Urteil des FG Niedersachsen vom 13.12.2012

Kein ermäßigter Umsatzsteuersatz bei Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Sportpferd

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Übertragung eines Miteigentumanteils an einem Pferd
als Lieferung
Die Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Pferd stellt
umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung dar, die mit dem ermäßigten Steuersatz
zu besteuern ist.
Revision eingelegt - BFH-Az.: XI R 4/13
Niedersächsisches Finanzgericht 16. Senat, Urteil vom 13.12.2012, 16 K 305/12
§ 12 Abs 2 Nr 1 UStG, § 3 Abs 1 UStG
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Veräußerung von
Miteigentumsanteilen an Pferden durch den Kläger in den Streitjahren 2006 bis
2008 nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) i. V. m. Anlage 2 Nr. 1
a zum UStG mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 v. H. der Umsatzsteuer zu
unterwerfen ist.
Der Kläger betrieb in den Streitjahren einen Großhandel mit lebenden Pferden
sowie eine Photovoltaikanlage. Die Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre
gingen beim Beklagten am ... November 2008, ... Januar 2009 und ... Januar
2010 ein. Der Beklagte stimmte den Erklärungen zunächst zu.
In der Zeit von April bis Dezember 2011 führte der Beklagte beim Kläger eine
Außenprüfung durch, die u. a. die drei Streitjahre umfasste. Der Außenprüfer
stellte dabei fest, dass der Kläger in den Streitjahren von Dritten wiederholt
hälftige Miteigentumsanteile an Sportpferden erworben hatte. Auf der anderen
Seite hatte er auch insgesamt vier hälftige Anteile an Pferden an Dritte verkauft,
wobei bei der Erstellung der Rechnungen die Nettoerlöse mit einer
Umsatzsteuer zum ermäßigten Steuersatz belastet worden waren.
Der Außenprüfer des Beklagten konnte aufgrund der vorgelegten Unterlagen
nicht ermitteln, ob es sich bei den vom Kläger veräußerten Anteilen an den vier
Pferden um Miteigentums- oder Bruchteileigentum handelte. Er ging allerdings
davon aus, dass der Kläger Bruchteileigentumsanteile veräußert habe, weil er
jedenfalls nach den vorgelegten Unterlagen ohne Zustimmung der übrigen
Eigentümer der fraglichen Pferde über seine Anteile verfügt habe. Seiner
Meinung nach handelte es sich bei den Veräußerungen um sonstige Leistungen
nach § 3 Abs. 9 UStG mit der Folge, dass diese mit dem vollen Steuersatz der
Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Er rechnete aus den in den Rechnungen
erfassten Bruttokaufpreisen die Umsatzsteuer zum allgemeinen Steuersatz
heraus und kürzte diese um die bislang erklärten Umsatzsteuern zum
ermäßigten Steuersatz. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Tzn. 19
bis 22.3 des Berichts vom ... Dezember 2011 über die Außenprüfung zur StNr. ...
hingewiesen.
Nach Übersendung des Berichts über die Außenprüfung gab der Kläger am ...
Januar 2012 eine Stellungnahme gegenüber dem Beklagten ab. Dabei erklärte
er, er könne die Einschätzung des Außenprüfers, dass es sich bei den
Vorgängen um sonstige Leistungen handele, nicht nachvollziehen. Der
Gesetzeswortlaut zur Definition der Lieferung sei weitgehender und genauer, als
dies im Bericht dargestellt werde. Mit Schreiben vom ... Januar 2012 wiederholte
er gegenüber dem Beklagten seinen Einwand.
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Der Beklagte folgte der Rechtsansicht seines Außenprüfers und erließ am ...
April 2012 nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderte
Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Der Vorbehalt der Nachprüfung
wurde durch die Änderungsbescheide aufgehoben.
Gegen die Bescheide erhob der Kläger am ... Mai 2012 Einspruch, wobei er zur
Begründung auf seine Stellungnahmen zum Bericht des Außenprüfers verwies.
