Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: sachliche zuständigkeit, erschleichung, zerlegung, meinung, zivilprozessrecht, link, sammlung, quelle, bindungswirkung, steuerberater

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Gericht:
KG Berlin 2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 AR 51/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 147 ZPO,
§ 281 Abs 2 S 4 ZPO
Zuständigkeitsbestimmung: Verweisung an das Landgericht
nach der Verbindung gesondert geltend gemachter
Steuerberaterhonorare
Leitsatz
Die Verweisung des Amtsgerichts an das Landgericht nach Verbindung mehrerer gleichzeitig
erhobener Klagen zwischen denselben Parteien, die nach Verbindung den
Zuständigkeitsstreitwert von 5.000,00 EUR übersteigen, ist bereits dann nicht willkürlich und
damit bindend i.S. von § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO, wenn es sich um gleichartige Forderungen aus
einer laufenden Geschäftsverbindung (hier: Steuerberaterleistungen) handelt und kein
sachlicher Grund für eine gesonderte Rechtsverfolgung ersichtlich ist (Anschluss an OLG
Karlsruhe, Beschluss vom 21.04.2004 - 15 AR 5/04 , OLGR 2005, 174).
Tenor
Das Landgericht Berlin wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I.
Der Kläger war der Steuerberater des Beklagten. Mit zwei Mahnbescheidsanträgen
jeweils vom 31.12.2007 hat er Honorare geltend gemacht (zum einen 4.288,38 EUR für
zwei Rechnungen vom 31.12.2006 und eine Rechnung vom 10.02.2007 sowie zum
anderen 1.151,42 EUR für eine Rechnung vom 31.12.2006). Nach Widerspruch des
Beklagten jeweils vom 26.02.2008 und Abgabe beider Verfahren an das Amtsgericht
Wedding -Prozessabteilung- hat der Kläger seine Ansprüche jeweils mit Schriftsätzen
vom 19.05.2008 begründet. Mit Beschluss vom 10.07.2008 sind beide Prozessverfahren
gemäß § 147 ZPO verbunden worden. Nach Hinweis des Amtsgerichts vom 10.07.2008,
dass kein Grund für die Beantragung zweier Mahnbescheide ersichtlich sei und daher
Bedenken gegen die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts bestünden, hat der
Kläger unter dem 17.07.2008 Verweisung des Rechtsstreits an das sachlich zuständige
Landgericht Berlin beantragt. Mit Schriftsatz vom 17.07.2008 hat sich der Beklagte
einem erwarteten Verweisungsantrag angeschlossen.
Mit Beschluss vom 30.07.2008 hat sich das Amtsgericht für unzuständig erklärt und den
Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das Landgericht verwiesen, und zur Begründung
(unter Hinweis auf Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., § 2 Rn 7)
ausgeführt, dass nach den Umständen die Aufteilung nur dem Zweck gedient habe, die
Zuständigkeit des Amtsgerichts zu erlangen, weshalb eine Verweisung nach Verbindung
zulässig sei.
Das Landgericht hat sich nach entsprechendem Hinweis an die Parteien vom 10.09.2008
mit Beschluss vom 09.10.2008 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit
wieder an das Amtsgericht verwiesen. Dieses hat die Sache sodann dem Senat zur
Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.
II.
Das Kammergericht ist nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen
Gerichts berufen. Denn sowohl das Amtsgericht Wedding als auch das Landgericht Berlin
haben mit jeweils unanfechtbarem Beschluss und damit “rechtskräftig” i.S. der
Vorschrift (vgl. BGH NJW 1988, 1794 f.; NJW-RR 1997, 1161) ihre Zuständigkeit verneint.
Das Landgericht Berlin ist auf Grund der bindenden Verweisung des Amtsgerichts
Wedding zuständig (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO).
Objektive Willkür, die die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ausnahmsweise
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Objektive Willkür, die die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ausnahmsweise
entfallen lässt, setzt voraus, dass die Verweisung nicht bloß unrichtig ist, sondern sich
bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese
beherrschenden Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr zu
rechtfertigen ist. Dies ist der Fall, wenn sie nicht mehr verständlich erscheint und
offensichtlich unhaltbar ist (s. BVerfGE 29, 45, 49; BGH NJW-RR 2008, 1309; NJW 2003,
2990, 2991; NJW 2003, 3201 f.). Diese Ausnahmevoraussetzungen liegen hier nicht vor.
