Urteil des FG Niedersachsen vom 20.02.2013

FG Niedersachsen: berechnung der steuer, kirchensteuer, gesetzlicher erbe, belastung, kapitalvermögen, festsetzungsverjährung, datum, luxemburg, erblasser, strafanzeige

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Erbschaftsteuer
Materiell rechtlich geschuldete Steuerverbindlichkeiten können auch dann
als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden, wenn sie vom FA nicht
festgesetzt werden.
Nichtzulassungsbeschwerde, BFH-Az. II B 26/13 - II R 45/13 - Revision
zugelassen
Revision eingelegt, BFH-Az. II R 45/13
Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 20.02.2013, 3 K 366/12
§ 10 Nr 5 ErbStG
Tatbestand
Streitig ist die Frage, in welcher Höhe Nachlassverbindlichkeiten zu
berücksichtigen sind.
Die Klägerin ist Tochter der am 18. April 2004 verstorbenen Frau Ernestine B.
Diese verfügte über ein erhebliches Kapitalvermögen - nach der
Erbschaftsteuererklärung rund 2,8 Mio € -, das sie teilweise auf Konten in
Luxemburg angelegt hatte. Kapitalerträge aus dem Vermögen auf Konten in
Luxemburg gab Ernestine B. in ihren Einkommensteuererklärungen
gegenüber dem Wohnsitzfinanzamt B nicht an. Das Finanzamt B setzte
dementsprechend in den Einkommensteuerbescheiden bis einschließlich
2002 (die Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 ergingen erst nach
dem Tode von Frau B) die Einkommensteuer zu niedrig fest.
Zum Zeitpunkt des Todes von Frau B lebte als naher Angehöriger noch ihr
1915 geborener und zwischenzeitlich ebenfalls verstorbener Bruder Ottomar F
sowie ihr Lebensgefährte Kurt M. Angeblich hatte Frau B den Stiefenkel Rainer
D, den Kläger in dem parallelen Klageverfahren 3 K 365/12 durch Testament
zum Erben eingesetzt. Das Testament war bei ihrem Tode nicht auffindbar.
Daraufhin beanspruchte Ottomar F als gesetzlicher Erbe die gesamte
Erbschaft.
Das Amtsgericht Bu erteilte unter dem Datum des 26. August 2004 einen
Erbschein, wonach Ottomar F Alleinerbe nach Ernestine B ist. Rainer D berief
sich demgegenüber in einem sich anschließenden Erbrechtsstreit auf das
seiner Auffassung nach vorliegende Testament. Dieses Klageverfahren wurde
durch gerichtlichen Vergleich vom 14. Dezember 2005 beendet. Danach sind
Rainer D und Ottomar F Miterben zu je 1/2. Ottomar F stellt darüber hinaus
vermächtnisweise der Klägerin aus seinem Erbanteil einen Betrag von 20%
des Nachlasswertes zur Verfügung. Entsprechend diesem Vergleich erteilte
das Amtsgericht Bu unter dem Datum des 21. Dezember 2005 einen neuen
gemeinschaftlichen Erbschein für Rainer D und Ottomar F.
Der Beklagte erließ unter dem 26. Juni 2006 gegenüber Ottomar F erstmals
einen Erbschaftsteuerbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
stand und noch nicht das umfangreiche Kapitalvermögen der Ernestine B
berücksichtigte. Kurz danach verstarb Ottomar F am 8. August 2006.
Ende 2004 hatte Rainer D eine Strafanzeige gegen Ottomar F und den
ehemaligen Lebensgefährten Kurt M gestellt und darin das Vermögen der Frau
B offenbart. Am 6. Januar 2005 fand bei der Polizeiinspektion H eine
Zeugenvernehmung von Rainer D statt. Am 23. Januar 2006 gab Rainer D
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gegenüber dem Finanzamt B eine strafbefreiende Erklärung nach dem
StraBEG ab, in der er die nicht versteuerten Zinseinkünfte für die Jahre 1993-
2002 mit 346.469,- € und die darauf entfallenden Steuern mit 121.266,- €
angab, und zwar jeweils ausdrücklich in der Währungseinheit Euro.
