Urteil des LAG Düsseldorf vom 30.10.2007

LArbG Düsseldorf: tarifvertrag, schiedsklausel, arbeitsgerichtsbarkeit, befristung, gestaltungsspielraum, schiedsabrede, unbefristet, zustellung, kennzeichnung, theater

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 3 Sa 1388/07
Datum:
30.10.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Sa 1388/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wuppertal, 7 Ca 1206/07
Schlagworte:
Wirksamkeit einer einzelvertraglich vereinbarten Schiedsklausel
Normen:
§§ 101 Abs. 2 ArbGG; §§ 1 Abs. 3, S. 3 Normalvertrag (NV) Bühne v.
15.10.2002; Art. 9 III GG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Die in § 101 II 3 ArbGG eröffnete Möglichkeit der einzelvertraglichen
Vereinbarung einer Schiedsklausel ist nur für solche Arbeitsverhältnisse
zulässig, die nach dem konkreten Inhalt der ausgeübten Tätigkeit einer
Berufsgruppe zuzuordnen sind, für die nach § 101 II 1 ArbGG bei
Tarifbindung der Vorrang der Schiedsgerichtsbarkeit wirksam geregelt
werden kann (vgl. BAG v. 06.08.1997 - 7 AZR 156/96, AP Nr. 5 zu § 101
ArbGG 1979). 2. Nehmen die Parteien im Arbeitsvertrag mit einem
Maskenbildner den NV-Bühne in Bezug und vereinbaren zugleich gem.
§ 1 III NV-Bühne, dass überwiegend künstlerische Tätigkeit erbracht
wird, so bedarf es im Regelfall zur Feststellung der wirksamen
Inbezugnahme des Tarifvertrages i.S.v. § 101 II 3 ArbGG einer weiteren
Aufklärung des Umfangs der künstlerischen Zeitanteile nicht. 3. Mit der
Regelung in § 1 III S. 2 NV-Bühne haben die Tarifvertragsparteien
Maskenbildner nicht in einer ihre Befugnis aus Art. 9 III GG
überschreitenden Weise dem staatlichen
Justizgewährleistungsanspruch entzogen.
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Wuppertal vom 19.06.2007 - 7 Ca 1206/07 - wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
3. Streitwert: 14.154,52 €.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten insbesondere um die Frage, ob auf das Arbeitsverhältnis zwischen
ihnen der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) oder der Normalvertrag (NV)
Bühne Anwendung findet.
2
Bühne Anwendung findet.
Die am 08.06.1967 geborene Klägerin ist seit dem 31.10.2004 bei der Beklagten
beschäftigt. Ihr monatliches Bruttoarbeitsentgelt beträgt ca. 1.700,-- €. Die Klägerin
wurde zunächst befristet nach § 14 Abs. 2 TzBfG vom 31.10.2004 bis zum 31.07.2005
eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt war sie in die Vergütungsgruppe VIII BAT eingruppiert.
Im Anschluss hieran war sie für die Zeit vom 01.08.2005 bis 31.07.2006 erneut befristet
beschäftigt und wiederum in die VergGr. VII BAT eingruppiert.
3
Unter dem 27.04.2006 schloss die Beklagte mit der Klägerin einen "Arbeitsvertrag im
Sinne des Normalvertrages (NV) Bühne" (im Folgenden: NV-Bühne), der u.a. folgende
Regelungen enthält:
4
§ 1
5
Frau C. wird als Bühnentechniker mit der Tätigkeitsbezeichnung Maskenbildnerin
für die X. Bühnen GmbH und Gastspielorte eingestellt. Der Bühnentechniker ist
überwiegend künstlerisch tätig.
6
§ 2
7
Das Arbeitsverhältnis wird für die Spielzeiten 2006/2007 und 2007/2008
geschlossen. Es beginnt am 01.08.2006 und endet am 31.07.2008.
8
...
9
§ 4
10
Im Übrigen bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Normalvertrag Bühne in
der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden oder an seine Stelle
tretenden Tarifverträgen.
11
...
