Urteil des FG Münster vom 04.05.2004

FG Münster (Vorläufiger Rechtsschutz, Erlass, Verfügung, Unterhaltung, Pfändung, Rente, Einkünfte, Stadt, Anfechtungsklage, Wohnung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 7 V 1911/04 AO
04.05.2004
Finanzgericht Münster
7. Senat
Beschluss
7 V 1911/04 AO
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
G r ü n d e :
I.
Streitig ist, ob der Antragstellerin (Astin.) per einstweiliger Anordnung Pfändungsschutz
gemäß § 319 Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 851 b Zivilprozessordnung (ZPO) zu
gewähren ist.
Die Astin. schuldet dem Ag. Steuern und Nebenleistungen in Höhe von rund 685.000 Euro.
Am 08.09.2003 erließ der Antragsgegner (Ag.) eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung
wegen Mietforderungen der Astin. gegen die Mieter, die Eheleute A (Wohnung: X). Am
16.09.2003 erging eine weitere Pfändungs- und Einziehungsverfügung wegen
Mietforderungen der Astin. gegen die Mieterin B (Wohnung Y).
Am 01.03.2004 beantragte die Astin. beim Ag. die Aufhebung dieser Mietpfändungen
gemäß § 851 b ZPO, da die Einnahmen dringend zur Unterhaltung des Grundstücks und
für notwendige Instandhaltungsarbeiten benötigt würden. Es handele sich um Zahlungen
an das Wasserwerk, die Stadt (Grundbesitzabgaben) und die C Versicherung
(Gebäudeversicherung). Des Weiteren seien Außenanstriche der Holzfenster nötig; die
Kosten beliefen sich auf mindestens 4.500 Euro. Außerdem teilte die Astin. mit, dass der
Mietvertrag B zum 10.03.2004 fristlos gekündigt worden sei. Dem Antrag beigefügt war ein
Bescheid über Grundbesitzabgaben betreffend die Besitzung Wohnung Y, Mahnungen der
Stadt D betreffend Wassergeld und Abwassergebühren und ein Zahlschein für eine
Zahlung an die C Versicherung. Der Ag. lehnte den Antrag mit Schreiben vom 14.04.2004
ab, da nach seiner Ansicht die Vorschrift des § 851 b ZPO nicht zur Anwendung komme, da
der Astin. andere Einkunftsquellen zur Bestreitung der Ausgaben zur Verfügung stünden;
außerdem sei nur die Kaltmiete gepfändet worden, so dass die nicht gepfändeten Umlagen
ebenfalls zur Verfügung ständen.
Am 13.04.2004 hat die Astin. den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf
Aufhebung der Pfändungen gemäß § 851 b ZPO beantragt.
Zur Begründung trägt sie vor, dass die Aufhebung der Pfändung bei der Mieterin B
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erforderlich sei, um einer Räumungsklage zum Erfolg zu verhelfen. Die Mieter A zahlten
monatlich 452,60 Euro an das Finanzamt, welches die Begleichung der Nebenkosten
abgelehnt habe. Als weitere Einkunftsquellen stünde ihr lediglich eine Rente in Höhe von
624,23 Euro zur Verfügung, welche für ihren bescheidenen Lebensunterhalt erforderlich
sei. Auch eine Unterstützung durch den Ehemann komme nicht in Betracht, da dieser nur
eine Rente in Höhe von 637,92 DM erhalte, die allerdings dringend zur Bezahlung von
Krankheitskosten benötigt würde. Die vom Ag. behaupteten Grundschuldbriefe über
100.000 Euro und 200.000 Euro existierten nicht und würden ihr zudem auch nicht zur
Kreditaufnahme zur Verfügung stehen, da sie auf Grund der wiederholten Pfändungen
kreditunwürdig sei. Von den Mietern A erhalte sie eine monatliche Umlage in Höhe von 50
Euro. Von diesem Betrag könne weder das Gebäude unterhalten noch die notwendigen
Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden. Zu beachten sei außerdem, dass das
vermietete Grundstück zu Gunsten der Sparkasse E mit 300.000 DM erstrangig belastet sei
und auf Grund der Pfändungen Zins- und Tilgungsleistungen nicht mehr erfolgen könnten.
Wegen der rückständigen Abgaben- und Versicherungsbeiträge sei mit einer baldigen
Aufhebung des Versicherungsschutzes für das Gebäude sowie mit Kontenpfändungen
durch die Stadt D zu rechnen. Durch die Pfändung der Mieten würde sowohl ihre
persönliche als auch ihre wirtschaftliche Existenz zerstört. Würden die dringend benötigten
Reparaturarbeiten nicht ausgeführt werden, würden erhebliche Kosten für Ersetzungen
anfallen.
