Urteil des KG Berlin vom 15.03.2017

KG Berlin: fahrzeug, rückwärtsfahren, unfall, mitverschulden, link, sammlung, zustellung, quelle, betriebsgefahr, kollision

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Gericht:
KG Berlin 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 U 108/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 9 Abs 5 StVO
Haftung bei Kfz-Unfall: Anscheinsbeweis zu Lasten des
Rückwärtsfahrers beim Ausfahren aus einer Parkbox
Leitsatz
Die erhöhten Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren (§§ 9 Abs. 5 StVO) dienen dem Schutz
des Verkehrsraumes, in den das Fahrzeug fahren soll und den der Fahrer nicht so gut
einsehen kann wie beim Vorwärtsfahren.
Kommt es auf einem Parkplatzgelände im Zuge des Rückwärtsfahrens aus einer Parkbox zu
einer Kollision mit einem stehenden Fahrzeug, mit dem der Kläger zuvor aus einer
gegenüberliegenden Parkbox ausgefahren war, so spricht der Anscheinsbeweis gegen den
Rückwärtsfahrer.
Der Umstand, dass der Kläger zuvor seinerseits ebenfalls rückwärts aus einer Parkbox
ausgefahren war, wirkt sich nicht mehr unfallursächlich aus, nachdem er angehalten hatte,
um seine Ehefrau einsteigen zu lassen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 28. April 2009 verkündete Urteil der
Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin – 17 O 302/08 - teilweise abgeändert und wie
folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.288,50 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.267,00 € für
die Zeit vom 20. September 2008 bis zum 19. Januar 2009 und aus 3.288.50 € seit dem
20. Januar 2009 zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 777,20 € nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Dezember
2008 zu zahlen.
Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen den Ausführungen
des Landgerichts haften die Beklagten für den Schaden des Klägers zu 100 %.
1. Die Haftung der Beklagten folgt daraus, dass der Erstbeklagte beim Rückwärtsfahren
gegen die Fahrerseite im Bereich der hinteren Tür des stehenden Klägerfahrzeugs
gefahren ist.
Beim Rückwärtsfahren hatte der Erstbeklagte den Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 2 StVO
gerecht zu werden, also sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls hatte er sich einweisen zu
lassen.
Weil es im Zuge des Rückwärtsfahrens des Erstbeklagten zu dem Schaden am
Klägerfahrzeug gekommen ist, spricht der Anscheinsbeweis für eine Sorgfaltsverletzung
des Erstbeklagten (vgl. Senat, VM 1988, 32; VRS 108, 190 = KGR 2005, 151)
Dieser Anscheinsbeweis ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht erschüttert.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeklagte während des Zurücksetzens
seines Fahrzeugs den hinteren Verkehrsraum hinreichen beobachtet hat; anderenfalls
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seines Fahrzeugs den hinteren Verkehrsraum hinreichen beobachtet hat; anderenfalls
hätte er das Klägerfahrzeug sehen müssen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war die vom Erstbeklagten rückwärts
zurückgelegte Fahrstrecke zwar relativ kurz, der Erstbeklagte hätte als zurücksetzender
Kraftfahrer jedoch darauf achten müssen, dass der Gefahrraum hinter seinem Kfz frei ist
und von hinten wie von den Seiten her frei bleibt ( vgl. OLG Oldenburg VRS 100, 432;
OLG Düsseldorf VRS 87, 47; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., StVO § 9 Rn 51).
Der Erstbeklagte ist seiner Rückschaupflicht offenbar nicht gerecht geworden. Dies führt
zur vollen Haftung (Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs tritt zurück), wenn nicht den
Kläger ein Mitverschulden trifft.
2. Ein Mitverschulden des Klägers ist nicht bewiesen. Zwar trifft es zu, dass auch der
Kläger zunächst aus der Parkbox rückwärts herausgefahren ist. Im Zuge der
Rückwärtsbewegung ist es jedoch nicht zum Unfall gekommen. Dieser ereignete sich
erst, nachdem der Kläger stand, und zwar in Richtung des Geradeausverkehrs zwischen
den davon rechts und links schräg angezeichneten Parkboxen, um seine Ehefrau
einsteigen zu lassen.
Die erhöhten Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren (§ 9 Abs. 5, § 1 Abs. 2 StVO)
dienen dem Schutz des Verkehrsraums, in den das Fahrzeug fahren soll und den der
Fahrer nicht so gut einsehen kann wie beim Vorwärtsfahren (vgl. § 9 Abs. 5, 2. Halbsatz:
erforderlichenfalls einweisen lassen). Beim Zurückfahren in den hinter seinem Pkw
befindlichen Verkehrsraum hat der Kläger jedoch keinen Schaden verursacht. Vielmehr
stand das Fahrzeug, und zwar so lange, dass die an der Beifahrerseite stehende Ehefrau
des Klägers über das Fahrzeug hinweg das Beklagtenfahrzeug hat rückwärts anfahren
sehen und noch “Nein” rufen konnte, bevor es zum Unfall gekommen ist.
Das klägerische Fahrzeug stand so, dass der rückwärts fahrende Erstbeklagte mit
seinem Heck gegen die linke Seite des Klägerfahrzeugs gestoßen ist. In dieser Position
hätte sich der Kläger auch befinden können, wenn er vorwärts aus der Parkbox
ausgefahren wäre oder er von der Straße kommend angehalten hätte, um auf einen
freien Parkplatz zu warten.
Auch ein Verstoß des Klägers gegen die Pflicht, darauf zu achten, dass der Gefahrraum
hinter dem Kfz frei ist und von hinten und von den Seiten her frei bleibt (vgl. oben), kann
nicht festgestellt werden, weil sich diese Pflicht nur auf die Zeit während der
Rückwärtsfahrt beziehen kann, die zweifellos beendet war.
Dass der Kläger den ausparkenden Beklagten zu 1) so rechtzeitig bemerkt hat, dass er
ausreichend Zeit gehabt hätte, diesen durch ein Hupsignal auf die Gefahrensituation
aufmerksam zu machen, haben die Beklagten nicht dargelegt.
Die nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung seitens der Beklagten erbrachten
Zahlungen waren bei der Abfassung des Tenors nicht zu berücksichtigen, da die diesen
Zahlungen zugrunde liegende Verurteilung der Beklagten nicht Gegenstand des zweiten
Rechtszuges war.
Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat,
noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 2 ZPO
n. F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO. Die weiteren prozessualen
Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m § 26 Nr. 8 EGZPO.
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