Das Finanzamt B setzte die Steuern zunächst entsprechend der Erklärung
fest, hob diese aber später wieder auf, weil es davon ausging, dass die Tat
zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung bereits entdeckt gewesen und die
Strafbefreiungserklärung nicht mehr wirksam sei. Es kam darüber zu einem
Rechtsstreit, der unter dem Aktenzeichen 9 K 346/06 vor dem
Niedersächsischen Finanzgericht anhängig war.
Im Verlaufe dieses Verfahrens schlossen Rainer D, die mittelbar an dem
Nachlass der Ernestine B beteiligten Erben nach dem mittlerweile
verstorbenen Ottomar F, d.h. auch die Klägerin, sowie das Finanzamt B am 18.
Oktober 2007 eine tatsächliche Verständigung. Darin heißt es u.a.: „Die
Schwierigkeiten in der Sachverhaltsermittlung liegen darin, dass bei der
Erblasserin die bisher nicht erklärten Kapitalerträge für die
Veranlagungszeiträume 1995-2002 aufgrund fehlender bzw. nicht mehr
beschaffbarer Unterlagen sowie des Zeitablaufs nicht mehr im Einzelnen
genau festgestellt werden können. Entsprechendes gilt für die noch zu
berücksichtigenden Werbungskosten.“ Vereinbart wurde, dass die
anzusetzenden Kapitalerträge in Anlehnung an die in der strafbefreienden
Erklärung genannten Zahlenwerte von 60 % auf 100 % hochgerechnet und
unter Berücksichtigung pauschaler Werbungskosten in Höhe von 10 % der
nachgemeldeten Einnahmen angesetzt werden sollten. Die Ermittlung der
Beträge ergebe sich aus der einen Bestandteil der tatsächlichen
Verständigung bildenden Anlage.
In der Klageakte 9 K 346/06, die der Senat zum Verfahren beigezogen hat,
finden sich zwei verschiedene Ausfertigungen der Anlage zur tatsächlichen
Verständigung. In der einen werden die Einkünfte mit € bezeichnet, in der
anderen fehlt die Währungsangabe. Mit Datum vom 6. März 2008 erließ das
Finanzamt B geänderte Einkommensteuerbescheide für 1995-2002. Bildet
man die Differenz zwischen den Einnahmen aus Kapitalvermögen, die in
diesen Einkommensteuerbescheiden ausgewiesen sind, soweit sie die Jahre
1995-2001 betreffen, und den zuvor angesetzten Einnahmen aus
Kapitalvermögen, so ergibt sich, dass das Finanzamt B die Zahlenwerte aus
der Anlage zur tatsächlichen Verständigung entnommen und als DM-Beträge
statt als €-Beträge behandelt hat. Insgesamt ergeben sich aus den geänderten
Einkommensteuerbescheiden vom 6. März 2008 sowie aus den
Einkommensteuerbescheiden 2003 und 2004, die letztmals mit Datum vom 16.
September 2010 geändert wurden, Einkommensteuerverbindlichkeiten in
Höhe von 134.482,38 € sowie Nachzahlungszinsen in Höhe von 16.845,- €.
Nach Ergehen der Änderungsbescheide nahm Rainer D die Klage zurück.
Dieser hat, wie er in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2013 offen
eingeräumt hat, den Rechenfehler des Finanzamts B bemerkt, aber bewusst
bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung am 31. Dezember 2012 für den
jüngsten Veranlagungszeitraum 2001 verschwiegen.
Parallel zur einkommensteuerlichen Behandlung des Falles gab Rainer D am
12. Oktober 2007, d.h. noch vor Abschluss des Klageverfahrens vor dem 9.
Senat, eine Erbschaftsteuererklärung für den Erbfall B ab, in der er die Höhe
des Kapitalvermögens mit 2.824.175,- € benannte. Nachlassverbindlichen in
Form von Steuerschulden gab er mit 370.000,- € an.
