Urteil des LG Aachen vom 10.07.2009

LG Aachen (kläger, unfall, eintritt des schadens, verhältnis zu, höhe, schmerzensgeld, behandlung, gutachten, bemessung, zpo)

Landgericht Aachen, 7 O 272/07
Datum:
10.07.2009
Gericht:
Landgericht Aachen
Spruchkörper:
7. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 O 272/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d:
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Am 02.09.2005 befuhr der Kläger mit seinem Krad die BAB 44 auf dem rechten
Fahrstreifen in Richtung B. Der Beklagte zu 1) fuhr mit dem bei der Beklagten zu 2)
haftpflichtversicherten PKW Opel Calibra hinter dem Kläger. In Höhe des
Straßenkilometers 23.768 unterschätzte der Beklagte die Geschwindigkeit des vor ihm
fahrenden Klägers und fuhr auf ihn auf. Durch die Wucht des Aufpralls wurde das Krad
des Klägers nach vorne katapultiert und gegen das vor diesem fahrende Fahrzeug des
Unfallbeteiligten M geschleudert. Der Kläger selbst wurde durch das Getümmel der
beteiligten Fahrzeuge gewirbelt und blieb schließlich schwer verletzt auf dem
Seitenstreifen liegen. Zur Behandlung seiner Verletzungen wurde er in das
Universitätsklinikum der RWTH B verbracht. Dort wurde der Kläger vom 02. bis zum
05.09.2005 auf der Intensivstation versorgt. Anschließend erfolgte eine Verlegung auf
die unfallchirurgische Normalstation, erst am 13.09.2005 wurde der Kläger aus der
stationären Behandlung entlassen.
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Zur Weiterbehandlung begab sich der Kläger in die Praxis der Unfallchirurgen Drs. L
und O. Bereits während der stationären Behandlung im Universitätsklinikum der RWTH
B waren eine vordere Beckenringfraktur, eine Commocio cerebri mit multiplen
Weichteilverletzungen im Mittelgesícht, eine Rippenserienfraktur 5 + 6 rechts sowie ein
Harnwegsinfekt diagnostiziert worden. Die weiterbehandelnden Unfallchirurgen stellten
in ihrem Bericht vom 27.10.2005 (Bl 12 GA) fest, dass eine Serienfraktur von der 4. bis
zur 9. Rippe mit Verschiebungen bis zur halben Schaftbreite sowie eine mediale
Schambeinfraktur vorlagen. Auch 4 Monate nach dem Unfallereignis war der Kläger
weiter in Schmerztherapiebehandlung und besuchte 1 - 2 mal wöchentlich die
Krankengymnastik. In ihrem Arztbericht vom 10.02.2006 (Bl. 20 GA) hielten die
Unfallchirurgen Drs. L und O fest, dass der Kläger vom 02.09 bis zum 01.11.2005 zu 100
% arbeitsunfähig war, vom 02.11.2005 bis zum 26.01.2006 zu 50 % und vom 27.01.2006
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bis zum 28.02.2006 zu 20 %.
Zur weiteren Abklärung einer Sensibilitätsminderung überwiesen die Chirurgen den
Kläger einem Neurologen. Der daraufhin vom Kläger aufgesuchte Neurologe L1 stellte
in seinem Gutachten vom 21.08.2006 (Bl. 23ff GA) eine druckbedingte Läsion fest.
Diese führte er auf den Aufprall beim Unfall und folgenden Druck durch Hämatome
zurück.
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Die Angaben des Klägers bezüglich Gefühlsstörungen hielt der Neurologe L1 für
glaubhaft. Mit Blick in die Zukunft führte der Neurologe aus, dass sich die Beschwerden
im Verlauf von 1 - 2 Jahren nach dem Unfall noch rückbilden könnten. Ebenso sei aber
auch eine Verschlimmerung mit der Entwicklung neuralgischer Schmerzen denkbar. Die
den Kläger behandelnden Unfallchirurgen erklärten in ihrem Zwischenbericht vom
02.10.2006 (Bl. 27 GA) die Behandlung des Klägers hinsichtlich ihres Fachbereiches
als erledigt.
