Urteil des KG Berlin vom 03.11.2005

KG Berlin: umkehr der beweislast, unmittelbarer besitz, verbotene eigenmacht, grundstück, beendigung, eigentümer, dereliktion, zustandsstörer, rechtshängigkeit, räumung

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Gericht:
KG Berlin 8. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 U 263/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 1004 Abs 1 BGB
Haftung des Zustandsstörers: Störerhaftung nach Aufgabe des
Eigentums an der die Störung verursachenden Sache
Leitsatz
Ein Anspruch aus § 1004 BGB gegen den Zustandsstörer entfällt mit der wirksamen Aufgabe
des
Eigentums.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 03.11.2005 verkündete Urteil der
Zivilkammer 13 des Landgerichts Berlin 13 O 173/05 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in der selben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen das am 3. November 2005 verkündete
Urteil des Landgerichts Berlin, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug
genommen wird.
Der Beklagte hält das Urteil für unzutreffend, weil das Landgericht zu Unrecht davon
ausgegangen sei, dass er das streitgegenständliche Grundstück in Besitz habe, so dass
weder ein Herausgabeanspruch noch ein Anspruch auf Zahlung von
Nutzungsentschädigung gegeben sei. Zur Entfernung der Aufbauten sei er aus
Rechtsgründen nicht verpflichtet. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten
in der Berufungsinstanz wird auf seinen Schriftsatz vom 8. Februar 2006 verwiesen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil für zutreffend. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Klägers in
der Berufungsinstanz wird auf seinen Schriftsatz vom 15. Mai 2006 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
1. Räumung und Herausgabe
Soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Räumung wendet, ist die Berufung
schon deshalb begründet, weil zwischen den Parteien kein Mietverhältnis besteht, nach
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schon deshalb begründet, weil zwischen den Parteien kein Mietverhältnis besteht, nach
dessen etwaiger Beendigung der Kläger auf der Grundlage des § 546 BGB Räumung der
gemieteten Fläche verlangen könnte.
Soweit der Beklagte sich gegen die auf § 985 BGB gestützte Verurteilung zur
Herausgabe wendet, macht er zu Recht geltend, dass das Landgericht von einem Besitz
seinerseits an dem Grundstück nicht habe ausgehen dürfen. Der Kläger trägt die
Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Beklagte wenigstens zum Zeitpunkt der
Rechtshängigkeit der Herausgabeklage (vgl. hierzu Palandt/Bassenge, BGB, 65. Aufl., §
985 Rdnr. 16) Besitzer des Grundstücks gewesen ist. Diesen Beweis hat der Kläger nicht
erbracht. Der Kläger hat weder Zeugen noch sonstige Beweismittel dafür benannt, dass
der Beklagte zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit etwa auf dem Grundstück gesehen
worden ist. Entgegen der vom Kläger auch im Termin zur mündlichen Verhandlung vom
19. Juni 2006 geäußerten Auffassung, war er hierzu auch nicht etwa wegen einer Umkehr
der Beweislast oder aus sonstigen Rechtsgründen befreit (vgl. zu den Grundsätzen der
Beweislastverteilung Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., vor § 284 Rdnr. 15 ff.). Nachdem der
Kläger den Beklagten mit Schreiben vom 30. Januar 2002 das Betreten des Grundstücks
untersagt hatte, hat der Beklagte zwar mit einem Schreiben seines damaligen
Verfahrensbevollmächtigten vom 8. Februar 2002 geltend gemacht, dass er das
Verhalten des Klägers als verbotene Eigenmacht werte und auf einer ungestörten
Besitzausübung bestehe. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um den Vortrag des
Beklagten, wonach er sich an das Zutrittsverbot des Klägers vom 30. Januar 2002 strikt
gehalten und das Grundstück seit diesem Zeitpunkt nicht mehr betreten habe, zu
widerlegen. Der Beklagte hat nach Auffassung des Senats in seinem damaligen
Schreiben lediglich auf die aus seiner Sicht bestehende Rechtslage verwiesen, nicht
jedoch erklärt, dass er das Grundstück auch tatsächlich in Besitz habe und diesen Besitz
auch weiterhin ausüben werde. Der Senat vermag dem Kläger auch insoweit nicht zu
folgen, als dieser einen darüber hinausgehenden Vortrag des Beklagten zur
Besitzaufgabe verlangt. Nachdem der Kläger quasi ein Hausverbot ausgesprochen
hatte, entfiel ein unmittelbarer Besitz des Beklagten ab dem Zeitpunkt, ab dem er dem
Zutrittsverbot Folge leistete. Der Beklagte hat nach seinem, vom Kläger durch andere
Tatsachen nicht widerlegten Vortrag, genau das getan, was der Kläger von ihm wollte:
Deshalb ist es nach wie vor Sache des Klägers eine bis zum Zeitpunkt der
Rechtshängigkeit über die Dauer von rund 3 Jahren fortdauernde Besitzausübung des
Beklagten darzulegen und zu beweisen.
2. Entfernung der Baulichkeiten
Der Kläger kann vom Beklagten Entfernung der von ihm durch Kaufvertrag mit B. vom 4.
September 1996 erworbenen Baulichkeiten nicht verlangen.
Da zwischen den Parteien kein Mietverhältnis besteht, indem etwa wie in dem
Mietvertrag zwischen dem Kläger und B. unter § 11 Abs. 4 eine Verpflichtung des Mieters
zur Entfernung aller Baulichkeiten nach Ende des Mietverhältnisses enthalten ist,
scheidet ein vertraglicher Anspruch aus.
