt
und dieser sich allerdings trotz der sich abzeichnenden Entscheidung für einen
Zuschlag geweigert hat, einen entsprechenden Antrag auf Unterbringung seiner
Betreuten zu stellen, war zu beachten, dass das Amtsgericht Aachen durch Beschluss
vom 2. Oktober 2009 die Unterbringung der Mutter der Schuldnerin auch nach Maßgabe
von § 1846 BGB abgelehnt hat. Auch insoweit sind die Möglichkeiten des
Vollstreckungsgerichts, die Mutter der Schuldnerin vor sich selbst zu schützen und
gleichzeitig die Vermögensinteressen der Beteiligten zu 2) nicht völlig zu ignorieren,
ausgeschöpft. Insbesondere der Betreuer hingegen hat sich hier offenbar darauf
beschränkt, die Situation zwischen (der Mutter) der Schuldnerin und der betreibenden
Gläubigerin in der für diese Fallkonstellationen typischen "Pattsituation" belassen:
solange kein Zuschlag erteilt ist, geht es dem Suizidkandidaten den Umständen
entsprechend gut und eine Unterbringung ist – vor allem aus seiner Sicht – nicht
erforderlich, so dass er sich auch nicht zu freiwilligen Unterbringungsmaßnahmen
veranlasst sieht. Erteilt werden kann der Zuschlag andererseits aber auch nicht so ohne
weiteres, denn dann bestünde ja eine ungesicherte Gefahr, weil der Suizidkandidat
nicht schon zuvor untergebracht ist. Die Kammer ist der Auffassung, dass diese Haltung
der Suizidgefährdeten und ihres Betreuers mit der den Gefährdeten treffenden
Obliegenheit, alles ihm Zumutbare zu tun (vgl. BGH NJW 2005, 1859), um an der
Abwendung der Lebensgefahr mitzuwirken, schlechthin unvereinbar ist: Einmal ganz
abgesehen davon, dass die Mutter der Schuldnerin sich trotz der seit vielen Jahren
bekannten Problematik und der gutachterlicherseits erteilten Ratschläge nicht in
freiwillig geschlossene Behandlung begeben hat, was jederzeit möglich gewesen wäre,
kann, sofern sowohl der bestellte Betreuer als auch das zuständige
Vormundschaftsgericht auch angesichts der bevorstehenden Zuschlagsentscheidung
keinen Handlungsbedarf hinsichtlich einer zwangsweisen Unterbringung sehen, die
Entscheidung über die Erteilung oder Versagung des Zuschlages nicht mehr in der
Weise erfolgen, dass die Gefahr in anderer Weise abgewendet wird. Vielmehr wird die
Mutter der Schuldnerin diese Gefahr nunmehr entweder hinnehmen müssen oder ihr
Betreuer wird sie gegebenenfalls doch noch unterzubringen haben.
(bb.) Dass im Übrigen noch mildere Mittel als die schlichte Erteilung des Zuschlages,
namentlich mehrfach erfolgte zeitweise Einstellungen des Verfahrens, in der
Vergangenheit sich als zwecklos erwiesen haben, liegt im Übrigen auf der Hand: bloße
Empfehlungen an die Mutter der Schuldnerin, sich behandeln zu lassen, haben über
einen jahrelangen Zeitraum im Sinne einer hinreichenden Stabilisierung nichts erbracht
(Dr. I empfahl bereits durch Gutachten vom 21. Mai 2006 dringlich eine "baldigst
anzutretende psychiatrische Fachbehandlung mit der Möglichkeit einer suffizienten
psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Therapie", Bl. 314 d.A.). Woran
genau dies letztlich gescheitert ist, sei es an Dickfelligkeit der Mutter der Schuldnerin,
23
sei es an einer subjektiv nicht behebbaren Unfähigkeit sich erfolgreich therapieren zu
lassen, kann dahin stehen. Die bisherigen Zeitaufschübe, die die Mutter der Schuldnerin
durch die bereits zweifach erfolgte Zuschlagsversagung im Beschwerdeverfahren und
die bereits zuvor erfolgte, bewilligte einstweilige Einstellung des Verfahrens haben sich
jedenfalls nicht als erfolgreich erwiesen und es darf nunmehr unterstellt werden, dass
die Mutter der Schuldnerin, gleich wie viel Zeit sie auch erhält, entweder nicht willens
oder nicht in der Lage ist, sich erfolgreich gegen Ihre Suizidneigungen behandeln zu
lassen, erst recht nicht auf freiwilliger Basis.