12
§ 6
13
Für alle Rechtsstreitigkeiten i.S. des § 2 ArbGG zwischen den
Arbeitsvertragsparteien sind unter Ausschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit
ausschließlich die zwischen den Tarifvertragsparteien des NV Bühne vereinbarten
Schiedsgerichte zuständig. Gehört der Bühnentechniker bei Vertragsabschluss und
bei Klageerhebung keiner auf Arbeitnehmerseite beteiligten Tarifvertragspartei an,
bestimmt der Kläger, welches Schiedsgericht zuständig sein soll.
14
Der zwischen dem Bundesverband Deutscher Theater (DBV) einerseits und der
Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GdBA) sowie der Vereinigung
deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO) andererseits geschlossene
Normalvertrag (NV) Bühne vom 15.10.2002 i.d.F. v. 15.01.2006 enthält u.a. folgende
Regelungen:
15
§ 1 Geltungsbereich
16
(1) Dieser Tarifvertrag gilt für Solomitglieder und Bühnentechniker sowie
17
Opernchor- und Tanzgruppenmitglieder (im Folgenden insgesamt als Mitglieder
bezeichnet) an Bühnen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, die von einem
Lande oder von einer Gemeinde oder von mehreren Gemeinden oder von einem
Gemeindeverband oder mehreren Gemeindeverbänden ganz oder überwiegend
rechtlich oder wirtschaftlich getragen werden.
...
18
(3) Oberinspektoren und Inspektoren, Theater- und Kostümmaler,
Beleuchtungsmeister und Beleuchter, Bühnenplastiker (Kascheure),
Maskenbildner, Requisitenmeister und Requisiteure, Gewandmeister,
Bühnenmeister, Veranstaltungstechniker, Tontechniker und Personen in ähnlicher
Stellung sind Bühnentechniker im Sinne des Tarifvertrages, wenn mit ihnen im
Arbeitsvertrag vereinbart wird, dass sie überwiegend künstlerisch tätig sind.
19
Der zwischen dem DBV und der GdBA geschlossene Tarifvertrag über die
Bühnenschiedsgerichtsbarkeit - Bühnenschiedsgerichtsordnung - vom 01.10.1948 in
der Fassung vom 15.01.2006 enthält u.a. folgende Regelungen:
20
§ 1 Geltungsbereich
21
(1) Über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten i.S. des § 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes
zwischen Theaterveranstaltern und Bühnenmitgliedern entscheiden unter
Ausschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit ständige Schiedsgerichte.
22
(2) Bühnenmitglieder im Sinne des Tarifvertrages sind die auf Normalvertrag
Bühne beschäftigten Mitglieder.
23
Mit der am 25.04.2007 bei dem Arbeitsgericht Wuppertal erhobenen Klage hat die
Klägerin geltend gemacht, entgegen der Vereinbarung im Arbeitsvertrag sei sie in ihrer
Tätigkeit als Maskenbildnerin nicht überwiegend künstlerisch tätig. Von daher gelte für
das Arbeitsverhältnis nicht der NV Bühne, sondern der TVöD. Hiernach sei sie in
EntgGr. 3 des TVöD einzugruppieren. Die in § 6 des Arbeitsvertrages aufgenommene
Schiedsabrede sei unbeachtlich. Da das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des
TVöD falle, ergebe sich die Schiedsabrede nicht aufgrund des Tarifvertrages. Eine
einzelvertragliche Bezugnahme auf eine tarifliche Schiedsvereinbarung sei zwar
erlaubt, dies jedoch lediglich bei den Arbeitsverhältnissen, für die nach § 101 Abs. 2 S.
1 ArbGG die tarifvertragliche Vereinbarung einer Schiedsklausel erlaubt sei. Diese
Norm ermögliche nur die einzelvertragliche Bezugnahme bei fehlender Tarifbindung.
24
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte Befristung sei mangels
Sachgrundes rechtsunwirksam. Hilfsweise sei die Klägerin zu mehr als 50 % ihrer
Tätigkeit mit künstlerischen Tätigkeiten bei eigenem Gestaltungsspielraum zu
beschäftigen.
