Urteil des LG Aachen vom 22.05.2009

LG Aachen: nebenkosten, wohnfläche, mietvertrag, wohnung, minderung, haftpflichtversicherung, vollstreckung, betriebskosten, toleranz, vermieter

Landgericht Aachen, 6 S 35/09
Datum:
22.05.2009
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 S 35/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Aachen, 101 C 85/08
Schlagworte:
Minderung, Wohnfläche, ca.-Angabe
Normen:
BGB § 536 Abs. 1; II BV § 44 Abs. 2
Leitsätze:
Bei einer "ca.-Angabe" einer Wohnfläche ist die Sollbeschaffenheit der
Wohnfläche mit einer Toleranz von +/- 5 % zu bestimmen. Dieser Wert it
der Bezugspunkt für die Berechnung der Minderung.
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Aachen vom
14. Januar 2009 - 101 C 85/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor seiner
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils von ihm zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
1
I.
2
Die Kläger schlossen unter dem 25. August 2002 mit dem Beklagten als (neuem)
Vermieter einen schriftlichen Mietvertrag über das Wohnhaus X1 in X2. Zu diesem
Zeitpunkt bewohnte der Kläger zu 1) die Wohnung bereits ca. 15 und die Klägerin zu 2)
mehr als 5 Jahre. Ausweislich des Mietvertrages betrug die Wohnfläche ca. 100 m². Die
monatlich zu zahlende Miete wurde mit 495,98 € nebst 3,56 € für die
Haftpflichtversicherung vereinbart. Zudem enthält der Mustermietvertrag unter § 3 Nr. 3
folgende AGB-Regelung:
3
"Die Betriebskosten, wie nachfolgend spezifiziert, sind als Vorschuss vom Mieter
an den Vermieter zu zahlen und werden jährlich per _______ mit dem Mieter
abgerechnet. Die Umlegung der Kosten für Sammelheizung und
Warmwasserversorgung ist in § 6 dieses Vertrages vereinbart.
4
1. Die laufenden öffentlichen Lasten des Grundstücks, insbesondere Grundsteuer
2. Die Kosten der Wasserversorgung
3. Die Kosten der Entwässerung Niederschlagswasser (handschriftlich eingefügt)
4. (durchgestrichen)
5. Die Kosten der Straßenreinigung und Müllabfuhr
6. (durchgestrichen)
7. (durchgestrichen)
8. (durchgestrichen)
9. Die Kosten der Schornsteinreinigung
10. Die Kosten der Sach- und Haftpflichtversicherung
11. (durchgestrichen)
12. (durchgestrichen)
13. (durchgestrichen)
14. Sonstige Betriebskosten
15. (durchgestrichen)
5
6
Das Mietverhältnis wurde zum 31. Dezember 2007 beendet.
Nebenkostenvorauszahlungen wurden von Seiten der Kläger nicht gezahlt. Jedoch
hatte der Beklagte stets nach Ablauf des Abrechnungsjahres eine Abrechnung über die
jährlich angefallenen Niederschlags- und Schmutzwasserkosten sowie die
Müllgebühren erteilt. In den Jahren bis 2006 hatten die Kläger diese Kosten auch immer
ausgeglichen. Für das Jahr 2007 waren Niederschlags- und Schmutzwasserkosten
sowie Müllgebühren in einer Gesamthöhe von 443,36 € entstanden. Diese Kosten
beglichen die Kläger jedoch nicht. Unter dem 14. Januar 2008 forderten die Kläger den
Beklagten auf, an sie 6.798,24 € zu zahlen. Zur Begründung gaben sie an, die Wohnung
weise nicht die im Mietvertrag angegebene Größe auf, weshalb sie in den Jahren von
2002 bis 2007 zu viel an Miete gezahlt hätten.
7
Die Kläger haben zunächst behauptet die Wohnung weise statt der im Mietvertrag
angegebenen 100m² lediglich eine Grundfläche von 80,96m² auf. Sie sind daher der
Ansicht gewesen, ihnen stehe ein Rückerstattungsanspruch wegen zu viel gezahlter
Miete für die Jahre 2002 bis 2007 in Höhe von 6.798,24 € zu (19,04m²*4,96€=94,42€
monatlich; 94,42€*72Monate).
8
Die Kläger haben ferner behauptet, die abweichende Wohnungsgröße sei ihnen
während ihrer Mietzeiten nicht aufgefallen. Erst nach ihrem Auszug sei ihnen von ihrem
Prozessbevollmächtigten angeraten worden, die Wohnungsgröße nachprüfen zu
lassen.
9
Mit ihrer Klage haben sie ursprünglich die Zahlung eines Betrages in Höhe von
6.798,24 € begehrt. Am 30. Juli 2008 hat das Amtsgericht ein Teilanerkenntnisurteil über
einen inzwischen auch beglichenen Betrag in Höhe von 1.638,88 € erlassen. Nachdem
das Amtsgericht weiterhin Beweis über die Grundfläche der Wohnung durch Einholung
eines Sachverständigengutachtens erhoben und der Sachverständige eine Grundfläche
von 83,19m² ermittelt hatte, haben die Kläger ihre Klage auf 6.001,92 € abzüglich
gezahlter 1.638,88 € ermäßigt.