Für die Klägerin als Vermächtnisnehmerin erging erstmals am 15. November
2007 ein Erbschaftsteuerbescheid, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
stand. Bei der Berechnung der Besteuerungsgrundlagen war dem Beklagten
ein Fehler unterlaufen; er hatte bei der Ermittlung der Vermögenswerte die
Verbindlichkeiten bereits abgezogen und diese anschließend noch einmal in
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Abzug gebracht. Die Höhe der Steuerschulden berücksichtigte der Beklagte
hier wie auch bei Rainer D zunächst mit 370.000,- €.
Nachdem dem Beklagten die geänderten Einkommensteuerbescheide 1995-
2002 des Finanzamts Burgdorf zur Kenntnis gelangten, änderte er mit Datum
vom 23. Dezember 2011 den Erbschaftsteuerbescheid gem. § 164 Abs. 2 AO
und berücksichtigte nur noch die sich aus den geänderten
Einkommensteuerbescheiden 1995-2002 vom 6. März 2008 sowie den
Einkommensteuerbescheiden 2003 und 2004 vom 10. September 2010
ergebenden Steuerschulden und Zinsen in Höhe von 151.528,- €. Bei dieser
Gelegenheit berichtigte er ebenfalls seinen Berechnungsfehler. Gegen diesen
Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, der Änderung
des Bescheides stehe der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen. Der
Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Klägerin meint, dass die Nachlassverbindlichkeiten nicht in zutreffender
Höhe abgezogen worden seien. Hierbei sei auf die Verhältnisse beim
Erblasser im Zeitpunkt des Todes abzustellen; spätere Ereignisse seien nicht
zu berücksichtigen. Materiell-rechtlich wären gegenüber Ernestine B höhere
Einkommensteuern festzusetzen gewesen als das Finanzamt B tatsächlich im
Anschluss an die tatsächliche Verständigung festgesetzt habe. Für eine
zutreffende Ermittlung wäre es erforderlich gewesen die Steuer zu ermitteln,
die nach dem materiellen Steuerrecht angefallen wäre. Wäre die Erklärung
nach dem StraBEG akzeptiert worden, hätte sich die Steuer weiter reduziert.
Dies zeige, dass es auf das materielle Recht, nicht auf die tatsächlich
festgesetzten Steuern ankomme. Der Beklagte habe demgegenüber zu
Unrecht allein darauf abgestellt, welche Beträge an Erbschaftsteuer die Erben
tatsächlich entrichtet hätten.
Bei der Übernahme der Werte aus der strafbefreienden Erklärung sei dem
Veranlagungs-finanzamt ein Fehler unterlaufen, indem es versäumt habe, die
Euro-Beträge der strafbefreienden Erklärung in DM umzurechnen. Insofern
seien die Zahlenwerte in den Bescheiden inhaltlich unrichtig. Es habe zudem
keine förmliche tatsächliche Verständigung vorgelegen, da die Vereinbarung
allein der Beendigung des Klageverfahrens betreffend die Wirksamkeit der
strafbefreienden Erklärung gedient habe. Insofern seien auch nicht
Werbungskosten in Höhe von 10 % der Einnahmen zu berücksichtigen, weil
entsprechende Kosten nicht nachgewiesen worden seien. Auch die
Einkommensteuer 1993 und 1994 sei zu niedrig festgesetzt worden, weil die
entsprechenden Festsetzungen im Zeitpunkt des Todes von Ernestine B noch
nicht verjährt waren. Das Finanzamt B habe diese Jahre aus nicht
nachvollziehbaren Gründen nicht in die tatsächliche Verständigung
einbezogen.
Nicht zu folgen sei der Auffassung des Beklagten, soweit dieser darauf
abstelle, ob die Steuerfestsetzungen noch berichtigt werden können und
tatsächlich entrichtet worden wären. Es komme nicht auf die wirtschaftliche
Belastung des Erben, sondern die wirtschaftliche Belastung des Erblassers an.
