Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 13.09.2006

LArbG Berlin-Brandenburg: zugang, ordentliche kündigung, post, arbeitsgericht, beweislast, berufungskläger, briefkasten, original, zustellung, gefahr

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 10.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
10 Sa 1945/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 67 Abs 2 ArbGG, § 67 Abs 4
ArbGG, § 296 Abs 2 ZPO, § 130
BGB
Zugang - Kündigungsschreiben - Einwurfschreiben - abgestufte
Darlegungs- und Beweislast - verspätetes Vorbringen
Leitsatz
Bei der Zustellung eines Kündigungsschreibens durch Einwurfeinschreiben hat der
Kündigungsempfänger, der einen vom Auslieferungsbeleg abweichenden Zugang behauptet,
einen Geschehensablauf darzulegen, der eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen späteren
Zugang beinhaltet.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13.09.2006 -
42 Ca 10192/06 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung mit sofortiger
Wirkung wegen erheblicher Tätlichkeiten des Klägers gegen eine Mitarbeiterin am 5. Mai
2006, polizeilich registrierten Führens eines Krankentransporters ohne gültige
Fahrerlaubnis und der nicht gerechtfertigten Verwendung des Martinshorns.
Der Kläger ist 45 Jahre alt (… 1961) und war seit dem 1. Juni 2005 beim Beklagten als
Rettungssanitäter und Kraftfahrer beschäftigt. Die Bruttomonatsvergütung betrug
zuletzt 1.400,-- EUR.
Mit Schreiben vom 9. Mai 2006 (Bl. 9-10 d.A.) kündigte der Prozessbevollmächtigte des
Beklagten „namens des K. Kr.“ den zwischen „Ihnen und dem N.-N. Krankentransport K.
Kr., I. Straße 8, 02977 H. … abgeschlossenen Arbeitsvertrag fristlos und mit sofortiger
Wirkung“. Dieses Schreiben erhielt der Kläger am 9. Mai 2006 per Telefax. Ob ihm das
Original dieses Schreibens zuging, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls war dem
Schreiben keine Originalvollmachtsurkunde des Prozessbevollmächtigten des Beklagten
beigefügt gewesen, so dass die gegen diese Kündigung gerichtete
Kündigungsschutzklage erfolgreich war. Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin ist insoweit
rechtskräftig.
Ein weiteres Kündigungsschreiben des Beklagten vom 18. Mai 2006 (Bl. 11 d.A.) wegen
des gleichen Fehlverhaltens ging dem Kläger per Telefax am 18. Mai 2006 und nach den
Behauptungen des Beklagten entsprechend dem Auslieferungsbeleg der Deutsche Post
AG (Bl. 38 d.A.) am Freitag, dem 19. Mai 2006 im Original durch Einwurf in den
Hausbriefkasten, nach den Behauptungen des Klägers aber am Dienstag, den 23. Mai
2006 zu.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 13. September 2006 die Kündigung vom 18. Mai
2006 für wirksam angesehen, da sie innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs.2
BGB zugegangen sei und der Kläger sich erheblich fehlverhalten habe. Bezüglich des
Zugangs des Kündigungsschreibens sei von einer abgestuften Darlegungs- und
Beweislast auszugehen. Das Bestreiten des Klägers zum Zugang des
Kündigungsschreibens am 19. Mai 2006 sei unsubstantiiert. Er habe lediglich behauptet,
dass es am 23. Mai 2006 zugegangen sei. Nähere Angaben zum Beklagtenvortrag habe
der Kläger nicht gemacht. Es sei deshalb von einem Zugang am 19. Mai 2006
entsprechend dem Auslieferungsbeleg auszugehen.
Gegen dieses ihm am 12. Oktober 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 2.
November 2006 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangene und nach
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November 2006 beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangene und nach
entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist per Telefax am 12. Januar
2007 begründete Berufung des Klägers.
Der Kläger führt aus, dass der Zugang des Kündigungsschreibens nicht hinreichend
belegt sei. Der Beklagte sei darlegungs- und beweispflichtig für den Zugang des
Kündigungsschreibens innerhalb der Zwei-Wochen-Frist. Es werde bestritten, dass sich
der Einlieferungsbeleg vom 18. Mai 2006 (Bl. 37 d.A.) und der Auslieferungsbeleg vom
19. Mai 2006 (Bl. 38 d.A.) auf das Kündigungsschreiben beziehen würden. Auch sei das
Kündigungsschreiben nicht wirksam unterzeichnet. Zwischen den Parteien bestehe
Streit, wer der Arbeitgeber des Klägers sei. Denn im Arbeitsvertrag und in einem
Änderungsvertrag vom 31. Januar 2006 sei die Fa. K. Kr., Krankentransport und
Personenbeförderung mit Mietwagen genannt. Die Kündigung vom 9. Mai 2006 sei unter
einer anderen Firmenbezeichnung erfolgt und jetzt habe Herr Kr. persönlich gekündigt.
