Urteil des LAG Köln vom 08.08.2003

LArbG Köln (Einstweilige Verfügung, Arbeitsgericht, Tarifvertrag, Privatisierung, Bevölkerung, Arbeiter, Pflege, Beitrag, Staat, Druck)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Sachgebiet:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Köln, 11 (13) Sa 240/03
08.08.2003
Landesarbeitsgericht Köln
11. Kammer
Urteil
11 (13) Sa 240/03
Arbeitsgericht Bonn, 6 Ca 3171/02
Karneval; Rosenmontag; Arbeitsbefreiung; betriebliche Übung; tarifliche
Schriftformklausel
TV Arb § Abs. 2; PostPersRG § 21 Abs. 1 S. 2; BGB § 125
Arbeitsrecht
Ein Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung an Rosenmontag durch
betriebliche Übung ist im Geltungsbereich des ehemaligen TV Arb
(Tarifvertrag für Arbeiter der Deutschen Bundespost) auch durch
wiederholte vorbehaltlose Gewährung nicht entstanden. Er ist auch nicht
dadurch entstanden, dass die Praxis nach der Privatisierung zur
Deutschen Telekom AG fortgesetzt wurde, bis für diese der MTV am
01.07.2001 in Kraft trat. Dem stand die Formklausel für Nebenabreden in
beiden Tarifwerken entgegen. Die Arbeitsbefreiung an Rosenmontag ist
eine Nebenabrede.
Die Berufung des Klägers gegen das am 17.12.2002 verkündete Urteil
des Arbeitsgerichts Bonn
– 6 Ca 3171/02 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die beiderseits tarifgebundenen Parteien streiten um die Frage, ob dem Kläger im Karneval
an Rosenmontag bezahlte Arbeitsbefreiung zu gewähren war und künftig zu gewähren ist.
Beklagt ist die D T A , die ab 01.01.1995 durch Privatisierung aus der D B hervorgegangen
ist. Für letztere galt der Tarifvertrag für die Arbeiter der D B (TV Arb) - und zwar laut § 21
Abs. 1 S. 2 PostPersRG (Postpersonalrechtsgesetz) trotz Privatisierung zunächst weiter
"bis zum Abschluss neuer Tarifverträge". Der für die Beklagte geltende neue Tarifvertrag
(MTV) trat am 01.07.2001 in Kraft. Beide Tarifverträge enthalten Formvorschriften. Im TV
Arb heißt es (§3 Abs. 2): "Nebenabreden sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart
werden." Im MTV heißt es (§ 5): "Der Schriftform bedürfen -der Abschluss und die
Änderung des Arbeitsvertrages, -die Vereinbarung von Nebenabreden, -der Abschluss
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eines Auflösungsvertrages, -die Kündigung des Arbeitsverhältnisses." Der Kläger wurde
seit 1983 von der D B als Arbeiter beschäftigt und von der Beklagten übernommen. Er ist
der Technikerniederlassung O zugeordnet, sein Einsatzort ist C im Altbezirk M . Im Bereich
des Fernmeldeamtes M wurde mindestens seit den achtziger Jahren an Rosenmontag
bezahlte Arbeitsbefreiung gewährt. Ein förmlicher Akt liegt dieser Maßnahme nicht
zugrunde, sie wurde auch nicht jährlich erneut in Erinnerung gebracht, sondern allgemein
vorausgesetzt. Im Februar 2001 kündigte die Beklagte eine Beendigung dieser Praxis an,
wurde an diesem Vorhaben jedoch durch eine vom Betriebsrat erwirkte einstweilige
Verfügung gehindert. Nachdem die Beklagte im November 2001 ihre Ankündigung
wiederholte, einigten sich die Betriebspartner in einem gerichtlichen Vergleich darauf, die
Frage, ob Arbeitnehmer im Altbereich der Netze-Niederlassung Münster einen
individualrechtlichen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung an Rosenmontagen haben, in
einigen Musterverfahren gerichtlich klären zu lassen. Das vorliegende Verfahren ist eines
dieser Musterverfahren. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, einen Anspruch im Wege der
betrieblichen Übung erworben zu haben, ohne dass dem die tarifliche Schriftformklausel
entgegen stünde: Es liege keine Nebenabrede vor.
