Urteil des FG Münster vom 10.09.2002

FG Münster (Auflösung, Gemeinschaftspraxis, Anteil, Beendigung, Einkünfte, Lebensversicherung, Bestandteil, Kündigung, Steuerberater, Einspruch)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 1 K 3648/01 F
10.09.2002
Finanzgericht Münster
1. Senat
Urteil
1 K 3648/01 F
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
Streitig ist, ob der anlässlich des Ausscheidens eines Mitunternehmers aus einer ärztlichen
Gemeinschaftspraxis anfallende Gewinn aus der Auflösung eines für Mitarbeiter gebildeten
Versorgungswerks zum begünstigten Veräußerungsgewinn gehört.
Die Kl. Dr. V und Dr. F betrieben seit dem 1.4.1978 eine radiologische
Gemeinschaftspraxis in Form einer GbR. Zum 31.12.1997 veräußerte der Kl. Dr. V seinen
Kassenarztsitz an Dr. M und seinen Praxisanteil an die Fa.W-GmbH, die diesen wiederum
an Dr. M verpachtete.
Die Kl. hatten einigen (ca. sieben) ihrer Arbeitnehmerinnen am 1.10.1990
Versorgungszusagen erteilt: Danach sollten diese bei Erreichen eines Alters von 65 Jahren
einen Betrag von jeweils 400.000 DM in fünf Jahresraten zu je 80.000 DM erhalten.
Gleichzeitig begannen die Kl. mit der Einzahlung von Beiträgen in einer
Unterstützungskasse (Versorgungskasse für Ärzte und Apotheker e.V.). Die
Unterstützungskasse schloss zur Erbringung ihrer Leistungen Rückdeckungs-
Lebensversicherungen ab. Die Versicherung leistete bis zur Höhe des Deckungskapitals
aus der Lebensversicherung eine verzinsliche Vorauszahlung (Policendarlehen) an die
Unterstützungskasse. Diese wiederum gewährte aus den empfangenen Policendarlehen
den Kl. verzinsliche Darlehen, so dass bei diesen kein Liquiditätsabfluss eintrat.
Im Laufe der Zeit schieden die meisten der Arbeitnehmerinnen aus, ohne einen
unverfallbaren Versorgungsanspruch zu erwerben.
Im August 1997 kündigten die Kl. das Versorgungswerk und begründeten dies mit der
beabsichtigten Auflösung der Gemeinschaftspraxis. Am 29.12.1997 schlossen sie mit den
beiden noch verbliebenen versorgungsberechtigten Arbeitnehmerinnen
Aufhebungsverträge, wonach die Versorgungszusage gegen eine Einmalzahlung von
jeweils 20.000 DM widerrufen wurde. Am 22.6.1998 erteilte die Unterstützungskasse den
Kl. eine Abrechnung, in der ein Rückkaufswert von 1.127.178 DM ausgewiesen war. Der
Netto-Gewinn betrug 1.108.708 DM, der hälftige Anteil jedes der beiden Kl. 554.354 DM.
In ihrer Feststellungserklärung für das Streitjahr 1997 behandelten die Kl. den auf den Kl.
Dr. V entfallenden Anteil als Bestandteil von dessen Veräußerungsgewinn; der auf den Kl.
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Dr. F entfallende Anteil wurde von diesem bei Zufluss im Jahr 1998 als laufender Gewinn
versteuert. Die Abfindungszahlung i.H.v. 40.000 DM behandelten die Kl. als eine den
laufenden Gewinn mindernde Betriebsausgabe.
Der Bekl. folgte dieser Behandlung zunächst, erließ im Anschluss an eine Betriebsprüfung
am 20.12.1999 aber einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten
Feststellungsbescheid für das Streitjahr 1997, in dem dieser Betrag auch für Dr. V dem
laufenden Gewinn zugerechnet wurde. Zur Begründung führte er aus, allein der zeitliche
Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung bewirke nicht, dass Aufwendungen zur
Beendigung von Schuldverhältnissen, die bisher dem laufenden Betrieb gedient hätten,
den Veräußerungsgewinn erhöhen bzw. mindern. Hier handele es sich lediglich um die
Rückerstattung bisher betrieblich veranlasster Aufwendungen im Rahmen des laufenden
Betriebs. Im Übrigen zeige die Erfassung bei Dr. F, dass es sich um laufende Einnahmen
handele.
Im Einspruchsverfahren machten die Kl. geltend, es sei eine wertende Betrachtung
vorzunehmen. Die Auflösung des Versorgungswerks sei gerade keine Fortsetzung des
laufenden Geschäfts, sondern ein einmaliger Vorgang, der nur wegen der Auflösung der
Praxisgemeinschaft erfolgt sei. Die vom Bekl. angeführten Entscheidungen seien nicht
einschlägig, da es dort jeweils nur um Betriebsausgaben, nicht aber - wie hier - um die
Zurechnung von Betriebseinnahmen zum Veräußerungsgewinn gegangen sei.