25
Die Klägerin hat beantragt,
26
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 312,03 € brutto zu zahlen;
27
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin ab Oktober 2006 nach EntgGr. 3 TVöD,
zzgl. der Besitzstandszulage für den kinderbezogenen Ortszuschlag in Höhe von
28
157,07 € monatlich, zzgl. der jeweiligen Theaterbetriebszulage, zu vergüten;
3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis
nicht durch die Befristung am 31.07.2008 enden wird, sondern darüber hinaus
unbefristet fortbesteht hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu
1.-3. ;
29
4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu mehr als 50 % ihrer Tätigkeit mit
künstlerischen Tätigkeiten mit einem eigenen Gestaltungsspielraum und
Entscheidungsfreiheiten zu beschäftigen.
30
Die Beklagte hat beantragt,
31
die Klage abzuweisen.
32
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klage sei unzulässig. Gem. § 101 Abs. 2
ArbGG i.V. mit § 6 des Arbeitsvertrages sei das Bühnenschiedsgericht zuständig, da der
NV-Bühne auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sei. Maskenbildner würden gem. § 1
Abs. 1 i.V. mit Abs. 3 des Tarifvertrages NV-Bühne von dem Geltungsbereich des
Tarifvertrages umfasst, wenn mit ihnen im Arbeitsvertrag vereinbart sei, dass sie
überwiegend künstlerisch tätig seien. Diese Vereinbarung sei mit der Klägerin getroffen
worden. Die Beklagte hat behauptet, überdies sei die Klägerin auch tatsächlich
überwiegend künstlerisch tätig.
33
Durch Urteil vom 19.06.2007, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe
ergänzend Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Wuppertal die Klage
kostenpflichtig abgewiesen und den Streitwert auf 14.154,52 € festgesetzt. Zur
Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der NV-Bühne und
damit dessen Schiedsklausel in § 53 des Tarifvertrages finde kraft arbeitsvertraglicher
Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Für die Klägerin sei der
persönliche Geltungsbereich des NV-Bühne eröffnet, da schriftlich vereinbart worden ist,
dass sie als Maskenbildnerin überwiegend künstlerisch tätig sei. Die entsprechende
Regelung in § 1 NV-Bühne unterliege keinen rechtlichen Bedenken. Das Abstellen auf
die schriftliche Vereinbarung einer überwiegend künstlerischen Tätigkeit sei von der
Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien gedeckt.
34
Gegen das ihr am 26.07.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am
15.08.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung
eingelegt und diese mit einem weiteren, dem Gericht am 20.09.2007 vorliegenden
Schriftsatz begründet.
35
Mit der Berufung greift die Klägerin das Urteil in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht an
und hält unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens an der
Auffassung fest, die einzelvertraglich vorgenommene Einordnung in den NV-Bühne sei
tarifwidrig. Entscheidend sei die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit und nicht ihre formale
Bezeichnung im Arbeitsvertrag. Von daher sei die Klägerin keiner Berufsgruppe
zuzuordnen, für die eine einzelvertragliche Schiedsvereinbarung zulässig wäre. Von der
Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien sei es nicht mehr gedeckt, nicht
künstlerisch tätige Arbeitnehmer der Arbeitsgerichtsbarkeit zu entziehen.
36
Die Klägerin beantragt,
37
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 19.06.2007 - 7
Ca 1206/07 -
38
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 312,03 € brutto zu zahlen;
39
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin ab Oktober 2006 nach EntgGr. 3 TVöD,
zzgl. der Besitzstandszulage für den kinderbezogenen Ortszuschlag in Höhe von
157,07 € monatlich, zzgl. der jeweiligen Theaterbetriebszulage, zu vergüten;
40
3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis
nicht durch die Befristung am 31.07.2008 enden wird, sondern darüber hinaus
unbefristet fortbesteht hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu
1.-3.
41
4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu mehr als 50 % ihrer Tätigkeit mit
künstlerischen Tätigkeiten mit einem eigenen Gestaltungsspielraum und
Entscheidungsfreiheiten zu beschäftigen.