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verweisung des Amtsgerichts an das
Landgericht nach Verbindung (§ 147 ZPO) zulässig ist, wird nicht einheitlich beurteilt.
Während teilweise -auf Grund des Ausnahmecharakters des § 506 ZPO gegenüber § 261
Abs. 3 Nr. 2 ZPO (vgl. BGH NJW-RR 1996, 891) schwerlich vertretbar- angenommen wird,
dass jede Verbindung eine Verweisung analog § 506 ZPO erlaube (so AG Neukölln MDR
2005, 772; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., 1976, § 506 Anm. D II), wird von anderen eine
Verweisungsbefugnis nach Verbindung auch unter dem Aspekt der zu verhindernden
Erschleichung der amtsgerichtlichen Zuständigkeit grundsätzlich abgelehnt, da seit dem
01.01.2002 auch gegen amtsgerichtliche Urteile die Revision möglich sei (so Roth in:
Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 1 Rn 14). Die herrschende Meinung geht demgegenüber -
nach wie vor- davon aus, dass eine Verbindung nach § 147 ZPO an sich zwar keine
Zuständigkeitsveränderung bewirke (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO), dies jedoch anders sei,
wenn der Kläger die amtsgerichtliche Zuständigkeit durch Erhebung mehrerer den
Zuständigkeitsstreitwert von 5.000,00 EUR jeweils nicht übersteigender (Teil-)Klagen
“erschleiche” (vgl. Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl.,
§ 2 Rn 7, 8 auch für den Fall einer der Prozesswirtschaftlichkeit zuwiderlaufenden
“objektiven” Erschleichung; ferner -insbesondere für die Zerlegung eines einheitlichen
Anspruchs in verschiedene Teilklagen- Wagner in: MüKO, ZPO, 3. Aufl., § 147 Rn 13 und
Deubner a.a.O., § 506 Rn 6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., §
32 Rn 3; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 1 Rn 23; s.a. LG Gießen MDR 1996, 527;
ferner LG Frankfurt/Oder, mitgeteilt in BGH NJW-RR 2006, 930).
Der Senat vermag bei dieser Ausgangslage nicht festzustellen, dass die vom
verweisenden Amtsgericht zugrunde gelegte, mit Hartmann in:
Baumbach/Lauterbach/Albers/Harmann, ZPO, § 2 Rn. 7 begründete Auffassung gänzlich
unvertretbar und damit willkürlich sei. Er befindet sich mit dieser Beurteilung in
Übereinstimmung mit der Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 21.04.2004 -15 AR 5/04,
OLGR 2005, 174 ff, welches in einem gleich liegenden Fall die unter Berufung auf
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann erfolgte Verweisung durch das Amtsgericht
nach Verbindung verschiedener Werklohnklagen ebenfalls als jedenfalls nicht willkürlich
angesehen hat. Die Annahme eines objektiven, prozessunwirtschaftlichen Erschleichens
der amtsgerichtlichen Zuständigkeit ist zwar recht weitgehend und auch in der Literatur
nur vereinzelt vertreten, aber nicht deshalb bereits willkürlich.
Auch in tatsächlicher Hinsicht ist der Beschluss des Amtsgerichts Wedding nicht
willkürlich. Für die gesonderte Verfolgung der gleichartigen Zahlungsansprüche aus der
langfristigen Leistungsbeziehung der Parteien durch am gleichen Tag beantragte
Mahnbescheide über 4.288,38 EUR und 1.151,42 EUR ist in der Tat kein vernünftiger
Grund zu erkennen. Ein solcher ist auch vom Kläger auf den Hinweis des Amtsgerichts
vom 10.07.2008 nicht dargetan worden. Vielmehr hat der Kläger kommentarlos die
Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht beantragt und damit zu erkennen
gegeben, dass er dem Vorhalt des Amtsgerichts nichts entgegen zu setzen hat.
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