Urteil des KG Berlin vom 07.02.2008

KG Berlin: wirtschaftliche identität, notwendige streitgenossenschaft, gesellschafter, verrechnung, gebühr, trennung, link, ermessensfehler, nebenintervention, entlastung

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Gericht:
KG Berlin 1. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 W 443/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 145 Abs 1 ZPO, § 21 GKG, § 66
GKG, Nr 1210 GKVerz
Kostenfestsetzung nach Prozesstrennung:
Ermessensfehlerfreiheit einer Verfahrenstrennung;
Gerichtskostenansatz; unrichtige Sachbehandlung wegen
entstandener Kostennachteile
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig (§ 66 Abs.2 S.1, Abs.5 S.5 GKG), jedoch nicht begründet.
Das Landgericht hat die Erinnerung gegen den Kostenansatz vom 7. Februar 2008 zu
Recht zurückgewiesen. Der Kostenbeamte hat die Gerichtskosten für das
erstinstanzliche Verfahren zutreffend mit einer 3,0 Gebühr gemäß Nr. 1210 KV GKG
i.H.v. (zumindest) 214.518 € nach einem Streitwert von (zumindest) 23.321.648 €
berechnet. Der Streitwert für das – gemäß § 145 Abs.1 ZPO abgetrennte –
Klageverfahren 38 O 81/07 ist mit Beschluss vom 1. Februar 2008 für die Zeit ab dem
13. November 2007 auf 23.321.648 € und für frühere Zeiträume auf noch höhere
Beträge festgesetzt worden (Bd II Bl. 251 d.A.). Die Wertfestsetzung ist nicht von Amts
wegen zu ändern. Zum einen ist die Frist des § 63 Abs.3 S.2 GKG bereits abgelaufen.
Zum anderen ist die Festsetzung vom 1. Februar 2008 zutreffend; maßgebend ist
gemäß § 3 ZPO, § 48 Abs.1 S.1 GKG der Betrag des Zahlungsantrags gegen die
Beklagte.
Die Gerichtskosten für dieses Verfahren sind gesondert zu berechnen, unabhängig von
dem Ausgangsverfahren 38 O 367/06 oder den weiteren abgetrennten Verfahren 38 O
61 bis 65/07. Durch die Verfahrenstrennung entstehen gesonderte Prozesse, die
gesondert zu entscheiden und kostenrechtlich gesondert zu behandeln sind (vgl.
Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 147 Rn. 7 und 28). Demgemäß besteht zwischen der
Beklagten und den weiteren Beklagten (zu 2. bis 112.) des Ausgangsverfahrens auch
keine Streitgenossenschaft mehr. Aus dem Hinweis des Kammergerichts - 15 W 36, 48
und 71/09 - vom 5. November 2009 (Bd III Bl. 83 d.A.) ergibt sich nichts Anderes. Dieser
bezieht sich allein auf das Verhältnis der nach der Abtrennung noch im Rechtsstreit 38 O
367/06 verbliebenen Beklagten untereinander.
Bei Prozesstrennung nach § 145 Abs.1 ZPO fällt in jedem der neuen Verfahren die
Gebühr gemäß Nr. 1210 KV GKG nach dem dann maßgebenden Einzelstreitwert erneut
an (vgl. OLG Nürnberg, OLGR 2005, 262, 263; OLG München, NJW-RR 1996, 1279; BFH,
Beschluss v. 22. Sept. 2008 - II E 14/07; Zöller/Greger, a.a.O., § 147 Rn. 28); die
Pauschgebühr für das Verfahren im Allgemeinen entsteht durch jede Prozesshandlung
immer wieder erneut, wenn nicht als „Dauergebühr“ allein durch den Verfahrensablauf
(BVerwG, NJW 1960, 1973; OLG Schleswig, JurBüro 1996, 204). § 36 Abs.2 und 3 GKG
steht dem nicht entgegen. Es trifft zwar zu, dass es sich bei den getrennten Prozessen
in der jeweiligen (hier: ersten) Instanz um denselben Rechtszug handelt. Die
Höchstgrenze findet jedoch nur Anwendung, soweit es um Teile des Gegenstands eines
Verfahrens und nicht um mehrere Verfahren geht. Aus § 40 GKG ergibt sich ebenfalls
nichts Abweichendes. Die Vorschrift bestimmt lediglich, auf welchen Zeitpunkt für die
Berechnung des Streitwerts abzustellen ist, nach dem sich die Verfahrensgebühr (auch
im neuen Verfahren) gemäß § 34 GKG richtet. Im Zeitpunkt der Klageeinreichung betrug
der Wert des gegen die Beklagte gerichteten Antrags über 25.000.000 €. Die
Berechnung der Verfahrensgebühr für den abgetrennten Rechtsstreit 38 O 81/07 nach
diesem Einzelstreitwert oder – wie im Kostenansatz vom 7. Februar 2008 – zumindest
nach dem Wert von 23.321.648 € führt weder zu einer Verdopplung des (die Beklagte
betreffenden) Streitwerts noch werden Verfahrenskosten für den Rechtsstreit gegen die
Beklagte zweifach erhoben.
