Urteil des FG Münster vom 29.10.2009

FG Münster (kind, höhe, unterhalt, abzweigung, mutter, antrag, verhandlung, eltern, anordnung, zahlung)

Finanzgericht Münster, 8 V 2848/09 Kg
Datum:
29.10.2009
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 V 2848/09 Kg
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Kindergeld ab Juli 2009
längstens bis zur Entscheidung im Verfahren 8 K 2649/09 Kg vorläufig
an die Antragstellerin abzuzweigen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht
erstattungsfähig.
Gründe:
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I.
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Streitig ist die Abzweigung des Kindergelds an die Antragstellerin (Astin.), die Tochter
der Beigeladenen (Beigl.).
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Die Astin. ist am 00.00.0000 geboren. Sie besuchte bis zum Juni 2009 im
Berufsgrundschuljahr das ... Berufskolleg in N. Im August 2009 begann die Astin. eine
Lehre, aus der sie ab 12.08.2009 Einnahmen in Höhe von 540 EUR erzielt (Erklärung
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse). Mit Antrag vom 11.05.2009
(Eingangsstempel bei der Antragsgegnerin – Ag. – 19.05.2009) beantragte die Astin. die
Abzweigung des Kindergelds, das bisher an die Beigl. ausgezahlt worden war, ab Juni
2009 an sich selbst. Sie erklärte, sie lebe in der Wohnung der Eltern ihres Freundes, A-
straße 16 in 00000 N. Sie erhalte weder von ihrem Vater, der in E lebe, noch von der
Beigl. Unterhalt. Sie lebe bereits seit einem Jahr bei ihrem Freund und sei dort seit
Januar 2009 auch gemeldet. Der Kontakt mit ihren Eltern sei immer schwieriger
geworden. Wegen ihrer Unterhaltsansprüche habe sie Kontakt mit einem Anwalt
aufgenommen.
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Die laufende Kindergeldzahlung an die Beigel. wurde am 26.05.2009 ab Juni 2009
eingestellt. Gleichzeitig teilte die Ag. der Beigl. den Vorgang mit und gab dieser
Gelegenheit zur Äußerung, ob und ggf. in welcher Höhe sie für das Kind tatsächlich
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monatlich Unterhalt leiste, z. B. durch Geld-, Sach- oder Betreuungsleistungen, wozu
auch das Kindergeld gehöre, wenn dieses weitergeleitet werde.
Daraufhin teilte die Beigl. mit Schreiben vom 28.05.2009, das am 03.06.2009 bei der Ag.
einging mit, sie leiste regelmäßige Zahlungen und Höhe von 185 EUR monatlich, davon
100 EUR bar aufs Konto, 35 EUR für die Buskarte und ca. 50 EUR für eine Handykarte
und was die Astin. sonst noch brauche. Für den Monat Mai 2009 seien sogar 165 EUR
gezahlt worden. Das Handy sei bis zum 25.05.2009 in Gebrauch gewesen. Im
Sommerurlaub 2008 habe das Kind 600 EUR erhalten und als Weihnachtsgeschenk
2008 Laptop und Port für 600 EUR. Sie könne für ihre "Prinzessin" nicht mehr
ausgeben, als sie habe. Das Kind vergesse immer, dass drei Kinder vorhanden seien.
Ferner fügte die Beigl. ein Schreiben des Rechtsanwalts R, Kanzlei ..., N, vom
26.05.2009 bei, auf das Bezug genommen wird.
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Daraufhin lehnte die Ag. am 10. Juni 2009 den Antrag auf Abzweigung des Kindergelds
ab, da von der Beigl. Barunterhalt in Höhe des Kindergeldes gewährt werde.
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Mit dem dagegen eingelegten Einspruch vom 01.07.2009 machte die Astin. geltend, sie
habe im Monat Juni keinen Barunterhalt von der Beigl. erhalten. Sie werde zur Zeit von
den Eltern des Freundes unterstützt und habe ab dem 01.08.2009 eine Lehrstelle in T,
für die sie eine Fahrkarte brauche. Im Einspruchsschreiben war eine Übersicht der
Kontobewegungen des Kontos 000 000 000 der Astin. bei der Bank I für den Zeitraum
05.05.2009 bis 25.06.2009 beigefügt. Danach ist am 20.05.2009 eine Bareinzahlung in
Höhe von 165 EUR erfolgt. Im Übrigen ist noch eine Bareinzahlung von ET (Freund der
Astin.) in Höhe von 100 EUR erfasst. Zusätzlich wurden auch die entsprechenden
Kontoauszüge für den Zeitraum beigefügt.