Die tatsächliche dauerhafte Belastung der Erben sei nicht erheblich, weil das
Stichtagsprinzip gelte. Der BFH habe inzwischen auch die Rechtsauffassung
aufgegeben, dass der Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nur bei einer zum
Zeitpunkt des Erbfalls bestehenden rechtlichen Verpflichtung möglich sei.
Die Klägerin beantragt,
den Änderungsbescheid vom 23. Dezember 2011 und die
Einspruchsentscheidung vom 21. Juni 2012 dahingehend zu ändern,
dass die Erbschaftsteuer um 6.554 EUR auf 33.756 EUR
herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Der Beklagte weist darauf hin, dass die materiell zutreffende Höhe der Steuern
niemals geklärt worden sei und sich mangels Unterlagen auch nicht habe
ermitteln lassen. Gerade deshalb sei die tatsächliche Verständigung getroffen
worden. Aus diesem Grunde komme auch für den Ansatz der Steuerschulden
kein anderer Betrag als jener in Betracht, auf den sich die Beteiligten seinerzeit
geeinigt hätten.
Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass ein Abzug nur dann in Betracht
komme, wenn die Verbindlichkeiten eine wirtschaftliche Belastung darstellten.
Über die in der tatsächlichen Verständigung berücksichtigten Beträge hinaus
sei der Kläger aber wirtschaftlich nicht belastet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet.
Als Nachlassverbindlichkeiten sind über die bereits berücksichtigten
Steuerschulden hinaus diejenigen Steuern in Ansatz zu bringen, die
festzusetzen gewesen wären, wenn das Finanzamt B die tatsächliche
Verständigung vom 6. März 2008 zutreffend umgesetzt hätte. Insgesamt sind
Steuerschulden in Höhe von 279.831,94 € in Ansatz zu bringen.
Gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind von dem Erwerb als
Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen, die von dem Erblasser herrührenden
Schulden. Zu den vom Erblasser herrührenden Schulden gehören auch die
Steuerschulden des Erblassers, die gem. § 1922 BGB, § 45 AO auf den oder
die Erben übergehen. Nach dem Stichtagsprinzip des § 11 i.V.m. § 9 Nr. 1
ErbStG kommt es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Todes des Erblassers
an.
Nach ständiger Rechtsprechung des RFH und BFH (z.B. RFH Urteil vom 25.
Mai 1938 III e 29/38, RStBl. 1938, 620; BFH Urteil vom 24. März 1999 II R
34/97, BFH/NV 1999, 1939; Urteil vom 27. Juni 2007 II R 30/05, BStBl. II 2007,
651; Urteil vom 17. Februar 2010 II R 23/09, BStBl. II 2010, 806) setzt -
insoweit abweichend vom Zivilrecht - ein Abzug von
Nachlassverbindlichkeiten zusätzlich voraus, dass die Verbindlichkeit eine
wirtschaftliche Belastung darstellt. An dieser Rechtsprechung hat der BFH
auch jüngst noch festgehalten BFH-Urteil vom 2. März 2011 II R 5/09, BFH/NV
2011, 1147; vom 4. Juli 2012 II R 15/11, BStBl. II 2012, 790). Hat der Erblasser
Steuern hinterzogen, so kommt ein Abzug von Steuerschulden nicht in
Betracht, wenn den Steuerbehörden auch die nur theoretische Möglichkeit
genommen ist, von den Steueransprüchen zu erfahren, weil sich das fragliche
Vermögen im Ausland befindet und der deutsche Fiskus keinen Zugriff auf das
Vermögen hat. Unterrichtet der Erbe zeitnah die Steuerbehörde über die
Steuerangelegenheit, so kann sein Handeln noch auf den Stichtag
zurückbezogen werden; als zeitnah kann eine Unterrichtung innerhalb von drei
Monaten angesehen werden (BFH Urteil vom 24. März 1999 II R 34/97,
BFH/NV 1999, 1939). Hat der Gesamtrechtsnachfolger eine wirksame
strafbefreiende Erklärung abgegeben und den danach zu zahlenden Betrag
entrichtet, so soll nach einer Literaturauffassung der Abzug der
Nachlassverbindlichkeit auf den gezahlten Betrag begrenzt sein (Troll,
Kommentar zum ErbStG, § 10 Rn. 140); ist die Steuer zu niedrig festgesetzt,
kann der Erbe dann den Abzug der Steuerschuld in der kraft Gesetzes
entstandenen Höhe verlangen, wenn eine Korrektur der fehlerhaften
Festsetzung möglich ist und tatsächlich erfolgt (Moench/Weinmann,
Kommentar zum ErbStG, § 10 Rn. 54).