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In seinem fachunfallchirurgischen Gutachten vom 14.11.2006 (Bl. 29 ff GA) kam der
Privatdozent Dr. med. F des Universitätsklinikums RWTH B zu dem Ergebnis, dass die
knöchernen Verletzungen konsolidiert seien. Verblieben seien Sensibilitätsstörungen,
Missempfindungen und Schmerzen im Bereich der rechten Gesäßhälfte, die
insbesondere ein längeres Sitzen beeinträchtigten bzw. unmöglich machten.
Neurologischerseits seien Schäden im Bereich der Rami Sakralis Posterioris rechts
objektiviert. Diese körperlichen Beeinträchtigungen setzten die normale körperliche
Leistungsfähigkeit des Klägers um 10 % herab. Ob bereits ein Dauerzustand vorliege,
oder eine Verbesserung, oder aber eine Verschlimmerung der Situation eintreten werde,
könne zu dem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden.
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Die materiellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 02.09.2005 sind, abgesehen von
einer offenen Anwaltskostenforderung, seitens der Beklagten zu 2) vollständig reguliert
worden. Zwischen den Parteien herrscht ausschließlich Streit über die
Schmerzensgeldhöhe. Insofern hat die Beklagte zu 2) dem Kläger bereits 12.000,00
Euro gezahlt. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger ein darüber hinaus
gehendes Schmerzensgeld, weitere Anwaltskosten aus einem höheren Streitwert für die
vorprozessuale Vertretung, sowie einen immateriellen und materiellen Vorbehalt wegen
erwarteter Dauerfolgen.
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Der Kläger behauptet, der Unfall vom 02.09.2005 habe bei ihm zu einer
Rippenserienfraktur von der 2. bis zur 9. Rippe mit Verschiebung bis zur halben
Schaftbreite und zur medialen Schambeinfraktur geführt. Sämtliche von ihm
beschriebenen ärztlichen Behandlungen insbesondere auf die nach dem 21.01.2006,
beruhten auf dem streitgegenständlichen Unfall. Die von ihm dem neurologischen
Facharzt geschilderten Beeinträchtigungen - Sensibilitätsminderung,
Gefühlsminderungen und Schmerzen - lägen tatsächlich vor, und beruhten ebenfalls auf
dem Unfall vom 02.09.2005. Aus dem Unfallgeschehen seien Folgeschäden zu
erwarten, die noch nicht absehbar und abschließend benennbar seien. Zwar sei der
Heilungsverlauf - unstreitig - komplikationslos verlaufen, und überdies die
unfallbedingten Verletzungen auf dem unfallchirurgischen Fachgebiet - ebenfalls
unstreitig - folgenlos ausgeheilt, für die unfallbedingten Verletzungen auf dem
neurologischen Fachgebiet gelte dies jedoch nicht. Durch den Unfall vom 02.09.2005
sei in seinem Gesäß ein Bluterguss entstanden. Der Unfall aus dem Jahr 1994, der
damals zu einer HWS - Verletzung geführt habe, sei folgenlos ausgeheilt und habe sich
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auf das jetzige Unfallereignis, den Verlauf sowie den jetzigen Befund nicht ausgewirkt.
Der Kläger meint, ein angemessenes Schmerzensgeld betrage mindestens 15.000
Euro, abzüglich der bereits gezahlten 12.000 Euro. Die Tätigkeit seines
Prozessbevollmächtigten sei umfangreich und schwierig gewesen, dies belegten schon
die Anlagen zur Klageschrift, die zweijährige außergerichtliche Tätigkeit und die Fülle
der gewechselten Schriftsätze.
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Mit der am 27.11.2007 zugestellten Klage, beantragt der Kläger,
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1.
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein
angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts
gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 % - Punkten über dem Basiszins ab
Zustellung der Klageschrift abzgl. bereits gezahlter 12.000 Euro zu zahlen;
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2.
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festzustellen, dass die Beklagten zu 1. und 2. als Gesamtschuldner verpflichtet
sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen,
die ihm aus Anlass des von dem Beklagten zu 1. verursachten und
verschuldeten Verkehrsunfalles am 02.09.2005 in Aldenhoven noch entstehen
werden, soweit die entsprechenden Ansprüche nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen bzw. übergegangen
sind und
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3.
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, zur Freistellung des Klägers
weitere 114,69 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % - Punkten über dem
Basiszins ab Klagezustellung an die Rechtsanwälte L2 in K zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten meinen, wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des
Schmerzensgeldes, müsse die zu erwartende Entwicklung des Schadensbildes bereits
jetzt bei der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt werden. Für einen
Feststellungsantrag bleibe daneben kein Raum.
