Urteil des FG Niedersachsen vom 08.05.2013

FG Niedersachsen: berechnung der steuer, wohnung, nettoertrag, gerichtsakte, unternehmen, einspruch, hof, vermögensübertragung, vollstreckbarkeit, niedersachsen

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Einkommensteuer 2010
Bei der Übertragung eines landwirtschaftlichen Betriebs gegen
Versorgungsleistungen besteht die Vermutung, dass die daraus zu
erzielenden Gewinne die Versorgungsleistungen auf Dauer decken.
Revision eingelegt - BFH-Az.: X R 37/14
Niedersächsisches Finanzgericht 4. Senat, Urteil vom 08.05.2013, 4 K 28/13
§ 10 Abs 1 Nr 1a EStG
Tatbestand
Streitig ist, ob Altenteilsleistungen als Sonderausgaben abgezogen werden
können.
Der Kläger ist Eigentümer der im Grundbuch von xxx eingetragenen
landwirtschaftlichen Besitzung zur Größe von xx ha. Es handelt sich dabei um
einen Hof im Sinne der Höfeordnung, den der Kläger mit Wirkung zum 1. xx
200x im Wege vorweggenommener Erbfolge von seinem Vater erworben hat.
In dem Übergabevertrag wurde für den Übergeber ein lebenslängliches
Altenteilsrecht vereinbart, das neben dem Recht auf freie Wohnung,
Beköstigung sowie Hege und Pflege ein monatliches Baraltenteil von 400 €
umfasst. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Hofübergabevertrag
(nicht paginiert im Heftungsteil „Dauernde Last“ Band II der
Einkommensteuerakte) Bezug genommen. Bei Abschluss des
Hofübergabevertrages war der Betrieb nicht verpachtet, sondern wurde von
dem Eigentümer selbst bewirtschaftet.
In den Wirtschaftsjahren 2003/2004 bis 2010/2011 beliefen sich die von dem
Kläger bzw. von seinem Vater durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4
Abs. 1 EStG ermittelten Gewinne auf
2003/2004 2004/2005 2005/2006 2006/2007 2007/2008 2008/2009 2009/10 2010/2011
./. 37.014
./. 9.891 € -20.057 € ./. 2.286 € ./. 9.878 € 5.809 €
21.723
2.680 €
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2010 begehrte der Kläger
den Abzug der Baraltenteilsleistungen von 4.800 EUR als Sonderausgaben.
Durch Einkommensteuerbescheid vom 26. Juni 2012 ließ der Beklagte (das
Finanzamt - FA -) diese Aufwendungen unberücksichtigt.
Hiergegen legte der Kläger am 11. Juli 2012 Einspruch ein. Zu dessen
Begründung führte er aus: Werde ein Unternehmen gegen wiederkehrende
Leistungen im Wege vorweggenommener Erbfolge übertragen, bestehe die
nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung, dass die Erträge zur
Erbringung der wiederkehrenden Leistungen ausreichten. Außerdem habe er
durch die seit der Betriebsübernahme erzielten Gewinnsteigerungen
nachgewiesen, dass aus dem Betrieb ausreichend hohe Erträge zu erwarten
seien. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der übernommene Grundbesitz
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einen hohen Substanzwert aufweise.
Durch Einspruchsbescheid vom 30. Januar 2013 wies das FA den Einspruch
als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus:
Nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 16.
September 2004 (BStBl. I 2004, 922) setze der Sonderausgabenabzug von
Versorgungsleistungen als dauernde Last voraus, dass die wiederkehrenden
Leistungen durch die Erträge des übernommenen Vermögens gedeckt
würden. Dies sei der Fall, wenn nach den Verhältnissen im Übergabezeitpunkt
der jährliche Durchschnittsertrag zur Erbringung der Altenteilsleistungen
ausreiche. Die Regelung, dass bei der Übertragung von Betriebsvermögen
grundsätzlich vom Vorhandensein einer ausreichend ertragsfähigen
Wirtschaftseinheit ausgegangen werden könne, gelte nicht, wenn - wie im
Streitfall - mehrjährige Verluste erwirtschaftet worden seien. Der
Ertragsprognose könne der Nettoertrag des Übergabejahres sowie der beiden
vorangegangenen Jahre zugrunde gelegt werden (Hinweis auf den Beschluss
des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. Mai 2003 GrS
1/00, BStBl. II 2004, 95). Soweit die spätere tatsächliche Entwicklung
einbezogen werde, könne nur ein überschaubarer Zeitraum berücksichtigt
werden. Dieser umfasse in der Regel neben dem Übergabejahr nur die beiden
folgenden Jahre (BFH-Urteil vom 16. Juni 2004 X R 22/99, BStBl. II 2004,
1053). Im Streitjahr belaufe sich der Jahreswert der dauernden Last unter
Berücksichtigung der Sachleistungen auf 7.773 €. Selbst unter
Berücksichtigung des Nutzungswerts der Wohnung des Klägers in Höhe von
6.000 €/Jahr und unter Außerachtlassung der in die Gewinnermittlungen
eingeflossenen Absetzungen für Abnutzung (AfA) reiche weder der
Durchschnittsgewinn der Jahre 2004 bis 2006 noch derjenige der Jahre 2006
bis 2008 zur Erbringung der vereinbarten Versorgungsleistungen aus.
