Urteil des FG Niedersachsen vom 18.02.2014

FG Niedersachsen: kapitalvermögen, berechnung der steuer, einkünfte, erstellung, freibetrag, aufwand, niedersachsen, datenschutz, genehmigung, vervielfältigung

1
2
3
4
5
6
7
8
Zur Auslegung der Übergangsvorschrift des § 52a
Abs. 10 Satz 10 EStG
Dem BMF Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStbl I 2010, 94, wonach ab
2009 ein über den Sparer Pauschbetrag hinausgehender
Werbungskostenabzug generell unzulässig ist, ist nicht zu folgen.
Revision eingelegt - BFH-Az.: VIII R 12/14
Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Beschluss vom 18.02.2014, 3 K 433/13
§ 20 Abs 9 EStG, § 52a Abs 10 S 10 EStG
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob der Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen im Veranlagungszeitraum 2009 auch dann ausgeschlossen
ist, wenn sich die Werbungskosten auf Einnahmen eines vorangehenden
Veranlagungszeitraums beziehen.
Die Kläger sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen
veranlagt.
Im Veranlagungszeitraum 2007 erzielte der Kläger Einnahmen aus
Kapitalvermögen in Höhe von 14.541,- €, die Klägerin in Höhe von 524,- €.
Werbungskosten machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung 2007
in Höhe von 900,- € geltend; dabei handelt es sich um Depotgebühren. Die
Einkommensteuererklärung 2007 reichten die Kläger am 6. Januar 2009 beim
Beklagten ein.
Im Streitjahr 2009 erzielte der Ehemann Einnahmen aus Kapitalvermögen in
Höhe von 15.985,- € und die Ehefrau in Höhe von 870,- €.
Mit ihrer Einkommensteuererklärung 2009 reichten die Kläger eine Rechnung
ihres steuerlichen Bevollmächtigten vom 20. März 2009 ein, wonach dieser
ihnen für Leistungen im Zusammenhang mit der Erstellung der
Steuererklärung 2007 einen Betrag in Höhe von 1.291,15 € in Rechnung
stellte. Von diesem Betrag entfällt ein Teilbetrag in Höhe von 809,20 € auf die
Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen, der Rest auf die Ermittlung der
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. In Abzug gebracht wird eine
Abschlagszahlung in Höhe von 1.000,- €, die der Kläger bereits am 13. Januar
2009 über-wiesen hat.
Für die Erstellung des Mantelbogens und die nichteinkunftsartbezogenen
Aufwendungen hat der Bevollmächtigte den Klägern ebenfalls unter dem
Datum des 20. März 2009 eine weitere Rechnung über einen Betrag in Höhe
von 107,34 € erteilt.
Die Steuerberatungskosten, soweit sie sich auf die Einkünfte aus
Kapitalvermögen beziehen, machten die Kläger als Werbungskosten bei den
Einkünften aus Kapitalvermögen geltend.
Der Beklagte berücksichtigte diese Aufwendungen in dem unter dem
Vorbehalt der Nach-prüfung ergangenen Einkommensteuerbescheid 2009
vom 26. Mai 2011 nicht, sondern verwies auf das BMF-Schreiben vom 22.
Dezember 2009, BStBl. II 2010, 94. Der Beklagte hob den Vorbehalt der
Nachprüfung mit Bescheid vom 4. Juli 2011 auf.
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Das nachfolgende Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg.
Die Kläger meinen, dass die Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10
EStG eine Durchbrechung des Zu- und Abflussprinzips bewirke.
Werbungskosten, die im Zusammenhang mit Kapitalerträgen stünden, die bis
zum 31. Dezember 2008 zugeflossen sind, seien auch ab dem
Veranlagungszeitraum 2009 weiterhin als Werbungskosten bei den Einkünften
aus Kapitalvermögen abzugsfähig. Die gegenteilige Verwaltungsauffassung
stehe nicht im Einklang mit der Regelung des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG. Die
Kläger verweisen auf die Entscheidung des FG Köln vom 17. April 2013 7 K
244/12.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2009 in der
Fassung vom 4. Juli 2011 und der Einspruchsentscheidung vom 1.