10
Die Kläger haben erstinstanzlich zuletzt beantragt,
11
den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.001,92 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
25. Januar 2008 abzüglich am 20. August 2008 geleisteter
1.638,88 € zu zahlen.
12
Der Beklagte hat beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Zudem hat er gegenüber der
Klageforderung die Aufrechnung mit den Nebenkosten für das Jahr 2007 in Höhe von
443,36 € sowie mit einem angeblichen Schadensersatzanspruch in Höhe von 293,34 €
erklärt. Diesbezüglich hat er behauptet, es habe im Bad der streitgegenständlichen
Wohnung einen Wasserschaden geben, der von den Klägern nicht zeitnah gemeldet
worden sei, wodurch sich der Schaden vergrößert habe. Die hierdurch erforderlichen
Sanierungsarbeiten hätten Kosten in Höhe von 293,34 € verursacht.
15
Die Kläger sind der Ansicht gewesen, zur Zahlung von Nebenkosten aufgrund des
Mietvertrages nicht verpflichtet zu sein. Zudem haben sie behauptet, aufgrund eines
Rechtsirrtums – was unstreitig ist – die Nebenkosten in der Vergangenheit erstattet zu
haben.
16
Das Amtsgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 14. Januar 2009, den Klägern
zugestellt am 30. Januar 2009 zur Zahlung eines Betrages in Höhe von weiteren
2.356,56 € nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Miete sei
wegen der Größenabweichung gemäß § 536 BGB gemindert gewesen. Dabei hat das
Amtsgericht eine Istgröße von 83,19m² und eine Sollgröße der Wohnung von 95m²
angenommen. Da es sich bei der Angabe im Mietvertrag um eine ca.-Angabe handele,
sei von einer Sollgröße von 95 bis 105m², also mindestens 95m² auszugehen. Von der
sich daraus berechnenden Rückforderung in Höhe von 4.438,80 € seien die
Nebenkosten in Höhe von 443,36 € in Abzug zu bringen.
17
Die Kläger haben unter dem 13. Februar 2009 Berufung gegen das Urteil eingelegt und
diese am selben Tage auch begründet.
18
Sie sind der Ansicht die Zugrundelegung einer vereinbarten Wohnungsgröße von
lediglich 95m² widerspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
zu den Wohnflächenabweichungen. Ferner habe auch keine Verpflichtung der
Beklagten zur Erstattung von Nebenkosten bestanden, weshalb dem Beklagten ein
aufrechenbarer Gegenanspruch nicht zugestanden habe.
19
Sie beantragen daher,
20
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Aachen vom 14. Januar
2009 (101 C 85(08) den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger
6.001,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 25. Januar 2008 abzüglich am 20. August 2008
gezahlter 1.638,88 € und abzüglich am 02. Februar 2009 gezahlter
21
2.629,04 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
22
die Berufung zurückzuweisen.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur
Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
24
II.
25
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
26
Den Klägern steht kein weitergehender Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall BGB
gegen den Beklagten zu. Die Miete war in dem Zeitraum von 2002 bis 2007 gemäß
§ 536 Abs. 1 BGB wegen der abweichenden Wohnfläche gemindert, jedoch nicht in
dem von den Klägern begehrten Umfang. Das Abweichen der tatsächlichen von der im
Mietvertrag angegebenen Mietfläche stellt einen Mangel der Mietsache im Sinne des
§ 536 Abs. 1 BGB dar, sofern eine gemietete Wohnung eine Wohnfläche aufweist, die
mehr als 10% unter der im Mietvertrag angegebenen Fläche liegt. Einer zusätzlichen
Darlegung des Mieters, dass infolge der Flächendifferenz die Tauglichkeit der Wohnung
zum vertragsgemäßen Gebrauch gemindert ist, bedarf es nicht (BGH NJW WuM 2005,
573; BGH NJW 2004, 1947; BGH WuM 2004, 268). Das gilt auch, wenn - wie hier - im
Mietvertrag die Wohnfläche des Mietobjekts bereits mit dem Zusatz "ca." versehen wird.
Liegt eine Wohnflächendifferenz (im Mietvertrag angegebene "ca.-Fläche" im Verhältnis
zur tatsächlichen Fläche) von mehr als 10% vor (sog. Erheblichkeitsgrenze), so ist eine
darüber hinausgehende Maßtoleranz - nicht anzuerkennen (vgl. BGH WuM 2004, 268).
Die Formulierung lässt erkennen, dass es den Parteien nicht entscheidend auf die
genaue Wohnungsgröße von 100m² ankommt, sondern durchaus Toleranzen
hingenommen werden sollten. Auch für solche Toleranzen ist jedoch die Grenze dort zu
ziehen, wo die Unerheblichkeit einer Tauglichkeitsminderung i.S. des § 536 Abs. 1 Satz
3 BGB endet (vgl. BGH a.a.O.). Bemessungsgrundlage der Minderung nach § 536 BGB
ist die Bruttomiete einschließlich einer Nebenkostenpauschale oder einer
Vorauszahlung auf die Nebenkosten.