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Mit Einspruchsentscheidung (EE) vom 20.07.2009 wies die Ag. den Einspruch als
unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Beigl. erfülle ihre
Unterhaltspflicht. Der Umfang der Unterhaltsleistungen erreiche das auf das Kind
entfallende Kindergeld. Als Unterhaltsleistungen seien dabei nicht nur die Geldzahlung,
sondern auch Sachleistungen und – insbesondere bei minderjährigen Kindern –
Betreuungsleistungen zu berücksichtigen. Die Beigl. leiste Unterhaltszahlungen in Form
von regelmäßigen Zahlungen, als auch andere Unterhaltsleistungen in der Form von
Bekleidung, Essen, Urlaub und Weihnachtsgeschenken und sonstigem Bargeld. Damit
sei die Unterhaltsverpflichtung erfüllt worden. Die Mitteilung, dass für Juni 2009 keine
Barzahlung erfolgt sei, stelle nur eine einmalige Verletzung der Unterhaltsverpflichtung
dar, die keine Abzweigung des Kindergeldes an die Astin. rechtfertige.
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Dagegen erhob die Astin. am 27.07.2009 zu Protokoll des Urkundsbeamten des
Finanzgerichts Klage, die beim Senat unter dem Az. 8 K 2849/09 Kg geführt wird und
erklärte, sie erhalte weiterhin von ihrer Mutter weder Bar- noch Sachunterhalt. Die
Familienkasse zahle nach der Antragstellung kein Kindergeld mehr aus, auch an die
Mutter nicht mehr. Seit September 2008 habe sie von der Mutter monatlich 100 EUR und
einmalig im Mai 2009 den vollen Kindergeldbetrag erhalten.
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Weiter trug die inzwischen rechtsanwaltlich vertretene Astin. vor, die Beigl. habe weitere
öffentliche Mittel in Form vom Arbeitslosengeld II durch auch für die Astin. beantragte
Leistungen erschlichen. Diese Leistungen seien nach Auskunft der Arbeitsgemeinschaft
N auf Antrag der Beigl. zu deren Händen gewährt worden, jedoch nicht an die Astin.
weitergeleitet worden. Die Astin. müsse sich einem Regress der Stadt N stellen,
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nachdem die Beigl. bislang nicht bereit sei, die unrechtmäßig bezogenen Leistungen
zurückzuerstatten.
Die Astin. erklärte in einer eidesstattlichen Versicherung vom 17.10.2009, für die Zeit ab
Juni 2009 von ihren Eltern keinerlei Barunterhaltszahlungen zu erhalten. Insbesondere
leiste die Beigl. keine Unterhaltszahlungen für oder an sie. Auch das Kindergeld werde
für die Zeit ab Juni 2009 nicht weitergeleitet. Neben der Nettovergütung in Höhe von
430,78 EUR verfüge sie über keine weiteren Einkünfte.
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Die Astin. hat zunächst beantragt,
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die Ag. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das gesetzliche
Kindergeld in Höhe von 164 EUR monatlich ab Juni 2009 bis auf Weiteres an die
Astin. auszuzahlen.
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In der vom Senat durchgeführten mündlichen Verhandlung am 29.10.2009 hat sie nur
noch die vorläufige Zahlung ab Juli 2009 begehrt. Die Beigel. hat sich mit der
Abzweigung ab Juli 2009 einverstanden erklärt.
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Die Ag. beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Nach Auffassung der Ag. liegt keine dauerhafte Unterhaltspflichtverletzung vor. Die
Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung läge nicht vor, da weder
ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund ersichtlich sei. Auch die
wirtschaftliche Existenz der Astin. sei nicht bedroht, da nach eigenen Bekundungen die
Familie ihres Freundes für den Unterhalt aufkomme.
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Der Berichterstatter hat mit Beschluss vom 14.10.2009 die Mutter der Astin. gemäß § 60
Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahren beigeladen.
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Der Senat entscheidet gemäß § 114 Abs. 4 FGO durch Beschluss aufgrund mündlicher
Verhandlung. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll vom 29.10.2009 Bezug
genommen.
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II.
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Die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO
liegen im Streitfall nach Lage der Akten und Anhörung der Astin und der Beigel. der
mündlichen Verhandlung für die Zeit ab Juli 2009 vor. Die Regelung über die Zahlung
des Kindergelds erscheint notwendig, um die Auszahlung des Kindergeldes zu
ermöglichen.
