Urteil des FG Niedersachsen vom 15.04.2013

FG Niedersachsen: werktag, klagefrist, bekanntgabe, kenntnisnahme, zugang, feiertag, eigenschaft, sonntag, niedersachsen, vervielfältigung

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Bekanntgabe am 31. Dezember
Auch am 31. Dezember kann ein (Einspruchs-)Bescheid wirksam bekannt
gegeben werden. Ob an diesem Tag ein Rechtsanwalts- oder
Steuerberaterbüro geschlossen ist oder nicht, ist unerheblich.
rechtskräftig (Klage nach diesem PKH-Versagungsbeschluss
zurückgenommen)
Niedersächsisches Finanzgericht 2. Senat, Beschluss vom 15.04.2013, 2 K 25/13
§ 108 Abs 3 AO, § 122 Abs 1 Nr 2 AO, § 130 Abs 1 BGB, § 188 Abs 2 BGB, § 2
FeiertG ND, § 47 Abs 1 S 1 FGO, § 54 Abs 2 FGO
Gründe
Das Prozesskostenhilfegesuch war - gerichtskostenfrei durch Beschluss des im
Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheidenden
Berichterstatters (§ 79a Abs. 3, 4 FGO) - zurückzuweisen. Die Rechtsverfolgung
des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO). Die
Klage ist bereits unzulässig.
Der Beklagte hat den Einspruch des Klägers gegen den angefochtenen
Abrechnungsbescheid vom 23. Oktober 2012 mit Bescheid vom 28. Dezember
2012 zurückgewiesen. Dieser Bescheid ist am gleichen Tage mit einfachem
Brief zur Post gegeben worden, so dass er nach der Zugangsvermutung des §
122 Abs. 1 Nr. 2 AO als am 31. Dezember 2012 bekannt gegeben gilt. Die
einmonatige Klagefrist endete daher mit Ablauf des 31. Januar 2013 (§§ 47 Abs.
1 S. 1, 54 Abs. 2 FGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Die Klage ist jedoch erst
am 4. Februar 2013 erhoben worden.
Dass das Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers, an das der
Einspruchsbescheid vom 28. Dezember 2012 übersandt wurde, am 31.
Dezember 2012 nicht besetzt war und der Einspruchsbescheid wohl daher dort
einen Eingangsstempel vom 2. Januar 2013 erhielt, ändert nichts daran, dass
der Bescheid als am 31. Dezember 2012 bekannt gegeben gilt. Auf die
Regelung des § 122 Abs. 1 Nr. 2 AO ist die Fristenbestimmung des § 108 Abs. 3
AO anzuwenden, so dass, wenn nach der erstgenannten Regelung die
Bekanntgabe eines Bescheides an einem Sonntag, einem gesetzlichen Feiertag
oder einem Sonnabend anzunehmen wäre, erst von einer Bekanntgabe am
ersten nachfolgenden Werktag auszugehen wäre (vgl. BFH-Urteil vom 14.
Oktober 2003, IX R 68/98, BStBl. II 2003, 898; Rätke in Klein, AO, Rz. 6 zu §
108; Brockmeyer/Ratschow, in Klein, AO, Rz. 52 zu § 122; AEAO zu § 108 Nr.
2). Der 31. Dezember 2012 war aber ein Montag und daher weder ein Sonntag
noch ein Samstag. Er ist auch kein gesetzlicher Feiertag; er ist weder im Nds.
Feiertagsgesetz noch in einer entsprechenden bundeseinheitlichen Regelung
erwähnt. Dass am 31. Dezember wie im Büro der Klägerin auch (weitgehend) in
der Justiz tatsächlich oftmals nicht gearbeitet wird, ändert an der rechtlichen
Eigenschaft dieses Tages als Tag, an dem auch Monatsfristen wirksam
ablaufen können (= Werktag), nichts (vgl. Urteil des VGH Baden-Württemberg
vom 24. November 1986, 1 S 1106/86, NJW 1987, 1353).
An der Vermutung des Zugangs des Einspruchsbescheides ändert auch der
Umstand nichts, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Bescheid
wohl nicht vor dem 2. Januar 2013 gelesen hat. Zugang einer Postsendung im
Sinne des § 122 AO ist jedenfalls entsprechend der von ihr angeführten
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Regelung des § 130 Abs. 1 BGB dahin gehend zu verstehen, dass die Sendung
derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er von dem
entsprechenden Schriftstück Kenntnis nehmen konnte und diese
Kenntnisnahme nach allgemeinen Gepflogenheiten auch erwartet werden darf
(vgl. Brockmeyer/Ratschow, a.a.O., Rz. 56). Die erwartbare Möglichkeit der
Kenntnisnahme von einer mit der Post übermittelten Sendung besteht aber
grundsätzlich an jedem Werktag, auch wenn es sich hierbei um den 31.
Dezember handelt. Auch wenn nicht selten an jenem Tag Geschäftsräume
geschlossen bleiben, handelt es sich hierbei nicht um eine dahingehende
allgemeine Gepflogenheit, dass Postsendungen an diesem Tag nicht zugehen
könnten. So ist es gerichtsbekannt noch nicht einmal in den rechts- und
steuerberatenden Berufen generell üblich, an jenem Tag die Büroräume
komplett zu schließen; vielmehr wird durchaus - gerade zum Empfang der Post -
zumindest eine Notbesetzung am Vormittag aufrecht erhalten. Es kann daher
insoweit nur von einer, hier nicht relevanten, allgemeinen Gepflogenheit
ausgegangen werden, dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme von einem
Schriftstück und damit dessen Zugang am (späten) Nachmittag des 31.
Dezember, nach 14.00 Uhr beziehungsweise Ablauf der gewöhnlichen
Postzustellungszeiten, nicht erwartet werden kann, auch wenn dieser auf einen
Werktag fällt (vgl. BGH-Urteil vom 5. Dezember 2007, XII ZR 148/05, NJW 2008,
843; Urteil des LG Waldshut-Tiengen vom 9. Juli 2009, 1 S 19/09, zit. n. juris;
ausf. Urteil des AG Lüdenscheid vom 23. September 2011, 93 C 21/11, WuM
2011, 628, s.a. Urteil des BSG vom 1. Februar 1979, 12 RK 33/77, BSGE 48,
12).
Dem Kläger kann insoweit auch nicht Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand
wegen Versäumung der Klagefrist gemäß § 56 Abs. 1 FGO gewährt werden.
Dies setzte voraus, dass er - beziehungsweise seine Prozessbevollmächtigte,
deren Verhalten ihm insoweit zuzurechnen ist - ohne Verschulden daran
gehindert gewesen wäre, die Klagefrist einzuhalten. Dies ist aber nicht der Fall;
der nach ihrem Vorbringen ersichtlich bestehende Irrtum der
prozessbevollmächtigten Rechtsanwältin über die Eigenschaft des 31.
Dezember als Werktag (bzw. über die Bedeutung des von ihrem Büro
aufgebrachten Eingangsstempels) ist als regelmäßig verschuldet anzusehen
(vgl. v.g. Urteil des VGH Baden-Württemberg). Eine Rechtskundige hat die -
vorstehend skizzierte - Rechtslage zu kennen.
Nur ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Klage auch in der Sache
nach summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg hat [wird ausgeführt].