42
Die Beklagte beantragt,
43
die Berufung zurückzuweisen.
44
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und hält an der Auffassung fest,
durch die einzelvertragliche Bezugnahme sei lediglich die fehlende Tarifbindung ersetzt
worden. Die Tarifvertragsparteien seien im Rahmen der Tarifautonomie nicht gehindert
gewesen, die Eröffnung des Geltungsbereiches des NV-Bühne an die vertragliche
Vereinbarung einer überwiegend künstlerischen Tätigkeit zu knüpfen, um diese
rechtssicher zu gestalten. Von daher müsse sich die Klägerin an der getroffenen
Vereinbarung festhalten lassen.
45
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze verwiesen (§§ 525,
313 Abs. 2 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG).
46
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
47
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom
19.06.2007 ist zulässig, hingegen unbegründet.
48
I. Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), gem. § 64 Abs. 2 lit. a ArbGG
zulässig sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 519,
520 Abs. 2 u. 3 ZPO, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG).
49
II. Die Berufung hatte hingegen in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit
zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Unzulässigkeit der Klage im
Hinblick auf die sich aus § 101 Abs. 2 ArbGG i.V. mit § 6 des Arbeitsvertrages, §§ 1 Abs.
3, 53 NV-Bühne vom 15.10.2002 i.d.F.v. 02.10.2006 ergebende Zuständigkeit der
Bühnenschiedsgerichtsbarkeit festgestellt.
50
Mit den Angriffen der Berufung vermochte die Klägerin nicht zu einer Abänderung der
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angefochtenen Entscheidung zu gelangen. Unter Bezugnahme auf die angefochtenen
Entscheidungsgründe gem. §§ 540 Abs. 1 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG ist in
Auseinandersetzung mit dem Berufungsvortrag sowie zugleich ergänzend Folgendes
festzustellen:
Soweit die Klägerin mit der Berufung weiterhin an der Auffassung festgehalten hat, der
Klage stehe die Einrede des Schiedsvertrages gem. § 102 Abs. 1 ArbGG nicht
entgegen, vermochte sie hiermit auch im zweitinstanzlichen Verfahren nicht
durchzudringen.
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1. Zutreffend ist das Arbeitsgericht von der gesetzlichen Regelung in § 101 Abs. 2
ArbGG ausgegangen. Hiernach können die Parteien des Tarifvertrages für bürgerliche
Rechtsstreitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis, das sich nach einem Tarifvertrag
bestimmt, die Arbeitsgerichtsbarkeit im Tarifvertrag durch die ausdrückliche
Vereinbarung ausschließen, dass die Entscheidung durch ein Schiedsgericht erfolgen
soll, wenn der persönliche Geltungsbereich des Tarifvertrages überwiegend u.a.
Bühnenkünstler umfasst. Die Vereinbarung gilt zwar nur für tarifgebundene Personen,
erstreckt sich jedoch gem. § 101 Abs. 2 S. 3 ArbGG auf Parteien, deren Verhältnisse
sich aus anderen Gründen nach dem Tarifvertrag regeln, wenn die Parteien dies
ausdrücklich und schriftlich vereinbart haben. Hierzu muss sich das jeweilige
Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen als denen der Tarifbindung nach diesem
Tarifvertrag richten (vgl. BAG v. 31.10.1963 - 5 AZR 283/62, AP Nr. 11 zu § 101 ArbGG
1953; BAG v. 10.12.1992 - 2 AZR 340/92 - n.v.; BAG v. 06.08.1997 - 7 AZR 156/96, AP
Nr. 5 zu § 101 ArbGG 1979).