Für den ersten Dreijahreszeitraum ergebe sich danach ein Durchschnittsertrag
von ./. 8.207 € und für den zweiten ein Durchschnittsertrag von 2.411 €.
Wegen der Ermittlung dieser Beträge wird auf die Berechnung auf Seite 4 des
Einspruchsbescheids (Blatt 51 der Rechtsbehelfsakte „E 2010“) Bezug
genommen. Demgegenüber hätten sich die geschuldeten
Versorgungsleistungen auf 7.773 € (2006), 7.807 € (2007 und 2008), 7.880 €
(2009) und 7.953 € (2010) belaufen.
Die willkürliche Nichterbringung eines Teils der geschuldeten Leistungen sei
für die Beurteilung des Streitfalls ohne Bedeutung. Da die Frage, ob die zu
erwartenden Erträge zur Erbringung der wiederkehrenden Leistungen
ausreichten, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Vermögensübertragung
zu beurteilen sei, könnten spätere Verbesserungen der Ertragslage ebenfalls
nicht berücksichtigt werden. Im Übrigen beruhe die Verbesserung der
Ertragslage im Streitjahr auf der im Wirtschaftsjahr 2009/2010 erfolgten
Betriebsumstellung.
Hiergegen richtet sich die am 6. Februar 2013 erhobene Klage, mit der der
Kläger sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt und vertieft.
Ergänzend führt er aus: Durch die Betriebsumstellung habe sich eine
nachhaltige Ertragsverbesserung ergeben. Auch in den folgenden
Wirtschaftsjahren seien Gewinne erzielt worden. In den Vorjahren sei nur das
Baraltenteil als dauernde Last geltend gemacht worden sei, weil der Übergeber
die geschuldete Vollbeköstigung nicht in Anspruch genommen habe. Im
Streitjahr seien die Altenteilsleistungen in vollem Umfang erbracht worden.
Dass auch für dieses Jahr zunächst nur die Baraltenteilsleistungen geltend
gemacht worden seien, beruhe auf einem Büroversehen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2010 vom 26. Juni
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2012 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 30.
Januar 2013 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen,
der sich unter Berücksichtigung von Altenteilsleistungen in Höhe von
7.953 € ergibt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung
fest.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
einverstanden erklärt (Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2013 - Blatt 6 der
Gerichtsakte - und Schriftsatz des FA vom 2. April 2013 - Blatt 11 der
Gerichtsakte -).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die streitigen Altenteilsleistungen sind als Sonderausgaben abziehbar. Nach §
10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für den
Streitfall maßgebenden Fassung sind auf besonderen Verpflichtungsgründen
beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit Einkünften in
wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer
Betracht bleiben, als Sonderausgaben abziehbar. Hauptanwendungsfall der in
vollem Umfang abziehbaren dauernden Last sind Versorgungsleistungen, die
in sachlichem Zusammenhang mit einem Vermögensübergabevertrag
vereinbart worden sind. Hierfür ist maßgeblich, dass die steuerrechtliche
Rechtsprechung einen Übergabevertrag, in dem Versorgungsleistungen
bedungen sind, seit jeher nicht als entgeltliches Veräußerungsgeschäft
betrachtet hat (BFH-Beschluss vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89, BStBl. II 1990,