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Das Gericht hat die Akte 406 Js 1821/05 V beigezogen und Beweis erhoben durch
Einholung zweier Sachverständigengutachten.
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Mit Schriftsatz vom 14.05.2009 hat der Kläger einer Entscheidung im schriftlichen
Verfahren zugestimmt, mit Schriftsatz vom 25.05.2009 haben auch die Beklagten einer
Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Die Frist zur Einreichung von
Schriftsätzen hat das Gericht auf den 19. Juni 2009 bestimmt.
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Wegen der näheren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
22
Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die von ihnen
überreichten Unterlagen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
23
Das Gericht konnte gem. § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren ohne mündliche
Verhandlung entscheiden, denn die Parteien haben dem zugestimmt und seit der
Zustimmung sind noch keine drei Monate verstrichen.
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Die Klage ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.
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Der Feststellungsantrag ist bereits unzulässig, denn das gem. § 256 Abs. 1 ZPO
erforderliche besondere Feststellungsinteresse fehlt. Ein rechtliches Interesse an der
alsbaldigen Feststellung eines Rechtsverhältnisses ist gegeben, wenn dem Recht oder
der rechtlichen Lage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und
das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Unsicherheiten können sich
beispielsweise daraus ergeben, dass der vermeintliche Anspruchsgegner seine
Einstandspflicht erheblich bestreitet und Verjährung droht, bevor der entstandene
Schaden vollständig beziffert werden kann. So kann ein Verletzter, der noch nicht
absehbare Spätfolgen befürchtet, mit einem Feststellungsantrag die drohende
Verjährung abwenden. Es genügt, wenn ein künftiger Schaden an einem absoluten
Rechtsgut entfernt möglich ist. Art, Umfang und sogar Eintritt des Schadens dürfen noch
ungewiss sein. Maßgeblich für die Beurteilung des besonderen Feststellungsinteresses
ist im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung allein der Klägervortrag. Ausweislich des
Vorbringens des Klägers war zum Zeitpunkt der Klageerhebung offen, ob die von ihm
erlittenen Beeinträchtigungen bereits einen Endzustand erreicht haben, oder ob eine
Verbesserung oder Verschlimmerung des Zustandes zu erwarten sei. Die von vom
Kläger benannten Punkte sind jedoch vor dem Hintergrund, dass das ebenfalls
beantragte Schmerzensgeld einheitlich zu bemessen und dabei die künftigen
Entwicklungen der Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sind, schon bei der
Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes zu Grunde zu legen. Zu einem
besonderen Feststellungsinteresse führen sie allein nicht. Befürchtungen, dass zu den
bereits bestehenden Beeinträchtigungen weitere Schäden im Sinne von
unvorhersehbaren Folgeschäden hinzutreten könnten, äußert der Kläger dagegen
gerade nicht.
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Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, in der Sache unbegründet.
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Ein Schmerzensgeldanspruch des Klägers gegen die Beklagten ergibt sich dem Grunde
nach aus § 253 Abs. 2 BGB. Der Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) sind dem Kläger
wegen des Unfalls vom 02.09.2005 zum Schadensersatz wegen Verletzung des
Körpers und der Gesundheit verpflichtet. Für den Beklagten zu 1) ergibt sich das aus
§ 823 Abs. 1BGB, denn er hat die körperliche Gesundheit des Klägers bei diesem Unfall
widerrechtlich und jedenfalls fahrlässig beeinträchtigt. Die Beklagte zu 2) haftet dem
Kläger aus § 7 Abs. 1 StVG, denn die Gesundheit des Klägers wurde bei Betrieb des bei
der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW Opel Calibra an seiner Gesundheit
beschädigt. Aus der Regelung zur Durchgriffshaftung in § 115 VVG ergibt sich, dass der
Kläger seine Ansprüche direkt gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherung
geltend machen kann.