Oktober 2013 zusätzliche Werbungskosten bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen in Höhe von 809,20 € zu berücksichtigen und die
Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte sieht sich an das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009,
BStBl. I 2010, 94, gebunden, wonach ab 2009 über den Sparer-Pauschbetrag
hinaus ein Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus Kapitalvermögen
nicht in Betracht kommt. Die Werbungskosten seien mit dem Sparer-
Pauschbetrag in Höhe von 1.602,- € abgegolten. Der Beklagte hat zunächst
darauf hingewiesen, dass die Kläger ein Ruhen des Einspruchsverfahrens
nach § 363 Abs. 2 AO nicht begehrt hätten und dieses auch nicht in Betracht
käme, weil die tatsächlich geltend gemachten Werbungskosten den Sparer-
Pauschbetrag nicht übersteigen würden und der Fall von daher nicht mit der
Entscheidung des FG Köln Urteil vom 17. April 2013 7 K 244/12, EFG 2013,
Rev VIII R 34/13 vergleichbar sei. Im weiteren Verlauf machte der Beklagte auf
ein Klageverfahren beim FG Köln unter dem Aktenzeichen 8 K 1937/11
aufmerksam und regte an, das Klageverfahren bis zu dessen Entscheidung
auszusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Kläger können die Aufwendungen für Steuerberatungskosten, die ihnen im
Zusammenhang mit den Einkünften aus Kapitalvermögen 2007 entstanden
sind, im Veranlagungszeitraum 2009 als Werbungskosten in Abzug bringen.
§ 20 Abs. 4 EStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 2002
(BGBl. I 2002, 4210) lautete: „Bei der Ermittlung der Einkünfte aus
Kapitalvermögen ist nach Abzug der Werbungskosten ein Betrag von 750,- €
abzuziehen (Sparer-Freibetrag). Ehegatten, die zusammen veranlagt werden,
wird ein gemeinsamer Sparer-Freibetrag von 1.500,- € gewährt.“ Gem. § 9a
Satz 1 Nr. 2 EStG derselben Gesetzesfassung wurde für Einnahmen aus
Kapitalvermögen ein Pauschbetrag von 51,- €, bei zusammenveranlagten
Ehegatten von insgesamt 102,- € gewährt.
Gem. § 20 Abs. 9 EStG in der Fassung des
Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 (BGBl. I S.
1912) ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapital-vermögen als
20
21
22
23
Werbungskosten ein Betrag von 801,- € abzuziehen (Sparer-Pauschbetrag);
der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ist ausgeschlossen. Ehegatten,
die zusammen veranlagt werden, wird ein gemeinsamer Sparer-Pauschbetrag
von 1.602,- € gewährt.
Hinsichtlich der erstmaligen Anwendung des neuen § 20 Abs. 9 EStG
bestimmt die durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008
(BGBl. I S. 2794) in das Einkommensteuergesetz aufgenommene
Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG: „§ 20 Abs. 3 bis 9 ist
erstmals auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge
anzuwenden.“ Die neue Fassung des § 9a EStG - die keinen Pauschbetrag für
Einnahmen aus Kapitalvermögen mehr enthält - ist gem. § 52a Abs. 6 EStG
erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2009 anzuwenden.