Der Bekl. wies den Einspruch am 29.5.2001 als unbegründet zurück. Zur Begründung
führte er aus, die Anteilsveräußerung sei nur der äußere Anlass für die Auflösung des
Versorgungswerks gewesen, stehe dazu aber nicht in dem erforderlichen wirtschaftlichen
Zusammenhang. Das Versorgungswerk decke ein Risiko der laufenden betrieblichen
Tätigkeit ab. Derartige Versorgungszusagen würden nur während der laufenden Tätigkeit
erteilt.
Mit ihrer am 29.6.2001 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgen die Kl. ihr Begehren
weiter. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen behaupten sie, Dr. F habe das
Versorgungswerk aus Rechtsgründen nicht alleine fortführen können. Die W-GmbH habe
mit dem Praxisanteil nicht auch den Anteil am Versorgungswerk übernehmen wollen, weil
ihrem Steuerberater die gewählte Anlageform zu unsicher erschien. Schließlich habe auch
Dr. V das Versorgungswerk nicht mehr fortführen wollen, weil dies für ihn nach Beendigung
seiner Gesellschafterstellung wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll war. Denn für ihn sei das
Risiko weggefallen, Versorgungsbezüge zahlen zu müssen, ohne ausreichende
Praxiseinkünfte zu haben.
Der Gewinn aus der Auflösung des Versorgungswerks sei auch nicht bereits als
Übergangsgewinn aufgrund des Wechsels der Gewinnermittlungsart zu erfassen. Denn
eine Auslegung der Kündigungserklärung ergebe, dass die Kündigung des
Versorgungswerks zum 31.12.1997, 24.00 Uhr erfolgt sei, der Auszahlungsanspruch
jedoch erst am 1.1.1998, 0.00 Uhr entstanden sei. Im Übrigen zeige die Vorschrift des § 4d
des Einkommensteuergesetzes (EStG), dass eine Aktivierung auch bei einem
bilanzierenden Steuerpflichtigen nicht hätte erfolgen können.
Die Kl. beantragen,
den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus
selbständiger Tätigkeit für das Jahr 1997 vom 20.12.1999 unter Aufhebung der
Einspruchsentscheidung vom 29.5.2001 dahingehend zu ändern, dass ein Betrag i.H.v.
554.354 DM beim Kl. Dr. V nicht dem laufenden Gewinn, sondern dem
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Veräußerungsgewinn zugerechnet wird.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung.
Der Berichterstatter hat die Sache am 3.7.2002 mit den Beteiligten erörtert, der Senat hat
am 10.9.2002 mündlich verhandelt. Auf die jeweiligen Protokolle wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Gewinnfeststellungsbescheid ist rechtmäßig.
Der Gewinn aus der Auflösung des Versorgungswerks ist auch nicht insoweit
tarifbegünstigt zu besteuern, als er auf den Kl. Dr. V entfällt. Denn er gehört nicht zum
Veräußerungsgewinn, sondern erhöht die laufenden Einkünfte.
1. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG gehören u.a. Veräußerungsgewinne i.S.d. § 18 Abs. 3 EStG
zu den ermäßigt zu besteuernden außerordentlichen Einkünften. Nach § 18 Abs. 3 EStG
sind Veräußerungsgewinne u.a. solche aus der Veräußerung eines Anteils am Vermögen,
das der selbständigen Arbeit dient. Nach dem dort in Bezug genommenen § 16 Abs. 2 Satz
1 EStG ist Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug
der Veräußerungskosten den Wert des Anteils am Betriebsvermögen übersteigt.
"Veräußerungspreis" im Sinne der genannten Norm ist nicht allein der Betrag, den der
Veräußerer vom Erwerber des Anteils (hier der W-GmbH) erhält. Vielmehr können auch
Zahlungen von dritter Seite (hier z.B. von Dr. M; vgl. dazu auch das BFH-Urteil vom
7.11.1991 IV R 14/90, BStBl. II 1992, 457) zum Veräußerungspreis im weiteren Sinne
gehören. Voraussetzung ist allerdings nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der
Senat sich anschließt, dass diese Zahlungen in einem unmittelbaren bzw. engen
wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Veräußerung anfallen (neben der vorstehend
angeführten Entscheidung z.B. BFH-Urteile vom 26.1.1989 IV R 86/87, BStBl. II 1989, 456
und vom 4.3.1998 X R 56/95, BFH/NV 1998, 1354). Ein lediglich zeitlicher Zusammenhang
reicht hingegen nicht aus (BFH-Urteil vom 25.1.1995 X R 76-77/92, BStBl. II 1995, 388).
Bei der Feststellung dieses unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs ist - worin der
Senat sich mit den Beteiligten im Ausgangspunkt einig ist - eine wertende Betrachtung
vorzunehmen.