Die Einsprüche wurden mit Bescheid vom ... September 2012 zurückgewiesen.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ergänzend trägt er
vor, in allen vier Fällen, die der Außenprüfer in der Prüfung aufgegriffen habe,
seien Lieferungen von Pferden erfolgt. Sämtliche Eigentümer hätten zur
Übereignung durch den Kläger ihr Einverständnis erteilt und auch eine
Übergabe der jeweiligen Pferde an den Erwerber sei durchgeführt worden schon
allein deshalb, um der Verpflichtung aus dem Kaufvertrag gerecht zu werden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom ... April 2012 in der
Fassung des Einspruchsbescheids vom ... September 2012 zu ändern
und die festgesetzte Umsatzsteuer für 2006 um 3.800 €, für 2007 um
1.300 € und für 2008 um 600 € herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach den vorgefundenen Einkaufs- und Verkaufsbelegen habe der Kläger in
den fraglichen Fällen Miteigentumsanteile an vier Pferden erworben und diese
dann veräußert. Die Übertragung ideeller Miteigentumsanteile führe nicht zu
Lieferungen, sondern zu sonstigen Leistungen mit der Folge, dass eine
Besteuerung mit dem ermäßigten Steuersatz nicht in Betracht komme.
Mit Schreiben vom ... Oktober bzw. ... November 2012 haben die Beteiligten auf
mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom ... April 2012 und der
Einspruchsbescheid vom ... September 2012 sind im tenorierten Umfang
rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, weil die Veräußerung
der vier Miteigentumsanteile an den Pferden nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem
ermäßigten Steuersatz unterliegen.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Anlage 2 Nr. 1 a des UStG ermäßigt sich
die allgemeine Umsatzsteuer auf 7 v. H. u. a. bei der Lieferung von Pferden
einschließlich reinrassiger Zuchttiere. Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG
Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen
Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Nicht von § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG
werden hingegen sonstige Leistungen erfasst, zu denen nach § 3 Abs. 9 Satz 1
UStG alle Leistungen gehören, die keine Lieferungen sind. Unionsrechtliche
Grundlage für § 3 Abs. 1 UStG sind die Art. 14 und 15 der Richtlinie
2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.
November 2006 (ABl. EU Nr. L 347 Seite 1 -MwStSystRL). Eine Lieferung setzt
danach nach Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL grundsätzlich die Übertragung der
Befähigung voraus, über einen körperlichen Gegenstand wie ein Eigentümer
verfügen zu können, wobei nach Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL bestimmte Güter
(Elektrizität, Gas, Wärme oder Kälte) den körperlichen Gegenständen
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gleichgestellt und nach Abs. 2 die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, bestimmte
Rechte an Grundstücken, dingliche Rechte und Anteilrechte und Aktien in
Bezug auf Grundstücke und Grundstücksteile den körperlichen Gegenständen
gleichzustellen. Keine Gegenstände i. S. d. Art. 14 f. MwStSystRL und des § 3
Abs. 1 UStG sind dagegen Rechte und sonstige Werte einschließlich
Dienstleistungen (vgl. Europäischer Gerichtshof – EuGH -, Urteil vom 22.
Oktober 2009 Rs. C-242/08, BStBl. 2011, 559, 562; Leonhard, in: Bunjes/Geist,
UStG, 7. Aufl. 2003, § 3 Rdnr. 7; Martin, in: Sölch/Ringleb, UStG,
Loseblattsammlung, Stand: März 2012, § 3 Rdnr. 45; Abschn. 3.1 Abs. 4 des
Umsatzsteuer-Anwendungserlasses 2011/12– UStAE).