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Die Finanzverwaltung lässt hinterzogene Steuern dann zum Abzug zu, wenn
sie tatsächlich festgesetzt werden, weil die Steuerhinterziehung vom Erben
angezeigt wird (koordinierte Ländererlasse, vgl. z.B. Erlass der
Oberfinanzdirektion Oldenburg vom 7. Januar 2003 S 3810-52-StO 241).
Zinsen nach §§ 233a und 235 AO sind danach als Nachlassverbindlichkeiten
abzugsfähig, soweit sie auf den Zeitraum vom Beginn des Zinslaufs bis zum
Todestag des Erblassers entfallen.
Im Streitfall sind danach nur jene Einkommensteuern und
Nachzahlungszinsen zusätzlich als Nachlassverbindlichkeiten zu
berücksichtigen, die bei zutreffender Umsetzung der tatsächlichen
Verständigung vom 6. März 2008 festzusetzen gewesen wären.
Entgegen der Auffassung des Beklagten stellen diese Steuern eine
wirtschaftliche Belastung für die Klägerin dar. Zwar war der Finanzverwaltung
das von der Erblasserin in Luxemburg angelegte Kapitalvermögen und damit
der Umstand, dass Ernestine B weitaus höhere Kapitalerträge erzielt hatte,
nicht bekannt; im Todeszeitpunkt stellten die bislang hinterzogenen Steuern für
Frau B keine wirtschaftliche Belastung dar, weil kein Anhaltspunkt dafür
bestand, dass die Finanzbehörden von dem Vermögen Kenntnis erlangen
würden. Allerdings hat Rainer D durch seine Strafanzeige die Aufdeckung des
steuerrelevanten Sachverhalts in Gang gebracht und ist damit Auslöser dafür
gewesen, dass der Erbengemeinschaft gegenüber letztendlich höhere Steuern
festgesetzt worden sind. Die Strafanzeige war auch zeitnah im Sinne des oben
zitierten BFH Urteil vom 24. März 1999 II R 34/97, BFH/NV 1999, 1939 erfolgt.
Zwar hat Rainer D die Strafanzeige mehr als drei Monate nach dem Tod von
Ernestine B erstattet. Allerdings galt weder er zu diesem Zeitpunkt als Erbe,
noch die Klägerin als Vermächtnisnehmerin; Erbe war nach dem Erbschein
vom 26. August 2004 ausschließlich Ottomar F. Erst aufgrund des
gerichtlichen Vergleichs vom 14. Dezember 2005 ist Rainer D als Erbe und
die Klägerin als Vermächtnisnehmerin behandelt worden. Zu diesem Zeitpunkt
war der Finanzverwaltung die Steuerhinterziehung der Ernestine B längst
bekannt, weshalb sie die kurz danach im Januar 2006 eingereichte Erklärung
nach dem StraBEG - wohl zu recht - als verspätet angesehen hat. Dies
rechtfertigt es, die Aufdeckung des wirtschaftlichen Sachverhalts durch Rainer
D auf den Todeszeitpunkt zurückzubeziehen.