Die eingeklagten Forderungen gegen die gemäß § 124 Abs.1 HGB rechtsfähige Beklagte
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Die eingeklagten Forderungen gegen die gemäß § 124 Abs.1 HGB rechtsfähige Beklagte
und gegen ihre Gesellschafter sind kein einheitlicher Prozessanspruch. Es liegen
unterschiedliche Streitgegenstände vor, was sich bereits aus der subjektiven
Klagehäufung ergibt. Die Klageanträge gegen die als Gesellschafter in Anspruch
Genommenen (die Beklagten zu 2. bis 112. des Ausgangsverfahrens 38 O 367/06)
haben einen eigenständigen Streitwert, den das Landgericht unter Berücksichtigung der
Abtrennungen vom 16. Februar 2007 (Bd I Bl. 72 d.A.) mit Beschluss vom 16. Juli 2008
auf 25.842.142 € festgesetzt hat (vgl. Mitteilung vom 22. September 2008 an die
damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten, Bd III Bl. 36 d.A.). Die Werte der
gegen die Beklagte und ihre Gesellschafter geltend gemachten Ansprüche waren im
Ausgangsverfahren nur deshalb nicht gemäß § 39 Abs.1 GKG (§ 5 Hs.1 ZPO)
zusammenzurechnen, weil eine solche Wertaddition bei wirtschaftlicher Identität der
Ansprüche ausgeschlossen ist (BGH, NJW-RR 2004, 638, 639; 1991, 186). Die Ansprüche
gegen die offene Handelsgesellschaft und gegen ihre gemäß § 128 S.1 HGB
akzessorisch haftenden Gesellschafter sind – ähnlich wie bei der Gesamtschuld –
wirtschaftlich identisch. Die wirtschaftliche Identität ist aber unerheblich, wenn die
Ansprüche – wie hier nach der Prozesstrennung – Gegenstand unterschiedlicher
Verfahren sind. Hier gilt nicht Anderes, als wenn die Klägerin die Ansprüche sogleich in
getrennten Rechtsstreiten verfolgt hätte.
Es kommt nicht darauf an, dass keine der Parteien die Verfahrenstrennung beantragt
hat. Die Gerichtskosten sind der Beklagten gemäß §§ 29 Nr.1, 31 Abs.2 GKG als
Entscheidungsschuldner in Rechnung gestellt worden. Im Übrigen schuldet die Klägerin
gemäß § 22 Abs.1 S.1 GKG ebenfalls die (Mehr-)Kosten, da sie mit der Klageerhebung
auch die von Amts wegen angeordnete Verfahrenstrennung veranlasst hat (vgl. OLG
Koblenz, OLGR 2000, 420).
Die Kostennachteile, die den Parteien durch die Verfahrenstrennung entstanden sind,
rechtfertigt keine abweichende Beurteilung, selbst wenn die Beklagte und/oder ihre
Gesellschafter ihr prozessuales Verhalten an dem vorab kalkulierten Kostenrisiko
ausgerichtet haben sollten. Die individuelle Belastung der Gesellschafter, die für
Kostenforderungen gegen die Beklagte gemäß § 128 S.1 HGB persönlich haften, ist
ebenfalls irrelevant. Die Rechtsbehelfe nach § 66 GKG können allein auf eine Verletzung
des Kostenrechts gestützt werden. Eine solche liegt nicht vor. Insbesondere hat der
Kostenbeamte die Verfahrensgestaltung des Prozessgerichts zu Grunde zu legen;
dadurch entstandene Kosten sind nur unter den Voraussetzungen des § 21 Abs.1 GKG
nicht zu erheben. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte (vgl. zum
Justizgewährleistungsanspruch BVerfG, NJW 1997, 311, 312) gebieten die von der
Beklagten befürwortete kostenrechtliche Behandlung nicht. Das Kostenrisiko steht zu
dem mit der Klageerhebung angestrebten wirtschaftlichen Erfolg nicht derart außer
Verhältnis, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint. Die Klägerin hat
gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch von über 25.000.000 € geltend gemacht;
hierfür entstandene Gerichtskosten von unter 1% des Zahlbetrags hindern einen
effektiven Rechtsschutz nicht. Das gilt auch, soweit sich die Gerichtskosten durch die
Verfahrenstrennung insgesamt verdoppelt oder – wie die Beklagte meint – vervierfacht
haben. Gerichtskosten i.H.v. 4% des Gesamtinteresses der Klägerin führen nicht zu einer
unangemessenen Erschwerung der Rechtsverfolgung; bei geringen Streitwerten wird
diese Quote regelmäßig überschritten. Klageerweiternde Anträge der Klägerin
(Feststellungsantrag in dem Rechtsstreit 38 O 63/07 o.ä.) sind für die
Vergleichsberechnung ohnehin nicht zu berücksichtigen.