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Mit der Zahlung eines Schmerzensgeldes soll der immateriellen Schaden des
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Verletzten angemessen ausgleichen werden. Bei der Bemessung des
Schmerzensgeldanspruches hat das Gericht die doppelte Funktion des
Schmerzensgelds zu beachten. Der Verletzte soll nämlich einerseits durch die Zahlung
einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten. Er soll in die Lage versetzt
werden, sich eine Annehmlichkeit oder Erleichterung zu verschaffen, die die erlittenen
Beeinträchtigungen zumindest teilweise kompensiert. Neben diese Ausgleichsfunktion
tritt andererseits die Genugtuungsfunktion für das erfahrene Unrecht. Dieser Aspekt wirkt
sich jedoch regelmäßig nur dann auf die Höhe des Schmerzensgeldes aus, wenn die
Beeinträchtigungen auf einer vorsätzlichen oder einer grob fahrlässigen Handlung des
Schädigers beruhen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes muss das Gericht alle
maßgeblichen Umstände berücksichtigen und ein angemessenes Verhältnis zu Art und
Dauer der Verletzung herstellen. Dazu sind vom Gericht verschiedene
Bemessungskriterien heranzuziehen. Auf Seiten des Verletzten sind dies zum Beispiel
Ausmaß und Schwere der Schmerzen, Verbleiben von Narben und Dauer des
Krankenhausaufenthaltes als erhöhende Faktoren, aber gegebenenfalls auch ein
Mitverschulden des Geschädigten als anspruchsmindernder Faktor. Auf Seiten des
Schädigers können zum Beispiel die besonders brutale Tatausführung erhöhend, oder
die persönlich verminderte Einsichtsfähigkeit anspruchsmindernd berücksichtigt
werden.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall und nach Abwägung
aller einzubeziehenden Faktoren kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass dem Kläger
über den bereits gezahlten Betrag von 12.000,00 € hinaus kein Schmerzensgeld
zusteht.
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In die Bemessung hat das Gericht anspruchserhöhend einbezogen, dass sich der
Kläger vom 02.09.2005 bis zum 13.09.2005 in stationärer Behandlung im
Universitätsklinikum der RWTH B befand, wovon er 4 Tage auf der Intensivstation
verbringen musste. Während des Krankenhausaufenthaltes wurde eine vordere
Beckenringfraktur diagnostiziert, außerdem musste ein begleitender Harnwegsinfekt
behandelt werden. Die Weiterbehandlung nach Ende des stationären Aufenthaltes zog
sich über einen Zeitraum von 13 Monaten bei den behandelnden Unfallchirurgen, die
von verschiedentlichen Röntgenuntersuchungen und krankengymnastischen
Maßnahmen geprägt war.
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Das Gericht geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass der Kläger
durch den Unfall eine Rippenfraktur der 4. bis 9. Rippe erlitt. Der Sachverständige Dr. C
hat für sein Gutachten vom 26.09.2008 die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen,
insbesondere die Röntgenbilder vom Unfalltag, neu befundet. Dabei hat er die
Rippenfraktur der Rippen 4-9 auf zwei Aufnahmen festgestellt (Blatt 138 und 139 GA).
Dass er die gestellte Beweisfrage nur mit einem knappen Ja beantwortet hat (Blatt 140
GA), führt nicht zu Zweifeln an der Richtigkeit seines Gutachtens. Nach seinen
vorangestellten Befundungsergebnissen war ein einfaches "Ja" hier ausreichend. Der
Sachverständige brauchte diese im Beantwortungsteil nicht noch einmal zu
wiederholen.
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Dagegen konnte sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass auch die vom Kläger
vorgetragene Schambeinverletzung tatsächlich vorliegt. In diesem Punkt hat der
Sachverständige die Beweisfrage ebenfalls mit "Ja" beantwortet, ohne dass sich aus
den Erläuterungen für das Gericht nachvollziehbar ergibt, wie der Sachverständige zu
diesem Ergebnis gelangt ist. Die dem Sachverständigen zur Neubefundung
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überlassenen Röntgenaufnahmen zeigen ausweislich seines Gutachtens eine vordere
Beckenringfraktur und Sklerosierungssäume mit knöchernen Randausziehungen an
den Pfannendächern der Hüfte (Blatt 138 GA). Eine Schambeinfraktur stellt der
Sachverständige in diesem Zusammenhang nicht fest, obwohl dies zu erwarten
gewesen wäre.