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1. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das für ein Kind festgesetzte (oder
festzusetzende) Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden, wenn der
Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht
nachkommt. Das gilt nach Satz 3 der Vorschrift auch, wenn der
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Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder
nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für
die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Für ein volljähriges
unterhaltsberechtigtes Kind, das auswärts lebt, ist der Unterhalt regelmäßig durch
eine Geldrente zu erbringen. Leistet der Unterhaltsverpflichtete tatsächlich keinen
Unterhalt, liegt es im pflichtgemäßem Ermessen, das Kindergeld an das Kind
auszuzahlen. Das Ermessen wird nicht dadurch eingeschränkt, dass der
Unterhaltspflichtige anstelle des zivilrechtlich geschuldeten Barunterhalts
Naturalleistungen anbietet. (vgl. BFH-Beschluss v. 17.03.2006 III B 135/05,
BFH/NV).
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Nach Lage der Akten zahlt die Beigl. dauerhaft überhaupt keinen laufenden (Bar)-
Unterhalt an die volljährige Astin. mehr, wozu sie als Verwandte in gerader Linie gem.
§§ 1601, 1612 BGB grundsätzlich verpflichtet ist. Nach den Erklärungen in der
mündlichen Verhandlung besteht zwischen der Astin. und der Beigel. Einvernehmen,
dass das Kindergeld erst ab Juli 2009 abzuzweigen ist. Die Weiterzahlung des
Kindergeldes an die Beigel. noch für Juni 2009 rechtfertigt sich dadurch, dass
möglicherweise in diesem Monat noch eine Aufnahme in den Haushalt der Beigel.
bestand. Da deshalb zwischen der Astin. und der Beigel. kein Streit mehr besteht, ist
darüber, auch hinsichtlich der Hauptsache, nicht (mehr) zu entscheiden.
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Ab Juli 2009 ist die ab August 2008 volljährige Astin als "auswärts lebend" zu
behandeln, so dass der Unterhalt durch Zahlung einer Geldrente zu erbringen gewesen
wäre. Aufgrund der eidesstattlichen Versicherung, der vorgelegten Kontounterlagen und
dem Vorbringen der Beigel. ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die
Abzweigung vorliegen. Auch die Beigel. behauptet nicht, ab Juli 2009 Barunterhalt
geleistet zu haben. Die Zahlung einer Fahrkarte hat die Beigl. nicht glaubhaft gemacht.
Grundsätzlich hat aber der Unterhaltsverpflichtete an das unterhaltsberechtigte über 18
Jahre alte Kind Barunterhalt zu erbringen. Für die Ermessensreduzierung auf Null
kommt es lediglich darauf an, dass an das volljährige auswärts lebende Kind kein
Barunterhalt geleistet wird. Das war im Zeitpunkt der EE im Juli der Fall.
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Nach Lage der Akten befindet sich das Kind auch in einer Berufsausbildung ab August
2009 und zuvor in einer Schulausbildung. Die erklärten Einkünfte und Bezüge sind mit
ca. 500 EUR so niedrig, dass selbst unter Berücksichtigung eines höheren Bruttogehalts
der Grenzbetrag von 7.680 EUR im Kalenderjahr nicht überschritten werden dürfte
(Prognose).
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2. Die Regelung eines vorläufigen Zustands, nämlich der Kindergeldgewährung an
die Astin. ist hier zulässig, da eine solche Regelung notwendig ist, um den
Unterhalt der Astin. sicherzustellen. Diese braucht sich nicht darauf verweisen zu
lassen, dass sie von der Familie ihres Freundes bzw. von diesem selbst
untergebracht und unterstützt wird. Ebenso kann es nicht darauf ankommen, dass
die Astin. derzeit als Auszubildende über ein geregeltes, wenn auch geringfügiges
Einkommen in Höhe von monatlich netto 430 EUR verfügt, denn damit ist das
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Existenzminimum nicht gesichert.
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Der beantragten Regelung der Kindergeldauszahlung durch einstweilige Anordnung
steht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache nicht entgegen. Dieses gilt dann
nicht, wenn eine Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes notwendig
ist, nämlich wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar
und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad der
Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (vgl. allg. Meinung z.
B. VG Frankfurt Beschl. vom 07.05.2009 7 L 676/09, NvwZ 2009, 1182).
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Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, da sich aufgrund der Beiladung der
Mutter der Sachverhalt zuverlässig hat klären lassen und zwischen der Astin. und der
Beigel. Einvernehmen hergestellt werden konnte. Auch insoweit gilt, dass die Astin.
selbst unter Berücksichtigung ihrer laufenden Einnahmen, die nicht sehr hoch sind,
effektiven Rechtsschutz nur durch eine einstweilige Anordnung erlangen kann. Auch in
diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass das Kindergeld der Sicherstellung des
Existenzminimums des Kindes dient.
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Kosten waren der Ag. gem. § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO ganz aufzuerlegen. Über die
Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigel. war gem. § 139 Abs. 4
FGO zu entscheiden. Diese hat keinen Antrag gestellt.
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