Urteil des FG Münster vom 14.10.2003

FG Münster (Adv, Vollziehung, Rechtswidrigkeit, Sicherheitsleistung, Vollstreckungsverfahren, Aussetzung, Verwaltungsakt, Beendigung, Verfahrensmangel, Ausnahmefall)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 7 V 4138/03 AO
14.10.2003
Finanzgericht Münster
7. Senat
Beschluss
7 V 4138/03 AO
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
G r ü n d e:
I.
Zu entscheiden ist, ob dem Finanzamt (FA) im Wege einer einstweiligen Anordnung zu
untersagen ist, Vollstreckungsmaßnahmen durchzuführen bis der Bundesfinanzhof (BFH)
über eine von der Antragstellerin (Astin.) eingelegte, vom Finanzgericht nicht zugelassene
Beschwerde gegen einen gerichtlichen AdV-Beschluss entschieden hat.
Mit dem Beschluss des Finanzgerichts Münster vom 07.01.2003 wurde ein gegen die Astin.
ergangener Haftungsbescheid gegen Sicherheitsleistung von der Vollziehung ausgesetzt.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wurde nicht zugelassen.
Da die Astin. die geforderte Sicherheitsleistung nicht erbringen konnte, legte sie durch
ihren Prozessbevollmächtigten Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Beschwerde
ein, die sie auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, der Fortbildung des Rechts
bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie Verfahrensmangel stützte.
Über die Beschwerde ist noch nicht entschieden worden (Az. des BFH: I B 28/03).
Nachdem der Antragsgegner (Ag.) die Vollstreckung der rückständigen Beträge (rund
153.000 EUR) angekündigt hatte, hat die Astin. am 04.08.2003 den Erlass einer
einstweiligen Anordnung, gerichtet auf Vollstreckungsaufschub bis zur endgültigen
Beendigung des Aussetzungsverfahrens beantragt.
Zur Begründung trägt sie vor, dass die Vollstreckung des offenen Betrages wesentliche
Nachteile verursachen würde, und dass sie nach wie vor der Auffassung sei, dass die
Haftungsbeträge falsch berechnet worden seien. Diesbezüglich sei ein Steuerberater mit
der Neuberechnung beauftragt worden.
Die Astin. beantragt,
die Aufhebung der Vollstreckung aus dem Gerichtsbeschluss vom 07.01.2003 des
Finanzgerichts Münster 9 V 3515/02 L, U, 9 V 3589/02 K bis zur endgültigen Beendigung
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des Aussetzungsverfahrens einstweilig anzuordnen.
Der Ag. beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass aus dem Haftungsbescheid in dem in dem AdV-Beschluss
festgeschriebenen Umfang vollstreckt werden könne, da eine Beschwerde nicht zulässig
und die geforderte Sicherheitsleistung nicht gestellt worden sei. Hinzu komme, dass
Maßnahmen nach § 258 Abgabenordnung (AO) nicht mit der angeblichen Rechtswidrigkeit
des zu vollstreckenden Verwaltungsaktes begründet werden könnten.
II.
Der Antrag ist unzulässig.
Der Astin. fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur
Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß § 5
dieser Vorschrift gelten die Abs. 1 - 3 nicht für Fälle des § 69 FGO.
Aus dieser Regelung folgt, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels
Rechtsschutzbedürfnisses dann nicht in Betracht kommt, wenn ein Verwaltungsakt
angegriffen wird, gegen den der vorläufige Rechtsschutz nach § 69 FGO gegeben ist.
Soweit die Astin. den Erlass der einstweiligen Anordnung aus der Rechtswidrigkeit des der
Vollstreckung zu Grunde liegenden Haftungsbescheides herleitet, handelt es sich eindeutig
um Einwendungen, die im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit einem Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheides verfolgt werden
können, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung aus Gründen der gesetzlich
angeordneten Subsidiarität ausscheidet (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 11. Januar 1984 II
B 35/83, BFHE 139, 508, BStBl. II 1984, 210 und BFH-Beschluss vom 12. Juni 1991 VII B
66/91, BFH/NV 1992, 156).
Der Antrag ist aber auch unzulässig, soweit die Astin. die Untersagung der Vollstreckung
beantragt, bis der BFH über den Antrag auf AdV entschieden hat.
Der BFH hat im Hinblick auf die Regelung des § 114 Abs. 5 FGO ein
Rechtsschutzinteresse auch für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für
den Fall verneint, dass dem FA einstweilig untersagt werden soll, vor dem Ergehen einer
gerichtlichen Entscheidung über einen ebenfalls gestellten Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheides zu vollstrecken (BFH-Beschluss BFHE
139, 508, BStBl. II 1984, 210; BFH-Beschlüsse vom 06. Mai 1986 VII B 10/86, BFH/NV
1987, 96 und vom 04. Februar 1992 VII B 119/91, BFH/NV 1992, 789).
Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Er folgt somit nicht der in
der Literatur und der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zum Teil vertretenen Auffassung,
dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf
Vollstreckungsaussetzung bzw. Vollstreckungsaufschub für die Dauer eines AdV-
Verfahrens zumindest zulässig und unter bestimmten Voraussetzungen auch begründet
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sein kann (vgl. Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 09. Mai 1984 XV 133/84 AE, EFG
1995, 10; Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 03. Februar 1983, VIII 18/83 AE, EFG
1984, 105; Finanzgericht Bremen, Beschluss vom 02. Juli 1993 293068 V 2, EFG 1994, 78
und Bilsdorfer, FR 2000, 708).
Aus § 251 AO ergibt sich, dass ein Verwaltungsakt/Steuerbescheid vollstreckt werden
kann, solange er nicht von der Vollziehung ausgesetzt worden ist. Daraus, und aus der
Regelung des § 257 Abs. 1 Nr. 1 AO, nämlich dass die Vollstreckung erst einzustellen ist,
wenn die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO weggefallen sind, folgt,
dass der Gesetzgeber die Vollstreckung grundsätzlich erst ab der Gewährung der AdV für
unzulässig gehalten hat (so auch BFH-Beschlüsse vom 12. Mai 1980 VII B 9/80, BFHE
130, 136 BStBl. II 1980, 399 und vom 12. Juni 1991 VII B 66/91, BFH/NV 1992, 156).
Lediglich verwaltungsintern ist die Finanzbehörde gehalten, Vollstreckungsmaßnahmen
bis zum Erlass einer AdV-Entscheidung zu unterlassen, sofern der Antrag nicht
aussichtslos ist (vgl. Anwendungserlass zur AO, AEO, Tz. 3.1. zu § 361).
Aus Vorstehendem ergibt sich, dass die Vollstreckung während eines laufenden
Aussetzungsverfahrens von Gesetzeswegen möglich ist und daher grundsätzlich nicht
unbillig sein kann (so auch BFH-Beschluss BFH/NV 1992, 789). Anderenfalls müsste jeder
Antrag auf Vollstreckungsaufschub, welcher mit einem laufenden Aussetzungsverfahren
begründet wird, Erfolg haben und würde somit der dargestellten gesetzlichen Regelung
zuwider laufen.
Einen Fall der Unbilligkeit der Zwangsvollstreckung während eines laufenden AdV-
Verfahrens hält der BFH für den Ausnahmefall für möglich, dass über einen AdV-Antrag
noch nicht entschieden ist, aber der Aussetzungsantrag aller Wahrscheinlichkeit nach
Erfolg haben wird (so wohl BFH-Beschluss BFH/NV 1992, 156). Der Senat hat Bedenken,
ob dieser Auffassung zu folgen ist, da dies dazu führen würde, dass im Verfahren wegen
Vollstreckungsaufschub, mithin im Vollstreckungsverfahren die Rechtmäßigkeit des zu
vollstreckenden Verwaltungsaktes zu überprüfen wäre. Das wiederum widerspricht der
Vorschrift des § 256 AO, nach der das Vollstreckungsverfahren von spezifischen
Problemen der Steuerfestsetzung frei ist. Gerade aus dieser Trennung zwischen
Erhebungs- und Festsetzungsverfahren folgt, dass die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
Steuerbescheide ausschließlich im Verfahren nach § 69 FGO zu erfolgen hat. Da der
Gesetzgeber mit dem Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO einen ausreichenden Rechtsschutz
zur Verfügung stellt (so auch BFH-Beschluss BFH/NV 1987, 96), welcher dem Verfahren
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 5 FGO auch vorgeht, besteht
für letzteres Verfahren kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Erlass der einstweiligen
Anordnung letztlich allein mit der Rechtswidrigkeit der Steuerbescheide begründet wird. Im
Streitfall kommt hinzu, dass lediglich eine Beschwerde beim BFH in einem Verfahren
eingelegt worden ist, in dem diese nicht nach § 128 Abs. 3 FGO zugelassen worden ist und
somit ein dem BFH-Beschluss in BFH/NV 1992, 156 vergleichbarer Sachverhalt nicht
gegeben ist.
Nach Ansicht des Senats gebietet auch der Grundsatz der Gewährleistung effektiven
Rechtsschutzes nicht die Zulassung der zusätzlichen Antragsart. Es ist nämlich nicht
ersichtlich, warum über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung schneller
entschieden werden können sollte als über einen Antrag auf AdV (so auch BFH-Beschluss
BFHE 139, 508, BStBl. II 1984, 210), zumal im Anordnungsverfahren neben einem
Anordnungsanspruch zusätzlich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes geprüft werden
müsste.
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Hinzu kommt, dass mit der einstweiligen Anordnung vornehmlich die Vollstreckung
verhindert werden soll. Wegen der bei vielen Finanzgerichten geschäftsplanmäßig
eingerichteten Spezialzuständigkeit für Vollstreckungssachen wären dann unterschiedliche
Spruchkörper mit den Anträgen auf AdV und Erlass der einstweiligen Anordnung befasst.
Eine vorrangige Bearbeitung des Anordnungsverfahrens kann dann erst recht nicht
gesichert werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.