53
a) In § 4 des Arbeitsvertrages vom 27.04.2006 haben die Parteien auf den
"Normalvertrag Bühne in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ergänzenden oder
an seine Stelle tretenden Tarifverträgen" Bezug genommen (Bl. 13 d.A.). Bedenken
gegen die Wirksamkeit der vorformulierten Bezugnahmeklausel unter dem Blickwinkel
der gesetzlichen Anforderungen der §§ 310 Abs. 3 Ziff. 2, Abs. 4 i.V. mit §§ 306 ff. BGB
bestehen nicht und sind auch von der Klägerin nicht erörtert worden. Insbesondere
ermangelt es der typischen Bezugnahmevereinbarung nicht an der erforderlichen
Transparenz i.S. von § 307 I 2 BGB (vgl. auch BAG v. 19.03.2003, AP Nr. 33 zu § 1 TVG
Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG v. 26.09.2001, AP Nr. 21 zu § 1 TVG Bezugnahme
auf Tarifvertrag; Gaul, ZfA 2003, 75, 92).
54
Der Ansicht der Klägerin, die einzelvertragliche Bezugnahme des NV-Bühne im
Arbeitsvertrag sei rechtsunwirksam, da die Klägerin tatsächlich der durch den
Tarifvertrag erfassten Berufsgruppe nicht angehöre und die schriftliche Kennzeichnung
ihrer Tätigkeit als "überwiegend künstlerisch" insoweit nicht maßgeblich sei, vermochte
nicht gefolgt zu werden. Entgegen der Auffassung der Berufung konnte dahinstehen, ob
die Klägerin derzeit tatsächlich als Maskenbildnerin überwiegend künstlerisch oder
handwerklich tätig ist. Das Arbeitsverhältnis erfüllt im Streitfall die tariflichen
Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 2. Unterabs. NV-Bühne.
55
Wie zwischen den Parteien nicht streitig ist, ist die Klägerin bei der Beklagten als
Maskenbildnerin im Sinne des Tarifwortlautes eingestellt worden und auch tätig. Die
Parteien haben in § 1 des Arbeitsvertrages schriftlich niedergelegt, dass die Klägerin als
"Bühnentechniker mit der Tätigkeitsbeschreibung Maskenbildnerin" "überwiegend
künstlerisch tätig" ist (Bl. 13 d.A.).
56
Die tarifliche Regelung in § 1 Abs. 3 NV-Bühne, wonach auf die schriftliche
Vereinbarung im Arbeitsvertrag abzustellen ist, begegnet auch nach dem
zweitinstanzlichen Vorbringen der Klägerin keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Insoweit hat das Arbeitsgericht zutreffend eine Verletzung des Grundrechts auf
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 103 Abs. 1
GG bereits im Hinblick auf die Möglichkeit der Aufhebungsklage über § 110 ArbGG
verneint. Auch genügt die Vorschrift dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot
(vgl. BAG v. 10.12.1992 - 2 AZR 340/92, n.v.). Gleiches gilt für eine etwaige Verletzung
von Art. 92 GG bzw. Art. 101 GG im Hinblick auf die Regelung in § 103 ArbGG (vgl. BAG
v. 22.03.2001 - 8 AZR 565/00, EzA Nr. 5 zu Art. 101 GG).
57
Hiermit hat sich die Berufung auch nicht mehr weiter auseinandergesetzt.
58
b) Auch ist für eine etwaige Überschreitung der Befugnisse der Tarifvertragsparteien -
wie von der Klägerin geltend gemacht - nichts ersichtlich.
59
Grundsätzlich folgt aus Art. 9 Abs. 3 GG für die Tarifparteien ein weiter
Gestaltungsfreiraum und eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die sachlichen
Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Die größere Sachnähe der
Tarifvertragsparteien eröffnet auch Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Gesetzgeber im
Einzelfall verschlossen sind (BAG v. 23.01.1992, AP Nr. 37 zu § 622 BGB). Dies gilt
insbesondere bei der Begrenzung des persönlichen Geltungsbereiches eines
Tarifvertrages. Gleichheitssatz und Individualgerechtigkeit können zueinander in einem
Spannungsverhältnis stehen. Hierbei ist für die Tarifvertragsparteien - vor allem bei der
Ordnung von Massenerscheinungen - die Notwendigkeit einer Typisierung und
Pauschalierung von Tatbeständen als sachliche Rechtfertigung von
Ungleichbehandlungen anerkannt, wobei die Typisierung sach- und realitätsgerecht
sein muss (vgl. BAG v. 28.07.1992, AP Nr. 10 zu § 1 Tarifverträge: Vorruhestand;
BVerfG v. 08.04.1987, NJW 1987, 3115). Da die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte
Tarifautonomie nicht nur die Entscheidung über den Regelungsinhalt tariflicher Normen
umfasst, sondern auch einen entsprechenden Regelungsverzicht deckt, ist den
Tarifvertragsparteien eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen
Gegebenheiten und betroffenen Interessen zuzugestehen. Insbesondere sind sie nicht
dazu verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu
wählen (vgl. BAG v. 18.01.2001 - 6 AZR 492/99, AP Nr. 8 zu § 52 BAT; BAG v.