Nach dem klaren Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG ist die
Zuerkennung eines Sparerpauschbetrages und der Ausschluss des Abzugs
der tatsächlichen Werbungskosten auf nach dem 31. Dezember 2008
zufließende Kapitalerträge bezogen. Zwar steht den Klägern für den
Veranlagungszeitraum 2009 ein Sparer-Pauschbetrag zu, weil ihnen in 2009
Kapitalerträge zugeflossen sind. Ein weitergehender Werbungskostenabzug
ist damit aber nicht ausgeschlossen. Denn die Steuerberatungskosten der
Kläger betreffen Kapitalerträge, die ihnen davor, nämlich im
Veranlagungszeitraum 2007 zugeflossen sind; es handelt sich insoweit um
nachträgliche Werbungskosten. Für diese kommt die neue Regelung des § 20
Abs. 9 EStG noch nicht zur Anwendung. Dass die Formulierung des § 52a
Abs. 10 Satz 10 EStG nicht etwa sprachlich verunglückt ist, sondern sehr
bewusst gewählt wurde, zeigt der Vergleich mit der anders gefassten
Übergangsvorschrift zu § 9a EStG in § 52a Abs. 6 EStG, der die Neufassung
uneingeschränkt ab dem 1. Januar 2009 für anwendbar erklärt. Es hätte für
den Gesetzgeber nahegelegen, eine analoge Formulierung auch für § 52a
Abs. 10 Satz 10 EStG zu wählen, wenn er tatsächlich den individuellen
Werbungskostenabzug bereits ab dem Veranlagungszeitraum hätte generell
ausschließen wollen. Der durch § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG bewirkte
„gleitende Übergang“ von der Altfassung in die Neufassung ist im Übrigen
auch inhaltlich sachgerecht, weil dadurch Brüche beim Übergang zum System
der Abgeltungssteuer vermieden werden, die entstehen würden, wenn nämlich
die Versteuerung von Kapitaleinnahmen sich nach dem alten, der Abzug auf
diese Kapitaleinnahmen bezogener nachträglicher Werbungskostenabzug
indes nach dem neuen System richten würde. Unabhängig von der Frage, wie
der generelle Werbungskostenausschluss in § 20 Abs. 9 EStG
verfassungsrechtlich zu würdigen ist - , würde die Gesetzesauslegung durch
den Beklagten in jedem Fall einen nicht folgerichtigen Eingriff in das objektive
Nettoprinzip darstellen, weil dem Steuerpflichtigen der Werbungskostenabzug
verwehrt würde, ohne dass er für die Einnahmen, auf die die Werbungskosten
bezogen sind, in den Genuss des niedrigeren Abgeltung-steuersatzes
gelangte.
Soweit sich der Beklagte auf das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009,
BStBl. I 2010, 94, beruft, folgt das Gericht dem nicht. Der BMF erklärt in diesem
Schreiben einen über den Sparer-Pauschbetrag hinausgehenden
Werbungskostenabzug generell für unzulässig. Mit dem dieser Rechtsmeinung
entgegenstehenden Gesetzeswortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG setzt
er sich hingegen nicht ansatzweise auseinander.
Das Gericht sieht keinen Grund für ein Ruhen des Verfahrens. Der Beklagte
hat selbst zunächst die Auffassung vertreten, die derzeit beim BFH
anhängigen Verfahren zum Werbungskostenabzug im Zusammenhang mit der
Umstellung zum System der Abgeltungssteuer seien nicht vergleichbar, weil
der Sachverhalt nicht mit dem Streitfall vergleichbar sei. Insofern ist es
widersprüchlich, wenn der Beklagte nunmehr - seit ihm bekannt ist, dass das
Gericht der Klage voraussichtlich stattgeben wird - die gegenteilige Auffassung
24
25
26
27
vertritt. Das in dem zuletzt genannten Schriftsatz des Beklagten zitierte beim
FG Köln anhängige Verfahren 8 K 1937/11 stellt keinen Grund für ein Ruhen
dar, weil kein Grund ersichtlich ist, warum dieses Verfahren vor dem hier
anhängigen entschieden werden sollte.
Die Berechnung der Steuer wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem
Beklagten übertragen, weil die Ermittlung einen nicht unerheblichen Aufwand
erfordert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 155
FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Das Gericht lässt gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision zu, weil die Frage,
wie die Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG auszulegen ist,
noch nicht höchstrichterlich entschieden ist.