Die Klägerin musste nach der Offenlegung des Vermögens, welches die
Erblasserin den Finanzbehörden verschwiegen hatte, ernsthaft damit rechnen,
dass das Finanzamt B die Einkommensteuer für alle Veranlagungszeiträume
festsetzen würde, für die noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war,
zumal Rainer D mit der Abgabe der Erklärung nach dem StraBEG das
Besteuerungsverfahren in Gang gesetzt hatte. Mit dem Abschluss der
tatsächlichen Verständigung wurde alsdann die Höhe der festzusetzenden
Steuer auf einen bestimmten berechenbaren Betrag konkretisiert.
Nach dem normalen Lauf der Dinge musste die Klägerin bei objektiver
Würdigung der Umstände davon ausgehen, dass das Finanzamt B die
Steuern in der in der tatsächlichen Verständigung festgelegten Höhe
festsetzen würde, zumal angesichts der beträchtlichen Höhe der Steuern zu
erwarten gewesen wäre, dass der mit dem Fall betraute Finanzbeamte die
tatsächliche Verständigung mit gebotener Sorgfalt umsetzt. Die unglaubliche
Nachlässigkeit, die die für das Finanzamt B handelnden Personen letztendlich
an den Tag gelegt haben - so hätte beispielsweise dem die tatsächliche
Verständigung unterzeichnenden Sachgebietsleiter S auffallen müssen, dass
Rainer D selbst die Einkommensteuer 1993 und 1994 in die
Strafbefreiungserklärung einbezog, die tatsächliche Verständigung diese
Jahre aber nicht mitumfasste; ebenso war auf den ersten Blick die
Unstimmigkeit der Steuerfestsetzung zu erkennen, wenn sich nach der
strafbefreienden Erklärung eine Steuerzahlung von 121.265,- € ergab, die
Steuerfestsetzungen für die Jahre bis 2002 sich aber nur auf ca. 106.000,- €
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beliefen, d.h. weniger trotz höheren Steuersatzes und höherer
Steuerbemessungsgrundlage -, mit der nach menschlichem Ermessen
niemand rechnen konnte und die zudem ein Umstand ist, der nicht aus der
Sphäre der Klägerin kommt, kann nach Auffassung des Senats für die
Beurteilung der Frage, inwieweit die Verbindlichkeiten eine wirtschaftliche
Belastung bildet, keinen Rolle spielen. Hinzu kommt, dass das
Veranlagungsfinanzamt seinen Fehler zunächst noch durch auf § 129 AO
gestützte Änderungsbescheide hätte korrigieren können. Erst nach und nach
ist diese Berichtigungsmöglichkeit durch Eintritt der Festsetzungsverjährung
weggefallen. Es ist mit dem Stichtagsprinzip nicht zu vereinbaren, den Ansatz
der Nachlassverbindlichkeiten von derartigen, in die Zeit nach dem Erbfall
fallenden Entwicklungen abhängig zu machen. Der Beklagte muss sich auch
fragen lassen, ob er - dies wäre die Parallele auf der Vermögensseite - vom
Ansatz einer im Zeitpunkt des Todes des Erblassers werthaltigen Forderung
gegen einen Dritten dann absehen würde, wenn es diesem Dritten durch
trickreiche Verhandlungen gelingt, die Beitreibung der Forderung so lange in
die Länge zu ziehen, bis er die Einrede der Verjährung erheben kann.