Der Kläger hat beantragt
1. die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Arbeit am 11.02.2002 (Rosenmontag) auf
seinem Arbeitszeitkonto eine Zeitgutschrift von 7 Stunden und 9 Minuten einzuräumen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm an zukünftigen Rosenmontagen
bezahlte Arbeitsbefreiung zu gewähren;
3. hilfsweise festzustellen,
a. dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm an zukünftigen Rosenmontagen bezahlte
Arbeitsbefreiung zu gewähren, soweit keine betrieblichen Gründe zwingend
entgegenstehen;
b. dass die Beklagte in den Ausnahmefällen, in denen seine Arbeitsleistung an
Rosenmontag aus betrieblichen Gründen zwingend erforderlich ist, verpflichtet ist, ihm eine
entsprechende Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto einzuräumen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und sich auf die tariflichen Schriftformklauseln
berufen; sie seien einschlägig, weil eine Nebenabrede zur Debatte stehe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine
Klageziele weiter, wobei er den Antrag zu 1) um den inzwischen verstrichenen
Rosenmontag des Jahres 2003 (03.03.2003) erweitert. Er bekämpft die angefochtene
Entscheidung mit Rechtsausführungen und hält die Berufung der Beklagten auf die
Schriftformklauseln für treuwidrig.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils
1. die Beklagte zu verurteilen, ihm für seine Arbeit am 11.02.2002 und 03.03.2003
(jeweils Rosenmontag) auf seinem Arbeitszeitkonto Zeitgutschriften von 7 Stunden und 9
Minuten sowie 7 Stunden und 36 Minuten einzuräumen;
2. i.ü. nach den erstinstanzlichen Schlussanträgen zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und verteidigt die angefochtene
Entscheidung mit Rechtsausführungen. Zusätzlich weist sie darauf hin, dass es mit
Rücksicht auf die Besonderheiten des öffentlichen Dienstes zu einer betrieblichen Übung
gar nicht habe kommen können.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der
angefochtenen Entscheidung, die zu den Akten gereichten Urkunden sowie ergänzend auf
den vorgetragenen Inhalt der zweitinstanzlich zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hatte und hat keinen Anspruch auf bezahlte Arbeitsbefreiung an Rosenmontag.
In der Begründung folgt das Gericht der angefochtenen Entscheidung, weshalb insoweit
von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen wird (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die
Gründe halten auch den Angriffen der Berufung stand:
Die von der Beklagten zweitinstanzlich neu aufgeworfene Frage, ob überhaupt die
Entstehungsvoraussetzungen für eine betriebliche Übung bei der Rosenmontagsregelung
mit Rücksicht auf die Besonderheiten im öffentlichen Dienst vorliegen, lässt die Kammer
wegen der sich damit auftuenden zusätzlichen Rechtsfragen im konkreten Fall
unentschieden. Jedenfalls ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass eine
stillschweigend zustande gekommene Rosenmontagsregelung im Sinne des Klägers
formunwirksam und damit nicht anspruchsbegründend wäre - und zwar mit Rücksicht auf
den unstreitig das Arbeitsverhältnis beherrschenden § 3 Abs. 2 TV Arb. Denn bei der
Rosenmontagsregelung handelte es sich um eine Nebenabrede im Sinne dieser Vorschrift:
Mit dem vierten und dem ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts ist davon auszugehen,
dass Nebenabreden im Sinne der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes Vorteile betreffen,
die nicht als Gegenleistung für die vertraglich geschuldete Leistung des Arbeitnehmers
erbracht werden, sondern z. B. aus sozialen Gründen; sie betreffen nicht eine vertragliche
Hauptpflicht (BAG, Urteil vom 18.05.1977 - 4 AZR 47/76 - in AP Nr. 4 zu § 4 BAT; Urteil
vom 07.05.1986 - 4 AZR 556/83 - in AP Nr. 12 zu § 4 BAT; Urteil vom 18.09.2002 - 1 AZR
477/01 - in NZA 2003, 337 unter I 3 b).
Eine Zusage, anlässlich des karnevalistischen Brauchtums für den Tag des Hauptumzugs
Arbeitsbefreiung zu erteilen, würde nicht hauptsächlich zu dem Zweck erteilt, die erbrachte
Arbeitsleistung zu vergüten. Arbeitsbefreiung an Rosenmontag ist für ein Arbeitsverhältnis
weder wesensnotwendig noch von besonderer Bedeutung; sie hat sekundären,
außergewöhnlichen Charakter (BAG, Urteil vom 07.05.1986 - 4 AZR 556/83 in AP Nr. 12 zu
§ 4 BAT).
Das wird auch daran ersichtlich, dass der überregionale Arbeitgeber den Arbeitnehmern,
die in Regionen ohne solches Brauchtum leben und arbeiten, derartige Vorteile nicht
zukommen lässt und diese auch nicht im Interesse der Lohngleichheit, zu der er verpflichtet
ist, finanziell kompensiert. Auch ist nicht bekannt geworden, dass die Beklagte bzw. ihre
Rechtsvorgängerin Arbeitnehmern, die krankheitsbedingt nicht in den Genuss der
Arbeitsbefreiung gelangen konnten, diesen Tag bei anderer Gelegenheit nachgewährt
hätte, wie es im Urlaubsrecht selbstverständlich ist.