Der Kläger kann aber auch nach § 1004 Abs. 1 BGB keine Entfernung der Baulichkeiten
verlangen. Auszugehen ist von Folgendem:
Die auf dem Grundstück enthaltenen Baulichkeiten waren von den ehemaligen
Bezirksberechtigten im Einverständnis mit dem Kläger errichtet worden und auf Grund
übereinstimmender vertraglicher Regelungen Scheinbestandteile im Sinne des § 95
BGB. Da die Errichtung mit Einwilligung des Klägers erfolgt war, hätte mangels etwaiger
vertraglicher Ansprüche einem während der Dauer der Nutzungsverhältnisse geltend
gemachten Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB die fehlende Rechtswidrigkeit der
„Störung“ entgegengestanden. Nach Beendigung des ersten Nutzungsverhältnisses
wäre allerdings eine Rechtfertigung zur Duldung der Aufbauten entfallen, so dass der
Kläger die Entfernung der Baulichkeiten nach § 1004 Abs. 1 BGB hätte verlangen
können. Nachdem diese von B. (der nach dem Mietvertrag mit dem Kläger ebenfalls zur
Entfernung nach dessen Beendigung verpflichtet war) an den Beklagten verkauft worden
waren, hatte dies nach Beendigung des Mietverhältnisses mit B. zur Folge, dass der
Beklagte die Entfernung der Baulichkeiten jedenfalls nicht als Handlungsstörer
schuldete. Insoweit wäre die Verursachung der Beeinträchtigung durch ihn selbst
erforderlich gewesen; diese lag jedoch nicht vor.
Der Kläger kann sich aber auch nicht (mehr) darauf berufen, dass der Beklagte die
Entfernung der Baulichkeiten als „Zustandsstörer“ schuldet. Zwar ist der Beklagte
Eigentümer der Baulichkeiten geworden, von denen die Beeinträchtigung des Eigentums
des Klägers ausgeht. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um ihn als Zustandsstörer zu
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des Klägers ausgeht. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um ihn als Zustandsstörer zu
werten. Der Bundesgerichtshof hat u.a. mit Urteil vom 4. Februar 2005 (V ZR 142/04 -
NJW 2005, 1366, 1368/1369) ausgesprochen, dass die Annahme der Störereigenschaft
eine wenigstens mittelbar auf den Willen des Störers zurückführende
Eigentumsbeeinträchtigung voraussetzt. Ob diese Voraussetzungen hier vorlagen, kann
dahinstehen. Auszugehen ist nämlich davon, dass die negatorische Verantwortlichkeit
des Eigentümers der störenden Sache dann entfällt, wenn seine Eigentümerstellung
endet, wobei dies auch und gerade durch Dereliktion möglich ist. Der Senat schließt sich
der insbesondere von Gorsky (Staudinger [1999], § 1004 Rdnr. 112 ff.) hierzu
vertretenen Auffassung an. Für den dinglichen Rechtsbehelf aus § 1004 BGB besteht
kein Bedürfnis mehr, wenn der Anspruchsgegner keine dem Eigentümer vorbehaltene
Herrschaftsbefugnis an der Sache ausübt. Die Rechtslage ist vergleichbar mit
derjenigen, in der nach Übereignung der störenden Sache die (Zustands-)
Störereigenschaft auf den nunmehrigen Eigentümer übergeht. Auch hier endet die
Verpflichtetstellung für den negatorischen Anspruch, so dass bei Beendigung der
Eigentumsstellung durch Dereliktion nichts anderes gelten kann. Da der Beklagte im
Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat sein Eigentum an den Baulichkeiten
wirksam aufgegeben hat, endete spätestens zu diesem Zeitpunkt seine etwaige Haftung
als Handlungsstörer, so dass der Kläger Beseitigung nach § 1004 Abs. 1 BGB nicht mehr
verlangen kann.
Unberührt hiervon bleiben allerdings etwaige dem Kläger durch die Beseitigung der
Baulichkeiten entstehenden Kosten, für deren Ersatz der Beklagte nach §§ 823 Abs. 1,
249 BGB verpflichtet wäre.
3. Nutzungsentschädigung
Die Berufung ist begründet, da die Voraussetzungen der §§ 987 ff. BGB im Verhältnis
zwischen dem Kläger und dem Beklagten nicht vorliegen.
Wie oben unter Ziffer II. 1. ausgeführt, ist ein Besitz des Beklagten an dem Grundstück in
der Zeit vom 1. Februar 2002 bis zum 1. Januar 2004 nicht nachgewiesen. Da eine
Vindikationslage im Sinne des § 985 BGB fehlte, scheiden Entschädigungsansprüche
nach §§ 987 ff. BGB schon von daher aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, soweit sie die Frage angeht, ob die Zustandsstörerhaftung
nach § 1004 Abs. 1 BGB auch durch Aufgabe des Eigentums an der störenden Sache
endet. Der Senat verkennt nicht, dass der BGH (BGHZ 18253 ff.; 41, 393 ff.) zum Fortfall
der Störereigenschaft durch Dereliktion Ausführungen getroffen hat; die damaligen
Ausführungen des BGH (Wehrmachtsanlagen) sind jedoch nach Auffassung des Senats
im Hinblick auf eine Rechtsfortbildung zu überprüfen, so dass die Voraussetzungen des §
543 ZPO gegeben sind.
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