Über diese materiell-rechtlich höher festzusetzenden Steuern hinaus sind
jedoch keine weiteren Nachlassverbindlichkeiten in Ansatz zu bringen. Die
Feststellungslast für den Nachweis der Nachlassverbindlichkeiten trägt der
Steuerpflichtige. Soweit die Klägerin behauptet, dass für die Jahre 1995-2002
materiell-rechtlich höhere Steuern festzusetzen gewesen wären als jene
Beträge, die sich aus der tatsächlichen Verständigung ergeben, kann die
Klägerin mit diesem Vortrag schon deshalb nicht durchdringen, weil sie die
Höhe der Kapitaleinkünfte der Frau B nicht im Detail nachgewiesen hat. In
diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass in der Präambel zur
tatsächlichen Verständigung ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die
Erben aufgrund fehlender und nicht mehr beschaffbarer Unterlagen die
konkrete Höhe der Einnahmen nicht mehr belegen können. Gleiches gilt,
soweit die Klägerin partiell im Hinblick auf die Werbungskosten von den
Zahlenwerten von der tatsächlichen Verständigung abweichen will. Für die
Steuerfestsetzung ist die Höhe der Einkünfte aus Kapitalvermögen, d.h. der
Saldo aus Einnahmen und Werbungskosten, maßgeblich. Wenn die Klägerin
behauptet, dass die Einkommensteuern höher festzusetzen wären, so kann
sie sich nicht auf den Vortrag beschränken, die Werbungskosten seien
tatsächlich niedriger; sie müsste vielmehr die Höhe von Einnahmen und
Ausgaben konkret darlegen. Soweit die Klägerin den Abzug von
Einkommensteuerverbindlichkeiten für 1993 und 1994 begehrt, scheitert dies
bereits daran, dass dem Senat weder bekannt ist, wie hoch die
Kapitaleinkünfte für diese Jahre waren, noch, in welcher Höhe in den
ursprünglichen Einkommensteuerbescheiden Einkommensteuer festgesetzt
wurde. Der Senat verfügt noch nicht einmal über sichere Kenntnis, ob Frau B
ihr Kapital in jenen Jahren bereits in Luxemburg angelegt hatte.
Im Ergebnis hat die Klage teilweise Erfolg. Die Klägerin kann die
Einkommensteuerverbindlichkeiten aus den Einkommensteuerbescheiden
2002-2004 in der Höhe als Nachlassverbindlichkeit abziehen, wie sie in dem
Erbschaftsteuerbescheid vom 23. Dezember 2011 bereits berücksichtigt
worden sind. Für 2002 hat es keinen DM-Euro Umrechnungsfehler gegeben,
weil es sich insoweit um das erste Euro-Jahr handelt. Für 2003 und 2004 hat
der Beklagte bereits die Einkommensteuerverbindlichkeiten nach Maßgabe
der aktuell gültigen Bescheide in Ansatz gebracht.
Zu berücksichtigen sind insoweit folgende Beträge:
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Einkommensteuer
26.487,- € 21.401,- € 535,- €
Kirchensteuer
3.316,59 € 2.813,- € 856,26 €
Solidaritätszuschlag 1.263,75 € 1.177,33 € 29,58 €
Summe (2002-2004):
57.879,51 €
Die für 1995-2001 zusätzlich als Nachlassverbindlichkeiten zu
berücksichtigenden Einkommensteuern berechnen sich wie im Folgenden
dargelegt, wobei der Senat hinsichtlich der materiell-rechtlich festzusetzenden
Steuern auf die dem Urteil angefügten Probeberechnungen verweist. Diesen
kann allerdings betragsmäßig nicht hinsichtlich der darin ausgewiesenen
Nachzahlungszinsen gefolgt werden, weil in den Probeberechnungen die
Zinsen für einen Zinslauf bis zur Gegenwart berechnet worden sind.
Maßgeblich für den Zinslauf ist vielmehr der Zeitraum beginnend jeweils mit
dem 16. Kalendermonat nach der Entstehung der Steuer bis einschließlich
März 2004, d.h. dem Monat vor dem Tod der Frau Ernestine B. Von der so
ermittelten richtigerweise festzusetzenden Steuer ist diejenige Steuer in Abzug
zu bringen, die zu Lebzeiten der Erblasserin festgesetzt worden ist. Da den
Verfahrensbeteiligten für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 die
Ursprungsbescheide nicht mehr vorlagen, hat der Senat die damals
festgesetzten Steuern retrograd ermittelt, indem er die zusätzlichen Einkünfte
und Werbungskosten laut tatsächlicher Verständigung als DM-Betrag
behandelt von den Einnahmen aus Kapital-vermögen und Werbungskosten
laut Einkommensteuerbescheiden vom 6. März 2008 in Abzug gebracht hat.