Schließlich meint der Kläger, dass der Streitwert der angefochtenen Entscheidung
fehlerhaft berechnet und von 3.430,-- EUR auf 9.800,-- EUR abzuändern sei.
In der Berufungsverhandlung hat der Kläger erstmals erklärt, dass er am 19.5., 20.5. und
Montag den 22.5.2006 in seinen Hausbriefkasten gesehen habe und sich dort kein
Kündigungsschreiben befunden habe.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. September 2006 – 42 Ca 10192/06
abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die
außerordentliche Kündigung vom 18. Mai 2006 aufgelöst worden ist.
Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, dass die abgestufte Darlegungs- und
Beweislast seitens des Arbeitsgerichts korrekt angewendet worden sei. Der Kläger habe
den durch den Auslieferungsbeleg der Post belegten Vortrag des Beklagten nicht
substantiiert entkräftet. Er habe keinerlei Versuch unternommen, einen abweichenden
Geschehensablauf darzulegen. Jedenfalls sei die Kündigung hilfsweise in eine ordentliche
Kündigung umzudeuten.
Hinsichtlich des Vortrags des Klägers in der Berufungsverhandlung hat der Beklagte
darauf verwiesen, dass er aufgrund dieses Vortrags den Zusteller ermitteln werde, der
das Kündigungsschreiben am 19. Mai 2006 ausgeliefert habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird gemäß §§ 64
Abs.6 ArbGG, 313 Abs.2 ZPO auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung
vom 12. Januar 2007 sowie der Berufungsbeantwortung vom 18. Februar 2007 Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht
im Sinne der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs.6 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO)
eingelegt und begründet worden und auch ansonsten zulässig.
Dabei ging die Kammer davon aus, dass der Hinweis des Klägers auf den zu niedrig
bemessenen Streitwert im Text der Berufungsbegründung in der Berufungsinstanz nicht
als gesonderter Streitgegenstand angefallen ist. Denn entsprechend dem
Berufungsantrag hat der Kläger die Berufung auf die Abänderung des erstinstanzlichen
Urteils hinsichtlich der Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 18. Mai 2006
beschränkt. Sofern man trotz anders lautenden Berufungsantrags davon ausgehen
würde, dass der Antrag auf Änderung des Streitwertes in der Berufungsinstanz
angefallen wäre, wäre die Berufung insoweit als unzulässig zurückzuweisen gewesen, weil
der Kläger durch einen nach seiner Ansicht zu niedrig bemessenen Streitwert nicht
beschwert ist. Denn wenn der Streitwert zu niedrig bemessen gewesen wäre, wären die
von ihm zu zahlenden Gerichtskosten selbstverständlich geringer als bei einem höheren
Streitwert.
II.
Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die Kündigung wurde vom Beklagten ausgesprochen. Wesentliche Zweifel an der
Urheberschaft des Beklagten bestanden nicht. Bei einer im Handelsregister nicht
eingetragenen Firma ist deren Inhaber zeichnungsberechtigt (KG Berlin, Urteil vom 3. Juli
2003 – 8 U 167/02). Dass der Kläger mit Herrn K. Kr. ein Arbeitsverhältnis begründet
hatte, lag auf der Hand. Der Kläger hatte, wie er auf ausdrückliche Nachfrage in der
Berufungsverhandlung bestätigt hat, auch nur ein einziges Arbeitsverhältnis mit Herrn
Kr.. Dass dieses eine Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung vom 18. Mai 2006
beendet werden sollte, war offensichtlich.
Soweit der Kläger ausgeführt hat, dass er aufgrund der unterschiedlich verwendeten
Firmenbezeichnungen Zweifel an der Urheberschaft der Kündigungserklärung habe, war
dem deshalb nicht weiter nachzugehen, weil objektiv oder vom Empfängerhorizont
betrachtet keine Zweifel bestanden. Zwar wäre es im Rechtsverkehr sicherlich hilfreich,
wenn der Beklagte sich auch nur der jeweils zutreffenden Firmenbezeichnungen im
Einzelfall bedienen würde, an seiner Urheberschaft im Kündigungsschreiben und auf
welches Arbeitsverhältnis es sich beziehen sollte, bestanden aber keine Zweifel.
2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht das erstinstanzliche Bestreiten des Klägers
bezüglich des Zugangs des Kündigungsschreibens vom 18. Mai 2006 am 19. Mai 2006
für unerheblich gehalten.
2.1 Zwischen den Parteien befindet sich nicht im Streit, dass das streitige
Kündigungsschreiben an den Kläger richtig adressiert und frankiert zur Post aufgegeben
worden ist. Es befindet sich ferner nicht im Streit, dass dieses Schreiben letztendlich den
Kläger erreicht hat. Da der Kläger auch nicht vorgetragen hat, am 19. Mai 2006 ein
anderes Schreiben des Beklagten erhalten zu haben, war auch das Bestreiten des
Klägers, dass es sich bei dem im Einlieferungsbeleg benannten Schreiben um das
Kündigungsschreiben gehandelt habe, als ins Blaue hinein aufgestellt anzusehen.