Die Astin. beantragt,
die vom Finanzamt F vorgenommene Pfändung der Mieten bei den Mietern A und B
insoweit aufzuheben, als die Einkünfte der Mieter A zur laufenden Unterhaltung des
Grundstücks und zur Vornahme dringend notwendiger Instandsetzungsarbeiten gemäß §
851 b ZPO unentbehrlich sind.
Der Ag. beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er vertritt die Ansicht, dass vorläufiger Rechtsschutz gegen die Pfändungsmaßnahmen im
Wege der Aussetzung der Vollziehung geltend zu machen sei, so dass der Antrag auf
Erlass der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 5 Finanzgerichtsordnung (FGO)
ausscheide. Soweit der Antrag auf Vollstreckungsaufschub wegen Unbilligkeit der
Zwangsvollstreckung anzusehen sei, sei er zulässig, aber nicht begründet, da weder ein
Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht worden
seien. Eine Unbilligkeit der Zwangsvollstreckung scheide schon deshalb aus, weil keine
Nachteile vorlägen, die über die üblicherweise mit einer Zwangsvollstreckung
verbundenen Nachteile hinausgingen. Ein Anordnungsgrund sei nur dann gegeben, wenn
die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Schuldners durch die Ablehnung der
beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht sei. Dies sei im Fall der Astin. nicht zu
erkennen. Diese verfüge über eine monatliche Rente von 640 Euro sowie über Grundbesitz
(2 Grundschuldbriefe über 100.000 Euro und 200.000 Euro).
II.
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
Für den von der Astin. begehrten Pfändungsschutz gemäß § 319 AO i. V. m. § 851 b ZPO
stellt der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die statthafte Antragsart dar.
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Zwar stellen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen im abgabenrechtlichen
Vollstreckungsverfahren Verwaltungsakte dar, so dass gerichtlicher Rechtssschutz
grundsätzlich im Wege der Anfechtungsklage zu verfolgen ist und im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung die statthafte Antragsart
darstellt (BFH-Beschluss vom 19.04.1988, VII B 167/87, BFH/NV 1989, 36).
Dies gilt jedoch nicht, wenn der Vollstreckungsschuldner - wie im Streitfall -
antragsgebundene Schutzvorschriften in Anspruch nimmt.
Klageziel der Anfechtungsklage ist die Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsakts
(§ 40 Abs. 1 FGO), welches erreicht wird, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den
Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dies ist dann der Fall, wenn
bei Erlass des Verwaltungsakts gegen geltendes Recht verstoßen wird (Tipke/Kruse,
AO/FGO, § 100 FGO, RdNr. 2). Für das Vollstreckungsverfahren durch die Finanzbehörden
beurteilt sich die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns nach den Vorschriften der §§
249 ff. AO, wobei für den Bereich von Forderungspfändungen die Beschränkungen und
Verbote der §§ 850 - 852 ZPO sinngemäß gelten, § 319 AO. In diesem Verfahren nimmt die
Finanzbehörde zugleich die Funktion des Vollstreckungsgerichts ein (Tipke/Kruse,
AO,FGO, Vor § 249 AO, RdNr. 13 und BFH-Urteil vom 24.10.1996 VII R 113/94, BFHE 181,
552, BStBl. II 1997, 308). Zu beachten ist, dass verschiedene Pfändungsschutzvorschriften
der §§ 850 ff. ZPO, wie etwa der hier geltend gemachte Pfändungsschutz für Miet- und
Pachtzinsen gemäß § 851 b ZPO, einen Antrag des Vollstreckungsschuldners
voraussetzen, so dass sie auch nur bei Vorliegen eines solchen Antrags von der
Finanzbehörde berücksichtigt werden können und müssen. Wird daher eine
Forderungspfändung mit der Begründung angefochten, dass eine antragsgebundene
Schutzvorschrift verletzt worden sei und ist vor Erlass der Pfändung ein entsprechender
Antrag nicht gestellt worden, liegt kein rechtswidriges Verwaltungshandeln vor (so auch
Finanzgericht Brandenburg, Beschluss vom 17.01.2002 1 S 2604/01, EFG 2002, 662),
Anfechtungsklage und AdV-Antrag blieben ohne Erfolg.
Zur Berücksichtigung des spezifischen Vollstreckungsschutzes ist der Schuldner daher
gehalten, zunächst einen entsprechenden Antrag beim Vollstreckungsgericht (hier dem
Finanzamt als Vollstreckungsbehörde) zu stellen. Wird dieser abgelehnt, steht dem
Vollstreckungsschuldner nach Durchführung des erforderlichen Einspruchsverfahrens die
Verpflichtungsklage, gerichtet auf Berücksichtigung des beantragten
Vollstreckungsschutzes zur Verfügung (so auch Finanzgericht Brandenburg, EFG 2002,
662). Für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stellt in Fällen der
Verpflichtungsklage in der Hauptsache das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung die statthafte Antragsart dar (Tipke/Kruse, AO, FGO, § 114 FGO, RdNr. 2 und
Lindberg in Schwarz, AO, FGO, § 114 FGO, RdNr. 2).
Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Astin. einen Anordnungsgrund nicht dargelegt
und glaubhaft gemacht hat.
Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Finanzgericht zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung
erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender
Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Wie sich aus der Verweisung auf § 920
ZPO in Abs. 3 der Vorschrift ergibt, ist dazu erforderlich, dass der Ast. einen
Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund darlegt und glaubhaft macht.
Im Streitfall ergibt sich der Anordnungsanspruch aus § 851 b ZPO, welcher gemäß § 319
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AO sinngemäß anzuwenden ist. Gemäß § 851 b Abs. 1 ZPO ist auf Antrag des Schuldners
die Pfändung von Miet- und Pachtzinsen vom Vollstreckungsgericht insoweit aufzuheben,
als diese Einkünfte für den Schuldner zur laufenden Unterhaltung des Grundstücks oder
zur Vornahme notwendiger Instandsetzungsarbeiten unentbehrlich sind. Die Astin. hat die
Voraussetzungen dieser Vorschrift dargelegt und glaubhaft gemacht.
Soweit es um die laufende Unterhaltung des Grundstücks geht, hat die Astin. zunächst die
anfallenden Ausgaben konkret aufgelistet. Ausweislich der eingereichten Unterlagen
handelt es sich um Grundbesitzabgaben in Höhe von 195 Euro pro Quartal, Wassergeld in
Höhe von 300 Euro pro Quartal sowie jährliche Versicherungsleistungen in Höhe von 273
Euro, so dass sich monatliche Ausgaben in Höhe von rund 190 Euro ergeben. Rückstände
und frühere Aufwendungen zählen dagegen nicht zu den Kosten der laufenden
Unterhaltung (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 851 b
RdNr. 3). Durch die Vorlage der entsprechenden Rechnungen der Gläubiger sind diese
Aufwendungen auch glaubhaft gemacht worden.
Für die von der Astin. vorgetragenen Instandhaltungsaufwendungen fehlt es hingegen an
der Glaubhaftmachung. Die Astin. hat lediglich vorgetragen, welche Maßnahmen angeblich
unbedingt und sofort vorzunehmen seien, ohne dass sie dies in irgendeiner Form belegt
hat. Zu beachten ist aber, dass der Vermieter zumindest die Gelegenheit haben muss,
Kapital für notwendige Instandhaltungsarbeiten anzusammeln (Hartmann in
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 851 b RdNr. 3), so dass auch
ohne entsprechenden Vortrag angemessene monatliche Rücklagen zu berücksichtigen
wären.
Die Astin. hat auch dargelegt, dass die entsprechenden Mieteinkünfte für die
Unterhaltungsmaßnahmen unentbehrlich sind. Der Astin. steht nach unbestrittenem Vortrag
lediglich eine monatliche Rente in Höhe von 624 Euro als weitere Einkunftsquelle zur
Verfügung. Die Verwendung eines Teils dieser geringen Renten zur Unterhaltung eines
Vermietungsobjekts kommt nach Ansicht des Senats nicht in Betracht. Soweit der Ag. auf
das Bestehen von Eigentümergrundschulden, welche von der Astin. bestritten werden,
hinweist, ist nicht ersichtlich, dass aus diesen Sicherungsmitteln Einkünfte fließen.
Die Astin. hat jedoch einen Anordnungsgrund nicht dargelegt und glaubhaft gemacht.
Eine Anordnung nach § 114 FGO darf nur dann ergehen, wenn sie erforderlich ist, um
wesentliche Nachteile, drohende Gewalt oder ähnlich schwerwiegende Folgen vom Ast.
abzuwenden. Der geltend gemachte Grund muss dabei so schwerwiegend sein, dass der
Erlass der einstweiligen Anordnung unabweisbar ist. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn die
wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Ast. durch die Ablehnung der Maßnahme
unmittelbar bedroht ist (BFH-Beschluss vom 21.07.1992 VII B 64/92, BFH/NV 1994, 323).
Die Astin. hat dazu lediglich pauschal vorgetragen, dass durch die Pfändung der Mieten
ihre persönliche und wirtschaftliche Existenz zerstört sei. Dies reicht weder zur Darlegung
noch zur Glaubhaftmachung dieser Umstände aus. Die Astin. hat selbst angegeben, dass
auf Grund ihrer Rente ein bescheidener Lebensunterhalt gesichert sei. Die möglicherweise
eintretenden Schäden am Vermietungsobjekt oder zwischenzeitliche Mindereinnahmen bei
der Vermietung würden daher weder die persönliche noch die wirtschaftliche Existenz der
Astin. gefährden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.