Ausgehend von dem so ermittelten zu versteuernden Einkommen in Höhe von
- wiederum auf €-Beträge umgerechnet - 19.652,- € (1997) und 20.259,- €
(1998) hat der Senat anhand des Internet-Abgabenrechners des
Bundesministeriums der Finanzen die historisch festgesetzte
Einkommensteuer einschließlich Solidaritätszuschlag mit 4.081,60 € (1997)
und 4.175,59 € (1998) errechnet; bei 9 % evangelisch-lutherischer
Kirchensteuer in Niedersachsen ergibt sich eine Kirchensteuerfestsetzung von
341,72 € (1997) und 356,21 € (1998).
Berechnung der materiell-rechtlich zutreffenden
Einkommensteuerverbindlichkeiten 1995-2001 der Ernestine B am 18. April
2004:
1995
1996
1997
Einkommensteuer
(neu)
24.713,28 €
35.556,77 €
25.679,12
Kirchensteuer
2.224,20 €
3.119,34 €
2.311,17
Solidaritätszuschlag 1.853,49 €
2.666,76 €
1.925,93
Zinsen 21.450 € x 0,005 x 84
Monate =
9.009 €
38
39
40
41
42
Zinsen 25.450 € x 0,005 x 72
Monate =
9.162 €
Zinsen 21.850 € x 0,005 x 60
Monate =
6.555 €
Abzüglich
Einkommensteuer (alt)
./. 3.236,48
./. 10.077,05
./. 3.796,85
Kirchensteuer
./. 291,28 € ./. 906,93 € ./. 341,72 €
Solidaritätszuschlag
./. 242,74 € ./. 755,78 € ./. 284,76 €
Differenz (=
Nachlassverbindlichkeiten)
34.029,47 € 38.765,11 € 32.047,89 €
1998
1999
2000
Einkommensteuer
(neu)
24.712,78 €
20.098,37 €
30.867,16
Kirchensteuer
2.224,15 €
1.808,85 €
2.779,84
Solidaritätszuschlag 1.359,20 €
1.105,41 €
1.698,66
Zinsen 20.750 € x 0,005 x 48
Monate =
4.980 €
Zinsen 17.650 € x 0,005 x 36
Monate =
3.177 €
Zinsen 25.350 € x 0,005 x 24
Monate =
3.042 €
Abzüglich
Einkommensteuer (alt)
./. 3.957,91 ./. 2.440,91
./. 5.502,01
43
44
45
Kirchensteuer
./. 217,68 € ./. 219,68 € ./. 495,18 €
Solidaritätszuschlag
./. 356,21 € ./. 134,25 € ./. 302,50 €
Differenz (=
Nachlassverbindlichkeiten)
28.744,33
23.394,79 € 32.082,97 €
2001
Einkommensteuer (neu)
35.289,45 €
Kirchensteuer
3.266,03 €
Solidaritätszuschlag
1.992,01 €
Zinsen 27.150 € x 0,005 x 12 Monate = 1.629 €
Abzüglich
Einkommensteuer (alt)
./. 8.115,74 €
Kirchensteuer
./. 730,42 €
Solidaritätszuschlag
./. 442,46 €
Differenz (= Nachlassverbindlichkeiten) 32.887,87 €
Summe (1995-2001):
221.957,43 €
Summe (2002-2004):
57.879,51 €
Insgesamt 1995-2004:
279.831,94 €
Die Berechnung der Steuer wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem
Beklagten übertragen, weil sie einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und 137 FGO. Die Klägerin hat
- offensichtlich um den Eintritt der Festsetzungsverjährung für sämtliche
Einkommensteuerbescheide des Finanzamts B abzuwarten, die von dem DM-
Euro Umrechnungsfehler betroffen waren - erst im Klageverfahren auf die
Tatsache dieses Umrechnungsfehlers hingewiesen.