Die Voraussetzungen des § 21 Abs.1 S.1 GKG liegen nicht vor. Der Trennungsbeschluss
vom 16. Februar 2007 ist keine unrichtige Sachbehandlung. Eine solche ist nur gegeben,
wenn dem Gericht ein offensichtlicher schwerer Fehler unterlaufen ist (BGH, NJW-RR
2005, 1230; 2003, 1294). Das ist nicht der Fall. Zum einen sind sämtliche Rechtsmittel
gegen den Beschluss – nach einer Stellungnahme der jetzigen
Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten vom 28. Dezember 2007 (Bd II Bl. 216 ff.
d.A.) auch eine Verfassungsbeschwerde – erfolglos geblieben. Zum anderen war die
Prozesstrennung nicht fehlerhaft, erst Recht nicht eindeutig fehlerhaft. Insbesondere
lagen mehrere in einer Klage erhobene Ansprüche i.S.v. § 145 Abs.1 ZPO vor. Auch hier
verkennt die Beklagte, dass Gegenstand des Ausgangsverfahrens nicht „ein einziger
Anspruch“ gegen „ein und denselben Beklagten“ war. Zwischen der Beklagten und ihren
Gesellschaftern bestand auch keine notwendige Streitgenossenschaft nach § 62 Abs.1
ZPO (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 62 Rn. 7 m.w.N.). Ein Ermessensfehler des
Landgerichts ist ebenfalls nicht ersichtlich. Das Ziel, den Prozessstoff zu ordnen und
übersichtlicher zu gestalten, kann Maßstab für die Entscheidung nach § 145 Abs.1 ZPO
sein (BGH, NJW 1995, 3120 ff.; BVerfG, NJW 1997, 649, 650). Eine solche Ordnung des
Prozessstoffs war hier – im Gegensatz zu dem vom Bundesverfassungsgericht, a.a.O.
entschiedenen Sachverhalt – durch die angeordnete Trennung zu erwarten. Es war
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entschiedenen Sachverhalt – durch die angeordnete Trennung zu erwarten. Es war
sachgerecht, über die Klage gegen die Beklagte in einem gesonderten Verfahren zu
entscheiden, in dem es auf die zahlreichen persönlichen Einreden und Einwendungen der
als Gesellschafter in Anspruch Genommenen nicht ankam. Deren Interessen war mit der
Möglichkeit der Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO) in dem Verfahren 38 O 81/07
hinreichend Rechnung getragen.
Schließlich ist die verfahrensgegenständliche Kostenforderung nicht bereits dadurch
(vollständig) erloschen, dass die Klägerin am 22. Januar 2007 Gerichtskosten i.H.v.
252.318 € gezahlt hat. Die Klägerin hat den Betrag auf die Kostenrechnung vom 10.
Januar 2007 im Ausgangsverfahren 38 O 367/06 geleistet. In diesem Verfahren sind
unter Berücksichtigung der Abtrennungen Kosten i.H.v. 237.394,95 € entstanden:
237.018 € Gebühr gemäß Nr. 1210 KV GKG aus einem Streitwert von 25.842.142 €
gemäß Beschluss vom 16. Juli 2008 + 376.95 € Zustellkosten (vgl. Mitteilung vom 22.
September 2008). Den überschießenden Betrag von 14.923,05 € (= 252.318 € -
237.394,95 €) hat der Kostenbeamte nachträglich auf das hiesige Verfahren verrechnet
und demgemäß den Kostenansatz vom 7. Februar 2008 mit Kostenrechnung vom 22.
September 2008 um 14.923,05 € reduziert. Anspruch auf eine (weitergehende)
Verrechnung hat die Beklagte nicht. Es bedarf keiner anteilsmäßigen Aufteilung der
klägerischen Zahlung vom 22. Januar 2007 auf das Ausgangsverfahren und die
abgetrennten Prozesse. Eine Verrechnung hat nur zu erfolgen, soweit im ursprünglichen
Verfahren niedrigere Kosten anfallen als für dieses Verfahren eingezahlt (vgl. OLG
München, a.a.O.). Im Übrigen kann nur die Klägerin die – jetzt erfolgte – Verrechnung
des Überschusses verlangen. Ihre Zahlung dient nicht der Entlastung der als
Entscheidungsschuldner haftenden Beklagten und hat bei einer Verrechnung auf den
Rechtsstreit 38 O 81/07 einen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegen die
Beklagte zur Folge.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet (§ 66 Abs.8 GKG).
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