(cc.) Die Kammer weist abschließend in aller Deutlichkeit darauf hin, dass vorliegend
keineswegs leichtfertig "Geld wichtiger erachtet wird als ein Menschenleben". Im
Gegenteil ist vorliegend eine Konstellation gegeben, in der die Mutter der Schuldnerin in
wirtschaftlich völlig aussichtsloser Situation ihren eigenen und ihrer Tochter Besitz auf
Kosten der betreibenden Gläubigerin – vermögensrechtlich evident zu Unrecht (!) – zu
verteidigen sucht, indem sie die Justiz und die finanzierende Bank moralisch
dahingehend erpresst, dass man sie entweder in Ruhe lassen oder aber eben Schuld
an ihrem Tode tragen soll. Soweit darin das Bestreben zum Ausdruck kommt, trotz der
sicheren Erkenntnis, nicht sowohl das Haus als auch die eigene Gesundheit retten zu
können, beides dennoch um jeden Preis zu verteidigen, kann dies nicht länger
hingenommen werden. Alles andere wäre die Versagung jeglichen
Grundrechtsschutzes an die Beteiligte zu 2), die die Situation der Mutter der Schuldnerin
weder zurechenbar verursacht hat noch anderweitig dafür haftet, indes bisher die
finanziell Leidtragende der erfolglosen Bemühungen um die Mutter der Schuldnerin war.
24
(d.) Schlussendlich sind vom Amtsgericht auch die Übrigen von Amts wegen zu
beachtenden Vorschriften der §§ 83 Nr. 7, 43 Abs. 1, 73 Abs. 1 ZVG beachtet worden:
Die Bestimmung des Versteigerungstermins ist entsprechend Ziffer 1.3 der AV d. JM
vom 23. Mai 2007 (3750 - I. 3) - JMBl. NRW S. 134 – über die Öffentliche
Bekanntmachung in Zwangsversteigerungssachen im Internet mehr als 6 Wochen vor
dem Versteigerungstermin im Internet bekannt gemacht worden (§ 43 Abs. 1 ZVG).
Ausweislich des Versteigerungsprotokolls ist im Termin auch die 30-minütige Frist
zwischen der Aufforderung zur Abgabe von Geboten und dem Zeitpunkt, in welchem
bezüglich sämtlicher zu versteigernder Grundstücke die Versteigerung geschlossen
wird (§ 73 Abs. 1 ZVG), eingehalten worden.
25
2.)
26
Des Weiteren ist auch die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 4) unbegründet.
Dieser hat den Zuschlag mit der Begründung angefochten, er habe gedacht, die
Erteilung des Zuschlages an ihn sei nur möglich, wenn die Mutter der Schuldnerin das
Haus geräumt habe. Die entsprechende Beschwerde ist zum einen deshalb
unbegründet, weil ein wirksames Gebot in der Zwangsversteigerung generell nicht
nachträglich zurückgenommen werden kann (vgl. Stöber ZVG, § 71 Rdn. 2.4; § 72 Rdn.
2.2).
27
Aber auch soweit der Beteiligte zu 4) sein Gebot mit der Begründung anfechten möchte,
er sei im Irrtum gewesen, sich also auf Willensmängel stützt, weil er gedacht habe, dass
die Mutter der Beteiligten zu 1) untergebracht werde, dringt die Beschwerde nicht durch.
Ob eine Anfechtung des Zuschlags durch den Meistbietenden wegen Willensmängeln
durch die Zuschlagsbeschwerde nicht generell ausgeschlossen wird, kann hier schon
deshalb dahinstehen, weil es an einem Anfechtungsgrund fehlt. Nach § 119 Abs. 1 BGB
28
kann derjenige, der bei der Abgabe seiner Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum
war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte
(Erklärungsirrtum), die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei
Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben
hätte. Bei einem – hier allein in Betracht kommenden – Inhaltsirrtum entspricht zwar der
äußere Tatbestand dem Willen des Erklärenden, dieser irrt sich jedoch über die
Bedeutung oder die Tragweite seiner Erklärung (BGH NJW 2008, 2442). Nicht nach §
119 Abs. 1 BGB anfechtbar sind dagegen Erklärungen, die auf einen im Stadium der
Willensbildung unterlaufenen Irrtum im Beweggrund - Motivirrtum - (BGHZ 139, 177
[180] = NJW 1998, 3192) oder auf einer Fehlvorstellung über die Rechtsfolgen beruhen,
die sich nicht aus dem Inhalt der Erklärung ergeben, sondern kraft Gesetzes eintreten -
Rechtsfolgenirrtum - (BGHZ 70, 47 [48] = NJW 1978, 1257; BGH, NJW 1995, 1484
[1485]). Die Fehlvorstellung des Bieters bei der Abgabe des Gebots dahingehend, dass
der Zuschlag nur erteilt werden kann und dass sein Gebot nur für den Fall gelte, wenn
ein psychisch kranker und suizidaler Angehöriger des Schuldners das Haus bereits
verlassen habe, ist danach kein Irrtum über den Inhalt des Gebots, der nach § 119 Abs.