2. Diese wertende Betrachtung führt im Streitfall dazu, einen unmittelbaren wirtschaftlichen
Zusammenhang der Auflösung des Versorgungswerks mit der Anteilsveräußerung zu
verneinen.
a) Dies gilt zunächst für denjenigen Teil des Gewinns aus der Auflösung des
Versorgungswerks, der darauf beruht, dass bereits in den Vorjahren Arbeitnehmerinnen
ausgeschieden sind, ohne die Unverfallbarkeitszeit zu erreichen. Denn dieser Gewinn steht
wirtschaftlich in keiner Weise mit dem Ausscheiden des Kl. aus der Gemeinschaftspraxis in
Zusammenhang. Vielmehr beruht er allein darauf, dass dem Kl. wegen des vorzeitigen
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Ausscheidens der Arbeitnehmerinnen die erwarteten Verpflichtungen aus den von ihm
abgegebenen Versorgungszusagen nicht erwachsen sind.
b) Aber auch derjenige Teil des Gewinns, der darauf beruht, dass die beiden einzigen
Arbeitnehmerinnen mit unverfallbaren Anwartschaften auf diese gegen Zahlung von jeweils
20.000 DM verzichtet haben, steht nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang
mit der Anteilsveräußerung durch den Kl. Denn bei der erforderlichen wertenden
Betrachtung steht hier der Gedanke im Vordergrund, dass das Ausscheiden eines
Mitunternehmers aus einer fortbestehenden GbR kein Grund für die Ablösung bestehender
und voll abgesicherter Versorgungszusagen ist. Im Gegenteil ist die Rückdeckung der
erteilten Zusagen durch die Unterstützungskasse und die Lebensversicherung gerade für
den Fall geschehen, dass nach Beendigung der Tätigkeit eines Beteiligten an der
Gemeinschaftspraxis keine laufenden Einnahmen für die Auszahlung der zugesagten
künftigen Leistungen mehr vorhanden sind. Dies folgt vor allem daraus, dass der
Fälligkeitszeitpunkt der Versorgungsleistungen (bei der einen Arbeitnehmerin ab dem Jahr
2016, bei der anderen Arbeitnehmerin im Jahr 2028) deutlich später als der Zeitpunkt liegt,
bis zu dem man von den Kl. angesichts von deren Lebensalter nach den allgemeinen
Erfahrungssätzen und den rechtlichen Begrenzungen für die Tätigkeit von Kassenärzten
die Erzielung umfangreicher eigener Einnahmen erwarten kann. Dies zeigt, dass auch die
Kl. bei Erteilung der Versorgungszusagen und bei deren Rückdeckung von vornherein
davon ausgegangen sind, dass das Versorgungswerk ihre eigene aktive Tätigkeit
überdauern soll.
Für diese Wertung spricht auch, dass die Aufwendungen der Kl. für die Ablösung der
Versorgungszusagen (40.000 DM) auch insoweit den laufenden Gewinn mindern, als sie
auf den Kl. Dr. V entfallen, und von den Kl. zu Recht auch so behandelt worden sind. Denn
die Versorgungszusage war ein Bestandteil der Vergütung der Arbeitnehmerinnen und
damit ein Schuldverhältnis, das dem laufenden Betrieb diente. Aufwendungen zur
Beendigung von Schuldverhältnissen, die bisher dem laufenden Betrieb dienten, stellen
aber nach ständiger Rechtsprechung keine den begünstigten Veräußerungsgewinn
belastenden Betriebsausgaben dar (BFH-Urteile vom 6.5.1982 IV R 56/79, BStBl. II 1982,
691 und vom 12.7.1984 IV R 76/82, BStBl. II 1984, 713). Wenn aber diese Aufwendungen
zur Ablösung der Versorgungszusage bei der Ermittlung des laufenden Gewinns zu
berücksichtigen sind, dann gilt dasselbe für die Erträge aus der Auflösung des dann nicht
mehr benötigten Versorgungswerkes.
Ein unmittelbarer Zusammenhang der Auflösung des Versorgungswerks mit der
Anteilsveräußerung ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerseite dargelegten
Schwierigkeiten einer teilweisen Übertragung des Versorgungswerks auf Dritte. Es kommt
insoweit nicht darauf an, ob eine Fortsetzung des Versorgungswerks allein durch den Kl.
Dr. F nach der Satzung der Unterstützungskasse - so der Vortrag der Klägerseite - nicht
zulässig war oder ob der Anteilserwerber an einem Eintritt in das Versorgungswerk aus
wirtschaftlichen Gründen nicht interessiert war. Denn ausweislich der vorgelegten
Vereinbarungen waren die beiden Kl. Schuldner der erteilten Versorgungszusagen.
Derartige Schuldverhältnisse überdauern auch Anteilsveräußerungen. Eine Fortführung
des Versorgungswerks durch die beiden Kl. wäre nach Auskunft der Unterstützungskasse
unabhängig von einem Ausscheiden des Kl. Dr. V aus der Gemeinschaftspraxis rechtlich
zulässig gewesen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.