12.10.2004 - 3 AZR 571/03, AP Nr. 2 zu § 3 g BAT; BAG v. 30.07.1992 - 6 AZR 11/92,
BAGE 71, 68, 75; BVerfG v. 15.10.1985 - 2 BvL 4/83, BVerfGE 71, 39, 58). Für die
tarifliche Normsetzung gilt eine relative Sachlichkeitsvermutung.
60
c) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war auch auf der Grundlage des
Berufungsvortrages nicht ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien in einer ihre
Befugnis aus Art. 9 Abs. 3 GG überschreitenden Weise Maskenbildner etwa dem
staatlichen Justizgewährleistungsanspruch entzogen hätten.
61
Gem. § 2 Abs. 2 Nr. 13 des früheren Bühnentechniker-Tarifvertrages (BTT) waren
Maskenbildner von dessen persönlichem Geltungsbereich erfasst, "wenn sie
überwiegend künstlerisch tätig" waren. Insoweit hatte das Bundesarbeitsgericht durch
Urteil vom 27.01.1993 im Falle eines Chefmaskenbildners festgestellt, durch die
vertragliche Inbezugnahme des BTT hätten die Parteien ausdrücklich gebilligt, dass die
Tätigkeit des Klägers als künstlerisch anzusehen sei, woran sich dieser festhalten
lassen müsse (vgl. BAG v. 27.01.1993 - 7 AZR 124/92, AP Nr. 3 zu § 110 ArbGG 1979).
62
In seiner Entscheidung vom 10.12.1992 (- 2 AZR 340/92 - n.v.) hat das
Bundesarbeitsgericht im Hinblick auf die einzelvertragliche Inbezugnahme des BTT
durch einen Chefmaskenbildner angeführt, aufgrund der in der damaligen
Inbezugnahme liegenden Billigung, dass überwiegend künstlerische Tätigkeit gegeben
sei, brauche nicht mehr darauf eingegangen zu werden, wie der Kläger nunmehr
diesbezüglich seine Tätigkeit einschätze. Zuvor hatte das Bundesarbeitsgericht durch
Beschluss v. 28.10.1986 - 1 ABR 16/85 -, (AP Nr. 32 zu § 118 BetrVG 1972) ausgeführt,
die Tätigkeit der Maskenbildner sei als künstlerisch anzusehen.
Im Rahmen der Integrierung des BTT in den NV-Bühne AT haben die
Tarifvertragsparteien entsprechend § 2 Abs. 2 S. 2 BTT Maskenbildner von dem
Geltungsbereich des NV-Bühne dann erfasst, wenn mit ihnen im Arbeitsvertrag
vereinbart wird, dass sie künstlerisch tätig sind, § 1 Abs. 1 i.V. mit Abs. 3 NV-Bühne AT,
mithin die Eröffnung des tariflichen Geltungsbereichs von einer entsprechenden
Regelung im Arbeitsvertrag mit den Maskenbildnern abhängig gemacht.