Nummer 1 a der Anlage 2 zum UStG verweist zur Abgrenzung des Kreises der
begünstigten Gegenstände auf den Zolltarif der Europäischen Gemeinschaft,
dem die Kombinierte Nomenklatur (KN) des Harmonisierten Systems (HS) zur
Bezeichnung und Kodierung der Waren zugrunde liegt. Die Auslegung der
Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG richtet sich allein nach zolltariflichen
Vorschriften und Begriffen, soweit in der Anlage zollrechtliche Begriffe verwendet
werden (vgl. Bundesfinanzhof – BFH -, Urteil vom 18. Dezember 2008 V R
55/06, BFH/NV 2009, 673). Die Warenbezeichnungen der Anlage 2 sind
allerdings umsatzsteuerrechtlich auszulegen, wenn Begriffe außerhalb des
zolltariflichen Sprachgebrauchs verwendet werden. Diese sind dann
umsatzsteuerrechtlicher Natur und deshalb allein nach umsatzsteuerrechtlichen
Gesichtspunkten auszulegen. Für die Einreihung der Waren zu den Kapiteln,
Positionen und Unterpositionen des Zolltarifs gelten die „Allgemeinen
Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur „ (AV) sowie der
Wortlaut der Kapitel, Positionen und Unterpositionen. Außerdem sind die
Erläuterungen zum Zolltarif heranzuziehen, die im elektronischen Zolltarif im Teil
Erläuterungen dargestellt sind. Für die Abgrenzung der Gegenstände der
Anlage 2 zum UStG ist der Zolltarif im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes
geltenden Fassung entscheidend. Gemäß Abschn. 1 der AV sind die
Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel nur Hinweise. Maßgebend
sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder
Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den
Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachfolgenden
Allgemeinen Vorschriften.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze fallen die vom Kläger in den
Streitjahren ausgeführten Umsätze durch die Veräußerung von
Miteigentumsanteilen an Pferden gegenüber Dritten unter den Tatbestand des §
12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Nr. 1 a der Anlage, weil es sich bei den fraglichen
Leistungen zum einen um Lieferungen handelt und zum zweiten ihr Gegenstand
– die Übertragung von Miteigentumsanteilen an den Pferden – auch von Nr. 1 a
der Anlage erfasst ist.
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei der Übertragung der
Miteigentumsanteile an den Pferden um eine Lieferung i. S. d. § 3 Abs. 1 UStG.
Der EuGH hat zur Veräußerung von Grundstücken durch zwei unterschiedliche
Rechtsakte entschieden, dass beide Veräußerungen als Lieferungen im Sinne
des Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL zu bewerten sein können, wenn den Erwerbern
das Grundstück jeweils so übertragen wird, dass sie jeweils über den
Gegenstand faktisch so verfügen können, als wären sie ihr Eigentümer. Dies
gelte auch unabhängig von der Ausgestaltung der Übertragung der Rechte in
den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten (Urteil vom 15. Dezember 2005 C-
63/04, Slg. 2005, I – 11087 Rdnr. 62 ff.). Der BFH hat in zwei Entscheidungen
die unentgeltliche Übertragung eines Bruchteils eines zu Vermietungszwecken
genutzten Grundstücks als Geschäftsveräußerung im Ganzen gemäß § 1 Abs.
1 a UStG angesehen und ist damit von seiner bisherigen Rechtsprechung,
wonach ein solcher Vorgang zu einer unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs.
9 a UStG führe, abgerückt (Urteile vom 6. September 2007 V R 41/05, BStBl. II
2008, 65; vom 22. November 2007 V R 5/06, BStBl. II 2008, 448). Mit dieser
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Rechtsprechung bestätige der BFH nach Auffassung der Literatur deren
Ansicht, nach der ein Miteigentümer über seinen Anteil an der Sache wie ein
Eigentümer verfügen könne. Es entspreche dem wirtschaftlichen Gehalt einer
Miteigentumsübertragung, weil kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich sei, die
Übertragung eines Miteigentumsanteils anders zu bewerten als die Übertragung
des Volleigentums an der Sache (so Nieskens, in: Rau/Dürrwächter, UStG,
Loseblattsammlung, Stand: Oktober 2011, § 3 Rdnr. 1153.1 f.; Martin, in:
Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rdnr. 48; Klenk, in: Sölch/Ringleb, § 4 Nr. 28 Rdnr. 3).
Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Der Miteigentumsanteil an einem Pferd lässt sich als Gegenstand auch unter Nr.
1a der Anlage 2 zum UStG i. V. m. Position 0101 des Zolltarifs fassen. Danach
sind lebende Tiere, konkret Pferde, taugliche Liefergegenstände zum
ermäßigten Steuersatz. Ein Miteigentumsanteil an einem Pferd fällt zur
Überzeugung des Senats unter diese Vorschrift, weil Gegenstand der
Übertragung des Miteigentumsanteils das konkrete lebende Pferd ist, an dem
das Miteigentum und der Mitbesitz verschafft werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708
Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen, weil
die Finanzverwaltung in Abschn. 3.5. Abs. 3 Nr. 2 des
Umsatzsteueranwendungserlasses 2011/12 zur Einordnung der Übertragung
von Miteigentumsanteilen die Auffassung vertritt, diese sei als sonstige Leistung
einzuordnen.