Weiter hat das Gericht bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger auch noch
in der Zeit nach Januar 2006 an Schmerzen im Steißbeinbereich litt und eine dauerhafte
Sensibilitätsstörung am rechten Gesäß nach dem Unfall zurückbehalten hat. Beide
Gutachter haben in ihren Stellungnahmen übereinstimmend festgestellt, dass der Kläger
Schmerzen im Steißbeinbereich auch nach dem Januar 2006 hatte (Blatt 140 und 191
GA). Anlass zu Zweifeln an dieser Einschätzung sieht das Gericht nicht. Die
Empfindlichkeitsstörung schränkt den Kläger in seiner Lebensführung bereits bei
üblichen Aktivitäten, wie Fahrradfahren von mehr als 20 Kilometern und Sitzen von
mehr als 60 Minuten, sowie bei seiner Berufsausübung als Feuerwehrmann ein und
nicht etwa – wie die Beklagten meinen – erst bei extremen Belastungssituationen. Der
Sachverständige Dr. O1 hat in seinem Gutachten vom 30.01.2009 und in seiner
ergänzenden Stellungnahme vom 22.04.2009 nachvollziehbar dargelegt, dass beim
Kläger nicht lediglich eine subjektive, sondern eine objektivierbare Minderung der
Oberflächensensibilität (Hypästhesie) vorliegt (Blatt 216 GA). Die Hypästhesie hatte der
Gutachter bei der Untersuchung des Klägers am 26.01.2009 mittels eines
Wattestäbchens getestet und für das Versorgungsgebiete der Sakralnervenwurzeln S3
und S4 rechts festgestellt (Blatt 186 GA). Eine entsprechende Störung ohne Erkrankung
oder Verletzungsfolge hat der Sachverständige ausgeschlossen (Blatt 215 GA). Das
Gericht ist auch davon überzeugt, dass diese Beeinträchtigungen des Klägers auf den
streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen sind. Der Gutachter hat insofern
verständlich und nachvollziehbar erläutert, dass und warum die
Empfindlichkeitsstörungen nicht unmittelbar nach dem Unfall, sondern mit zeitlicher
Verzögerung aufgetaucht sind. In der ersten Zeit nach dem Unfall fehlen auslösende
Belastungssituationen, da ein Patient üblicherweise zunächst viel liegt und keine
großartigen Aktivitäten entfaltet. Überdies findet eine mechanische Druckeinwirkung auf
die Nervenwurzeln erst nach Ablauf einer gewissen Zeit statt, wenn es nämlich
beispielsweise im Verlauf des Heilungsprozesses des verletzten Gewebes zu
Narbenbildung gekommen ist, die dann Druck auf die Nervenwurzeln ausübt.
Anderweitige plausible Erklärungen für die Empfindlichkeitsstörung sind nicht
ersichtlich.
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Das Gericht ist nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. O1 zudem davon
überzeugt, dass die festgestellte Sensibilitätsstörung zu einer Minderung der
körperlichen Leistungsfähigkeit von nicht mehr aber auch nicht weniger als 10 % führt
und ein Dauerschaden vorliegt. Das betroffene Versorgungsgebiet ist von seiner Größe
her mit der Beeinträchtigung des Nervus cutaneus femoris lateralis vergleichbar. Für
dessen Ausfall wird eine Minderung der körperlichen Leistungsfährigkeit von ebenfalls
10 % ausgewiesen. Auch wenn eine Besserung des Missempfindens unter Umständen
noch möglich sein könnte, muss nach Ablauf von über 3 Jahren seit dem Unfall mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer dauerhaften Sensibilitätsstörung
ausgegangen werden. Vom Gericht berücksichtigt wurde ferner, dass eine
therapeutische Intervention zur Linderung der Empfindlichkeitsstörung nicht möglich ist.
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Bei der Schmerzensgeldbemessung hat das Gericht mindernd einbezogen, dass der
Heilungsprozess der unfallchirurgischen Verletzungen komplikationslos verlaufen ist.
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Der Kläger hat zumindest in dieser Hinsicht keine dauerhaften und bleibenden
Beeinträchtigungen davongetragen. Hinzukommt, dass die festgestellte
Sensibilitätsstörung den Kläger nicht konstant beeinträchtigt, sondern
belastungsabhängig ist. Psychosoziale Beeinträchtigungen oder Auswirkungen auf die
seelische Verfassung des Klägers konnten nicht festgestellt werden. Nicht zuletzt hat
das Gericht die außergerichtliche Bereitschaft der Beklagten zu 2) zur Zahlung des
angemessenen Schmerzensgeldes von insgesamt 12.000,00 € berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
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Streitwert: 6.000,00 €
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B1
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