An all dem lässt sich ersehen, dass die Arbeitsbefreiung primär deswegen erfolgte, um -
auch zur werbewirksamen Steigerung des eigenen Ansehens vor Ort - den Arbeitnehmern
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die Teilnahme an den Umzügen zu ermöglichen (vgl. BAG vom 17.11.1972 - 3 AZR 112/72
in AP Nr. 3 zu § 13 JugArbSchutzG unter II. 1. der Gründe). Nur so ließ sich die
Vergünstigung haushaltsrechtlich rechtfertigen - als Beitrag nämlich zur Pflege des
heimatlichen Brauchtums, wozu man den öffentlichen Dienst durchaus für beauftragt halten
kann. Ohne diesen Beitrag eines der größten am Ort vertretenen Arbeitgeber wäre die
Durchführung der Umzüge nämlich infrage gestellt worden, weil diese auf die - wenn auch
nur teilweise - Teilnahme der beruflich tätigen Bevölkerung angewiesen sind. Andernfalls
hätte sich der Rosenmontagszug aus der nicht (mehr) erwerbstätigen Bevölkerung
rekrutieren müssen, was fast seiner Verhinderung gleichgekommen wäre. Unerheblich ist,
dass die Teilnahme am Rosenmontagszug nicht Bedingung für die Arbeitsbefreiung des
einzelnen Arbeitnehmers war. Zum einen erfüllt der Staat und seine Organe seine Aufgabe
zur Pflege und Förderung des heimatlichen Brauchtums schon dadurch, dass er die
Teilnahme auch des arbeitenden Teils der Bevölkerung an dessen Veranstaltungen nur
ermöglicht, während es ihm überhaupt nicht zusteht, einen Druck auf seine Arbeitnehmer
auszuüben, von dieser Möglichkeit auch den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen.
Zum anderen lehrt die Erfahrung, dass mit einer nicht teilnahmewilligen "Restmannschaft"
ein geordneter Dienstbetrieb kaum aufrecht zu erhalten ist. Und schließlich nimmt diese
Handhabung auch Rücksicht auf die durch den Umzug bedingten nicht vorhersehbaren
Verkehrsverhältnisse, die es auch den nicht teilnahmewilligen Arbeitnehmern wesentlich
erschweren, wenn nicht unmöglich machen, die Dienststelle planmäßig zu erreichen und
wieder zu verlassen.
An diesem aus Zeiten des öffentlichen Dienstes stammenden Charakter der
Rosenmontagsregelung als einer betrieblichen Sozialleistung hat sich durch die
Privatisierung ab 1995 nichts geändert. Denn der TV Arb galt kraft Gesetzes weiter. Das
verbietet, ihm - in diesem Fall seinem § 3 Abs. 2 - eine andere Auslegung zu geben. Denn
§ 21 Abs. 1 S. 2 PostPersRG wollte Kontinuität sichern. Dem Zweck liefe es zuwider, dem
Tarifvertrag nur textlich nicht aber auch inhaltlich die Weitergeltung zu garantieren.
Auch das Inkrafttreten des MTV am 01.07.2001 hat an den hier entscheidenden Fragen
etwas geändert. Zum einen behält der MTV die Schriftformklausel des TV Arb nicht nur bei,
sondern erweitert sie noch auf den Abschluss und die Änderung des Arbeitsvertrages. Eine
solche Schriftformklausel verhindert das Entstehen einer betrieblichen Übung auch in der
Privatwirtschaft (BAG, Urteil vom 27.03.1987 - 7 AZR 527/85 - in AP Nr. 29 zu § 242 BGB
Betriebliche Übung). Zum anderen war der Belegschaft spätestens seit Februar 2001
bekannt, dass die Beklagte bemüht war, sich von der bisherigen Rosenmontagsregelung
zu lösen. Damit hatte die Arbeitgeberin schon vor dem Inkrafttreten des MTV ein Verhalten
gezeigt, das den Eindruck eines Bindungswillens unmöglich machte.
Auch mitbestimmungsrechtliche Gründe hindern die Beklagte nicht, die von ihr
vorgenommene Änderung auf individualrechtlicher Ebene durchzusetzen. Abgesehen
davon, dass sich der Kläger auf diesen Gesichtspunkt nicht beruft und offenbar auch nicht
berufen will, wird ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG für den Widerruf
zu verneinen sein, weil es nicht um eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung
der betriebsüblichen Arbeitszeit geht und die Arbeitsentgelte unverändert bleiben; die
Beklagte will lediglich die Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit erreichen (BAG, Urteil vom
12.01.1994 - 5 AZR 41/93 - in DB 1994, 2034 unter II 2).
Die Berufung der Beklagten auf die Schriftformklausel in § 3 Abs. 2 TV Arb ist auch nicht
treuwidrig. Das ist ein solches Berufen nach der Rechtsprechung des BAG selbst dann nur
ausnahmsweise, wenn auf Grund einer formnichtigen Vereinbarung über einen längeren
Zeitraum hinweg Leistungen erbracht werden. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht,
wenn der Arbeitgeber zum Ausdruck gebracht hat, für die Wirksamkeit der Nebenabrede
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komme es auf die Einhaltung der Formvorschrift nicht an (BAG, Urteil vom 18.09.2002 - 1
AZR 477/01 - in NZA 2003, 337 unter I 3 c). Ein solches Verhalten der Arbeitgeberin hat der
Kläger nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
(Schunck) (Voges) (Schnelle)
Geschäftsnummer:
11 (13) Sa 240/03
6 Ca 3171/02
Arbeitsgericht Bonn
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN
BERICHTIGUNGSBESCHLUSS
In Sachen