847, unter C. II. 1. b). Die wiederkehrenden Leistungen dürfen sich damit nicht
als Gegenleistung für das übertragene Vermögen darstellen. Dies setzt
voraus, dass die erzielbaren Nettoerträge des überlassenen Wirtschaftsgutes
im konkreten Fall - soweit bei überschlägiger Berechnung vorhersehbar -
ausreichen, um die Versorgungsleistungen abzudecken. Der erzielbare
Nettoertrag ist nicht notwendigerweise mit den steuerlichen Einkünften
identisch. Der Große Senat des BFH geht davon aus, dass zu dessen
Ermittlung den nach steuerlichen Regeln ermittelten Einkünften AfA, erhöhte
Absetzungen und Sonderabschreibungen sowie außerordentliche
Aufwendungen hinzuzurechnen sind (BFH-Beschluss in BStBl. II 2004, 95,
unter C. II. 6 b aa). Darüber hinaus können auch Nutzungsvorteile (z.B. aus
der unentgeltlichen Nutzung einer dem Übernehmer im Rahmen der
Vermögensübertragung zugewendeten Wohnung) in die Ermittlung der
Nettoerträge einbezogen werden (BFH-Beschluss in BStBl. II 2004, 95, unter
C. II. 6 b bb).
Im Falle der Übertragung eines gewerblichen Unternehmens gegen
wiederkehrende Bezüge im Zuge der vorweggenommenen Erbfolge besteht
nach Ansicht des BFH eine nur in seltenen Ausnahmefällen widerlegliche
Vermutung dafür, dass die Beteiligten im Zeitpunkt der Übertragung
angenommen haben, der Betrieb werde auf die Dauer ausreichende Gewinne
erwirtschaften, um die wiederkehrenden Leistungen abzudecken. Das gilt
jedenfalls dann, wenn der Betrieb tatsächlich vom Erwerber fortgeführt wird.
Gleiches gilt für die Übertragung von Unternehmen, mit denen Einkünfte aus
selbständiger Tätigkeit erzielt werden, sowie für die Übertragung
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landwirtschaftlicher Betriebe (BFH-Beschluss in BStBl. II 2004, 95, unter C. II.
6. d bb).
Im Streitfall greift die bei Übertragung landwirtschaftlicher Betriebe bestehende
Vermutung zugunsten des Klägers ein. Da der von seinem Vater
übernommene Hof jedenfalls im Übergabezeitpunkt noch selbst bewirtschaftet
wurde, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Auffassung der
Verwaltung, dass die Beweiserleichterung nicht für ganz oder überwiegend
verpachtete Betriebe gilt (Tz. 23 Satz 3 des BMF-Schreibens in BStBl. I 2004,
922).
Der Umstand, dass der Kläger erstmals im Wirtschaftsjahr 2008/2009 ein
positives Betriebsergebnis erwirtschaften konnte, reicht nicht aus, die für das
Vorhandensein einer ausreichend ertragbringenden Wirtschaftseinheit
sprechende Vermutung zu widerlegen. Nach seiner Größe sowie seiner
Eigenkapitalausstattung erschien der Betrieb im Zeitpunkt der Übergabe
geeignet, Erträge in Höhe der dem Übergeber versprochenen
Altenteilsleistungen zu erbringen. Die bis zum Wirtschaftsjahr 2007/2008
erwirtschafteten Verluste lassen keinen gegenteiligen Schluss zu. Es besteht
die naheliegende Möglichkeit, dass diese auf alters- oder auch
krankheitsbedingte Bewirtschaftungsmängel in der Person des
Rechtsvorgängers zurückzuführen waren, die der Kläger nicht sofort in vollem
Umfang korrigieren konnte. Seit dem Wirtschaftsjahr 2008/2009 wurden
durchgängig Betriebsergebnisse erwirtschaftet, die unter Hinzurechnung des
Nutzungsvorteils der von dem Kläger selbstgenutzten Wohnung sowie der AfA
ausreichten, um die geschuldeten Altenteilsleistungen zu erbringen. Dass der
besonders hohe Gewinn des Wirtschaftsjahres 2009/2010 auf einmalige
Effekte aus der Betriebsumstellung zurückzuführen ist, ist ohne Bedeutung,
weil auch in dem vorhergehenden und in dem nachfolgenden Wirtschaftsjahr
ausreichende Erträge erwirtschaftet werden konnten.
Nach dem von dem FA nicht bestrittenen Vorbringen des Klägers in der
mündlichen Verhandlung wurden die geschuldeten Altenteilsleistungen im
Streitjahr auch in voller Höhe erbracht. Dass der Übergeber die geschuldete
Vollbeköstigung in den Vorjahren aus in seiner Person liegenden Gründen
nicht in Anspruch genommen hat, ist nach den Grundsätzen der
Abschnittsbesteuerung ohne Bedeutung; es lässt nicht den Schluss darauf zu,
dass die Erbringung der über das Baraltenteil hinausgehenden Leistungen
zwischen den Beteiligten des Übergabevertrags nicht ernstlich beabsichtigt
war und es daher insoweit an einer ernstgemeinten und rechtswirksamen
Vereinbarung fehlt.
Die Einkommensteuer 2010 ist daher unter Änderung des angefochtenen
Bescheids auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter Berücksichtigung
dauernder Lasten in Höhe von 7.953 € als Sonderausgaben ergibt (§ 100 Abs.
2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Berechnung der Steuer kann
dem FA übertragen werden (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Kosten sind nach
§ 135 Abs. 1 FGO dem FA als dem unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen. Die
Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 708 Nr. 10
und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO. Die
Revision ist nicht zuzulassen, weil dafür keine Gründe im Sinne des § 115
Abs. 2 FGO ersichtlich sind.