27
Zutreffend hat das Amtsgericht insoweit festgestellt, dass eine erhebliche
Flächenabweichung vorliegt. Zwar bestehen aus Sicht der Kammer Bedenken im
Hinblick auf die zugrunde gelegte tatsächliche Wohnfläche von 83,19m². Soweit der
gerichtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. X3 in seinem Gutachten vom 06.
November 2008 zu diesem Ergebnis gelangt ist, ist nämlich zu bemerken, dass der
Sachverständige die Terrassenfläche mit 25% (2,21m²) in Ansatz gebracht. Nach § 4 Nr.
4 WoFlV sind Außenflächen mit ¼ bis ½, in der Regel jedoch mit ¼ anzurechnen.
Gemäß § 44 Abs. 2 II. BV, der auf den vorliegenden aus 2002 stammenden Mietvertrag
anzuwenden ist, sind Außenflächen jedoch mit bis zu 50% anzurechnen. Grundsätzlich
sind bei der Ermittlung von Wohnflächen im Anwendungsbereich des § 44 Abs. 2 II. BV
– vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarungen oder anderweitiger ortsüblicher
Berechnungsweisen, was hier nicht ersichtlich ist – Außenflächen mit dem Höchstsatz
des § 44 Abs. 2 II. BV, also 50%, anzurechnen (BGH, Urteil v. 22. April 2009, VIII ZR
86/08). Dies führt vorliegend dazu, dass die Istgröße der Wohnung nicht wie von dem
Sachverständigen festgestellt 83,19m², sondern 2,21m² mehr, mithin 85,4m² beträgt.
28
Hierauf kommt es jedoch nicht an, da die Kammer der Auffassung des Amtsgerichts
folgt, dass sich die Minderung nicht aus einer vereinbarten Wohnfläche von 100m²,
sondern lediglich von 95m² berechnet. Aus der mietvertraglichen Vereinbarung folgt,
dass die Wohnfläche ca. 100m² betragen sollte. Inhalt einer solchen Vereinbarung ist,
dass Wohnungsgröße hiervon auch nach unten oder oben abweichen kann. Vor diesem
Hintergrund kann nicht von einer vertraglich vereinbarten Sollbeschaffenheit von 100m²
ausgegangen werden. Vielmehr umfasst die Sollbeschaffenheit eine Spanne, wobei es
nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht diese mit +/- 5% angenommen hat. Da
die vereinbarte Sollbeschaffenheit demnach eine Wohnungsgröße von mindestens
95m² umfasste, ist auch die Minderung nur aus der Differenz bis zu dieser Größe zu
berechnen.
29
Zutreffend hat das Amtsgericht schließlich auch erkannt, dass der Anspruch der Kläger
in Höhe eines Betrages von 443,36 € nach §§ 387, 389 BGB untergegangen ist. Dem
Beklagten stand nämlich in dieser Höhe ein Anspruch auf Zahlung von Nebenkosten
aus § 535 Abs. 2, 556 BGB zu. Dabei kann es dahinstehen, ob zwischen den Parteien
monatliche Vorauszahlungen oder nur eine jährliche Umlage der Nebenkosten
vereinbart war, da die Nebenkosten in beiden Fällen von den Klägern zu tragen waren.
In dem Mietvertrag haben die Parteien bestimmte Nebenkosten herausgestrichen und
zudem das Niederschlagswasser hinzugefügt. Diese Eintragung ist nur dann
nachvollziehbar, wenn entsprechend § 3 Ziff. 3 Satz 2 des Mietvertrages die nicht
gestrichenen Nebenkosten von dem Mieter zu tragen sind. Etwas anderes ergibt sich
auch nicht daraus, dass die Kosten der Haftpflichtversicherung ausdrücklich in die Miete
miteinbezogen wurden. Durch diese Regelung handelt es sich hinsichtlich der Kosten
der Haftpflichtversicherung um eine Teilinklusivmiete. Im Übrigen waren die
aufgeführten Nebenkosten gesondert von den Klägern zu tragen. Für diese Auslegung
spricht auch, dass die Nebenkosten in den Folgejahren auch stets von den Klägern
gezahlt wurden und der Vertrag mithin auch entsprechend gelebt wurde. Vor diesem
Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, ob durch die späteren Zahlungen
konkludent eine vertragliche Vereinbarung getroffen worden ist, da diese bereits von
vorneherein bestand.
30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 2 ZPO.
31
Die Revision war in Anbetracht der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zur
Berechnung der Minderung bei ca.-Wohnflächenangaben in Mietverträgen hinsichtlich
dieser Frage nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen.
32
Streitwert:
33
1. Instanz:
34
bis zum 30.07.2008: 6.798,24 €
35
vom 31.07.2008 bis zum 27.11.2008: 5.159,36 €
36
ab dem 28.11.2009: 4.363,04 €
37
2. Instanz: 2006,48 €
38
X4
X5
Q
39