1 BGB zur Anfechtung einer Willenserklärung berechtigt. Die entsprechende
Fehlvorstellung des Bieters beeinflusst nur das der Gebotsabgabe vorausgehende
Stadium der Willensbildung über den Zeitpunkt, wann er das Meistgebot zu berichtigen
hat und ob (und mit welchem Aufwand) er gegebenenfalls eine Zwangsräumung wird
durchführen müssen. Der Bieter befindet sich in einem derartigen Fall bei der Abgabe
des Gebots in einem unbeachtlichen Motivirrtum, der nicht den Inhalt der Erklärung
betrifft, sondern die Rechtsfolgen, die sich an die Abgabe des Gebots knüpfen. Die
indes nach Maßgabe des Gesetzes sich an den Zuschlag auf das Meistgebot
anknüpfenden Rechtsfolgen beruhen nicht auf der Willensentschließung des Bieters bei
der Abgabe seines Gebots. Ein Inhaltsirrtum kann zwar auch darin begründet sein, dass
der Erklärende über die Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das
Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern
auch solche, die sich davon unterscheiden (RGZ 89, 29 [33]; BGHZ 168, 210 = NJW
2006, 3353 [3354]). Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt jedoch nur dann zur
Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die
beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher
und mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen
hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher
Motivirrtum (vgl. BGHZ 134, 152 [156] = NJW 1997, 653; BGHZ 168, 210 = NJW 2006,
3353). Der Rechtsfolgenirrtum eines Bieters über die Frage, ob der Zuschlag erst
erteilbar ist, wenn eine tatsächliche Unterbringung erfolgt ist, ist nicht als ein
wesentlicher Irrtum über den Inhalt des Gebots anzusehen, der diesen nach § 119 Abs.
1 BGB zur Anfechtung berechtigt. Ausschlaggebend dafür ist, dass der Bieter sein
Gebot in einem gesetzlich geregelten Verfahren abgibt. Die von dem Bieter gewollte
Rechtsfolge ist vor allem darauf gerichtet, in dem von dem Vollstreckungsgericht
geleiteten Bietgeschäft Meistbietender zu werden, und damit den Zuschlag nach
Maßgabe der Versteigerungsbedingungen zu erhalten.
3.)
29
Die Entscheidung über die Tragung der gerichtlichen Kosten beruht auf GKG KV 2241.
Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten (§§ 91 ff. ZPO)
war nicht veranlasst. Eine solche Kostenentscheidung kommt im Rahmen der
Zuschlagsbeschwerde auch bei Obsiegen des Beschwerdeführers nur unter
besonderen Umständen in Betracht, die einen der Beteiligten im Verhältnis zum
30
Beschwerdeführer zur unterliegenden Partei machten (vgl. BGH, Beschluss vom
18. September 2008 – V ZB 22/08; OLG Hamm, JurBüro 1966, 894 [896]; OLG Bremen,
Rechtspfleger 1985, [160 f.]). Derartige Umstände sind vorliegend nicht gegeben.
4.)
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Aufgrund der weiterhin grundsätzlichen Bedeutung der Sache, die sich nicht zuletzt an
einer sehr großen Anzahl von höchstrichterlichen Entscheidungen zu dem hier
berührten Themenkreis in den letzten Jahren zeigt, hat die Kammer die
Rechtsbeschwerde zugelassen, § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
32
Beschwerdewert:
33
Beschwerde der Beteiligten zu 1): 107.200,00 € (§ 3 ZPO: Meistgebot)
34
Beschwerde der Beteiligten zu 2): 107.200,00 € (§ 3 ZPO: Meistgebot)
35
Aachen, 11.12.2009 3. Zivilkammer
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W Vorsitzender Richter am
Landgericht
N Richter am
Landgericht
C Richter am
Landgericht
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