63
Die Tarifvertragsparteien haben mit dem Abstellen auf das Erfordernis der
entsprechenden Vereinbarung im Arbeitsvertrag durch § 1 Abs. 3 NV-Bühne ersichtlich
vor allem Praktikabilitätserwägungen in den Vordergrund gestellt, um eine im Einzelfall
schwierige und kostenaufwendige Tatsachenfeststellung über die genaue Verteilung
handwerklicher und künstlerischer Zeitanteile bei der Maskenbildnertätigkeit zu
vermeiden. Hierbei handelt es sich um eine sachlich vertretbare und praktikable
Regelung, u.a. um derartige Feststellungen bereits im Vorfeld der rechtlichen
Auseinandersetzung, nämlich bei der Frage der Anwendbarkeit der tariflichen
Regelungen, nach Möglichkeit auszuschließen.
64
2. Hierdurch wird auch nicht etwa entgegen § 101 Abs. 2 ArbGG die dortige
Ausnahmeregelung, welche die Ersetzung der fehlenden Tarifbindung durch
einzelvertragliche Vereinbarung ermöglicht (vgl. BAG v. 06.08.1997, AP Nr. 5 zu § 101
ArbGG 1979), auf eine nicht vom Gesetz erfasste Berufsgruppe erweitert. Die Regelung
in § 1 Abs. 3 NV-Bühne soll ersichtlich vielmehr dem Umstand Rechnung tragen, dass
die künstlerischen und handwerklichen Anteile bei dieser Berufsgruppe je nach
Arbeitssituation schwankend, zudem deren Grenzen zueinander im Einzelfall fließend
sein können.
65
Korrespondierend zu dem Erfordernis der schriftlichen Kennzeichnung seiner Tätigkeit
im Arbeitsvertrag wird dem Maskenbildner damit auch zugleich der Anspruch
dokumentiert, sodann auch überwiegend mit künstlerischen Tätigkeiten beschäftigt zu
werden, worauf zu Recht das Arbeitsgericht hingewiesen hat. Zu berücksichtigen ist
zudem, dass ihm ohnedies gerichtlicher Rechtsschutz gerade nicht endgültig entzogen,
sondern das schiedsgerichtliche Verfahren im Hinblick auf die Möglichkeit der
Aufhebungsklage nach § 110 ArbGG lediglich vorgeschaltet wird.
66
Auch war der Auffassung der Klägerin nicht beizutreten, ähnlich wie in dem der
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.08.1997 (7 AZR 156/96, AP Nr. 5 zu §
101 ArbGG 1979) zugrunde liegenden Sachverhalt erfolge auch im Streitfall eine
Inbezugnahme des Tarifvertrages mit Schiedsklausel auf eine nicht dem persönlichen
Geltungsbereich unterfallende Berufsgruppe. Anders als im Streitfall gehörte der Kläger
des dortigen Verfahrens als Tontechniker keiner Berufsgruppe an, für die der
Bühnentechniker-Tarifvertrag wegen zumindest überwiegend künstlerischer Tätigkeit
den Vorrang der Bühnenschiedsgerichtsbarkeit i.S. von § 101 Abs. 2 S. 1 ArbGG
67
wirksam regeln könnte. Die Gruppe der Tontechniker wird von diesem Tarifvertrag
generell nicht mitumfasst, § 2 BTT. Eine Unterwerfung dieser Berufsgruppe unter den
Tarifvertrag und die dortige Schiedsklausel kam von daher bereits im Ansatz nicht in
Betracht. Anders verhält es sich gem. § 1 Abs. 3 NV-Bühne bei der Berufsgruppe der
Maskenbildner, für deren Einbeziehung es sodann allein auf das Kriterium überwiegend
künstlerischer Tätigkeit ankommt.
III. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom
19.06.2007 war nach alledem als unbegründet zurückzuweisen.
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Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels waren gem. §§ 64 Abs. 6 ArbGG,
97 Abs. 1 ZPO der Klägerin aufzuerlegen.
69
Gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG war die Revision für die Klägerin zuzulassen.
70
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G
71
Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin
72
REVISION
73
eingelegt werden.
74
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
75
Die Revision muss
76
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
77
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
78
Bundesarbeitsgericht,
79
Hugo-Preuß-Platz 1,
80
99084 Erfurt,
81
Fax: (0361) 2636 - 2000
82
eingelegt werden.
83
Die Revision ist gleichzeitig oder
84
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
87
Dr. Westhoff Nix Kemmerlings
88