Streitig ist auch nicht, dass an der Wohnung des Klägers ein Hausbriefkasten vorhanden
ist. Insofern konnte das Kündigungsschreiben durch Einwurfeinschreiben zugestellt
werden.
Ob es heute noch zutreffend ist, dass die Gefahr des Verlustes einer gewöhnlichen
Briefsendung bei der Deutschen Post AG nach der allgemeinen Lebenserfahrung als
gering einzuschätzen ist (so noch im Jahre 1999 das OLG Sachsen-Anhalt mit Beschluss
vom 27. Mai 1999 – 7 W 38/99), kann dahinstehen. Denn hier handelte es sich um ein
Einwurfeinschreiben. Ob die Aufgabe eines Einwurfeinschreibens zur Post den Beweis des
ersten Anscheines mit der entsprechenden Darlegungslasterleichterungen für den
Zugang begründet (dafür AG Paderborn, Urteil vom 3. August 2000 – 51 C 76/00, nach
dem Leitsatz der Entscheidung dagegen LG Potsdam, Urteil vom 27. Juli 2000 – 11 S
233/99; differenzierend Reichert, Der Zugangsnachweis beim Einwurf-Einschreiben, NJW
2001, 2523 f.) kann in diesem Rechtsstreit dahinstehen. Der Postzusteller hat jedenfalls
auf dem Auslieferungsbeleg bestätigt, dass das Einwurfeinschrieben am 19. Mai 2006 in
den Briefkasten des Klägers eingeworfen worden ist. Wie das Arbeitsgericht zutreffend
ausgeführt hat, hätte der Kläger mindestens einen Sachverhalt darstellen müssen, der
eine gewisse Plausibilität für einen späteren als den in dem Auslieferungsbeleg
benannten Zeitpunkt hätte begründen können. Diesen Anforderungen genügte der
Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung nicht.
2.2 Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht
erstmals erklärt hat, dass der Zugang des Kündigungsschreibens am 19. Mai 2006
bestritten werde, weil er sowohl am Freitag, dem 19. Mai 2006 wie auch am Samstag,
dem 20. Mai 2006 und am Montag, dem 22. Mai 2006 jeweils in seinen Briefkasten
gesehen habe und dort kein Kündigungsschreiben vorgefunden habe, handelte es sich
um ein erhebliches Bestreiten. Dieses war allerdings unter Verstoß gegen die
Prozessförderungspflicht des Klägers so verspätet vorgetragen, dass es bei der
Entscheidungsfindung nicht mehr zu berücksichtigen war.
Soweit nach § 67 Abs.2 ArbGG das Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel in
der Berufungsinstanz zulässig ist, hat dies vom Berufungskläger nach § 67 Abs.4 in der
Berufungsbegründung, vom Berufungsbeklagten in der Berufungsbeantwortung zu
erfolgen. Hierbei handelt es sich um gesetzliche Ausschlussfristen (BAG, Urteil vom 5.
September 1985 - 6 AZR 216/81). Werden die Angriffs- oder Verteidigungsmittel später
vorgebracht, sind sie nur zuzulassen, wenn sie nach der Berufungsbegründung bzw. -
beantwortung entstanden sind, das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung
des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder nicht auf
Verschulden der Partei beruht.
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Entsprechend den Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung
zur abgestuften Darlegungslast hätte es nach dem Vortrag des Klägers in der
Berufungsverhandlung wieder dem Beklagten oblegen, die näheren Umstände der
Auslieferung des Kündigungsschreibens darzulegen. Da dazu bislang aber keinerlei
Veranlassung bestand, hätte der Beklagte nunmehr erstmals den Zusteller namentlich
ermitteln und die Umstände der Zustellung vortragen müssen. Dass bis dahin der
Vortrag des Klägers unzureichend war, hatten das Arbeitsgericht in den
Entscheidungsgründen und der Beklagte auch noch einmal in der Berufungserwiderung
ausgeführt. Da der Kläger auch im Termin vor dem Landesarbeitsgericht keinerlei
Erklärung für den offenkundigen Verstoß gegen seine Prozessförderungspflicht bzw. die
Verspätung seines Vortrags geliefert hat, ist das Berufungsgericht von einer groben
Nachlässigkeit im Sinne des § 296 Abs. 2 ZPO ausgegangen, nahm eine Verzögerung
des Rechtsstreits an und hat den Vortrag unberücksichtigt gelassen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 Abs.1 ZPO.
Aufgrund des erfolglosen Rechtsmittels hat der Kläger die Kosten der Berufung zu
tragen. Da in der Berufungsinstanz nur noch über die Wirksamkeit der Kündigung vom
18. Mai 2006 zu befinden war, war angesichts des weniger als ein Jahr bestehenden
Arbeitsverhältnisses ein Streitwert von 2.800,-- EUR anzunehmen.
IV.
Die Zulassung der Revision kam gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht Betracht. Es handelt
sich um eine am Einzelfall orientierte Entscheidung ohne grundsätzliche rechtliche
Bedeutung. Eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ist nicht
erkennbar.
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